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Camilletti sah mich zwar, als er ging, schien aber keine Notiz von mir zu nehmen; ich hätte genauso gut ein Teil des Büromobiliars sein können. Goddard hingegen bemerkte mich und hob fragend die Augenbrauen. Flo fing an, auf ihn einzureden, also hielt ich meinen Zeigefinger in die Höhe, so, wie Goddard es immer tat, um zu zeigen, dass ich nur eine Minute seiner Zeit benötigte. Er gab Flo rasch Bescheid und winkte mich herein.
»Wie war ich?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Mit meiner kleinen Ansprache für die Mitarbeiter.«
Interessierte er sich wirklich für meine Meinung? »Sie waren großartig«, sagte ich.
Er lächelte und wirkte erleichtert. »Das verdanke ich meinem alten Schauspiellehrer am College. Er hat mir enorm bei meiner Karriere geholfen, jedes Mal, wenn ich Interviews gab, vor der Öffentlichkeit sprach und so weiter. Haben Sie je geschauspielert, Adam?«
Mein Gesicht brannte. Ja, hier, jeden Tag. Herrgott, worauf wollte er hinaus?
»Nein, eigentlich nicht.«
»Das nimmt einem die Befangenheit. Aber nicht dieser ›Ich bin Cicero-Kram‹ oder so, sondern … wie auch immer, Sie wollten mich sprechen?«
»Es geht um den Artikel im Wall Street Journal«, setzte ich an.
»Aha …?«, sagte er mit verwirrter Miene.
»Ich habe herausgefunden, wer die undichte Stelle ist.«
Er sah mich verständnislos an, also fuhr ich fort: »Erinnern Sie sich, wir hatten doch festgestellt, dass jemand aus der Firma Informationen an den Reporter des –«
»Ja, ja«, unterbrach er mich ungeduldig.
»Es ist – nun, es ist Paul Camilletti.«
»Wovon sprechen Sie?«
»Ich weiß, es ist kaum zu glauben. Aber ich habe alles hier, und es ist ziemlich eindeutig.« Ich schob die Ausdrucke über seinen Schreibtisch. »Sehen Sie mal die E-Mail ganz oben.«
Er nahm seine Lesebrille, die an einer Kette um seinen Hals hing, und setzte sie auf. Mit gerunzelter Stirn studierte er die Unterlagen. Als er aufblickte, war sein Gesicht dunkelrot. »Wo haben Sie das her?«
Ich lächelte. »Von der IT.« Ich schwindelte ein wenig und sagte: »Ich bat um die Aufzeichnungen aller Anrufe von Trion zum Wall Street Journal. Als ich dann sah, dass alle von Pauls Anschluss aus geführt worden waren, dachte ich, es könnte eine Sekretärin oder so gewesen sein, und forderte Kopien seiner E-Mail-Korrespondenz an.«
Goddard wirkte kein bisschen glücklich, was nur zu verständlich war. Eigentlich sah er ziemlich aufgebracht aus, daher fügte ich hinzu: »Es tut mir Leid. Ich weiß, das muss ein Schock für Sie sein.« Das Klischee entschlüpfte mir einfach. »Ich verstehe es ja selbst kaum.«
»Nun, ich hoffe, Sie sind zufrieden mit sich«, antwortete Goddard.
Ich schüttelte den Kopf. »Zufrieden? Nein, ich wollte nur der Sache auf den Grund –«
»Denn ich bin angewidert«, sagte er. Seine Stimme zitterte. »Was zum Teufel haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Was glauben Sie, wo wir hier sind, im Weißen Haus unter Nixon?« Jetzt schrie er fast und versprühte Spucketröpfchen.
Um mich herum brach alles zusammen: Ich sah nur noch mich und ihn und dazwischen die Fläche des Tischs. Mir rauschte das Blut in den Ohren. Ich war zu geschockt, um irgendetwas sagen zu können.
