20

Konkurrenz

Die Hälfte der Footballsaison war vorüber, und die Vikings und Chargers lagen noch immer an der Spitze. San Diego steckte die Niederlage in der Verlängerung gegen Minnesota locker weg und nahm eine Woche später daheim gegen die schwachen Indianapolis Colts mit 45:3 grausam Rache, während sich die Vikings in einem Montagsspiel mit 21:17 nur knapp gegen die New York Giants durchsetzen konnten. Tony Wills verbesserte im dritten Viertel des achten Spiels der Saison seine Laufleistung auf über tausend Yard, galt bereits allgemein als bester Nachwuchsspieler des Jahres und wurde offizieller NFL-Sprecher für die Drogenkampagne des Präsidenten. Die Vikings mußten gegen die San Francisco Forty-Niners mit 24:16 eine Schlappe hinnehmen und lagen nun mit San Diego punktgleich 7:1, aber ihre schärfsten Konkurrenten in der Central Division, die Chicago Bears, hatten mit 4:3 keine Chance mehr auf einen Platz an der Tabellenspitze. Gefahr drohte den Chargers nur noch von den Miami Dolphins und den Los Angeles Raiders, denen sie zum Saisonende hin noch begegnen mußten.

Nichts davon war für Ryan ein Trost. Trotz der überwältigenden Müdigkeit, die nun sein Leben zu bestimmen schien, konnte er nur schwer Schlaf finden. Wenn ihn früher in der Nacht Gedanken geplagt hatten, war er aufgestanden, ans Fenster gegangen und hatte zugesehen, wie draußen auf der Chesapeake Bay die Schiffe und Boote vorbeizogen. Nun saß er da und starrte. Seine Beine waren schwach und müde; das Aufstehen wurde zu einer Anstrengung. Seine Magen rebellierte gegen die von Streß, Kaffee und Alkohol erzeugte Säure. Er brauchte Schlaf, um seine Muskeln zu entspannen, traumlose Ruhe, damit sich sein Kopf von der Last der täglichen Entscheidungen erholen konnte. Er brauchte Bewegung und vieles andere. Er wollte wieder Mann sein. Statt dessen war er hellwach und ging in Gedanken zwanghaft immer wieder die Ereignisse des Tages und das Versagen in der Nacht durch.

Jack wußte, daß Liz Elliot ihn haßte, und glaubte sogar, den Grund dafür zu kennen. Bei ihrer ersten Begegnung waren sie beide schlechter Laune gewesen und hatten grobe Worte getauscht. Der Unterschied zwischen ihnen aber war, daß er Kränkungen vergaß – die meisten zumindest -, sie aber nachtragend war. Jack war stolz darauf, mit seiner Rolle in dem Vatikanabkommen bei der CIA ein Stück Arbeit geleistet zu haben, dem nicht der Geruch enger politischer oder strategischer Entscheidungen anhaftete. Gewiß, er hatte immer den Nutzen seines Landes zu mehren versucht, aber das Vatikanabkommen, seine Idee, diente der ganzen Menschheit. Die Lorbeeren jedoch hatten andere eingeheimst. Jack beanspruchte nicht das ganze Verdienst, denn er hatte nicht allein an dem Konzept gearbeitet, aber er wollte fairerweise wenigstens als Mitspieler gewürdigt werden. War das zuviel verlangt? Er hatte einen Vierzehnstundentag, dreimal sein Leben für sein Land aufs Spiel gesetzt – und wofür? Damit ein Biest aus Bennington seine Analysen verreißen konnte.

Liz, dachte er, wenn ich nicht gewesen wäre, säßest du heute nicht auf deinem Posten und der Eismann, Jonathan Robert Fowler aus Ohio, auch nicht!

Sie konnten aber nicht wissen, daß Jack sein Wort gegeben hatte. Doch wem? Wofür?

Am schlimmsten aber waren die neuen und völlig unerwartet eingetretenen Auswirkungen. Am Abend hatte er seine Frau wieder enttäuscht. Er konnte das einfach nicht begreifen. Man griff nach einem Lichtschalter, aber es blieb dunkel. Man drehte den Zündschlüssel um, und...

Ich bin kein richtiger Mann mehr, sagte er sich. Das war die einfachste Erklärung.

Ich bin aber ein Mann. Ich habe alles getan, was ein Mann tun kann.

Na, dann mach das mal deiner Frau klar, du Hornochse!

Ich habe für meine Familie und mein Land gekämpft und getötet, den Respekt der Besten gewonnen. Ich habe Dinge getan, die niemals bekannt werden dürfen, und alle Geheimnisse gewahrt, die gewahrt werden müssen. Treuer als ich kann man nicht dienen.

Ich habe etwas bewirkt! tobte Jack in Gedanken.

Wer weiß das? Wen interessiert das? Aber meine Freunde?

Was nützen die dir jetzt... welche Freunde eigentlich? Wann hast du Skip Tyler oder Robby Jackson zuletzt gesehen? Warum vertraust du deine Probleme nicht den Freunden an, die du in Langley hast?

Das Morgengrauen kam überraschend, aber noch erstaunlicher war, daß er tatsächlich geschlafen hatte – auf dem Sessel allein im Wohnzimmer. Jack erhob sich mühsam. Du hast gar nicht richtig geschlafen, sagten ihm seine schmerzenden Glieder, du warst nur nicht wach. Schlaf sollte entspannend wirken, aber er fühlte sich mit seinem Kater alles andere als ausgeruht. Positiv war nur, daß Cathy nicht aufstand. Jack machte sich einen Kaffee und wartete an der Haustür, als Clark vorfuhr.

