Als er den Parkplatz erreichte, kam Staatsanwältin Cornelia Otten auf ihn zu. Er atmete erleichtert auf. Die Staatsanwältin gehörte zu denen, die ihre Kriminalbeamten arbeiten ließen und wenn nötig unterstützten, anstatt sich dauernd einzumischen. Otten hatte sich im Laufe der Zeit eine raue Schale zugelegt.

»Guten Morgen.«

Sie ergriff seine Hand. »Gut? Dass ich nicht lache. Morgen läuft meine Bereitschaft ab und am Montag wollte ich zu meiner Tochter nach Rom fliegen. Das kann ich jetzt vergessen.« Lichthaus zuckte bedauernd die Schultern und berichtete ihr, was geschehen war. Während die Staatsanwältin den Fundort besichtigte, traf die Presse ein. Der SWR platzierte seinen Sendewagen unmittelbar vor den Einsatzfahrzeugen, die mittlerweile die Hälfte des Parkplatzes blockierten. Auch Marx’ Auto stand dazwischen. Etwas später war auch Daniel Baum, der Lokalreporter des Trierischen Volksfreunds, vor Ort und stieg über die Absperrung, wobei seine Kameratasche im Flatterband hängen blieb.

»Bleiben Sie hinter der Markierung, Herr Baum«, rief Lichthaus ihm zu. Normalerweise hätte er heftiger reagiert, aber er mochte den beharrlichen Reporter, der seine lange Nase überall hineinsteckte und Dinge ans Licht brachte, die so manchen Lokalpolitiker ordentlich unter Druck gesetzt hatten.

»Ach, Entschuldigung, ich wusste nicht, dass hier abgesperrt ist.« Er trat hinter den Streifenwagen zurück und grinste Lichthaus mit nikotingelben Zähnen an.

»Klar, die Bänder sind noch vom letzten Volkslauf.« Lichthaus grinste zurück.

»Sie haben eine Leiche da oben, habe ich gehört? Können Sie mir dazu Näheres sagen?«

Lichthaus schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Ich kann nur bestätigen, dass eine Leiche gefunden wurde, doch mehr wissen wir selbst nicht, da die Kriminaltechniker noch nicht fertig sind.«

»Handelt es sich um eine Frau oder einen Mann?«

»Um zwei Uhr findet eine Pressekonferenz statt, da werden Sie informiert.« Cornelia Otten war hinzugekommen und betrachtete Baum mit unverhohlenem Widerwillen.

»Guten Morgen, Frau Otten.« Baum lächelte sie dünn an. »Ich …«

Doch Cornelia Otten wandte sich bereits ab. »Wir haben eine Besprechung, bitte gedulden Sie sich bis heute Mittag.«

Es war mittlerweile heiß geworden, und alle Kollegen freuten sich auf eine Pause. Neben dem Parkplatz befand sich ein Gasthaus, dessen Eigentümer offensichtlich ein Australienfan war. Er hatte ein riesiges, aufblasbares Känguru über den Eingang gesetzt und bot allerlei australische Spezialitäten an. Mehrere Familien mit Kindern saßen auf Bänken im Freien und schauten dem Treiben zu. Als Lichthaus und seine Kollegen durch den Biergarten gingen, verstummten die Gespräche und alle schauten ihnen hinterher. Das Innere bestand aus nur einem großen Raum, mit einfachen Tischen und einer Theke. Sie schlossen die Tür hinter sich, hier drinnen waren sie allein, doch just als Cornelia Otten beginnen wollte, kam die Wirtin, bei der sie dankbar ihre Getränke bestellten.

»Gut, fassen wir zusammen«, begann Otten erneut. Sie hatte den Blazer ausgezogen und lehnte sich entspannt zurück. »Bei der Leiche handelt es sich um eine junge Frau, wie Spleeth mir eben bestätigt hat. Fest steht, dass die Tote erst kürzlich abgelegt worden ist, sie ist kaum verwest und die Erde in der Grube war noch nicht verdichtet.«

»Das Vergraben muss vor Donnerstagabend stattgefunden haben. Spleeth konnte nur frische Spuren von Duprés Bagger ausmachen, alle anderen sind vom Regen verwischt worden«, fügte Steinrausch hinzu, als sich die Tür öffnete und Sophie Erdmann eintrat. Gleich darauf verteilte die Wirtin die Getränke und wurde sodann angewiesen, draußen zu warten, bis die Besprechung zu Ende sei.

