Sie saßen auf der Terrasse und aßen. Sophie Erdmann und Steinrausch waren erst um neun Uhr am Abend losgekommen und hatten sich auf dem Weg nach Eitelsbach bei einem thailändischen Imbiss versorgt. Die beiden waren vom Stress der vergangenen Tage gezeichnet und kauten langsam, während sie das erste Glas Wein hinunterschütteten wie ein Therapeutikum. Im Präsidium war einiges passiert. Spleeth hatte den Lack identifiziert und konnte ihn einem japanischen Hersteller zuordnen, der Toyota und Nissan belieferte. Die Rasterfahndung war entsprechend angepasst worden. Da viele Autos dieser beiden Marken zugelassen waren, lag die Zahl der potenziellen Täter recht hoch.

Von Falkberg hatte am Vormittag mit Müller gesprochen, der ihn auflaufen lassen hatte. Steinrausch, dessen Fenster an das zu Müllers Büro anschloss, hatte das Gespräch teilweise belauschen können. Die Diskussion hatte sich an der Frage hochgeschaukelt, inwiefern eine weitere Analyse des Täters noch sinnvoll wäre. Während von Falkberg glaubte, mit den Erkenntnissen vom Ritterfest könne er das Profil deutlich aufwerten und Ansatzpunkte zur Fahndung geben, ging Müller davon aus, in fahndungstechnischer Hinsicht ausreichend Fakten zu haben, um den Mörder dingfest machen zu können. Allenfalls den Befragungen der Jahrmarktteilnehmer räumte er noch eine Chance ein, um etwas Neues zu erfahren. Die Vergangenheit des roten Ritters weiter aufzurollen, hielt er für Zeitverschwendung. Von Falkberg hatte daraufhin ungehalten seine Mitarbeit aufgekündigt und war nach der ein oder anderen Spitze gegen Müller gegangen.

Schweiger leitete weiterhin die Rasterfahndung und berichtete an Müller. Sophie Erdmann und ein Team klapperten die Jahrmarktteilnehmer ab. Marx war wiederaufgetaucht – nüchtern und beherrscht – und hatte die Koordinationsaufgaben der SOKO übernommen. Steinrausch hatte selbst mit ihm gesprochen und war über den ausgeglichenen Eindruck erstaunt, den Marx jetzt machte. Zu den Geschehnissen des Samstags war kein Wort gefallen. Insgesamt lief der Apparat wieder, es schien sich aber eine zermürbende und zeitraubende Kleinarbeit abzuzeichnen.

Lichthaus war besorgt, denn er dachte an von Falkbergs Warnung, der Täter könnte in kürzester Zeit erneut zuschlagen und sie würden vor der nächsten Leiche stehen. In einem gab er Müller Recht: Irrwitzigerweise lagen alle Fakten vor, die den Mörder überführen würden, sobald man ihn erst einmal verhaftet hätte, aber dazu mussten sie ihn erst einmal aufspüren.

Dann berichtete er den beiden von seinen Ergebnissen, ohne sie wirklich überzeugen zu können. Sophie Erdmann versprach lahm, die Adressen von Andreas Diel und Michael Heinen zu recherchieren und diese zu befragen. Sie und Steinrausch wirkten wie Mitglieder einer Fußballmannschaft, die gerade zehn zu null verloren hatte. In die nun eintretende Leere hinein klingelte Sophie Erdmanns Handy.

»Ja? Einen Augenblick, bitte.« Sie reichte es an Lichthaus weiter, der es mit fragendem Blick entgegennahm. »Ein Holländer oder Belgier, will irgendetwas gesehen haben.«

Wieso gab sie ihm das Gespräch? Nun, er würde es gleich erfahren. Mit eingeschaltetem Lautsprecher legte er das Handy auf den Tisch. »Mein Name ist Lichthaus, die Kollegen hören mit.«

»Hallo, ich bin Mark Verschooten. Ein Herr Marx hat mir gesagt, dass ich Sie über diese Nummer erreichen kann.« Er sprach mit starkem Akzent. »Ich habe hier bei uns in den Nachrichten von den Morden gehört und dann im Internet die Zeitungen nachgelesen. Wissen Sie, wir waren nämlich zu der Zeit bei Ihnen in Urlaub. Es war sehr schön. Zwei lange Wochen Ruhe, und jetzt wieder der Alltag.« Verschooten geriet ins Schwärmen, doch Lichthaus wurde ungeduldig und unterbrach ihn.

»Was wollten Sie mir erzählen, Herr Verschooten?«

»Ja gut. Nun, als ich gelesen habe, wo die Tote gefunden wurde, bin ich gleich aufmerksam geworden. Ich habe es noch einmal auf der Karte nachgeprüft, und es stimmt wirklich: Es ist genau die Stelle, an der wir einen Tag vorher einen Toyota gesehen haben. Die Zeitung sagt, man solle sich melden, wenn …«

»Sind Sie sich sicher, dass Sie dort waren?«

»Ja. Die Straße von Reinsfeld zur Mosel, nicht die Autobahn.«

»Okay. Was für ein Wagen?«

»Ein Toyota.«

»Welche Farbe?«

»Dunkelgrün metallic.«

»Sie sind sich ganz sicher?«

»Ja. Dunkelgrüner Pick-up. Ich täusche mich bestimmt nicht, denn er stand quer auf der Straße, um in den Wald abzubiegen. Wir sind fast hineingerast. Die Nummer konnte ich nicht sehen. Leider.«

Lichthaus verlor den Mut. Sie waren tagelang hinter einer ähnlichen Aussage hergelaufen, nur um festzustellen, dass es sich nicht um das Auto des Täters handelte. Nun mit Toyota Pick-ups weiterzumachen, schien wenig verlockend. »Nun, das könnte natürlich jeder gewesen sein.«

»Schon, nur hatte er einen Hänger hinten dran.«

Die Nachricht brachte Lichthaus wieder auf Touren. »Wie sah der aus?«

»Hoch mit festem Aufbau ohne Aufschrift. Auffallend war, dass eine der Seitenklappen abstand und die Spitze einer Baggerschaufel herausschaute. Eigentlich nur die Zähne, aber es war eine Baggerschaufel, ganz sicher. Ich bin Bauingenieur und kenne mich da aus.«

Die drei schauten sich über den Tisch hinweg wie vom Donner gerührt an. Es dauerte einige Sekunden bis Lichthaus wieder sprach. »Herr Verschooten, Sie haben uns sehr geholfen, diese Informationen sind von äußerster Wichtigkeit. Geben Sie uns bitte Ihre Adresse. Ein Kollege Ihrer Polizei wird Sie aufsuchen, um ein Protokoll aufzunehmen.«

»Ein dunkelgrüner Toyota ist jetzt also Favorit. Ein Pick-up. Schweiger kann Gas geben.«

Lichthaus brannte vor Eifer und hoffte auf einen guten Ausgang der Anhörung.

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