»Mal wieder ein tolles Wochenende, wie ich sehe«, meinte Clark, als Ryan einstieg.

»Et tu, John?«

»Bitte sehr, Sir, hacken Sie ruhig auf mich ein. Sie haben schon vor zwei Monaten miserabel ausgesehen, und Ihr Zustand verschlimmert sich weiter. Wann haben Sie zuletzt eigentlich Urlaub gemacht? Wann sind Sie mal für ein, zwei Tage weggefahren und haben so getan, als seien Sie ein normaler Mensch und kein Kartenknipser bei der Regierung, der Angst hat, seine Abwesenheit könnte überhaupt nicht auffallen?«

»Clark, Sie können einem wirklich die Morgenlaune verderben.«

»Ich bin ja nur ein kleiner Fisch vom Personenschutz, aber meckern Sie nicht, wenn ich das mit dem ›Schutz‹ ernst nehme.« John fuhr an den Straßenrand und hielt an. »Doc, ich erlebe so was nicht zum ersten Mal. Sie verausgaben sich völlig. Sie machen sich kaputt. Sie treiben mit Ihren Kräften Raubbau. Das geht schon an die Substanz, wenn man 25 ist, und Sie sind keine 25 mehr, falls Ihnen das noch keiner gesagt hat.«

»Ich bin mir der Gebrechen, die mit dem Alter einhergehen, wohl bewußt«, versetzte Jack und mühte sich ein sarkastisches Lächeln ab, um Clark zu zeigen, daß er ihn nicht zu ernst nahm.

Aber es gelang ihm nicht. Plötzlich fiel John ein, daß Mrs. Ryan nicht an der Tür gewesen war. Hing der Haussegen schief? Nun, danach konnte er sich wohl kaum erkundigen. Was er Ryan vom Gesicht ablas, war schon schlimm genug. Es war nicht nur körperliche Erschöpfung, sondern auch psychische, die Belastung durch seine Vorgesetzten und die Tatsache, daß er alles, was Cabot aus dem Haus gehen ließ, noch einmal nachprüfen mußte. Cabot war ein anständiger Mann, der sich alle Mühe gab, aber einfach keine Ahnung hatte. Also verließ sich der Kongreß auf Ryan, und die Direktorate Operationen und Intelligence stützten sich auf Ryan als Führer und Koordinator. Er konnte sich der Verantwortung nicht entziehen und sah nicht ein, daß es besser war, manche Aufgaben zu delegieren. Die Chefs der Direktorate, die ihm manches hätten abnehmen können, ließen ihn die ganze Arbeit tun. Ein anständiger Rüffel vom DDCI hätte da Abhilfe geschaffen, aber würde ihm Cabot auch Rückhalt geben – oder sah das Weiße Haus dann ein Zeichen, daß Ryan die Macht an sich reißen wollte?

Scheißpolitik! dachte Clark und fuhr wieder an. Interne Machtkämpfe, politisches Gerangel. Und bei Ryan zu Hause stimmte auch etwas nicht. Er konnte nicht sagen was, aber er spürte es.

Doc, für diesen Schlamassel sind Sie zu gut! dachte er aufgebracht und sagte: »Darf ich Ihnen einen Rat geben?«

»Nur zu«, erwiderte Jack, der Dokumente durchsah.

»Nehmen Sie sich zwei Wochen frei, machen Sie Urlaub in Disney World oder einem Club Mediterrane, machen Sie lange Strandspaziergänge. Sehen Sie zu, daß Sie mal für eine Weile aus dieser Stadt rauskommen.«

»Die Kinder haben Schule.«

»Dann nehmen Sie sie halt raus! Oder, besser noch, lassen Sie sie daheim und fahren Sie nur mit Ihrer Frau weg. Nein, das bringen Sie natürlich nicht fertig. Gut, zeigen Sie den Kindern die Mickymaus.«

»Das geht nicht. Die Schule...«

»Ach was, Doc, in dem Alter kommt es doch nicht so drauf an. Wenn sie mal zwei Wochen Rechnen und ein Diktat verpassen, läßt das doch ihre geistige Entwicklung nicht verkümmern. Laden Sie Ihre Batterien auf, spannen Sie mal richtig aus!«

»Ich habe viel zuviel zu tun, John.«

»Jetzt hören Sie endlich mal auf mich. Wissen Sie, wie viele Freunde ich begraben habe? Ich war mit vielen im Einsatz, die nie die Chance hatten, eine Frau, Kinder und ein schönes Haus am Meer zu bekommen. Das alles haben Sie, und trotzdem wollen Sie sich unbedingt ins Grab schuften. Und da werden Sie auch landen, Chef, in höchstens zehn Jahren.«

»Ich habe meinen Beruf!«

»Verdammt, der ist doch nicht Ihr Leben wert! Sehen Sie das denn nicht ein?«

»Und wer schmeißt dann den Laden?«

»Sir, wenn Sie voll auf dem Damm sind, wären Sie nur schwer zu ersetzen, aber in Ihrer derzeitigen Verfassung erledigt der kleine Goodley Ihren Job mindestens genausogut wie Sie.« Das hatte gesessen, wie Clark sah. »Für wie effizient halten Sie sich im Augenblick eigentlich?«

»Bitte tun Sie mir den Gefallen, den Mund zu halten und nur den Wagen zu lenken.« Ein chiffrierter Hinweis auf einem Dokument verkündete den Eingang neuer Berichte von SPINNAKER und NIITAKA. Es gab also allerhand zu tun.

Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte Jack und schloß kurz die Augen, um sich ein wenig auszuruhen.

