»Ich glaube, wir haben ihn!« Sophie Erdmanns Stimme klang aufgeregt. »Diel besitzt tatsächlich einen grünen Toyota Pick-up und auch sonst passt er genau ins Profil. Schweiger war gerade hier und hat uns den Namen gebracht.«

»Der macht doch einen guten Job, oder?« Lichthaus hatte lange geschlafen und war gerade erst mit dem Frühstück fertig.

»Ja, vielleicht habe ich mich getäuscht. Ich fahre mit Steinrausch in dieses Dorf«, sie raschelte mit Papier, »Abentheuer. Wir wollen die Nachbarn befragen. Vielleicht weiß jemand, wo er arbeitet oder gearbeitet hat, dann können wir an seine Adresse kommen. Müller ist übrigens schon wieder stinkig, wahrscheinlich weil du uns den Hinweis gegeben hast.«

»Der blöde Hund. Wie wird er vorgehen?«

»Keine Ahnung. Ich denke, wenn wir wissen, wo Diel wohnt, nimmt er sofort ein SEK mit.«

»Soll ich kommen?«

»Ich denke, nein. Das wird Müllers Show. Er wird dich nicht hier haben wollen.«

»Du hast Recht. Rufst du mich an, wenn es etwas Neues gibt? Auf dem Handy. Ich bin gleich unterwegs.«

Er legte auf und war zufrieden. Müller würde zwar die Verhaftung vornehmen, musste aber den Fahndungserfolg Lichthaus überlassen. Zumindest intern.

Die Nachricht hatte seine Pläne umgeworfen. Eigentlich hatte er diesen Uli suchen wollen. Aber das schien sich ja nun erledigt zu haben. Auf der anderen Seite war Diel noch nicht überführt. Er zögerte kurz und machte sich doch auf den Weg. Was sollte er auch sonst tun? Der Altweibersommer pausierte. Es war bedeckt, aber schwülwarm. Eine dicke Hummel taumelte wie betrunken an ihm vorbei. Es roch nach Regen. Eine halbe Stunde später war er in Steinbachweier.

Ein kleiner Tümpel lag hübsch anzusehen in einer sanften Senke an der Bundesstraße nach Losheim. Gleich daneben gab es einen Gasthof, der auf seinem Aushang gutbürgerliche Küche versprach, dessen ungepflegtes äußeres Erscheinungsbild aber eher das Gegenteil erwarten ließ. Die Tische im Gastraum waren leer. Bis zum Mittag würde allerdings noch einige Zeit vergehen. Nur an der langen Theke saßen weit voneinander entfernt zwei Gestalten. Offensichtlich Alkoholiker mit schlechter Haut und wässrigem Blick. Zusammengesunken hingen sie auf den Barhockern und glotzten in ihr Bier, wohl in der Hoffnung, in den Gläsern ein bisschen Sinn für ihr Leben zu finden.

Der Wirt war nirgends zu sehen, und nur das Gedudel des Spielautomaten durchbrach die teigige Stille.

Lichthaus stellte sich zwischen die beiden an die Theke und erschrak, als der Wirt wie von Zauberhand völlig geräuschlos auftauchte. Er war fett, sein Leib wölbte sich weit über den Hosenbund, doch zeigten sein klarer Blick und die gepflegte Kleidung, dass er nicht allabendlich als sein bester Kunde ins Bett schwankte. Die Theke und der Gastraum waren wider Erwarten auffallend sauber, und der Kaffee, der dampfend vor ihm auf die Theke gestellt wurde, roch und schmeckte ausgezeichnet.

Er wandte sich an den Wirt, bevor er wieder verschwinden konnte. »Ich suche einen Mann, der hier in der Nähe wohnt oder gewohnt hat. Er wird so um die vierzig Jahre alt sein, ist groß und kräftig. Sein Name ist Uli. Seinen Nachnamen kenne ich nicht.«

»Wieso wollen Sie das wissen?« Die Augen waren misstrauisch.

»Ich bin von der Kripo in Trier. Es geht um Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Unfallflucht«, log er.

Der Wirt schaute mürrisch. »Ich bin erst vor vier Jahren hierher gekommen. Unter meinen Gästen gibt es niemanden, der Uli heißt. Tut mir leid.«

»Wenn Sie mir ein Bier ausgeben, fällt mir vielleicht etwas ein«, der Gast links von ihm versuchte, ihn anzuschauen, aber sein Blick schweifte immer wieder ab.

»Glauben Sie dem kein Wort«, grunzte der andere dazwischen. »Für ein Bier erzählt der Ihnen, seine Mutter hätte es mit dem Bischof getrieben und er wäre das heilige Produkt dieses Besprungs.«

»Halt du dein Maul.« Spucketropfen flogen über den Tresen, als Links losschrie. »Du bist doch eh nur eine Verhütungspanne.«

»Ruhe!« Lichthaus ging dazwischen, und die beiden zogen sofort die Köpfe ein. »Machen Sie den Herren bitte ein Bier, und Sie«, er wandte sich an den Mann zu seiner Linken, »kommen mal mit.«

Er setzte sich an einen Tisch am anderen Ende des Gastraums und wies dem Mann einen Platz ihm gegenüber zu. Er stank ungewaschen.

