Das Gehör war das Erste, was wieder funktionierte. Ein merkwürdiger Zustand. Er konnte seinen Körper nicht fühlen, sich nicht bewegen, doch er hörte ein Klatschen, das laut in seinem Kopf dröhnte. Ruhe, dann wieder das Klatschen. Es unterdrückte die aufkeimenden Bilder von Claudia und Henriette und machte Platz in seinem Schädel. Zuerst für den Schmerz, schließlich für die Erinnerung. Er klimperte mit den Lidern und sah die Quelle des Geräuschs. Tropfen, die direkt vor seinen Augen in winzige Gischt zersprangen.
Er lag bäuchlings auf alten Kacheln, die Fugen waren voller Schimmel, und woher auch immer tropfte es. Langsam drehte er den Kopf, wollte die Beine strecken, doch sofort schnürte ihm etwas die Luft ab. Er spürte einen Strick um den Hals, röchelte, strampelte hin und her, nur, je mehr er sich anstrengte, umso größer wurde der Druck auf seine Kehle.
»Aber, aber Herr Lichthaus, Sie wollen sich doch nicht umbringen.« Ein glucksendes Lachen folgte der Stimme aus dem Off. Kräftige Hände packten zu und lockerten das Seil. Er atmete tief ein, dann wurde er auf die Seite gedreht.
Er lag in dem alten Becken der Waschküche und war gefesselt. An Händen und Füßen. Um seinen Hals hatte er eine Schlinge. Und alles war miteinander über eine Schnur verbunden, die über seinen Rücken lief. Streckte er die Füße, erwürgte er sich selbst. Jetzt war sie so weit gelockert, dass er sich aufsetzen konnte.
Schweiger – der geschätzte Kollege, der Mann, den er auf dem Foto erkannt hatte, vor dem er versucht hatte wegzulaufen – starrte ihn an. Er trug keine Brille, und sein kahler Kopf wirkte mit seinen emotionslosen Augen, wie der geschorene Schädel eines KZ-Kapos. Sinnlos, Gnade zu erwarten. Er trug ein einfaches T-Shirt und schwarze Jeans. Unauffällig ging er durch die Welt, ja völlig neutral, bis auf diese kalten blauen Augen. Lichthaus wandte den Blick ab. Er würde hier sterben und zwar heute noch. Nur diese toten Augen würden zusehen und hätten Spaß dabei.
Warum war er nicht hinausgegangen, um auf die anderen zu warten, mit ihnen gemeinsam an diesen grauenvollen Ort zurückzukommen? Triumphierend und in Sicherheit. So wie er es gelernt hatte. Er hatte Claudia versprochen, vorsichtig zu sein. Er würde sie nie mehr sehen. Henriette würde ohne ihren Vater aufwachsen.
Er schaute wieder in dieses maskenhafte Gesicht. Was hatte Ley noch gesagt? Etwas war mit dem Gesicht. Es war haarlos. Als er Eva Schneider fing. Haarlos, nicht glatt rasiert. Als er Stefanie Cordes vergewaltigt hatte. Damals in Wiesbaden. Alles fügte sich zu einem Bild zusammen. Jedes Puzzlesteinchen an seinem Platz. Die Klarheit, die er gesucht hatte.
»Du mieses Schwein.« Seine Stimme war nur ein Krächzen. »Die anderen werden dich kriegen.«
»Also Lichthaus, von Ihnen hätte ich etwas Geistreicheres erwartet.« Schweiger lächelte jovial. Der Sieger.
»Vielleicht dröhnt ja mein Kopf von Ihrer freundlichen Begrüßung.« Er lächelte bitter.