Es wurde aber noch schlimmer. Er wachte auf und stellte zu seiner Überraschung fest, daß der Morgenkaffee nicht gewirkt und er vierzig Minuten lang geschlafen hatte. »Na bitte«, sagte Clarks Blick. Ryan fuhr in den sechsten Stock. Ein Bürobote brachte ihm die beiden wichtigen Berichte ins Zimmer und einen Zettel von Cabots Sekretärin mit der Nachricht, der Direktor käme heute später. Der Mann leistet sich die Arbeitszeit eines Bankbeamten, dachte Ryan. Beim Geheimdienst sollte härter gearbeitet werden. Ich rackere mich jedenfalls ab.

Zuerst NIITAKA. Laut Report beabsichtigten die Japaner, eine seltene Handelskonzession, die sie vor sechs Monaten gemacht hatten, nicht einzuhalten. In ihrer Erklärung wollten sie sich wie immer auf »unglückliche und unvorhergesehene Umstände« berufen, was zum Teil auch der Wahrheit entsprach. Die japanische Innenpolitik war so kompliziert wie anderswo auch – aber Moment, da war noch etwas anderes: Sie wollten in Mexiko etwas koordinieren, was mit dem Staatsbesuch ihres Ministerpräsidenten in Washington im kommenden Februar zusammenhing. Landwirtschaftliche Produkte wollten sie nicht mehr in den USA, sondern billiger in Mexiko einkaufen, wenn dieses Land im Gegenzug die Zölle für japanische Importe senkte. So lautete jedenfalls der Plan. Sie waren sich der mexikanischen Konzessionen noch nicht sicher und dachten an...

... Schmiergelder?

»Da soll doch...«, hauchte Ryan. Mexikos Institutionalisierte Revolutionspartei PRI war nun nicht gerade für ihre Integrität bekannt, aber das...? Der Handel sollte bei persönlichen Gesprächen in Mexico City abgeschlossen werden. Wenn die Japaner die Konzession bekamen, also Zugang zum mexikanischen Markt, und im Gegenzug ihr Land für Erzeugnisse der mexikanischen Landwirtschaft öffneten, würden sie die Lebensmittellieferungen aus den USA, die im vergangenen Februar vertraglich festgelegt worden waren, reduzieren. Eine vernünftige Busineß-Entscheidung: Japan bekam seine landwirtschaftlichen Importe etwas billiger und erschloß einen neuen Exportmarkt. Den amerikanischen Bauern wollte man dann weismachen, sie benutzten Agrochemikalien, die das japanische Landwirtschaftsministerium im Interesse der öffentlichen Gesundheit – welche Überraschung! – nicht mehr zulassen könne.

Das Schmiergeld war dem Umfang des Abkommens durchaus proportional: 25 Millionen Dollar, die auf Umwegen halb legal gezahlt werden sollten. Wenn der mexikanische Präsident im kommenden Jahr sein Amt abgab, trat er an die Spitze eines neuen Unternehmens, das... nein, die Japaner hatten vor, eine Firma, die er bereits besaß, zu einem fairen Marktpreis zu erwerben, ihren Wert künstlich hochzutreiben und den Präsidenten als Direktor zu behalten und wegen seiner PR-Erfahrung fürstlich zu entlohnen.

»Sauber abgeschottet«, sagte Ryan laut. Der Trick war beinahe komisch und könnte in Amerika sogar als legal gelten, wenn er von einem gewitzten Anwalt präsentiert würde. Vielleicht brauchte man auch gar keinen Advokaten zu bemühen; viele Beamte des Außen- und Handelsministeriums ließen sich sofort nach Verlassen des Rcgierungsdienstes von japanischen Firmen anwerben.

Es gab hier jedoch einen kleinen Unterschied: Ryan hatte den Beweis für eine Verschwörung in der Hand. Eigentlich dumm von den Japanern zu glauben, ihr Kabinettssaal sei sakrosankt und kein laut ausgesprochenes Wort dränge über seine vier Wände hinaus. Sie wußten nicht, daß ein bestimmtes Kabinettsmitglied sich eine Mätresse hielt, die die Fähigkeit hatte, einem Mann die Zunge zu lösen, und nun kam Amerika dank eines KGB-Offiziers an alle diese Informationen heran...

»Nachdenken, Jack...«

Wenn man schlagendere Beweise bekam und sie Fowler aushändigte... Aber wie? Schließlich konnte man die Meldungen eines Spions nicht vor Gericht zitieren ... eines Russen und KGB-Offiziers, der im Ausland arbeitete.

Aber im Grunde ging es überhaupt nicht um eine öffentliche Gerichtsverhandlung mit geregelter Beweisaufnahme. Fowler konnte den Fall ja unter vier Augen mit dem japanischen Ministerpräsidenten besprechen.

Ryans Telefon ging. »Ja, Nancy?«

»Der Direktor hat gerade angerufen. Er hat die Grippe.«

»Wie angenehm. Grippe, daß ich nicht lache«, sagte Ryan nach dem Auflegen. Cabot war einfach stinkfaul.

Fowler hatte zwei Optionen: Entweder konfrontierte er die Japaner mit der Information und gab ihnen zu verstehen, daß er sich so etwas nicht bieten lassen würde... oder er ließ sie an die Presse durchsickern.

Option 2 mußte zu allen möglichen unangenehmen Konsequenzen führen, und nicht nur in Mexiko. Fowler hatte nicht viel für den mexikanischen Präsidenten übrig und für die PRI noch weniger. Man konnte Fowler allerhand vorwerfen, aber er war ein ehrlicher Mann, der Korruption in jeder Form verabscheute.

