Er trommelte mit den Fingern auf die Tür des Campingaufsatzes und blies den restlichen Qualm hinaus, während er dem Mondeo nachschaute, der langsam davonrollte. Das Warten ging ihm heute auf die Nerven. Sonst nicht, da konnte er stundenlang stillhalten und sie beobachten, seine Phantasie spielen lassen und die Macht genießen. Nur er wusste, was ihnen bevorstand, während sie sich abstrampelten, um sich für ein langes Leben fit zu halten. Er zündete die nächste Zigarette an. Das Weib war drüben im Center. Wie jeden Dienstag. Er hatte auch trainiert. Für sie und alle, die noch kommen würden. Viele Jahre stählte er schon seinen Körper jeden Tag, und bis jetzt war ihm keine entkommen.

Ihren alten Clio stellte sie regelmäßig auf einen der Plätze am Fabrikgebäude hier drüben jenseits der Straße. Er hatte den Land Cruiser quer über drei Parktaschen unmittelbar daneben geparkt, so dass sich die Tür des Campingaufsatzes direkt zu ihrer Fahrertür hin öffnen ließ. Alles ganz einfach. Bei der Vorstellung, wie er sie zappelnd hineinziehen würde, musste er grinsen. Sie verkaufte Kleider in einer Boutique und hatte ihn auf diese Art angesehen, die er so hasste, wie damals Mutter. Ohne Wärme oder Mitleid, keine Anerkennung, nur Ablehnung. Heute würde er es ihr geben. Alle Arroganz aus dem Leib treiben, ihr zeigen, wer das Sagen hatte. Seine Erregung stieg, und er rieb sich die feuchten Hände an seiner Jeans ab.

Seine Hände zitterten bei der Vorstellung, was ihn heute Abend erwartete, und eine Erektion ließ seine Hose spannen. Vor allem das Ende würde er wieder so machen wie beim letzten Mal. Sie vergewaltigen und erwürgen. Es war über ihn gekommen; ungeplant, ganz spontan, so wunderbar. Diese Macht. Danach, als sie schon tot war, hatte er sie noch zweimal rangenommen, aber das war nicht dasselbe. Sie hatten das Mädchen gefunden. Sollten sie doch. Ihn würden sie nicht kriegen, niemals.

Die Tür des Centers flog auf und ein paar Leute kamen heraus, doch sie war nicht dabei. Es wurde unruhig, bis alle weggefahren waren, dann lag die Straße wieder verlassen da. Schreie würde niemand hören oder wie üblich ignorieren. Jeder für sich und damit alle für ihn. Er grinste gehässig.

Als jetzt die Centertür aufschwang, war sie es. Schnell goss er seinen K.O.-Cocktail auf ein Tuch und presste die Faust zusammen, damit möglichst wenig entweichen konnte. Einmal hatte er zu viel und zu früh auf den Lappen gegossen und sich davon selbst völlig benebelt. Vorsichtig öffnete er die Tür des Campers einen winzigen Spalt, um besser sehen zu können. Sie hatte ihre hellbraunen Haare zu einem Zopf zusammengebunden und trug wegen der Wärme nur ein kurzes, ärmelloses T-Shirt, das eng anlag. Dazu eine dünne, weite Trainingshose und Turnschuhe, beides weiß. Sie hatte nicht allzu lange Beine, aber eine tadellose Figur. Schöne blaue Augen, die jedoch kalt schauten. Sie hatte es eilig, öffnete den Kofferraum, warf ihre Tasche hinein und schlug die Klappe wieder zu. Einen Augenblick packte ihn die unsinnige Angst, sie könnte über die Beifahrertür einsteigen, doch dann kam sie um das Heck herum und ging zur Fahrertür. Sie war ohne Argwohn, suchte kurz nach dem Schlüsselloch, als er die Tür lautlos aufschwang und wie ein Phantom hinter ihr auftauchte. Er hörte sie sogar leise summen, dann spannte er die Muskeln und sprang nach vorne.

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In Eitelsbach traf er Nils, Petra und seine Frau beim Nachtisch an. Claudia hatte als Hauptspeise Platten mit eingelegten Tomaten, Parmaschinken, Käse und vielen anderen italienischen Delikatessen angerichtet, und Lichthaus stürzte sich mit Heißhunger auf die Reste. Nils hatte offensichtlich ordentlich Wein und Grappa genossen. Seine Backen waren leicht gerötet, während er mit der fast leeren Flasche spielte und mit glasigen Augen eine seiner berühmten Geschichten erzählte.