»Sie haben hier ja auch nichts verloren.« Schweigers Gesicht blieb unbewegt. »Ich habe Sie bewundert, Lichthaus. Immer auf der richtigen Fährte. Ich musste in Ihre Gruppe, musste nahe ran, denn als dieser Idiot da oben das Weib ausgegraben hatte und Sie an die Arbeit gingen, wurde es eng für mich.«
»Ich hätte auf Sophies Gefühl hören sollen. Und auf Ihre Bewunderung kann ich verzichten, wie auf Hundescheiße vor meiner Haustür.« Sein Kopf klarte auf. Schweiger schaute ihn unverwandt mit ausdruckslosem Gesicht an. Lichthaus riss sich zusammen. Er hatte nur eine Chance, er musste aus diesem Becken heraus. Musste versuchen, die Knoten auf seinem Rücken zu lösen. Dazu brauchte er Zeit. Er musste reden, wollte auch die Wahrheit wissen. Er zwängte seine Fingernägel zwischen die Seile. Es schien nicht unmöglich, die Knoten zu lockern. Lenk ihn ab, befahl er sich streng.
»Die anderen werden Sie trotzdem kriegen.«
Die eiskalte Maske fiel. Schweiger lachte schallend. »Wer denn? Müller? Der Idiot steht oben in Neuhütten und tönt in die Welt, er habe den Serienmörder gefunden. Der ist so verblendet von seinem Erfolg, dieser Sesselfurzer. Der ist keine Gefahr. Hat mich selbst zum Leiter des Fahndungsteams gemacht.« Er lachte erneut. »Den Bock zum Gärtner. Ich hätte bis ins neue Jahr nach Pajeros gesucht.«
»Sophie Erdmann.«
»Ja, das Miststück ist gut. Doch machen Sie sich mal keine Hoffnung. Noch ehe der Hahn dreimal kräht.« Er kicherte verschwörerisch.
»Wieso?« Lichthaus verstand nicht, spürte aber die Bedrohung.
Selbstverliebt lächelnd fuhr Schweiger fort, ging nicht auf seine Frage ein. »Dem Diel habe ich ein altes Schwert untergeschoben und einen Mantel. Im Keller steht sogar ein Bett. Das Bettlaken ist von meiner letzten Mitbewohnerin.« Zynismus quoll aus seiner Stimme. »Da sind genug verwertbare Spuren drauf.«
»Diel wird …«
»Bald begraben. Tot ist er schon.«
Lichthaus wurde kalt. »Sie …«
Schweiger beugte sich vor. Seine Augen glühten vor Genugtuung. »Ja, ich. Diel war ein Bekannter von früher. Doch das wissen Sie ja bereits. Auch so ein Einzelgänger wie ich. Aber sehr mitteilsam. Wir haben uns ab und zu getroffen. Manchmal hat er mir auch geholfen, zum Beispiel mit meinem Hänger da draußen. Er hat immerzu gequatscht, wenn er hier war. Wie ein offenes Buch konnte ich jede Zeile seines langweiligen Gefühlslebens lesen, jede seiner eintönigen Gewohnheiten habe ich gekannt. Als Sie dann mit dem Namen kamen, war es einfach. Eine kleine Sprengkapsel am Bremsschlauch und ein bisschen an der Handbremse gefummelt, schon hat es gekracht. Mit stupidem Gesichtsausdruck ist er an mir vorbeigejagt, als ich die Sprengung ausgelöst habe. Einfach herrlich. Er hat sich auf sein allabendliches Rennen gefreut. Ab in den Tod.« Wieder dieses Siegerlächeln. »Der Kerl hat sogar überlebt, ich musste noch nachhelfen. Hat sich sogar bedankt, bevor ich ihm das Genick gebrochen habe. Die Dummheit der Leute ist mein bester Freund.« Schweiger schüttelte verständnislos den Kopf. »Minderwertiger Knecht. War nicht schade drum.«
»Da hat er was von Ihnen.« Lichthaus konnte sich nicht beherrschen. So viel Arroganz. So viel Selbstherrlichkeit. Doch irgendwo war der Schwachpunkt. »Sie werden am Genvergleich feststellen, dass Diel nicht der Täter ist.«
»Ja, ich weiß. Morgen werde ich die Proben austauschen. Ich habe Müller angeboten, sie in die Pathologie zu bringen.« Er beobachtete Lichthaus, der seine Resignation nicht verbergen konnte. »Sie sehen, ich habe an alles gedacht. Nur Ihr Anruf vorhin war ein richtiger Schock. Ohne dieses dämliche Funkloch da oben hätten Sie mich gehabt. Ich habe Sie unterschätzt. Das war eng, doch jetzt beenden wir das Ganze.«
»Sie werden Sie hetzen. Ein weiterer Mord an einem Kollegen.«
»Nein, nein. Sie begehen heute Selbstmord. Entweder erhängen Sie sich oder Sie ertränken sich in der Riveris-Talsperre. Wie soll es aussehen? Ich überlasse es Ihnen.« Erneut sein wölfisches Grinsen. »Der Tod Scherers hat Sie scheinbar zu sehr mitgenommen.«
»Das glaubt niemand.«
»Da wäre ich nicht so sicher.« Schweiger beugte sich vor, packte ihn und legte ihn seitlich ins Becken. Lichthaus geriet in Panik.
