Lichthaus stellte das Fernglas ein und schaute hinüber zum Hof. Er hatte das Auto auf einem Feldweg hinter ein paar Haselnussbüschen abgestellt und war hier hoch auf die Kuppe geschlichen. Jetzt lag er neben einem kleinen Gehölz und beobachtete die Szenerie. Nichts rührte sich, doch er hatte gelernt zu warten.

Der Hof bestand aus drei Teilen. Das Wohnhaus war ein langweiliger Einheitsbau der fünfziger Jahre ohne jede Verzierung. Braune Holzfenster in glatter Häuserfront, nur rechte Winkel. Der Besitzer hatte seitdem wenig verändert.

Dem Haus gegenüber standen die Wirtschaftsgebäude. Ein Stall, offensichtlich unbenutzt. Das Wellblechdach war voll mit braunen Rostflecken, und die geschlossenen Türen hingen schief in den Angeln. Daneben eine vergammelte Egge und ein Pflug, von Brombeerranken überwuchert.

Der Betonpferch für den Misthaufen lag leer und trocken. Die Scheune hatte eine neue Eindeckung und wirkte benutzt. Sie war fensterlos, der Sockel aus Stein, die Wände aus Holz. Zwischen den Gebäuden war graues Betonpflaster verlegt. Die Felder ringsum waren bestellt, teilweise stand der Mais noch. Der Besitzer hatte wohl einen Pächter gefunden.

Lange tastete Lichthaus alles mit den Augen ab und prägte sich Einzelheiten ein. Keine Bewegung war zu sehen. Wenn er unbemerkt näher heran wollte, musste er einen Bogen hinter der Kuppe schlagen und im Sichtschutz eines Maisfeldes zur Scheune hinüber. Doch er entschied sich dagegen. Er würde eine Panne vortäuschen und klingeln. Wäre der Mann zu Hause, wollte er nach Wasser für den Kühler fragen. Wenn nicht, konnte er sich umschauen. Er rutschte geduckt außer Sichtweite. Auf der Straße stellte er den Berlingo in eine kleine Einbuchtung, die vom Hof aus gerade so einzusehen war, und lief den geteerten Weg hinüber zum Wohnhaus. Er hatte sich die Maglite eingesteckt. Licht und gegebenenfalls ein geeigneter Schlagstock.

Die Stille auf dem Hof war unnatürlich. Kein Vogel zwitscherte, keine Bewegung in der windstillen Luft. Die grauen Wolken waren der ideale Hintergrund für die öde Szenerie. Sein ganzer Körper war jetzt angespannt. Er drückte den abgewetzten Klingelknopf und hörte dem Schrillen hinterher, bis das Haus es verschluckte. Dann wieder Stille. Er versuchte es erneut. Ohne Erfolg. Zur Sicherheit noch einmal, aber auch diesmal blieb alles ruhig, er konnte die Scheune inspizieren. Das Tor war mit einem neuen Vorhängeschloss gesichert, doch die Flügel standen so weit auseinander, dass man ins Innere spähen konnte. Er presste sein Gesicht gegen das faserige Holz der Tür und lugte hinein.

Modrige Luft schlug ihm entgegen und er brauchte einen Augenblick, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Von seinem Standpunkt aus konnte er einen Anhänger mit grauer Plane sehen. Der Aufbau war unnatürlich hoch. Lichthaus schätzte ihn auf wenigsten eineinhalb Meter, wenn nicht sogar noch höher. Davor stand ein PKW, den er nicht genau erkennen konnte, so sehr er sich auch bemühte. Eventuell ein Pick-up. Etwas kribbelte in seinem Bauch, und er ging in der Hoffnung um die Ecke herum, von einer anderen Seite einen besseren Einblick zu haben.

Er fand, was er suchte. Im Scheunengiebel gab es noch immer einen Flaschenzug, mit dem man früher Heuballen hochgezogen hatte, bis hin zu einer Luke, groß genug, um hindurchzukriechen. Lichthaus sah sich um. Hier war er ziemlich sichtgeschützt. Hinter ihm erstreckte sich das Maisfeld und weiter oben lag die Kuppe, auf der er vorhin gewartet hatte. Allerdings lag die Öffnung etwa drei Meter über dem Boden. Zu hoch. Er zögerte. Außer den vagen Aussagen eines brabbelnden Alkoholikers gab es keinen vernünftigen Grund, da hinaufzusteigen. Er war immer noch suspendiert, quasi privat unterwegs. Wenn er erwischt würde, brächte ihm das mindestens eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs ein.

Diese Bedenken schob er schnell beiseite, dachte stattdessen an den Hänger in der Scheune und machte sich auf die Suche nach einer Leiter, konnte aber nur ein verrostetes Blechfass finden. Notgedrungen rollte er es unter die Luke und stieg hinauf. Das Fass gab sofort nach und knickte leicht ein. Bevor es umfiel, sprang er. Gerade hoch genug, um mit den Fingerkuppen den Rand der Öffnung greifen zu können, während das Fass ächzend umkippte und wie betrunken davonkugelte. Er zog sich hoch und strampelte mit den Füßen nach Halt. Die Jeans riss über dem Knie ein, doch irgendwie bekam er die Ellenbogen auf das Holz und zog den Rest nach. Schwer atmend hockte er sich hin und sondierte die Lage.