Option 1 ... Ryan mußte Al Trent über den Fall informieren, aber Trent hatte ein persönliches Interesse an solchen Fragen des internationalen Handels, und von daher konnte es gut sein, daß er nicht dichthielt. Andererseits: War es legal, Trent die Sache zu verschweigen? Ryan griff zum Telefon.

»Nancy, würden Sie bitte mit Mr. Trent einen Termin ausmachen?«

Nun zu SPINNAKER. Mal sehen, dachte Ryan, was Kadischow heute zu erzählen hat.

»Guter Gott!« Ryan zwang sich zur Ruhe und las die Meldung zweimal hintereinander durch. Dann griff er nach dem Telefon und drückte auf einen Knopf, um Mary Pat Foleys eingespeicherte Nummer zu wählen. Schon nach dreißig Sekunden wurde abgehoben.

»Ja?«

»Wer spricht da?«

»Wer spricht da?«

»Ryan, CIA. Wo ist Mary Pat?«

»Im Krankenhaus, Sir. Die Wehen haben eingesetzt. Verzeihung, Sir, ich wußte nicht, wer Sie sind«, fuhr der Mann fort. »Ed ist natürlich bei ihr.«

»Gut, vielen Dank.« Ryan legte auf. »Scheiße!« Aber das konnte er Mary Pat wohl kaum zum Vorwurf machen. Er stand auf und ging in sein Vorzimmer.

»Nancy, Mary Pats Wehen haben begonnen«, sagte er zu Mrs. Cummings.

»Toll – na, so toll ist das auch wieder nicht, sondern ziemlich unangenehm«, bemerkte Nancy. »Schicken wir Blumen?«

»Ja, irgendwas Schönes – Sie kennen sich da besser aus. Das geht auf meine American-Express-Karte.«

»Sollen wir nicht lieber abwarten, bis wir wissen, daß alles in Ordnung ist?«

»Gute Idee.« Ryan ging zurück in sein Zimmer. »Was nun?« fragte er sich laut und dachte weiter: Du weißt, was du zu tun hast. Die einzige Frage ist, ob du es auch tun willst.

Jack griff wieder nach dem Hörer und wählte eine andere eingespeicherte Nummer.

»Elizabeth Elliot.« Das Gespräch war über ihre interne Leitung gekommen, die nur eine Handvoll Insider kannte.

»Jack Ryan.«

Die kalte Stimme wurde noch frostiger. »Was gibt’s?«

»Ich muß den Präsidenten sprechen.«

»Worum geht es?« fragte sie.

»Darüber kann ich am Telefon nicht reden.«

»Ryan, das ist eine sichere Leitung!«

»Mir ist sie nicht sicher genug. Wann kann ich rüberkommen? Die Sache ist wichtig.«

»Wie wichtig?«

»Wichtig genug, um seinen Terminkalender umzuwerfen, Liz!« fauchte Jack zurück. »Meinen Sie vielleicht, ich triebe hier meine Spielchen?«

»Beruhigen Sie sich und warten Sie.« Jack hörte sie blättern. »Seien Sie in 40 Minuten hier. Ich richte es ein, daß Sie 15 Minuten bekommen.«

»Verbindlichsten Dank, Dr. Elliot.« Ryan mußte sich beherrschen, um den Hörer nicht aufzuknallen. Zur Hölle mit diesem Weib! Jack stand wieder auf. Clark saß nun im Vorzimmer. »Holen Sie den Wagen, John.«

»Wo geht’s hin?« fragte Clark und erhob sich.

»In die Stadt.« Jack drehte sich um. »Nancy, rufen Sie den Direktor an und richten Sie ihm aus, ich hätte dem Chef etwas zu melden. Und ich bitte ihn, mit Verlaub, gefälligst hier zu erscheinen.« Unangenehm für Cabot, der eine Autostunde entfernt wohnte, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten.

»Wird gemacht, Sir.« Die tüchtige Nancy war einer der wenigen Menschen, auf die er sich verlassen konnte.

»Ich brauche drei Kopien von diesem Dokument. Machen Sie noch einen Satz für den Direktor, und legen Sie das Original zurück in den Safe.«

»Ist in zwei Minuten fertig«, sagte Nancy.

»Fein.« Jack ging zur Toilette. Im Spiegel stellte er fest, daß Clark wie üblich recht hatte. Er sah wirklich fürchterlich aus, aber da war nichts zu machen. »Fertig?« fragte er, als er wieder im Vorzimmer war.

»Ja, Doc.« Clark hatte schon die lederne Dokumententasche mit Reißverschluß in der Hand.

Das Leben blieb an diesem Montagmorgen weiter verrückt. Irgendein Idiot hatte auf der A 66 einen Unfall gebaut und einen Stau ausgelöst, so daß die Fahrt statt zehn oder fünfzehn Minuten fünfunddreißig dauerte. Mit dem Verkehr in Washington müssen sich selbst hohe Regierungsbeamte herumschlagen. Der Dienstwagen rollte gerade noch rechtzeitig in die Auffahrt des Weißen Hauses. Ryan rannte nur deshalb nicht in den Westeingang, weil er bei den herumstehenden Reportern kein Aufsehen erregen wollte. Eine Minute später war er in Liz Elliots Büro.

»Wo brennt’s?« fragte die Sicherheitsberaterin.

»Über diese Sache halte ich lieber nur einmal einen Vortrag. Es liegt die Meldung eines Topagenten vor, die Ihnen nicht gefallen wird.«

»Sagen Sie mir doch wenigstens, worum es geht«, bat Elliot zur Abwechslung einmal in vernünftigem Ton.

