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Wir beide waren voll gestopft vom Dinner und etwas unsicher auf den Beinen von zu viel Wein. Alana schien noch angetrunkener zu sein als ich. Sie ließ sich auf das quietschende Bett fallen, mit ausgebreiteten Armen, als wollte sie das ganze Zimmer, das Hotel, die Nacht, was auch immer umarmen. Dies wäre der rechte Augenblick gewesen, ihr ins Bett zu folgen. Aber ich konnte nicht, noch nicht.
»Hey, soll ich dir deinen Laptop aus dem Wagen holen?«
Sie stöhnte. »Ach, ich wollte, du hättest es nicht erwähnt. Du sprichst einfach zu viel von der Arbeit.«
»Warum gibst du nicht einfach zu, dass du auch ein Workaholic bist, dann hast du es hinter dir?« Ich spulte meinen AA-Spruch ab: »Hi, mein Name ist Alana und ich bin ein Workaholic. ›Hi, Alana!‹«
Sie schüttelte den Kopf und rollte mit ihren Augen.
»Der erste Schritt besteht immer darin, zuzugeben, dass du machtlos gegen deinen ›Workaholismus‹ bist. Wie auch immer, ich habe was im Auto vergessen, also muss ich sowieso runter.« Ich streckte meine Hand aus. »Schlüssel?«
Sie lehnte sich gegen die Kissen und sah aus, als wäre sie zu faul, um sich zu bewegen. »Mmpf. Okay, na gut«, sagte sie widerstrebend. »Danke.« Sie rollte sich zum Bettrand, fischte die Autoschlüssel aus ihrer Handtasche und reichte mir den Schlüsselring mit ausschweifender, dramatischer Geste. »Aber komm bald zurück, ja?«
Der Parkplatz war mittlerweile dunkel und menschenleer. Ich warf einen Blick zum Hotel, das etwa dreißig Meter entfernt lag, und vergewisserte mich, dass unser Zimmer nicht zum Parkplatz hin lag. Sie konnte mich nicht sehen.
Ich ließ den Kofferaum des Miata aufschnappen und sah ihre Computertasche, eine graue Nylonhülle, die auf Flannel und Mohair getrimmt war. Ich hatte die Wahrheit gesagt: Ich hatte etwas im Wagen gelassen, einen kleinen Rucksack. Sonst gab es nichts besonders Interessantes in ihrem Kofferraum. Ich schwang mir Computertasche und Rucksack über die Schulter und setzte mich in ihren Wagen.
Noch einmal warf ich einen Blick zum Hotel. Niemand zu sehen.
Doch ließ ich die Innenbeleuchtung aus, meine Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen. So zog ich weniger Aufmerksamkeit auf mich.
Ich kam mir mies vor, aber ich musste realistisch sein, was meine Lage betraf. Ich hatte wirklich keine andere Wahl. Sie war meine beste Möglichkeit, zu AURORA vorzudringen, und jetzt musste ich es tun. Nur so konnte ich mich retten.
Rasch öffnete ich die Computertasche, zog ihr Laptop heraus und schaltete ihn an. Der Monitor erfüllte das Wageninnere mit blauem Licht. Während des Bootens öffnete ich meinen Rucksack und zog einen Erste-Hilfe-Koffer aus blauem Plastik hervor.
Darin befanden sich statt Hansaplast und Ähnlichem ein paar kleine Plastikkästchen, die mit weichem Wachs gefüllt waren.
Im blauen Licht untersuchte ich die Schlüssel an ihrem Schlüsselring. Ein paar sahen viel versprechend aus. Vielleicht würde einer von ihnen mir die Aktenschränke auf dem AURORA-Flur öffnen.
Ich drückte einen Schlüssel nach dem anderen in ein Wachsrechteck. Das hatte ich ein paar Mal mit einem von Meachams Schergen geübt, und jetzt war ich froh drüber; man brauchte ein bisschen, bis man es raushatte. Mittlerweile blinkte mich die Passwortleiste auf ihrem Computer an.
Scheiße. Nicht jeder schützte seinen Laptop mit einem Passwort. Aber das Unternehmen würde nicht vollkommene Zeitverschwendung gewesen sein. Ich zog aus dem Rucksack den Mini-PC-Prox-Reader, den Meacham mir gegeben hatte, und verband ihn mit meinem Handheld. Dann drückte ich den Startknopf und wedelte davor mit Alanas Ausweis.
Das kleine Gerät erfasste die Daten von Alanas Karte und speicherte sie auf meinem Handheld.
Vielleicht war es ganz gut so, dass ihr Laptop mit einem Passwort geschützt war. Schließlich konnte ich nicht unbegrenzt Zeit auf dem Parkplatz verbringen, ohne dass sie sich fragte, wo zum Teufel ich bliebe. Kurz bevor ich den Computer runterfuhr, beschloss ich, nur zum Spaß, ein paar der populärsten Passwörter einzugeben: ihr Geburtsdatum, das ich mir gemerkt hatte; die ersten sechs Zahlen ihrer Personalnummer.
Nichts passierte. Ich tippte ALANA ein, da verschwand die Passwortleiste und es erschien eine einfarbige Maske.
O Mann, das war ja leicht gewesen. Ich war drinnen.