»Was ist mit den Haaren in Scherers Mund?«
»Das war gut, nicht wahr? Bevor ich die Haare verlor, hatte ich schöne braune Locken. Meine Mutter hat vor meinem allerersten Friseurbesuch eine Strähne abgeschnitten und aufgehoben. Wer glaubt jetzt noch, dass ein Glatzkopf wie ich der Täter sein kann?«
»Ein Zeuge nannte Sie Bäumler.«
»Meine Mutter hat nach der Scheidung wieder ihren alten Namen angenommen. Wollte nichts mehr mit meinem Vater zu tun haben. Nannte ihn nur noch deinen Erzeuger.«
»Wieso Scherer? Wieso die Morde an den Frauen?«, keuchte Lichthaus.
»Die Morde an den Frauen?« Schweiger sah ihn verständnislos an und hielt mitten in der Bewegung inne. »Das sind keine Morde. Das sind Strafen.« Schweiger richtete sich auf.
»Strafen?«
»Ja, sehen Sie denn nicht, was los ist? Diese Weiber beherrschen uns.« Seine Stimme schwoll an. »Sie machen mit uns, was sie wollen. Ziehen uns an den Eiern hierhin und dorthin, und wir folgen ihnen wie die Idioten.«
»Wieso gerade diese Frauen.«
»Ich habe die schlimmsten ausgesucht.« Flecken zeigten sich auf seinem Gesicht. »Das sehe ich an ihrem Blick. Die muss man vernichten, damit sie nicht noch mehr Unheil anrichten.«
»Ich verstehe nicht.« Schweiger sollte weiter erzählen, das lenkte ihn ab, und Lichthaus konnte Zeit gewinnen. Er begann von Neuem die Knoten zu bearbeiten. Sie lockerten sich nach und nach.
»Sie haben diesen bösen Blick. Schauen mich an, wie sie es immer getan hat. Angeekelt, mitleidlos. Der widerliche kleine Uli, hat sie dann gedacht.«
»Wer ist sie?« Er war der Lösung nahe.
