Er traf Sophie Erdmann und Scherer an den Kotflügel gelehnt mit einem Becher Kaffee in der Hand. Sie machten besorgte Gesichter, als Lichthaus zu ihnen trat.

»Wir haben Neuigkeiten«, empfing ihn Scherer. »Unser Brandopfer ist dieser Bruno Bender. Spleeth hat einen schnellen DNA-Abgleich gemacht. Außerdem steht er auf der Liste der Herzklappenempfänger. Er wurde 1980 in Nürnberg operiert.« Er grinste. »Der Schlafsack hat so gestunken, dass die Laborantin kotzen war.«

»Gut, jetzt haben wir wieder nur einen Fall. Unser Täter ist also sehr gründlich. Kaum finden wir die Leiche und schon beseitigt er eventuelle Zeugen.«

»Und er ist gefährlich.« Lichthaus nickte Sophie Erdmann zu. »Wir werden die Rasterfahndung intensivieren. Von Falkberg hat Recht. Er ist außerordentlich brutal und effektiv. Wir müssen rausfinden, wie er Bender gefunden hat. Marx soll die Streetworker ausfindig machen, die Obdachlose betreuen. Die können mal rumhören. Vielleicht erzählt denen ja einer etwas Interessantes. Los jetzt, es ist Zeit.«

Sophie Erdmann fuhr wieder schnell und sicher. Lichthaus sah eben noch die Wallfahrtskirche von Klausen an sich vorbeiziehen, als es schon hinunter in die Wittlicher Senke ging, wo Claudias Onkel bis vor zehn Jahren Tabak angebaut hatte. Die Wolken trieben in kleinen Gruppen über den sonst blauen Himmel, den ein kleines Zwischenhoch ihnen bescherte, doch sagte der Bericht für das Wochenende kühles Schauerwetter voraus.

Scherer und Sophie Erdmann unterhielten sich angeregt über die Möglichkeit, den Mörder schon am Freitag zu fassen, und Lichthaus konnte die erwartungsvolle Spannung spüren, die seine Fahrerin nur noch mehr zu beflügeln schien. In der langen Steigung hinter Wittlich flogen sie nur so an einer Kolonne von LKWs und Wohnwagen vorbei, die sich bergan quälten.

Zehn Minuten später erreichten sie die Ausfahrt nach Manderscheid und schon bald fuhren sie durch abgeerntete Felder auf das Tal der Lieser zu. Direkt am Fluss ragte die Niederburg auf, oder vielmehr das Gemäuer, das von ihr noch übrig war.

Sophie Erdmann fuhr nun langsamer, denn sie waren hier mit Florian Wenk, dem Leiter der lokalen Wache, verabredet. Sie entdeckten seinen Streifenwagen neben einem Restaurant. Rechts davon lag der Eingang zum Burggelände, dem Veranstaltungsort. Ein schmaler Weg zog sich einen Hügel hinauf, an dessen Spitze das Kassenhäuschen stand. Überwachungstechnisch eine Katastrophe, das sah Lichthaus auf Anhieb. Büsche neben dem Weg machten es jedem Verdächtigen leicht, seitlich ungesehen vorbeizukommen. Er wollte heute nicht allzu viel Aufheben um einen eventuellen Einsatz machen. Sie würden daher gegenüber den Organisatoren vorgeben, die Sicherheitsvorkehrungen der Großveranstaltung polizeilich überprüfen zu wollen.

Florian Wenk war ein junger, hünenhafter Mann mit feuerroten Haaren und einem entwaffnenden Lächeln, mit dem er sie in das Restaurant begleitete. Es wirkte duster und war völlig leer. Nur draußen auf der Terrasse saß eine Gruppe Fahrradfahrer, die hier Pause machten. Lichthaus schätzte die Leute auf mindestens sechzig Jahre und amüsierte sich wie so oft über die fanatischen Bemühungen, Outfit und Technik bis zum Grotesken optimieren zu wollen. Knallbunte Funktionsshirts mit Provianttaschen auf dem Rücken wurden mit hautengen, atmungsaktiven Fahrradhosen kombiniert, Fahrradschuhe und -handschuhe gehörten selbstverständlich ebenfalls zur Ausrüstung und das alles nur, um ein bisschen zu radeln. Lichthaus hing noch seinen Betrachtungen nach, als ein schmieriger Kellner zu ihnen trat und Sophie Erdmann, die ein tailliertes T-Shirt trug, unverhohlen auf die Brüste starrte.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Wir suchen das Vorbereitungskomitee für das Burgenfest«, ergriff Florian Wenk das Wort.