»Während die Tote ausgegraben und obduziert wird«, begann Lichthaus, »konzentrieren wir uns auf drei Punkte: Erstens, wie ist die Tote an den Fundort transportiert worden? Hierzu wird Herr Marx den zuständigen Förster ausfindig machen und mit ihm zusammen mögliche Transportrouten erarbeiten. Fragen Sie bitte Spleeth, ob er schon irgendwelche Hypothesen zum Transport hat.«

Marx nickte. Er wirkte ausgeschlafen. Lichthaus war zuversichtlich, dass der Fall ihnen helfen würde, die Differenzen während des letzten gemeinsamen Monats zu überbrücken. So oder so, Marx würde wie jeder andere auch seinen Beitrag zu den Ermittlungen leisten müssen, dafür würde Lichthaus sorgen.

»Zweitens werden wir die Akten der vermissten Frauen ziehen, um die Tote schnell zu identifizieren.«

Scherer unterbrach. »Die Fotos habe ich in circa einer halben Stunde auf dem Handy, dann können wir sofort anfangen.«

»Gut. Drittens müssen wir schnellstens die Anlieger befragen. Frau Erdmann, sprechen Sie bitte mit Enders. Er soll morgen einige Beamte bereithalten.«

Sophie Erdmann nickte. »Okay! Übrigens, von den Leuten, die vorhin hier waren, hat niemand etwas Ungewöhnliches gesehen.«

»Herr Steinrausch, Sie bleiben bitte auch oben und machen die Tatortarbeit. Wir werden uns am Nachmittag zusammensetzen. Ich muss leider ins Präsidium. Wir treffen uns um fünfzehn Uhr.« Er schaute in die Runde. »Die kommenden Tage werden nicht leicht werden, packen wir es an.«

Als er in die angespannten und entschlossenen Gesichter der Kollegen schaute, die nacheinander den Raum verließen, sah er, dass seine letzte Bemerkung überflüssig gewesen war. Lichthaus nahm den Dienstwagen. Es ärgerte ihn, dass er nicht wie üblich bei der Bergung der Toten anwesend sein konnte, doch als Abteilungsleiter musste er neben dem Präsidenten und Staatsanwältin Otten an der Pressekonferenz teilnehmen.

Gerade als er in das Auto steigen wollte, rollte Stefan Güttlers Volvo auf den Parkplatz, und der Rechtsmediziner stieg aus.

»Tag, Johannes. Ihr habt eine Leiche für mich?«

»Eine Frau. Sie liegt oben im Wald vergraben. Spleeth analysiert noch.«

»Na, hoffentlich nicht bis morgen.« Er grinste. »Und du brauchst den Bericht sofort?«

»Heute wäre schon gut. Wir müssen sie identifizieren. Scherer lässt sich Vermisstenfotos aufs Handy schicken. Ich hoffe, das bringt uns schnell ans Ziel. Danach kannst du anfangen.«

»Ruf mich nachher mal an, dann sehe ich, wie es läuft. Grüß bitte Claudia von mir. Wir sehen uns ja dann heute Abend in der Galerie.« Er verschwand im Wald.

Güttler war fünf Jahre jünger als Lichthaus, wirkte mit seiner Halbglatze aber zumindest gleich alt. Er lebte in Trier, arbeitete aber am Rechtsmedizinischen Institut der Universität des Saarlandes in Homburg. Die wenigen Aufträge, die für die Justiz in Trier anfielen, führte er im Brüderkrankenhaus durch. Güttler und Lichthaus hatten sich auf Anhieb gemocht und waren inzwischen gut befreundet.

Lichthaus fuhr los. Er war dankbar für das Alleinsein, denn so konnte er seine Gedanken ordnen. Er sah der Identifizierung mit gemischten Gefühlen entgegen. Würde sie die Gewissheit erbringen, dass Eva Schneider tot war, wäre er persönlich zwar betroffen, doch sie hätten Klarheit. Der oder die Mörder hatten die Leiche intelligent beiseitegeschafft und nur der Zufall hatte Dupré sie finden lassen. Wäre der gesamte Graben erst einmal zugeschüttet und die Arbeiten beendet gewesen, wäre sie wohl für immer verschwunden. Wenn der Mörder in allem so umsichtig und planvoll vorgegangen war, würden sie ihn schwer fassen können, doch sie würden ihn trotzdem kriegen. Spuren hinterließ jeder. Hier vertraute er auf Spleeths Genauigkeit. Sollte es sich um einen Sexualmord handeln, gestalteten sich die Ermittlungen typischerweise sehr schwierig, da es selten eine klare Täter-Opfer-Beziehung gab. Die Verbrechen wurden oft spontan ausgeführt, wodurch jede Ermittlungskette einen Bruch bekam. Man würde sehen. Ob Eva Schneider oder nicht, ob Sexualverbrechen oder nicht, es stand einiges an Arbeit an, und er wappnete sich für die nun kommenden stressigen Tage.

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