»Sie dringen in die Privatsphäre anderer Menschen ein, wühlen Dreck auf, beschaffen sich Aufzeichnungen von privaten Gesprächen und privaten E-Mails, womöglich öffnen Sie auch noch Briefumschläge unter Dampf! Solch eine Hinterhältigkeit finde ich unannehmbar, und so etwas will ich von Ihnen nie wieder sehen. Und jetzt verschwinden Sie, verdammt noch mal.«
Unsicher, schwindlig, schockiert erhob ich mich. An der Tür blieb ich stehen und wandte mich um. »Ich möchte mich entschuldigen«, sagte ich heiser. »Ich dachte, ich könnte Ihnen helfen. Ich – ich räume mein Büro.«
»Ach, Herrgott noch mal, setzen Sie sich wieder.« Der Sturm schien vorüber zu sein. »Sie haben nicht die Zeit, Ihr Büro zu räumen. Ich habe viel zu viel für Sie zu tun.« Seine Stimme klang nun wieder sanfter. »Ich verstehe, dass Sie mich schützen wollten. Ich hab’s begriffen, Adam, und ich weiß es zu schätzen. Und ich möchte auch nicht leugnen, dass mich die Sache mit Paul umgehauen hat. Aber es gibt einen richtigen Weg und einen falschen, die Dinge in die Hand zu nehmen, und ich ziehe den richtigen vor. Erst kontrolliert man E-Mails und Anrufe, dann hört man plötzlich Telefongespräche ab und bevor man sichs versieht, befindet man sich in einem Polizeistaat und nicht in einer Firma. Und ein Unternehmen kann nun mal nicht so funktionieren. Ich weiß nicht, wie man es bei Wyatt gemacht hat, aber bei uns läuft es nicht so.«
Ich nickte. »Ich verstehe. Es tut mir Leid.«
Er hob abwehrend die Hände. »Es ist nie geschehen. Vergessen wir’s. Und ich will Ihnen noch was sagen: Am Ende scheitern Unternehmen nicht, weil einer seiner Manager gegenüber der Presse geplaudert hat. Aus welchem unverständlichen Motiv auch immer. Und jetzt muss ich einen Weg finden, damit umzugehen. Meinen Weg.«
Er presste die Handflächen gegeneinander, als wolle er andeuten, das Gespräch sei beendet. »Ich kann jetzt nicht noch mehr unangenehme Neuigkeiten gebrauchen. Wir haben viel Wichtigeres vor uns. Jetzt brauche ich Ihr Input in einer äußerst vertraulichen Angelegenheit.« Er setzte sich hinter seinem Schreibtisch zurecht, setzte die Lesebrille auf und holte sein abgenutztes kleines Adressbuch aus schwarzem Leder hervor. Dann warf er mir über die Lesebrille hinweg einen strengen Blick zu. »Erzählen Sie ja nicht herum, dass der Gründer und Chief Executive Officer von Trion Systems nicht in der Lage ist, sich seine eigenen Computerpasswörter zu merken. Und erzählen Sie auf gar keinen Fall, welche Art ›Handheld‹ ich benutze, um sie zu speichern.« Er blickte prüfend in das kleine schwarze Buch und tippte etwas auf seiner Tastatur.
Eine Minute später erwachte sein Drucker summend zum Leben und spuckte ein paar Seiten aus. Goddard langte hinüber, zog die Seiten heraus und gab sie mir. »Wir sind im Endstadium einer ziemlich, ziemlich wichtigen Übernahme«, sagte er. »Der wahrscheinlich kostpieligsten Übernahme in der Geschichte unseres Unternehmens. Aber möglicherweise wird dies die beste Investition, die wir je geleistet haben. Ich kann Ihnen jetzt noch nicht die Einzelheiten nennen, aber angenommen, Pauls Verhandlungen sind weiterhin erfolgreich, dann sollten wir Ende nächster Woche das Geschäft für abgeschlossen erklären können.«
Ich nickte.
»Ich möchte, dass alles vollkommen glatt über die Bühne geht. Dies sind die grundsätzlichen Daten der neuen Firma – wie viele Mitarbeiter dort arbeiten, wie viel Platz sie benötigt und so weiter. Sie wird unverzüglich an Trion angeschlossen und direkt hier in diesem Gebäude untergebracht. Das heißt natürlich, dass hier jemand gehen muss. Ein paar unserer Abteilungen werden hier aufgelöst werden und auf das Gelände von Yarborough oder zum Research Triangle umziehen müssen. Sie sollen sich überlegen, welche Abteilung oder welche Abteilungen mit dem geringsten Aufwand umziehen können, um Platz für … die Neuerwerbung zu schaffen. Okay? Sehen Sie diese Seiten durch, und wenn Sie fertig sind, geben Sie sie in den Reißwolf. Und teilen Sie mir so schnell wie möglich Ihre Überlegungen mit. Okay?«