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Die Tatsache, dass Killer Camilletti – der Mistkerl, der so verdammt wütend über den Artikel des Wall Street Journal zu sein vorgab – in Wahrheit hinter dem Ganzen steckte, machte mich rasend. Der Typ war nicht nur ein Arschloch: Er war illoyal gegenüber Goddard.

Vielleicht war es eine Erleichterung für mich, endlich, nach all den Wochen als mieser, verlogener Spitzel, moralische Empörung aufbringen zu können. Vielleicht fühlte ich mich dadurch, dass ich Beschützerinstinkte gegenüber Goddard entwickelte, ein wenig besser. Vielleicht konnte ich mit meiner Wut über Camillettis Verrat leichter über meinen eigenen hinwegsehen. Vielleicht aber war ich Goddard auch einfach nur dankbar, dass er mich ausgesucht hatte, mich als jemand Besonderen betrachtete, der über die anderen hinausragte. Es ist schwierig, zu entscheiden, wie selbstlos mein Zorn auf Camilletti wirklich war. Manchmal überkam mich das schrecklich quälende Gefühl, dass ich im Grunde nicht besser war als er. Ich meine, hier war ich, der Hochstapler, der vorgab, er könne auf dem Wasser wandeln, während er in Wirklichkeit ständig in Büros einbrach, Dokumente stahl und versuchte, Jock Goddards Firma die Herzstücke zu entreißen. Und der gleichzeitig mit ihm in seinem Oldtimer herumfuhr.

Das war alles zu viel für mich. Diese schweißtreibenden, nervenzerfetzenden Vier-Uhr-morgens-Sitzungen zermürbten mich. Sie gefährdeten meine geistige Gesundheit. Es war besser, wenn ich nicht nachdachte und auf Autopilot schaltete.

Also hatte ich vielleicht wirklich das Gemüt einer Boa constrictor. Aber ich wollte mir trotzdem diesen Bastard Paul Camilletti schnappen.

Zumindest war ich ein Verräter, weil ich keine andere Wahl hatte. Ich war dazu gezwungen worden. Während Camillettis Verrat in eine ganz andere Kategorie gehörte. Er hatte aktiv gegen Goddard konspiriert, den Mann, der ihn in die Firma geholt, der diesem Arschloch sein Vertrauen geschenkt hatte. Und wer wusste schon, was er noch auf dem Kerbholz hatte?

Goddard musste es wissen. Aber ich musste mich absichern, einen plausiblen Grund finden, warum ich Bescheid wusste, ohne ihm sagen zu müssen, dass ich in Camillettis Büro eingebrochen war.

Den ganzen Weg zur Arbeit dachte ich über dieses Problem nach, während ich gleichzeitig den dröhnenden Düsenantrieb meines Porsches genoss, und als ich in meinem Büro ankam, hatte ich einen ganz passablen Plan.

Da ich für den Geschäftsführer arbeitete, hatte ich einigen Einfluss. Wenn ich jemand Unbekannten angerufen und mich einfach nur als Adam Cassidy vorgestellt hätte, wären die Chancen gering gewesen, dass man überhaupt auf mich reagierte. Aber Adam Cassidy, der ›aus dem Büro des CEO‹ oder ›aus Jock Goddards Büro‹ anrief – ganz so, als säße ich im Raum neben dem des alten Mannes und nicht zig Meter den Gang hinunter – würde mit Lichtgeschwindigkeit Reaktionen bekommen.

Als ich also in Trions Information Technology Department, der Systemadministration, anrief und erklärte, ›wir‹ wollten alle gespeicherten E-Mails des letzten Monats vom und zum Büro des Chief Financial Officers, kooperierte man sofort. Ich wollte nicht direkt mit dem Finger auf Camilletti zeigen, deshalb ließ ich es so aussehen, als wäre Goddard besorgt, es könnte eine undichte Stelle im Büro des CFO geben.

Mir fiel auf, dass Camilletti faszinierenderweise die Angewohnheit entwickelt hatte, gewisse heikle E-Mails, erhaltene und gesendete, zu löschen. Offensichtlich wollte er nicht, dass diese E-Mails in seinem Computer gespeichert waren. Da er ein kluger Bursche war, wusste er ganz genau, dass irgendwo in den Datenbanken der Firma Kopien von allen E-Mails gespeichert wurden. Deshalb zog er es vor, heiklere Schreiben über einen anderen Provider abzuwickeln – so auch die Korrespondenz mit dem Wall Street Journal. Ich fragte mich, ob er wohl wusste, dass Trions Computer alle E-Mails erfassten, die durch die Fiberglaskabel der Firma liefen, sei es nun über Yahoo, Hotmail oder wen auch immer.

Mein neuer Freund in der Information Technology, der anzunehmen schien, dass er Goddard einen persönlichen Gefallen erwies, verschaffte mir ein Verzeichnis aller ein- und ausgehenden Telefongespräche aus dem Büro des CFO. Kein Problem, meinte er. Natürlich zeichnete die Firma nicht die Gespräche auf, speicherte aber wohl alle betreffenden Telefonnummern; das war ganz normale Firmenpraxis. Er meinte, er könne mir sogar die Aufzeichnungen aller Voicemails besorgen. Aber das würde etwas dauern.

Die Ergebnisse hatte ich innerhalb einer Stunde auf dem Tisch. Es war alles da. Camilletti hatte in den vergangenen zehn Tagen ein paar Anrufe von dem Journal-Typ erhalten. Aber weitaus belastender war die Tatsache, dass er den Typen selbst ein paar Mal angerufen hatte. Ein, zwei Gespräche hätte er wohl als Versuch erklären können, den Reporter zurückzurufen – auch wenn er behauptet hatte, nie mit ihm gesprochen zu haben.

Aber zwölf Anrufe, von denen einige fünf, sechs Minuten dauerten? Das sah nicht gut aus.

Und dann kamen die Kopien der E-Mails. »Von nun an«, schrieb Camilletti, »rufen Sie mich nur noch zu Hause an. Rufen Sie mich NICHT bei Trion an, UNTER KEINEN UMSTÄNDEN. E-Mails sollten nur noch über diese Hotmail-Adresse laufen.«

Das erklär mal, Killer.

Mann, ich konnte es kaum erwarten, Goddard mein kleines Dossier zu zeigen, aber er steckte vom Vormittag bis zum späten Nachmittag in Konferenzen – Konferenzen übrigens, zu denen ich nicht gebeten worden war.

Erst als ich sah, dass Camilletti Goddards Büro verließ, hatte ich meine Chance.

Paranoia
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