Der Kellner riss sich vom Anblick des Ausschnitts los und schaute sie an. »Na, dann kommen Sie mal mit.«

Er drehte sich um und lief voraus, wobei Lichthaus seinen intensiven Schweißgeruch wahrnahm, der ihm fast den Atem raubte. Im Sicherheitsabstand folgten die Polizisten dem Kellner durch zwei kleinere Gasträume bis vor eine Tür, hinter der sie lautes Lachen vernahmen.

Der Raum dahinter war zu einer provisorischen Schaltzentrale umfunktioniert. Überall lagen Pläne und Akten auf den Tischen herum, ein Computer brummte zwischen Telefonen und leer gegessenen Tellern. Die drei Männer, die vor dem geöffneten Fenster saßen, spielten Skat und hatten wohl schon mehr als ein Bier gehabt. Als die Beamten eintraten, drehten sie sich verwundert um. Alle schienen um die fünfzig zu sein und zeigten deutlich mehr als den Ansatz eines Bauchs.

»Ein Lied für die Polizei«, grölte einer der Typen mit knallrotem Kopf und sofort stimmten die anderen ein. Der Text handelte von wilden Rittern und Jungfräulein. Die Männer schwenkten die Krüge und schienen sehr vergnügt, doch für Lichthaus ging das schiefe Gejaule und die ausgelassene Stimmung im Raum an die Grenze dessen, was seine angeschlagenen Nerven noch verkrafteten.

Nach drei endlos langen Strophen warteten die Kerle auf den nicht einsetzenden Applaus, bis der Bärtige unter ihnen, offenbar der Anführer, sich erhob und mit theatralischer Geste auf sie zukam. »War meine Minne in Ihrem Sinne, so gebt, erlauchte Fahrensleut, dem Sänger einen kleinen Deut, dass er es nicht bereue, euch wieder zu erfreue.«

Lichthaus explodierte. »Wir sind nicht hier, um Jahrmarkt zu spielen. Dafür ist unsere Zeit zu schade«, polterte er los. »Wer von Ihnen für die Sicherheit der Veranstaltung zuständig ist, soll gefälligst mitkommen, damit wir unsere Arbeit tun können.« Er ließ die anderen stehen und ging hinaus vor das Haus, um sich wieder über seine Unbeherrschtheit zu ärgern. Andererseits wussten die Verantwortlichen der Gruppe nun, woran sie mit ihm waren. Jetzt würden sie sich bestimmt leichter an das Gebot der Verschwiegenheit halten.

Wenig später kamen Sophie Erdmann, Wenk, Scherer und der Bärtige heraus, der sich Lichthaus mit einer Entschuldigung als Engelbert Traunberg vorstellte. Während sie den Weg zum Kassenhäuschen gingen, erzählte Traunberg, dass sie inzwischen das größte Historienfest der Region ausrichteten. Es begann samstags und endete am Sonntag. Dafür würde die Straße hierher teilweise gesperrt werden, und vom Ort und einem Parkplatz gleich neben der Autobahnausfahrt sollte ein Shuttleservice die Besucher zum Fest und wieder zurückbringen.

Schwitzend gingen sie zwischen den befestigten Mauern der verfallenen Burg bis ganz hinauf zum einzig verbliebenen Turm, zu dessen Füßen ein Kinderturnier und eine Theateraufführung stattfinden sollten. Traunberg erklärte die Sicherheitsmaßnahmen. Lichthaus überließ es den anderen, dies zu besprechen, während er zu der kleinen Aussichtsplattform auf dem Turm hinaufstieg und sich umschaute. Unten, direkt neben dem Kassenhäuschen gelangte man durch ein Tor in die Burganlage. Laut Traunberg sollten dort unten Stände stehen, an denen man mittelalterliche Speisen und Getränke bekommen würde. Von dem Platz zog sich ein Fußweg zu seinem Standort hinauf. Der Burgbering war kein wirkliches Überwachungsproblem, da das große Tor einfach zu beobachten wäre.