»Um Narmonow, sein Militär und Kernwaffen.«

Sie nickte. »Gehn wir.« Der Weg durch zwei Korridore und vorbei an acht Agenten des Secret Service, die das Arbeitszimmer des Präsidenten bewachten wie ein Rudel respektvoller Wölfe, war nur kurz.

»Hoffentlich ist das wichtig«, sagte Präsident Fowler und stand nicht auf. »Ich habe Ihretwegen eine Haushaltskonferenz abgesagt.«

»Mr. President, wir haben in der sowjetischen Regierung einen hochplazierten Agenten«, begann Ryan.

»Ich weiß. Wenn Sie sich recht entsinnen, habe ich Sie gebeten, mir seinen Namen nicht zu nennen.«

»Jawohl, Sir«, erwiderte Ryan. »Das muß ich jetzt jedoch tun. Der Mann heißt Oleg Kirilowitsch Kadischow und bei uns SPINNAKER. Er wurde vor einigen Jahren von Mary Patricia Foley angeworben, als sie mit ihrem Mann in Moskau stationiert war.«

»Warum haben Sie mich jetzt eingeweiht?« fragte Fowler.

»Damit Sie seine Meldung einschätzen können. Frühere Berichte von ihm haben Sie unter den Kennwörtern RESTORATIV und PIVOT zu sehen bekommen.«

»PIVOT ...? Stimmt, das war im September; es ging um die Probleme, die Narmonow mit seinem Sicherheitsapparat hat.«

»Richtig, Mr. President«, sagte Ryan und dachte: Gut, daß er sich an unsere Vorlagen erinnert. Das war nicht immer der Fall.

»Und da Sie hier sind, nehme ich an, daß diese Probleme akuter geworden sind. Fahren Sie fort«, befahl Fowler und lehnte sich in seinen Sessel zurück.

»Kadischow meldet, daß er Ende letzter Woche unter vier Augen mit Narmonow sprach.«

»Moment – Kadischow ist Mitglied des Parlaments und führt eine Oppositionsgruppe, nicht wahr?«

»Korrekt, Sir. Er spricht oft allein mit Narmonow; das macht ihn für uns so wertvoll.«

»Das kann ich verstehen.«

»Bei ihrem letzten Treffen gestand Narmonow, daß seine Probleme in der Tat ernster werden. Er hat dem Militär und den Sicherheitskräften mehr Schlagkraft zugestanden, aber das reicht anscheinend nicht. Es scheint Widerstand gegen die Erfüllung des Abrüstungsabkommens zu geben. Diesem Bericht zufolge will das sowjetische Militär alle SS-18 behalten, anstatt, wie vereinbart, sechs Raketenregimenter aufzulösen. Unser Mann meldet, Narmonow sei in diesem Punkt zu Zugeständnissen bereit. Sir, das wäre eine Verletzung des Abkommens, und deshalb bin ich hier.«

»Und wie wichtig ist das?« fragte Liz Elliot. »Unter technischen Gesichtspunkten, meine ich.«

»Gut, wir waren nie in der Lage, das sehr klar darzustellen. Minister Bunker versteht die Materie, der Kongreß aber nicht. Seit wir begonnen haben, die Kernwaffen um gut die Hälfte zu reduzieren, haben wir die nukleare Gleichung verändert. Als beide Seiten über zehntausend Gefechtskörper verfügten, war allen klar, daß ein Atomkrieg nur schwer oder praktisch unmöglich zu gewinnen war. Mit einem Erstschlag konnten nicht alle Sprengköpfe getroffen werden; es blieben also immer noch genug für einen vernichtenden Gegenschlag. Doch nach der Reduzierung sieht die Rechnung anders aus. Nun ist je nach der Zusammensetzung der Trägersysteme ein solcher Angriff theoretisch möglich geworden, und aus diesem Grund wurde diese Kombination in den Vertragsdokumenten so deutlich dargelegt.«

»Sie sagen also, daß Abrüstung die Kriegsgefahr erhöht?« fragte Fowler.

»Nicht exakt, Sir. Ich war aber schon immer der Ansicht, daß die Verbesserung der strategischen Lage durch eine Reduzierung um 50 Prozent illusorisch und rein symbolischer Natur ist. Das war auch die Meinung der Abrüstungsexperten unter Ernie Allen, die ich vor Jahren konsultierte.«

»Unsinn!« fuhr Liz Elliot hitzig auf. »Es geht um die Reduzierung der Hälfte...«

»Dr. Elliot, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, einmal an den CAMELOT-Simulationen teilzunehmen, verstünden Sie das ein wenig besser.« Ryan wandte sich ab, ehe er ihre Reaktion auf die Zurechtweisung wahrnehmen konnte. Fowler stellte fest, daß sie kurz errötete, und hätte fast über ihre Betretenheit gelächelt, denn sie genoß es überhaupt nicht, vor ihrem Freund kritisiert zu werden. Fowler wandte sich wieder Ryan zu und war sicher, von Elizabeth zu diesem Thema noch einiges zu hören zu bekommen.

»Nun wird es sehr technisch und kompliziert«, fuhr Ryan fort. »Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie Minister Bunker oder General Fremont vom Strategischen Luftkommando. Der entscheidende Faktor ist die Mischung der Trägersysteme, nicht ihre Anzahl. Behalten die Sowjets diese SS-18-Regimenter, kommen wir an einen Punkt, an dem sie einen eindeutigen Vorteil haben. Die Auswirkung auf das Abkommen geht an die Substanz und betrifft nicht nur Zahlen. Aber das ist noch nicht alles.«

»Gut, weiter«, sagte der Präsident.