Die Scheune hatte fürs Heu einen Boden, der etwa den halben Raum überspannte. Die andere Hälfte war bis zum Gebälk hin offen. Gebeugt ging er zum Rand des leeren Heubodens. Der Besitzer hatte nur einige Dinge, abgedeckt mit alten Decken, hier oben abgestellt. Wolken von feinem Staub stiegen auf. Das Licht war diffus, es gab nur zwei kleine, verdreckte Dachfenster. Unmittelbar unter ihm standen der Anhänger und der PKW. Daneben erstreckte sich an der Wand entlang eine hervorragend ausgestattete Werkstatt, zu der auch ein Flaschenzug gehörte, der von einem der Deckenbalken herunterbaumelte. In einer Ecke türmte sich allerlei Gerümpel. Ein Kotflügel, Ketten wie von einer Raupe, ein alter Automotor. Auch ein Schrank duckte sich zwischen den Wrackteilen. Windschief, die Fenster der Vitrine zerschlagen, wartete er auf den Holzwurm.

Was sich sonst noch unter dem Heuboden befand, war von seinem Standpunkt aus nicht auszumachen. Er schaute sich um, konnte aber keine Möglichkeit finden, um hinunterzusteigen. Früher mochte eine Leiter da gewesen sein, aber wahrscheinlich hatte der Besitzer diese aus dem Weg geräumt, um mit den Fahrzeugen besser rangieren zu können. Hinunterzuspringen war keine gute Idee.

Er fluchte und stapfte unschlüssig am Rand der Empore entlang, als sein Blick auf die eisernen Krampen fiel. Sie waren gleich neben dem Eingangstor an die Wand geschraubt und erinnerten ihn an die Hühnerleitern, auf denen sich Industrieschlote besteigen ließen. Einige Sekunden später war er unten. Das Auto war mit einer Plane fest wie für die Ewigkeit verzurrt, doch Lichthaus hatte schon von oben erkannt, dass es kein Geländewagen sein konnte, es war zu klein. Er hob die Plane an einer Ecke kurz an, um zu sehen, was genau sich darunter befand. Ein alter Golf, der einmal bordeauxrot gewesen sein mochte, sich jetzt aber glanzlos, stumpf und verdreckt über die Jahre langweilte.

Anders der Hänger, er wurde benutzt. Staubfrei. Die Zwillingsbereifung des Zweiachsers war prall aufgepumpt, die Deichsel ordentlich gefettet. Dem TÜV-Stempel zufolge war er erst im vergangenen Mai überprüft und als verkehrstauglich befunden worden. Wie er schon durch den Türspalt hatte erkennen können, war er ungewöhnlich hoch, wodurch er trotz seiner Länge von deutlich zwei Metern irgendwie instabil wirkte. Der Aufbau des Hängers erinnerte an einen Kühl- oder Getränkewagen, denn er hatte feste Wände, an der Seite eine Klappe mit einem silbernen Griff. Er drehte daran und zu seiner Erleichterung hörte er, wie sich das Schloss knackend öffnete. Und im nächsten Augenblick schnellte die Klappe nach oben, er konnte sie nicht festhalten. Lichthaus sprang zurück und hielt den Atem an. Er war am Ziel.

Der Bagger, eigentlich war es nur sein Oberteil, war fest auf einen Zahnkranz montiert, auf dem er offenbar gedreht werden konnte.

Ein Führerhaus fehlte, auf dem Motorblock saß lediglich ein Sitz, wie er für Traktoren verwendet wird. Der gelb gestrichene Grabarm, jetzt auf das Minimum zusammengeklappt, konnte weit ausgefahren werden. Das ideale Fahrzeug für jemanden, der schnell und unauffällig etwas vergraben will und ebenso schnell wieder verschwinden möchte.

Lichthaus ballte die Faust. Alles wie Verschooten es ihnen beschrieben hatte.

Er stieg auf die Maschine und begutachtete den Baggerlöffel, der von Form und Größe her passen könnte. Lehm klebte an den Grabzähnen. Er kratzte ein wenig davon ab und füllte es in eine Plastiktüte, die er vorsichtig verschloss. Den Rest würde er den Kollegen der Spurensicherung überlassen, sofern er ausreichende Beweise finden würde.

Auf beiden Seiten des Baggers entdeckte Lichthaus jeweils eine etwa 40 Zentimeter breite Klappe, die sich über die ganze Länge hinzog. Er zog an einer Schlaufe, an der man den Deckel nach oben ziehen konnte. Darunter lagen in einem Hohlraum ordentlich sortiert nebeneinander Schaufeln, Hacken und alles, was ein Gartenbauer so brauchte.

Der zweite Kasten, auf der anderen Seite des Baggers, war leer. Er wollte schon den Deckel schließen, als ihm auffiel, wie unnatürlich sauber das Innere war. Mit der Taschenlampe leuchtete er hinein und sah gescheuertes Holz. Neu wie am ersten Tag. Er ließ den Strahl bis zu den ebenfalls schmutzfreien Ecken weiterwandern, und plötzlich reflektierte etwas das Licht. Etwas Glänzendes steckte in einer Ritze, die sich dort gebildet hatte, wo die Bretter am Rand zerfaserten. Metall. Er beugte sich tief hinunter und versuchte mit seinem Taschenmesser den Gegenstand herauszuhebeln, doch der schien verklemmt zu sein. Er drückte fester und gerade als er befürchtete, die Klinge könnte abbrechen, gab das Holz nach und das Metallstück flog ihm entgegen, landete auf seinem Schoß. Er griff danach und hielt es in den Strahl der Lampe.

*