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Ich hoffe, es ist wichtig, Kumpel«, sagte Seth. »Es ist schon nach Mitternacht.«

»Das ist es. Garantiert.«

»Tja, du rufst nur noch an, wenn du was von mir willst. Oder jemand gestorben ist.«

Das sagte er nur halb im Spaß. Es stimmte schon, er hatte alles Recht, auf mich sauer zu sein. Seit ich bei Trion angefangen hatte, hatte ich mich kaum mehr bei ihm gemeldet. Er hingegen war für mich da gewesen, als Dad starb, und auch während der ganzen Beerdigung. Er war mir ein viel besserer Freund gewesen als ich ihm.

Wir trafen uns eine Stunde später in einem durchgehend geöffneten Dunkin’ Donuts in der Nähe von Seths Wohnung. Außer ein paar Pennern war kaum jemand da. Seth trug immer noch seine alte Diesel-Jeans und ein Dr.-Dre-World-Tour-T-Shirt.

Er starrte mich an. »Was ist denn mit dir passiert?«

Diesmal enthielt ich ihm keine der grausigen Einzelheiten vor – wozu auch?

Zuerst dachte er, ich würde spinnen, aber nach und nach erkannte er, dass ich die Wahrheit sagte, und sein Gesichtsausdruck wechselte von amüsierter Skepsis über gebanntes Entsetzen bis zu echtem Mitleid.

»O Mann«, sagte er, als ich meine Geschichte zu Ende erzählt hatte. »Du bist ja so fertig.« Er bedachte mich mit einem Blick, der genauso gut auch einem schrecklichen Autounfall hätte gelten können.

Ich lächelte traurig und nickte. »Ich bin am Arsch«, bestätigte ich.

»Das meinte ich nicht.« Er klang gereizt. »Du hast wirklich bei dieser Scheiße mitgemacht.«

»Ich habe nicht mitgemacht.«

»Doch, du Arsch. Du hattest die Wahl.«

»Die Wahl?«, gab ich zurück. »Welche Wahl? Ins Gefängnis zu gehen?«

»Du hast den Deal, den man dir anbot, angenommen, Mann. Sie hatten deine Eier im Schraubstock, und du hast nachgegeben.«

»Welche Möglichkeit hätte ich sonst gehabt?«

»Für so was sind Anwälte da, du Arsch. Du hättest es mir erzählen können, ich hätte einen der Typen, für die ich arbeite, dazu gebracht, dir zu helfen.«

»Wie denn helfen? Ich hab doch am Anfang das Geld unterschlagen.«

»Du hättest einen der Anwälte in die Firma schicken, ihnen Angst machen und drohen können, an die Öffentlichkeit zu gehen.«

Einen Augenblick lang sagte ich gar nichts. Irgendwie bezweifelte ich, dass es wirklich so einfach gewesen wäre. »Tja, jedenfalls ist es jetzt dafür zu spät. Außerdem hätten sie alles abgestritten. Selbst wenn einer aus deiner Kanzlei sich bereit erklärt hätte, mich zu vertreten, hätte Wyatt die gottverdammte amerikanische Anwaltskammer auf mich gehetzt.«

»Vielleicht. Vielleicht hätte er das Ganze aber auch unter Verschluss halten wollen. Möglicherweise wärst du damit durchgekommen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ich verstehe«, sagte Seth voller Sarkasmus. »Also hast du stattdessen gebuckelt und die Sache übernommen. Du hast bei ihrem illegalen Plan mitgemacht, bist willig ihr Spion geworden und hast dir damit selbst eine Haftstrafe garantiert –«

»Was meinst du mit ›dir selbst eine Haftstrafe garantiert‹?«

»Und dann, nur um deinen kranken Ehrgeiz zu nähren, hast du den einzigen Typ in ganz Amerika getäuscht, der dir je eine Chance gegeben hat.«

»Danke«, sagte ich verbittert, obwohl ich ganz genau wusste, dass er Recht hatte.

»Du verdienst schon, was du bekommst.«

»Danke für deine Hilfe und die moralische Unterstützung, mein Freund.«

»Sehen wir es doch mal so, Adam: In deinen Augen mag ich ja ein Versager sein, aber zumindest bin ich ein ehrlicher Versager. Und was bist du? Ein Betrüger durch und durch. Weißt du, wie du bist? Wie die verdammte Rosie Ruiz

»Häh?«

»Sie gewann vor etwa zwanzig Jahren den Marathon in Boston, setzte einen neuen Frauenweltrekord. Fast gespenstisch mühelos. Es stellte sich heraus, dass sie eine halbe Meile vor der Ziellinie ausstieg. Und die verdammte U-Bahn nahm. So bist du, Mann. Die Rosie Ruiz der amerikanischen Wirtschaft.«

Ich saß da, während mein Gesicht immer röter und heißer wurde und ich mich immer elender fühlte. Schließlich sagte ich: »Bist du fertig?«

»Fürs Erste ja.«

»Gut«, sagte ich. »Denn ich brauche deine Hilfe.«

Paranoia
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