»Mutter.« Die Stimme flüsterte auf einmal. Schweiger schaute durch ihn hindurch in seine Hölle. »Können Sie sich eine Mutter vorstellen, die ihr Kind vergewaltigen lässt, ohne etwas dagegen zu tun.«
»Nun, ich weiß, dass Mütter wegschauen, wenn der Vater …«
»Nein, nicht mein Vater.« Schweiger schrie auf, wie nach einer Beleidigung. »Den hat diese Hure weggejagt. Den einzigen Menschen, den ich je geliebt habe, ausgerechnet den hat sie weggejagt. Es ging nicht mehr, hat sie mir gesagt. Ich war neun, konnte es nicht verstehen. Er war mit mir bei den Rittern, hat mit mir gespielt, hatte Zeit für mich. Alles war verloren.«
»Wo hat Ihr Vater gearbeitet?«
»Auf dem Hof. Doch er hat sich Zeit für mich genommen. Mutter hat als Sekretärin Geld verdient. Im Kurzentrum in Weiskirchen. Ich habe sie gehasst. Damals schon. Immer kalt. Nie ein gutes Wort. Keine Berührung. Nur Befehle und Verbote. Tu dies, lass das.« Er schwieg eine Weile und stand gedankenverloren mitten in der Waschküche, achtete nicht auf sein Opfer. Lichthaus richtete sich auf und zog mit aller Kraft an dem Seil. Einer der Knoten löste sich. Endlich ein wenig mehr Bewegungsfreiheit. »Dann kam sie mit Dieter nach Hause. Der schlimmste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Gleich und gleich gesellt sich gern. Anfangs war er nett, brachte mir Geschenke mit. Ich habe ihn trotzdem gehasst.«
»Er hat sie vergewaltigt.«
»Eines Mittags, Mutter war bei der Arbeit, kam er zu mir ins Zimmer. Ich saß da und las. Er kniete sich neben mich und zwang mich seine Erektion anzufassen. Ich erschrak, schrie ihn an, er solle rausgehen. Da hat er mich geschlagen. In den Magen, in die Nieren überall hin, wo man die Spuren nicht sieht. Dann musste ich ihn masturbieren.« Schweiger wand sich unter der Erinnerung. »Als er fertig war, drohte er mir mit neuen Schlägen. Ich habe es aber nicht ausgehalten und bin zu Mutter. Sie war entsetzt und stellte ihn zur Rede. Im Wohnzimmer. Ich musste rausgehen. Sie würde es ihm geben, sie war doch so stark. Sie würde ihren Sohn verteidigen. Mein Herz war voller Stolz. Und zum ersten Mal liebte ich sie. Ich hörte Gemurmel, dann wurde es ruhig. Plötzlich stöhnte sie auf. Ich wollte hineinlaufen, doch dann begriff ich. Er vögelte sie. Sie kreischte vor Freude und Lust. Dann war es wieder still. Später kam sie in mein Zimmer und war ein einziger lebender Vorwurf. Ich würde ihr Glück zerstören und aus Eifersucht lügen. Hinten in ihren kalten Augen glomm jedoch der Zweifel, ob ich nicht doch die Wahrheit sagte, aber sie drückte ihn weg. Sie hat mich für einen verdammten Fick verkauft. So sind die Frauen! Und dafür strafe ich sie.« Schweiger kehrte in die Gegenwart zurück.
»Wie ging es weiter?«
»Was wollen Sie wissen?« Wut gesellte sich in die Stimme. »Wie oft er ihn mir in den Mund gesteckt hat oder in den Arsch? Zu oft, sag ich Ihnen. Zu oft. Ich verlor die Haare und begann zu stottern. Die Lehrer fragten, was los sei. Doch diese Hure, die mich auf die Welt gebracht hat, log sich durch.«
»Wie sind Sie da rausgekommen?«
»Ich fand das Buch auf dem Speicher. Eine alte Kiste von Vater. Die Geschichte von Parzival. Ich habe es gelesen und sofort begriffen. Was mit mir passierte, war wie sein Schicksal. Von seiner Mutter für dumm gehalten und mit einem Narrenkostüm versehen, zieht er in die Welt und findet seinen Weg, seine Bestimmung. Gegen alle setzt er sich durch. Ich verstand, ich musste mich wehren. Nicht mehr stillhalten. Erst dann würde ich meinen heiligen Gral finden. Monatelang habe ich gelauert und geschaut, wo ich zuschlagen konnte. Habe auch trainiert. Kraft aufgebaut. Schließlich war es so weit. Dieter ging im Winter, wenn er frei hatte, meistens nach unten in den Keller und arbeitete in seiner Werkstatt. Die von Vater in der Scheune war ihm zu kalt.« Er schnaubte verächtlich.
