11

Ich bekam die Neuigkeit von Nick Wyatt persönlich. Als ich von Yvette in sein Büro geführt wurde, saß er gerade auf seinem elliptischen Trainer in einer Ecke des Raums. Er trug ein schweißnasses Muskelshirt und rote Boxershorts und sah gelbbraun aus. Ich fragte mich, ob er Steroide schluckte. Er hatte ein Headset auf und bellte Befehle hinein.

Dem Vorstellungsgespräch bei Trion war mehr als eine Woche Funkstille gefolgt. Ich wusste, dass es gut gelaufen war, und zweifelte auch nicht daran, dass meine Referenzen spektakulär waren, aber trotzdem, alles war möglich.

Ich hatte fälschlicherweise angenommen, dass ich nach meinem Vorstellungsgespräch Urlaub vom KGB-Training bekäme, aber so viel Glück hatte ich nicht. Die Schulung ging weiter und umfasste nun auch einen Bereich, den sie ›Handwerk‹ nannten – wie man stahl, ohne geschnappt zu werden, wie man Dokumente und Computerdateien kopierte, wie man Datenbänke von Trion durchsuchte, wie man Kontakt mit ihnen aufnahm, wenn sich etwas ergab, das nicht bis zum nächsten regulären Treffen warten konnte. Meacham und ein anderer Kampfgefährte vom Sicherheitsdienst bei Wyatt hatten zwanzig Jahre beim FBI gearbeitet und brachten mir bei, wie ich sie über E-Mail erreichte und dabei einen Anonymizer benutzte, einen Remailer, der in Finnland saß und verhinderte, dass man die richtigen Personalangaben zurückverfolgen konnte. Des Weiteren lernte ich, meine E-Mails mit dieser superstarken 1.024-Bit-Software zu verschlüsseln, die am US-Gesetz vorbei irgendwo im Ausland entwickelt worden war. Sie brachten mir einiges über traditionelles Spionagehandwerk wie zum Beispiel über tote Briefkästen und Signale bei, damit ich sie wissen lassen konnte, dass ich Dokumente für sie hatte. Ich lernte, Kopien von den Ausweisen zu machen, die man heutzutage in den meisten Firmen trägt und mit denen man vor einem Sensor wedelt, damit die Tür aufgeht. Einiges von diesem Zeug war wirklich cool. Ich kam mir schon langsam vor wie ein richtiger Spion. Damals fuhr ich sogar irgendwie drauf ab. Ich wusste es ja nicht besser.

Doch als Tage und Tage ohne Nachricht von Trion vergingen, machte ich mir langsam in die Hose. Meacham und Wyatt hatten mir ziemlich deutlich vor Augen geführt, was passieren würde, wenn Trion mich nicht nähme.

Jetzt sah mich Nick Wyatt noch nicht einmal an.

»Gratuliere«, sagte er. »Ich habe die Nachricht vom Headhunter bekommen. Ihnen wurde gerade Bewährung gewährt.«

»Ich habe ein Angebot bekommen?«

»Hundertfünfundsiebzigtausend für den Anfang, Aktienoptionen, das ganze Paket. Sie sind als teamunabhängiger Mitarbeiter auf Managerebene eingestellt worden, ohne direkten Vorgesetzten.«

Ich war erleichtert und staunte über die Summe. Es war etwa dreimal so viel wie das, was ich bis dahin verdient hatte. Zusätzlich zu meinem Gehalt von Wyatt ergab das zweihundertfünfunddreißigtausend. Meine Güte.

»Schön«, sagte ich. »Und was machen wir jetzt? Verhandeln?«

»Wovon zum Teufel reden Sie? Es waren noch acht andere zum Vorstellungsgespräch geladen. Wer weiß, ob nicht jemand einen anderen Lieblingskandidaten hatte oder einen Freund, was auch immer. Wir gehen kein Risiko ein, jetzt noch nicht. Kriegen Sie Ihren Fuß in die Tür, zeigen Sie ihnen Ihre Vitrine.«

»Meine Vitrine –«

»Zeigen Sie ihnen, was Sie draufhaben. Sie haben ihnen schon mit ein paar Hors d’œuvres Appetit gemacht. Jetzt hauen Sie sie um. Wenn Sie sie nach Abschluss unserer kleinen Zauberschule und mit mir und Judith als Vorsager nicht umhauen können, dann sind Sie ein noch größerer Versager, als ich dachte.«

»Klar.« Im Geiste sah ich mich schon ein letztes Mal durch diese Tür gehen und ein paar passende Worte an Wyatt richten, allerdings nur so lange, bis ich mich daran erinnerte, dass Wyatt nicht nur immer noch mein Boss war, sondern mich auch ziemlich unangenehm an den Eiern hatte.

Wyatt stieg schweißgebadet von seinem elliptischen Trainer, nahm sich ein weißes Handtuch von der Lenkerstange und trocknete sich damit Gesicht, Arme und Achseln ab. Er stand so dicht vor mir, dass ich seinen Schweiß und seinen sauren Atem riechen konnte. »Und jetzt hören Sie ganz genau zu«, sagte er mit unmissverständlicher Drohung in der Stimme. »Etwa vor sechzehn Monaten genehmigte der Aufsichtsrat von Trion eine Sonderausgabe von fast fünfhundert Millionen Dollar zur Finanzierung von Skunkworks.«

»Was?«

Er schnaubte. »Skunkworks! Für ein hausinternes Top-Secret-Projekt. Wie auch immer, es ist höchst unüblich, dass ein Aufsichtsrat eine Sonderausgabe in dieser Höhe genehmigt, ohne vorher eine Menge Informationen bekommen zu haben. In diesem Fall aber genehmigte er sie blind, einzig und allein aufgrund der Zusicherungen des Geschäftsführers. Goddard ist der Gründer, also vertrauen sie ihm. Und er sicherte ihnen zu, die wie auch immer geartete Technologie, an der sie gerade arbeiten, sei ein monumentaler, was sage ich, ein ungeheurer, alle Paradigmen sprengender Durchbruch, ein Quantensprung. Eine Revolution. Er sicherte ihnen zu, es sei das Größte seit dem Transistor und jeder, der nicht auf diesen Zug springe, würde für immer abgehängt.«

»Und was soll das sein?«

»Wenn ich das wüsste, wären Sie nicht hier, Sie Schwachkopf! Meine Quellen versichern mir, dass es die Telekommunikationsindustrie vollkommen verändern und alles auf den Kopf stellen wird. Und ich gedenke nicht abgehängt zu werden, können Sie mir folgen?«

Das konnte ich zwar nicht, aber ich nickte.

»Ich habe viel zu viel in diese Firma investiert, um mich nun den Dinosauriern anzuschließen. Daher ist es Ihre Aufgabe, mein Freund, alles nur denkbar Mögliche über diese Skunkworks herauszufinden: wozu sie dienen, was genau man dort entwickelt. Mir ist egal, ob sie irgendeinen gottverdammten elektronischen Springstab entwickeln, Tatsache ist, ich gehe keinerlei Risiko ein. Klar?«

»Und wie?«

»Das ist Ihr Job.« Er wandte sich um und ging durch sein riesiges Büro zu einer Tür, die mir bis dahin nicht aufgefallen war. Er öffnete sie und gewährte mir einen Blick auf ein schimmerndes Marmorbadezimmer mit Dusche. Ich blieb unbehaglich stehen und wusste nicht, ob ich auf ihn warten oder verschwinden sollte.

»Sie werden an diesem Morgen noch einen Anruf bekommen«, sagte Wyatt, ohne sich umzudrehen. »Heucheln Sie Überraschung.«

Paranoia
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