»Was können Sie mir denn sagen?« Lichthaus kehrte den strengen Wachtmeister heraus. »Oder hat Ihr Kumpel da Recht? Ich warne Sie. Falschaussagen sind strafbar.«

»Der ist nicht mein Kumpel.«

»Wie ist Ihr Name?«

»Hubert Singer. Aus Paschel. War Bauarbeiter. Kann aber nicht mehr arbeiten. Wegen dem Scheißrücken. Frührentner, nicht so ein Faulenzer wie der da. Der hat doch noch nie was gearbeitet.« Er ruckte abfällig mit dem Kopf in Richtung des anderen.

»Das ist jetzt egal. Was wollten Sie mir erzählen?«

Der Wirt brachte wortlos das Bier und zog sich wieder hinter seine Theke zurück. Singer trank einen großen Schluck.

»Eigentlich stamme ich aus Vierherrenborn. Gleich hier den Berg rauf. Meine Familie ist 1953 hierher gekommen. Vertriebene waren sie. Hatten, bis die Russen kamen, einen Hof bei Danzig. Mein Vater hat oben gerodet und einen neuen Hof gegründet. War so ein Projekt von den Nazis, das man fortgeführt hat. Den hat jetzt mein älterer Bruder.«

»Wie alt sind Sie?«

»Neunundvierzig. Bin schon in dieser Gegend geboren.« Singer starrte einen Augenblick ins Leere, als suchte er nach dem Faden, um das Gespräch wieder aufzunehmen.

»Ich kenne da einen Uli in Vierherrenborn. Die Mutter hatte oben auch einen Hof.« Er trank wieder. »Die waren auch seit Anfang der fünfziger Jahre hier. Muss ein Klasseweib gewesen sein.

Hat dann aber so einen Idioten geheiratet und den ein paar Jahre drauf weggejagt.«

»Kennen Sie seinen Name?«

»Nee, der Kerl war nur selten hier. Ich kann mich kaum erinnern.«

»Was ist mit diesem Uli?«

»Mein jüngster Bruder war mit dem in einer Klasse. Der müsste jetzt so um die vierzig sein. Die Jungs haben den dauernd verarscht, weil der so komisch war. Irgendetwas mit den Haaren. Frosch-Häns haben sie den gerufen. Hat die Viecher immer mit einem Strohhalm aufgeblasen, bis sie geplatzt sind. Merkwürdiger Typ.«

Lichthaus wurde aufmerksam. »Was macht er heute?«

»Wohnt immer noch da. Die Alte ist tot. Er zeigt sich eigentlich nie. Der arbeitet wohl unten in Trier. So genau weiß das keiner. Sein Hof liegt außerhalb. War einer der Ersten, die man errichtet hat.« Er rülpste leicht. »Fahren Sie hier neben dem Haus rauf. Nach ein oder zwei Kilometern kommt ein Hof, dann links ab und nach ein paar hundert Metern steht mitten in den Feldern ein Haus, mit Scheune und Stall. Das ist es.«

»Ist er verheiratet?«

»Keine Ahnung. Glaub aber kaum. So einen will keine haben.«

»Gut, danke.«

»War’s das schon?« Lichthaus nickte und stand auf. An der Theke bezahlte er die Biere und fuhr nach Vierherrenborn.

*

Das Haus lag am Rande von Neuhütten. Eigentlich am oberen Ende, denn der Ort war ein klassisches Straßendorf. Es war sehr ruhig hier. Ein paar Alte lehnten im Türrahmen und unterhielten sich über die Straße hinweg. Der Rest schien zur Arbeit zu sein. Woanders, denn Arbeit gab es allenfalls noch im Wald. Oberhalb der Hauptstraße lagen einige Neubauten. Groß und klotzig im Vergleich zu den geduckten Gebäuden, die die alte Straße säumten.

Das Haus war unauffällig. Eineinhalb Stockwerke hoch, mit Satteldach, zeigte es grob verputzt mit schmutzigem Anstrich ins Tal rüber nach Züsch, dem großen Zwillingsdorf auf der anderen Talseite. Hinten, fast am Waldrand hatten die Besitzer einen kleinen Stall angebaut, aus dem aber schon lange kein Blöken mehr zu hören war. Alles lag völlig ruhig da, wie im Dornröschenschlaf.

Das SEK kam von der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie hatten sich den abfallenden Hang zunutze gemacht, um unbemerkt heranzukommen. Schwarze Gestalten mit Strumpfmasken und Maschinenpistolen, grotesk und völlig fehlplatziert, schlichen über die friedliche Weide. Sie sammelten sich und stürmten los. Zwei mit einem Rammbock vorne weg, dem die klapprige Haustür so wenig Widerstand bot, dass sie unter dem Ansturm regelrecht in den schmalen Flur flog. Wie eine Traube Ameisen drängten sie hinein. Von der Rückseite des Hauses war splitterndes Glas zu hören. Laut gebrüllte Befehle, dann war Ruhe.

*