»Dieser Meldung nach scheint eine geheime Absprache zwischen Militär und KGB zu existieren. Wie Sie wissen, hat das sowjetische Militär zwar die Verfügungsgewalt über die strategischen Abschußsysteme, aber die Sprengköpfe kontrollierte schon immer der KGB. Kadischow ist der Ansicht, daß diese beiden Gruppen sich etwas zu nahegekommen sind und daß die sichere Verwahrung der Gefechtsköpfe nicht mehr gewährleistet sein könnte.«

»Was bedeutet...?«

»Was bedeutet, daß eine Anzahl von taktischen Sprengköpfen zurückgehalten wird.«

»Atomwaffen, die einfach verlorengegangen sind?«

»Ja, kleine. Er hält das für möglich.«

»Mit anderen Worten«, faßte Fowler zusammen, »das sowjetische Militär erpreßt unter Umständen Narmonow und hält ein paar kleine Atomwaffen als Trumpfkarte zurück?«

Nicht übel, Mr. President, dachte Ryan und sagte: »Korrekt, Sir.«

Fowler dachte eine halbe Minute lang nach und starrte ins Leere. »Wie zuverlässig ist dieser Kadischow?« fragte er dann.

»Mr. President, er arbeitet seit fünf Jahren für uns, lieferte wertvolle Informationen und führte uns unseres Wissens nach nie in die Irre.«

»Besteht die Möglichkeit, daß er umgedreht wurde?« fragte Liz Elliot.

»Denkbar, aber nicht wahrscheinlich. Für solche Möglichkeiten sind wir gerüstet. Abgesprochene Codesätze warnen uns vor Problemen. Bisher und auch in diesem Fall waren die Berichte immer von positiven Chiffren begleitet.«

»Ließe sich diese Meldung aus anderen Quellen bestätigen?« fragte die Sicherheitsberaterin.

»Eine Bestätigung liegt leider nicht vor«, antwortete Ryan.

»Sie kommen also mit einer unbestätigten Sache zu uns?« fragte Liz Elliot.

»Richtig«, gestand Ryan ein und wußte nicht, wie müde er aussah. »Aber ich fand, daß die Wichtigkeit und Stellung dieses Agenten das rechtfertigten.«

»Was können Sie tun, um seine Behauptungen zu erhärten?« fragte Fowler.

»Wir können diskrete Nachforschungen über unser eigenes Agentennetz anstellen und mit Ihrer Genehmigung diskret an ausländische Nachrichtendienste herantreten. Die Briten haben einen Mann im Kreml, der erstklassiges Material liefert. Ich kenne Sir Basil Charleston persönlich und könnte ihn ansprechen, müßte ihn aber als Gegenleistung in etwas einweihen, das nur wir wissen. Auf dieser Ebene gilt nur das Quidproquo. Und auf so etwas lassen wir uns nie ohne die Erlaubnis des Regierungschefs ein.«

»Das verstehe ich. Gut, lassen Sie mich einen Tag darüber nachdenken. Ist Marcus informiert?«

»Nein, Mr. President, der Direktor hat die Grippe. Ich wäre nicht zu Ihnen gekommen, ohne ihn zu konsultieren, war aber der Meinung, daß Sie rasch über den Fall informiert werden mußten.«

»Früher haben Sie behauptet, das sowjetische Militär sei politisch zuverlässig«, warf Liz Elliot ein.

»Richtig, Dr. Elliot. Vorgänge, wie sie Kadischow beschreibt, sind ohne Präzedenzfall. In der Vergangenheit waren unsere Befürchtungen über politische Ambitionen beim sowjetischen Militär ebenso grundlos wie permanent. Die Möglichkeit einer De-facto-Allianz zwischen Militär und KGB ist höchst besorgniserregend.«

»Sie lagen also früher schon einmal falsch?« hakte Liz Elliot nach.

»Das ist nicht auszuschließen«, räumte Ryan ein.

»Und heute?« fragte Fowler.

»Mr. President, was soll ich sagen? Kann ich mich auch hier irren? Denkbar. Bin ich davon überzeugt, daß dieser Bericht stimmt? Nein, aber die mögliche Tragweite seines Inhalts zwang mich, ihn zu Ihrer Kenntnis zu bringen.«

»Die Raketen machen mir weniger Kummer als die fehlenden Atomwaffen«, meinte Liz Elliot. »Wenn Narmonow erpreßt wird... autsch!«

»Kadischow ist Narmonows potentieller Rivale«, spekulierte Fowler. »Warum zieht der Präsident ihn ins Vertrauen?«

»Sie treffen regelmäßig mit den Führern der Oppositionsparteien zusammen, Sir. Narmonow tut das auch. Die politische Dynamik im Kongreß der Volksdeputierten ist noch wirrer als hier im Kongreß. Außerdem respektieren die beiden einander. Narmonow hat meist Kadischows Unterstützung. Sie mögen politische Rivalen sein, gehen aber in vielen entscheidenden Sachfragen konform.«

»Gut, versuchen Sie, diese Information mit allen Mitteln und so rasch wie möglich zu bestätigen.«

»Jawohl, Mr. President.«

»Wie macht sich Goodley?« fragte Liz Elliot.

»Er ist ein heller junger Mann und hat ein gutes Gespür für den Ostblock. Ich sah mir eine Studie an, die er früher am Kennedy-Institut verfaßte, und die war besser als damals unsere Analysen.«

»Lassen wir ihn an diesem Fall mitarbeiten. Ein neuer Kopf könnte nützlich sein«, schlug Liz vor.