»Als er unten war, habe ich am Fuß der Treppe Flaschen mit angebrochenen Hälsen hingestellt. Angefeilt hatte ich sie. Dann rief ich ihn ans Telefon. Er kam und drückte sich verwundert an den Flaschen vorbei. Ich sehe ihn noch vor mir. Jeans und Sweatshirt, dunkelblau mit einem University-of-Columbia-Aufdruck. Er hat mich erst bemerkt, als er fast oben war. Dumm war er nicht, hat sofort begriffen, was abging. Du kleine Sau, willst mir was antun. Na warte!, hat er geschrien. Ich trat ihm ins Gesicht und er schwankte, noch einen Tritt, mitten rein in die Fresse, und endlich fiel er, wie ich es gehofft hatte. Drehte sich in der Luft und landete mitten in den Scherben. Er schrie furchtbar. Der Schmerz muss irrsinnig gewesen sein, als die Flaschen ihn durchbohrten. Welch eine Musik. Kraftvoll wie Wagner, nur tausendmal schöner.« Auf Schweigers Stirn glänzten Schweißperlen. Die Augen geschlossen lauschte er der Symphonie aus der Vergangenheit.
»Und dann?« Erzähl, du irres Schwein. Lichthaus hatte den zweiten Knoten gelöst.
»Er schrie und schrie.« Die Augen geschlossen genoss er die Bilder, die in seinem Hirn flimmerten. Er schien stolz zu sein, erstmals seine Taten verkünden zu können. »Sein Bauch war aufgeschlitzt, und er blutete stark. Anfangs brüllte er mich an, drohte, dann flehte er darum, dass ich den Notarzt rufe. Aber nicht lange und er lag da, schaute mich an, während sein Herz jedes Leben aus ihm herauspumpte. Ich bekam meine erste Erektion und starrte nur auf den Toten. Es dauerte lange, bis ich diese Augenweide abgegrast hatte. Die Erektion blieb. Das war so geil. Dann bin ich weg. Musste mich befriedigen. Im Wald. Spielen behauptete ich, als sie mich befragten. Betroffene Mienen über das furchtbare Unglück. Eine Sau geschlachtet, dachte ich mir. Mutter hat das nie verwunden. Sie hat mich auf ein Internat gesteckt. In den Sommerferien, als ich sechzehn war, habe ich sie dann vergiftet. Wir hatten in Biologie gelernt, wie Rattengift wirkt. Es zerfrisst dich von innen heraus. Löst die Organe auf. Ich hatte es in eine Dose gefüllt, in der sie ein schlecht schmeckendes Vitaminpulver aufbewahrte. Das rührte sie immer in den Tee. Eine schreckliche Verwechselung.« Er lachte erneut, doch klang es wie ein Klagen. »Nur schade, dass ich nicht dabei war.«
»Wieso haben Sie später weitergemacht? Sie hatten doch ihre Rache.«
»Es ging ja auch gut. Jahrelang. Ich habe Abi gemacht, bin zur Polizei und hatte auch eine Freundin. Doch das klappte nicht lange. Auf einem Lehrgang bin ich Mutter wieder begegnet. Die Frau war natürlich jünger, doch sie hatte ihre Augen, die einen durchbohrten. Ekel lag darin. Ich musste sie immerzu anschauen, doch herrisch zwangen sie mich zum Wegschauen. Ich verkroch mich vor ihr, floh in mein Zimmer. Ich habe die Nacht nicht geschlafen, bis mir klar wurde, dass ich meinen Gral gefunden hatte. Die göttliche Ordnung sieht vor, dass das Weib dem Mann Untertan sei. Meine Aufgabe war es, die Frauen zu bestrafen, die gegen dieses Gesetz verstoßen. Ich musste ihnen zeigen, dass sie nicht Männer und Kinder gängeln können. Sie sollten wissen, wer Herr und wer Weib ist. Zuerst habe ich ihnen nur eine Lektion erteilt. Aber das schien mir nicht genug. Ich habe damit aufgehört. Das Schicksal ließ mich dann auf ein besonders perfides Weib in Luxemburg stoßen. Das habe ich erst bestraft und dann ausgelöscht. Ihr folgten noch einige andere.« Schweiger richtete sich abrupt auf und schaute abwesend herum. »Noch heute Abend werde ich einen neuen Schritt tun. Ich muss Sie daher nun verlassen.«
Er packte Lichthaus und drehte ihn rüde auf den Bauch. Lichthaus spannte die Hände, damit nicht auffiel, wie weit sich der Knoten schon gelöst hatte, und startete einen letzten Versuch.