Nils und Petra waren kinderlos und reisten viel durch die ganze Welt. Da Nils ein begeisterter Hobbyfotograf war, bekamen sie bei ihren seltenen Besuchen regelmäßig die letzten Urlaubsfotos zu sehen und freuten sich meistens darauf. Nils war ein wunderbarer Geschichtenerzähler und schilderte eher die Peinlichkeiten, die er wie ein Magnet anzuziehen schien, als die eigentlichen Reiseziele. In diesem Jahr waren drei Wochen Japan auf dem Plan gewesen. Obwohl die beiden sich vor ihrer Reise viel mit dem Land beschäftigt hatten, standen die Fettnäpfchen dicht hintereinander. Sie lachten viel während der Erzählungen, doch Lichthaus war nur halb bei der Sache, da die neuen Wendungen im Fall Eva Schneider ihn nicht mehr losließen. Claudia bemerkte seine Unruhe und legte beruhigend den Arm um ihn.

Gegen halb zwölf verschwanden die beiden. Nils war sichtlich angetrunken, und Lichthaus fragte sich, wie er am kommenden Tag seine Arbeit als Architekt machen würde. Petra bugsierte ihn auf den Beifahrersitz des Sharans und winkte ihnen zum Abschied, aber Nils war anscheinend bereits eingeschlafen.

Der Himmel zeigte sich bewölkt. Lichthaus nahm Claudia in den Arm und sie gingen langsam hinein um aufzuräumen. Während sie Teller abtrugen und die Reste verpackten, erzählte er ihr von den neuen Erkenntnissen, und auch sie spürte die Chance, die sich ihnen eröffnet hatte. Anschließend setzten sie sich noch kurz zusammen. Für die Woche in Holland hatte sie alles geplant. Sie würde ihm den Berlingo lassen und mit ihren Eltern fahren.

»Hab ich dir gesagt, dass vorhin deine Mutter angerufen hat?«

»Oh nein. Was wollte die denn? Normalerweise kennt sie unsere Nummer doch nur, wenn sie uns braucht.«

»Wann sie endlich das Kind zu sehen bekäme. Hoffentlich bevor es laufen lernt. Ich habe ihr versprochen, dass du zurückrufen würdest.«

»Heute nicht. Der Tag war schon schlimm genug.«

Die Beziehung zu seiner Mutter war seit jeher völlig unterkühlt. Nach seiner Geburt hatte sie ihr Jurastudium abgebrochen und dies ihr Leben lang nicht verwunden. Es kam Lichthaus manchmal so vor, als gebe sie ihm die Schuld für ihr Hausfrauenleben, das sie nie wirklich ausgefüllt hatte. Ihr Liebling, sie nannte ihn »mein Sonnenschein«, war sein jüngerer Bruder Karsten, der im Westerwald geblieben und als Arzt ihr ganzer Stolz war. Henriette war nun ihr erstes Enkelkind, daher wohl der Sinneswandel. Lichthaus’ Vater hatte als Rechtsanwalt in Koblenz eine gut gehende Kanzlei geführt und war fest davon ausgegangen, dass er dort einsteigen würde. Der endgültige Bruch kam, als er das Jurastudium abbrach und zur Polizei ging. Sie hatten sich heftig gestritten. Er würde die Drecksarbeit machen und nur mit Abschaum zu tun haben, anstatt sein Studium zu beenden und Anwalt zu werden, hatte sein Vater gebrüllt. Lichthaus hatte zurückgeschrien, dass er lieber den Abschaum ins Gefängnis bringen wolle, als ihn davor zu bewahren. Dann war er gegangen, und es hatte drei Jahre gedauert, bis sie wieder miteinander sprachen. Sein Vater war vor einigen Jahren gestorben und hatte ihm ordentlich Geld hinterlassen, das er anfangs nicht wollte und dann aggressiv im Aktienmarkt angelegt hatte. Mit gutem Erfolg. Heute war er froh darüber, da sie sich so das Haus hatten leisten können.

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