Jack schüttelte mit Nachdruck den Kopf. »Für ihn ist die Sache zu heikel.«

»Ah, dieser neue junge Assistent, von dem Sie mir erzählt haben«, warf Fowler ein. »Ist er wirklich so gut, Elizabeth?«

»Ich halte ihn für vielversprechend.«

»Gut, Ryan, dann lassen Sie ihn einsteigen«, befahl der Präsident.

»Jawohl, Sir.«

»Sonst noch etwas?«

»Sir, wenn Sie noch einen Augenblick Zeit haben: Es ist wieder etwas aus Japan gekommen.« Jack faßte Agent NIITAKAs Report zusammen.

»Ehrlich...?« Fowler lächelte gerissen. »Was halten Sie von den Japanern?«

»Die treiben gerne ihre Spielchen«, erwiderte Ryan. »Die Leute, die mit ihnen verhandeln müssen, beneide ich nicht.«

»Wie können wir das verifizieren?«

»Es stammt aus einer guten Quelle, die wir hüten.«

»Es wäre großartig, wenn wir erführen... wie können wir feststellen, ob dieser Kuhhandel zustande gekommen ist?«

»Das weiß ich leider nicht, Mr. President.«

»So etwas riebe ich dem Ministerpräsidenten zu gerne unter die Nase. Ich bin dieser festgefahrenen Verhandlungen müde und habe es satt, mich anlügen zu lassen. Finden Sie heraus, was da gespielt wird.«

»Wir werden es versuchen, Mr. President.«

»Nett, daß Sie vorbeigekommen sind.« Der Präsident blieb sitzen und streckte auch die Hand nicht aus. Ryan stand auf und ging.

»Was meinst du?« fragte Fowler und überflog den Bericht.

»Damit ist bestätigt, was Talbot über Narmonows Verwundbarkeit sagte.«

»Finde ich auch. Ryan sieht übrigens verhärmt aus.«

»Er sollte eben nicht zweigleisig fahren.«

»Hm?« grunzte der Präsident, ohne aufzusehen.

»Ich habe einen vorläufigen Bericht über die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens. Es hat den Anschein, daß er fremdgeht, wie wir vermuteten, und sogar ein Kind gezeugt hat. Sie ist die Witwe eines Sergeants der Air Force, der bei einem Manöverunfall ums Leben kam. Ryan hat die Familie finanziell sehr großzügig unterstützt, aber seine Frau weiß nichts davon.«

»Nach der Affäre Alden schon wieder ein Schürzenjäger? So einen Skandal kann ich nicht gebrauchen«, grollte Fowler und fügte in Gedanken hinzu: Gut, daß man uns noch nicht auf die Schliche gekommen ist. Aber das war schließlich etwas anderes – Alden war verheiratet gewesen, Ryan hatte eine Frau, aber Fowler war alleinstehend. »Bist du auch ganz sicher? Du sprachst von einem vorläufigen Bericht.«

»Stimmt.«

»Dann sieh zu, daß du Genaueres erfährst, und informiere mich dann.«

Liz nickte und fuhr fort: »Das mit dem sowjetischen Militär finde ich beängstigend.«

»Ich auch«, stimmte Fowler zu. »Besprechen wir das beim Mittagessen.«

 

»So, jetzt ist es zur Hälfte geschafft«, sagte Fromm. »Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«

»Und was wäre der?« fragte Ghosn und hoffte, daß Fromm nicht für eine Weile seine Frau in Deutschland besuchen wollte. Das würde heikel.

»Ich habe seit zwei Monaten kein Bier getrunken.«

Ibrahim lächelte: »Sie wissen, daß ich keinen Alkohol trinken darf.«

»Gilt dieses Verbot denn auch für mich?« fragte der Deutsche und lächelte. »Schließlich bin ich ein Ungläubiger.«

Ghosn lachte herzhaft. »Stimmt. Ich will mit Günther darüber reden.«

»Vielen Dank.«

»Morgen fangen wir am Plutonium an.«

»Dauert das denn so lange?«

»Ja, und es müssen auch noch die Sprengstoffplatten hergestellt werden. Die Arbeit verläuft genau nach Zeitplan.«

»Das hört man gern.« Stichtag war der 12. Januar.

 

Haben wir einen guten Kontakt beim KGB? fragte sich Ryan in seinem Büro. Problematisch an SPINNAKERs Bericht war die Tatsache, daß der KGB überwiegend zu Narmonow stand. Das mochte nicht für das Zweite Hauptdirektorat gelten, deren Aufgabe die innere Sicherheit war. Loyal war auf jeden Fall das Erste Hauptdirektorat (die Ausländsabteilung), besonders, seit Golowko als Erster Stellvertretender Vorsitzender die Dinge unter Kontrolle hatte. Der Mann war ein Profi und einigermaßen unpolitisch. Ryan erwog, ihn einfach anzurufen... nein, er mußte ein Treffen einrichten... aber wo?

Nein, das war zu gefährlich.

»Sie wollten mich sprechen?« Goodley steckte den Kopf durch die Tür. Ryan winkte ihn herein.

»Wollen Sie befördert werden?«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie sollen auf Anweisung des Präsidenten über einen Vorgang informiert werden, für den Sie meiner Ansicht nach noch nicht reif sind.« Jack reichte ihm SPINNAKERs Bericht. »Hier, lesen Sie.«

»Warum ausgerechnet ich, und warum sagen Sie...«

»Ich sagte außerdem, daß Sie den Zerfall des Warschauer Pakts korrekt prophezeit haben. Ihre Analyse war übrigens besser als unsere hier im Haus.«

»Sie sind ein seltsamer Mann.«

»Inwiefern?« fragte Ryan.