Etwas weiter unten sah er die große Aue, die im Halbrund von der Lieser umflossen wurde. Und die Turnierwiese, auf der die Fechtkämpfe ausgetragen werden sollten und eine Bühne für Konzerte errichtet werden würde. Relativ zentral stand eine ringsum geschlossene Grillhütte. Das jenseitige Flussufer stieg steil an und war vollständig bewaldet. Da die Lieser dort an manchen Stellen seicht war, würde ein Mann ungesehen hindurchwaten, auf die Veranstaltung gelangen und wieder verschwinden können. Die Wiese war kaum abzusichern.

Die anderen stießen wieder zu ihm, und Lichthaus bemerkte den argwöhnischen Blick, den Traunberg ihm zuwarf. Sie sprachen nun über den Zugang zur Festwiese.

Von der Burg zum Turnierplatz hinunter führte ein geteerter Weg von Wagenbreite, der am Fluss endete. Von hier gingen eine schmale Holzbrücke, genau wie von Marx beschrieben, und zusätzlich ein metallener Steg zum anderen Ufer hinüber, den man erstmals aufgebaut hatte. Denn gerade abends kam es am Übergang zu einem enormen Gedränge, wie Traunberg bestätigte. Sicherheitstechnisch kritisch. Lichthaus gab Scherer und Sophie Erdmann einen Wink, und sie sonderten sich ab, während Wenk weiter mit Traunberg die Sicherheitsfragen der Übergänge besprach.

»Was denkst du?«

»Wir haben nur eine Chance«, Scherer schaute sich um. »Wir sichern die Wiese um den Turnierplatz und greifen ihn uns, wenn er kämpft. Alles andere können wir nur mit einer ganzen Hundertschaft erledigen und das macht Müller nicht mit.«

Lichthaus nickte und atmete hörbar aus.

»Ich denke auch. Ich hoffe nur, dass der Rote Ritter das Gelände nicht sorgfältig sondiert und uns bemerkt. Wir müssen alle wie Besucher wirken. Einzelne Teams in Zivil.«

»Dann brauchen wir einen Überwachungswagen.« Sophie Erdmann zog ihren Notizblock hervor und fertigte eine Skizze des Geländes, der Übergänge, der Grillhütte und des Flusses an, während Lichthaus zu Traunberg hinüberging, der ihn aufmerksam beobachtete.

»Wir haben Hinweise«, begann er sachlich, »dass sich am Samstagabend ein gesuchter Gewaltverbrecher hier auf dem Fest einfinden wird.«

Traunberg schien erleichtert zu sein. »Ich dachte schon, Sie wollten uns hier Probleme machen.«

»Nein oder nicht so, wie Sie meinen. Ich brauche absolute Diskretion. Wir werden mit Teams, die Sie nicht erkennen können, auf dem Fest sein und wenn möglich geräuschlos die Verhaftung vornehmen.« Hoffentlich, schoss es ihm durch den Kopf.

»Was sollen wir …«

»Nicht wir. Sie sind der Einzige, der davon erfahren darf. Höre ich, dass Sie rumgeredet haben, kriegen Sie von mir eine Anzeige an den Hals, die sich gewaschen hat. Und hören Sie bis dahin mit der Sauferei auf. Der Kerl ist gefährlich. Also. Wir wollen keine Risiken eingehen. Wir werden einen Überwachungswagen auf der Wiese postieren. Außerdem brauchen wir eine genaue Karte, die alle Stände, die Bühne, die Turnierwiese und so weiter enthält.«

Traunberg nickte beflissen. Er hatte verstanden. »Wir haben einen Plan drüben, den gebe ich Ihnen mit. Den Wagen stellen Sie am besten neben die Grillhütte. Wir tun dann so, als ob darin die Veranstalter sitzen. Das hatten wir vor zwei Jahren auch schon mal.«

Sie marschierten hinüber und inspizierten den möglichen Standort. Man konnte um die Burg herumfahren, um dorthin zu gelangen. Sophie Erdmann und Scherer kamen hinzu, und im Verlauf der nächsten Stunde gingen sie alle wichtigen Fragen noch einmal durch. Bevor sie sich auf den Rückweg machten, baten sie Wenk, am folgenden Tag in Trier der Soko Zufahrtswege und Kontrollmöglichkeiten zu erläutern. Lichthaus war gespannt, wie die Kollegen die Situation einschätzten. Das würde gewiss kein Wochenendausflug werden.

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