Tja, was jetzt? Wie viel Zeit konnte ich riskieren? Denn diese Gelegenheit durfte ich mir doch nicht entgehen lassen, oder? Möglicherweise bekam ich sie nie wieder.
Alana war ein extrem gut organisierter Mensch. Ihr Computer war in einer klaren, logischen Hierarchie geordnet. Ein Verzeichnis hatte den Namen AURORA.
Und alles war da. Oder vielleicht doch nicht alles, aber es war eine wahre Goldgrube an technischen Ausführungen über den optischen Chip, an Marketingmemos, Kopien der E-Mails, die sie gesendet und empfangen hatte, an Protokollen von Meetings, Dienstplänen mit Zugangscodes, sogar Grundrissen von Stockwerken …
Es war so viel, dass ich nicht mal genug Zeit hatte, die Namen aller Dateien zu überfliegen. Ihr Laptop hatte ein CD-ROM-Laufwerk; und ich hatte einen kleinen Vorrat mit leeren CD-ROMs im Rucksack. Ich nahm mir eine und schob sie in ihr Laufwerk.
Selbst bei einem superschnellen Computer wie Alanas brauchte ich gute fünf Minuten, um alle AURORA-Dateien auf die CD-ROM zu übertragen. So viel war es.
»Wo warst du so lange?«, fragte Alana schmollend, als ich zurückkam.
Sie lag unter der Bettdecke, ihr nackter Busen lugte daraus hervor, und sie wirkte schläfrig. Von einem kleinen CD-Player, den sie wohl mitgebracht hatte, ertönte eine Ballade von Stevie Wonder – »Love’s In Need of Love«.
»Ich hatte Schwierigkeiten, den Schlüssel zu deinem Kofferraum zu finden.«
»Ein Autonarr wie du? Ich dachte schon, du wärst abgehauen und hättest mich hier zurückgelassen.«
»Sehe ich so blöd aus?«
»Das Äußere kann täuschen«, sagte sie. »Komm ins Bett.«
»Ich hätte nie gedacht, dass du ein Fan von Stevie Wonder bist«, sagte ich. Das stimmte, vor allem wenn ich an ihre Sammlung zorniger Folksängerinnen dachte.
»Du kennst mich eben noch nicht richtig«, gab sie zurück.
»Nein, aber lass mir ein wenig Zeit«, sagte ich. Ich weiß alles über dich, dachte ich, und doch weiß ich gar nichts. Ich bin nicht der Einzige mit Geheimnissen. Ich legte ihr Laptop auf den Eichentisch neben dem Badezimmer. »Da«, sagte ich, kehrte zum Bad zurück und zog mich aus. »Falls du mitten in der Nacht eine brillante Inspiration hast, einen überraschenden Ideenflug.«
Nackt näherte ich mich dem Bett. Dort lag diese wunderschöne Frau, nackt, spielte die Rolle der Verführerin, während in Wahrheit ich der Verführer war. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Spiel ich spielte, und ich spürte einen Anflug von Scham, der sich seltsamerweise mit einem Touch Erregung mischte. »Komm her«, sagte sie in dramatischem Flüsterton und starrte mich an. »Ich hatte gerade einen Ideenflug.« Wir beide wachten erst nach acht auf, ungewöhnlich spät für uns hyperaktive Typ-A-Workaholicer – und alberten erst eine Weile im Bett herum, bevor wir uns duschten und dann runtergingen, um uns ein Country-Breakfast einzuverleiben. Ich bezweifle, dass die Menschen auf dem Land wirklich so frühstücken, sonst wären sie wohl alle schwer übergewichtig: mit Speckscheiben (nur in Landgasthöfen bekommt man ›Scheiben‹ Speck), Unmengen an Haferbrei, frisch gebackenen Blaubeermuffins, die noch warm waren, Eiern, armen Rittern, Kaffee mit echter Sahne … Alana schlang alles herunter, was mich überraschte, da sie dünn war wie ein Strich. Mir gefiel es, wie heißhungrig sie über ihr Essen herfiel. Sie war eine Frau mit Appetit, und ich mochte es.
Wir gingen zurück aufs Zimmer und alberten noch ein bisschen, dann hingen wir herum und unterhielten uns. Ich achtete sorgfältig darauf, nicht mehr über Sicherheitsprozeduren oder Ausweise zu reden. Sie wollte mit mir über den Tod meines Vaters und das Begräbnis sprechen, und ich tat ihr den Gefallen, obwohl mich das Thema deprimierte. Gegen elf brachen wir widerstrebend auf, und unser Date war vorbei.
Ich glaube, wir beide wollten nicht, dass es endete, aber wir hatten auch das Bedürfnis, uns zurückzuziehen, in unseren eigenen Wohnungen etwas zu arbeiten, wieder in die Tretmühle zu kommen, und die Auszeit von der Arbeit, diese köstliche Nacht, wettzumachen.
Auf der Rückfahrt entdeckte ich, dass ich in Hochstimmung war, weil wir über Land fuhren, weil die Bäume von Sonnenlicht gesprenkelt waren, weil ich gerade eine Nacht mit der coolsten, hinreißendsten, lustigsten und aufregendsten Frau verbracht hatte, die mir je über den Weg gelaufen war.
Mann, was zum Teufel machte ich da eigentlich?