»Einerseits mögen Sie meine Meinung nicht, andererseits loben Sie meine Arbeit.«

Ryan lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Ob Sie es nun glauben oder nicht, Ben, ich habe nicht immer recht. Auch ich mache Fehler. Ich habe sogar schon kapitale Böcke geschossen, war aber klug genug, das wenigstens zu erkennen. Und weil ich klug bin, suche ich nach Leuten, die Gegenpositionen beziehen und für mich den Ausputzer spielen. Das habe ich von Admiral Greer gelernt. Und wenn Sie etwas mitnehmen wollen, Dr. Goodley, dann prägen Sie sich das ein. Schnitzer können wir uns hier nicht leisten. Das heißt zwar nicht, daß keine vorkommen, aber wir müssen trotzdem versuchen, sie zu vermeiden. Was Sie da am Kennedy-Institut verfaßt haben, war besser als meine eigene Arbeit. Es ist theoretisch möglich, daß Sie eines Tages wieder richtig tippen, wenn ich falschliege. Klar?«

»Jawohl, Sir«, erwiderte der überraschte Goodley leise. Natürlich hatte er recht gehabt und Ryan unrecht. Deswegen war er schließlich hier.

»Dann lesen Sie mal.«

»Stört es Sie, wenn ich rauche?«

Jack machte große Augen. »Sie und rauchen?«

»Ich hatte es mir vor ein paar Jahren abgewöhnt, aber seit ich hier bin...«

»Geben Sie diese scheußliche Angewohnheit schnellstens wieder auf – aber vorher hätte ich gerne eine Zigarette.«

Nun qualmten die beiden schweigend. Goodley las den Bericht durch, und Ryan beobachtete seine Augen. Dann schaute Dr. Goodley auf. »Verdammt!«

»Gute erste Reaktion. Nun, was halten Sie davon?«

»Es klingt plausibel.«

Ryan schüttelte den Kopf. »Das habe ich dem Präsidenten vor einer Stunde auch gesagt. Ich bin mir der Sache nicht sicher, mußte sie ihm aber vorlegen.«

»Und was soll ich nun tun?«

»Spielen Sie ein bißchen damit herum. Die Rußlandabtcilung wird das zwei Tage lang durchkauen. Sie fertigen Ihre Analyse und ich meine an, aber mit unterschiedlichem Standpunkt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie halten die Sache für plausibel, und ich habe meine Zweifel. Aus diesem Grund werden Sie SPINNAKERs Bericht zu entkräften versuchen, während ich mich bemühe, ihren Wahrheitsgehalt zu finden.« Jack machte eine Pause. »Das Direktorat Intelligence, das überorganisiert ist, wird den Fall konventionell behandeln. Das will ich nicht tun.«

»Und ich soll...«

»Sie sollen Ihren Kopf anstrengen. Ich halte Sie für intelligent, Ben. Beweisen Sie das. Übrigens, das ist ein Befehl.«

Darüber dachte Goodley nach. Er war es nicht gewohnt, Befehle entgegenzunehmen. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.«

»Warum nicht?«

»Weil es meinen Überzeugungen zuwiderläuft. Ich sehe es nämlich anders...«

»Was Sie und andere an der CIA stört, ist die Bürokratenmentalität, nicht wahr? Das stimmt teilweise und hat auch seine Nachteile. Aber auch Ihre Denkweise hat ihre Gefahren. Wenn Sie mir beweisen können, daß Sie nicht der Gefangene Ihrer Überzeugungen sind – ich versuche das immer zu vermeiden -, haben Sie hier eine Zukunft. Objektiv zu sein ist gar nicht so einfach. Man muß das üben.«

Eine sehr clevere Herausforderung, dachte Goodley und fragte sich, ob er den DDCI vielleicht unterschätzt hatte.

 

»Macht Russell mit?«

»Ja, Kommandant«, sagte Bock und trank einen Schluck Bier. Er hatte für Fromm einen Kasten gutes deutsches Bier besorgt und ein paar Flaschen für sich behalten. »Er glaubt, wir wollten eine große konventionelle Sprengladung zünden, um die Fernsehübertragung des Spiels zu verhindern.«

»Nicht dumm, aber auch nicht intelligent«, bemerkte Kati, der selbst Lust auf ein Bier hatte, aber nicht fragen konnte. Bier wäre wahrscheinlich nicht gut für seinen Magen, und er hatte gerade drei einigermaßen beschwerdefreie Tage hinter sich.

»Sein Horizont ist auf taktische Erwägungen beschränkt, richtig. Aber wenn es um die Taktik geht, ist er sehr nützlich. In dieser Phase der Operation wird seine Unterstützung entscheidend wichtig sein.«

»Fromm leistet gute Arbeit.«

»Wie ich erwartete. Schade, daß er das Ergebnis nicht mehr erleben wird. Gilt das auch für die Maschinisten?«

»Leider ja.« Kati runzelte die Stirn. Er war kein Mann, der beim Anblick von Blut erbleichte, aber auch keiner, der unnötig mordete. Er hatte schon früher aus Sicherheitserwägungen Menschen töten müssen, aber noch nie so viele. Das wird schon fast zur Angewohnheit, dachte er, aber kommt es denn auf ein paar mehr an, wenn du ohnehin vorhast, so viele umzubringen?

»Haben Sie die Konsequenzen eines Versagens oder einer Entdeckung eingeplant?« fragte Bock.

»Ja«, antwortete Kati mit einem versehmitzten Lächeln und weihte ihn ein.

»Das ist genial! Sehr klug von Ihnen, für alle Eventualitäten zu planen.«

»Ich wußte, daß Ihnen das gefällt.«