»Was ist mit Scherer?«
»Der kam mir gerade recht. Jedermanns Liebling. Die Frauen küssten dem die Füße. Er war mir im Weg. Also musste er weg, dieser armselige Wicht.« Offensichtlich war es nun vorbei, Schweiger wollte nicht mehr reden. Er öffnete den Wasserhahn ein wenig und zog eine Digitalkamera aus der Tasche hervor, die er auf das Fensterbrett stellte.
»Das schaue ich mir heute Abend an. Seien Sie froh. Ursprünglich wollte ich Ihre Tochter töten, vielleicht auch Ihre Frau, damit Sie mich in Ruhe lassen. Sie opfern sich also für einen guten Zweck.«
Lachend ging Schweiger hinaus.
»Du mieses Schwein«, brüllte Lichthaus ihm hinterher, doch dann konzentrierte er sich und beobachtete, wie das Wasser auf dem Boden des Beckens zusammenlief. Es war so kalt, als ob es aus einem Brunnen gepumpt wurde. Relativ schnell wurde sein Körper umspült. Es würde nicht allzu lange dauern. Zehn Minuten vielleicht. Mehr nicht. Selbst wenn er den Kopf noch so sehr nach oben reckte. Irgendwann würde er ertrinken.
Wie besessen knotete er mit klammen Fingern und würgte sich mehrfach bis fast zur Besinnungslosigkeit, während das Wasser unbarmherzig stieg. Er schaute nicht zur Kamera hinüber, zeigte nicht die Angst, die sich in ihm so ausbreitete wie die Kälte des Wassers. Die Schnüre wurden nass und glitschig. Immer wieder rutschten sie ihm weg, und es bereitete größte Mühe, sie wieder zu greifen. Den dritten Knoten hatte er nun auch geschafft, doch es blieben noch zwei weitere.
Er arbeitete fieberhaft, doch als er den vierten Knoten gelockert hatte, stand ihm das Wasser bis unter das Kinn. Es war vorbei mit seiner Beherrschung, ihm kamen die Tränen, denn er würde es nicht schaffen. Er dachte an Claudia und Henriette. Nie würde er seine Tochter laufen sehen. Nie mehr ihre kleinen Quietscher oder Claudias warme Stimme hören, ihren zarten Körper anfassen. Er hatte sie im Stich gelassen und sein Versprechen gebrochen. War aus purem Eigensinn seiner eigenen Spur gefolgt, ohne auf die anderen zu warten, und saß jetzt in der Falle. In wenigen Augenblicken würde er ersoffen wie eine räudige Ratte in der Brühe treiben. Schweiger würde ihm die Fesseln abnehmen und ihn zur Talsperre fahren. Er würde es so einrichten, dass er lange im Wasser blieb, die Fische würden an ihm nagen, die Spuren an Hand- und Fußgelenken würden nicht mehr zu sehen sein. Sie würden an den Selbstmord glauben, ja glauben wollen, um sich zu beruhigen. Er hatte verloren. Das war es, ging ihm durch den Kopf. Das Wasser erreichte seine Lippen. Er verfluchte laut Schweiger, sog ein letztes Mal tief Luft in seine Lungen und tauchte unter. Hinein in die Kälte, die den Tod bedeutete.
*