71

Die Typen vom Bestattungsinstitut waren innerhalb einer Stunde da, verstauten seine Leiche in einer Plastikhülle und brachten sie auf einer Bahre weg. Es waren freundliche, kräftige Männer mit kurz geschorenen Haaren, und beide sagten: »Mein herzliches Beileid.« Ich rief den Leiter des Bestattungsinstituts von meinem Handy aus an und besprach benommen mit ihm, was als Nächstes passieren würde. Er sagte ebenfalls: »Mein herzliches Beileid.« Dann wollte er wissen, ob irgendwelche älteren Verwandten von außerhalb kämen, wann die Beerdigung stattfinden sollte und ob mein Vater in eine bestimmte Kirche gegangen sei, in der auch die Feier stattfinden sollte. Er fragte, ob es ein Familiengrab gäbe. Ich teilte ihm mit, wo meine Mom beerdigt war, und sagte, ich sei ziemlich sicher, dass Dad zwei Grabstätten gekauft hätte, eine für sie und eine für ihn. Er sagte, er würde sich mit dem Friedhof in Verbindung setzen, und fragte, wann ich zu ihnen kommen und die letzten Vorbereitungen besprechen wollte.

Ich setzte mich in die Wartezone der Notaufnahme und rief im Büro an. Jocelyn hatte schon gehört, dass es einen Notfall mit meinem Vater gegeben hatte, und fragte: »Wie geht es Ihrem Vater?«

»Er hat es nicht mehr geschafft«, sagte ich. So hatte mein Dad es immer ausgedrückt: Die Leute starben nicht, sie ›schafften es nicht mehr‹.

»Oh«, rief Jocelyn aus. »Adam, es tut mir so Leid.«

Ich bat sie, meine Termine für die nächsten Tage abzusagen, und wollte dann mit Goddard verbunden werden. Flo nahm ab und sagte: »Hallo. Der Boss ist nicht da – er fliegt heute Abend nach Tokio.« Dann fragte sie mit gedämpfter Stimme: »Wie geht es Ihrem Vater?«

»Er hat es nicht mehr geschafft.« Rasch fuhr ich fort: »Ich werde wohl die nächsten Tage nicht kommen können und wollte, dass Sie mich im Voraus bei Jock entschuldigen –«

»Natürlich«, sagte sie. »Natürlich. Mein Beileid. Ich bin sicher, er kommt vor dem Flug noch mal vorbei, aber ich weiß, er wird es verstehen, keine Sorge.«

Antwoine kam in die Wartezone. Er wirkte fehl am Platz, verloren. »Was soll ich jetzt tun?«, fragte er leise.

»Nichts, Antwoine«, sagte ich.

Er zögerte. »Möchten Sie, dass ich sofort mein Zimmer räume?«

»Aber nein. Lassen Sie sich Zeit.«

»Es ist nur so, dass es so plötzlich kam, und ich habe sonst nichts, wo ich hin –«

»Bleiben Sie in der Wohnung, so lange Sie mögen«, sagte ich.

Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß zum anderen. »Wissen Sie, er hat schon von Ihnen gesprochen«, sagte er.

»Oh, klar«, antwortete ich. Offenbar hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er gesagt hatte, dass Dad am Schluss nicht nach mir gefragt hatte. »Das weiß ich doch.«

Er lachte leise und weich. »Nicht immer besonders positiv, aber ich glaube, so zeigte er nun mal seine Liebe, wissen Sie?«

»Ich weiß.«

»Ihr Vater war ein zäher, alter Bastard.«

»Ja.«

»Sie wissen ja, wir brauchten etwas Zeit, um miteinander klarzukommen.«

»Er war ziemlich gemein zu Ihnen.«

»Das war eben so seine Art. Ich nahm mir nichts davon an.«

»Sie haben sich um ihn gekümmert«, sagte ich. »Das hat ihm viel bedeutet, auch wenn er es nicht zeigen konnte.«

»Ich weiß, ich weiß. Am Ende hatten wir eine Art Beziehung.«

»Er mochte sie.«

»Das weiß ich nicht, aber wir hatten eine Beziehung.«

»Nein, ich glaube wirklich, er mochte sie. Ich weiß es.«

Er schwieg einen Moment. »Er war ein guter Mann, wissen Sie.«

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. »Sie sind wirklich großartig mit ihm umgegangen, Antwoine«, meinte ich schließlich. »Ich weiß, das bedeutete ihm viel.«

Es ist komisch: Nachdem ich am Bett meines Vaters in Tränen ausgebrochen war, verschloss sich etwas in mir. Ich weinte nicht mehr, jedenfalls eine ganze Weile nicht. Ich fühlte mich wie ein eingeschlafener Arm, der ganz schlaff und kribblig ist, nachdem man die ganze Nacht auf ihm gelegen hat.

Auf der Fahrt zum Bestattungsinstitut rief ich Alana auf der Arbeit an, erreichte aber nur ihre Voicemail, die mir beschied, sie wäre ›nicht im Haus‹, würde aber regelmäßig ihre Nachrichten abfragen. Mir fiel wieder ein, dass sie in Palo Alto war. Also wählte ich die Nummer ihres Handys, und sie ging sofort dran.

»Alana hier.« Ich liebte ihre Stimme: Sie war samtweich, mit einem rauchigen Touch.

»Hier ist Adam.«

»Hey, du Blödmann.«

»Was habe ich getan?«

»Findest du nicht, man sollte ein Mädchen am Morgen, nachdem man mit ihr geschlafen hat, anrufen, damit sie sich nicht so schlecht fühlt, sich derart gehen gelassen zu haben?«

»Gott, Alana, ich –«

»Manche schicken sogar Blumen«, fuhr sie geschäftsmäßig fort. »Nicht, dass mir das je persönlich passiert wäre, aber ich habe in der Cosmopolitan davon gelesen.«

Sie hatte natürlich Recht: Ich hatte sie nicht angerufen, was wirklich unhöflich war. Aber was hätte ich ihr sagen sollen, etwa die Wahrheit? Dass ich sie nicht angerufen hatte, weil ich erstarrt war wie eine Fliege in Bernstein und nicht wusste, was ich machen sollte? Dass ich mein Glück nicht fassen konnte, eine Frau wie sie gefunden zu haben – sie war eine Droge, der ich verfallen war –, und mich doch fühlte wie ein kompletter, gemeiner Betrüger? Jah, dachte ich, du hast in der Cosmopolitan gelesen, wie Männer Frauen benutzen, aber du hast ja keine Ahnung!

»Wie läuft’s in Palo Alto?«

»Ganz gut, aber so einfach lasse ich dich nicht das Thema wechseln.«

»Alana«, sagte ich, »hör mir zu. Ich wollte dir sagen – ich habe schlechte Neuigkeiten. Mein Vater ist eben gestorben.«

»Oh, Adam. Ach, das tut mir ja so Leid. O Gott, ich wünschte, ich wäre bei dir.«

»Ich auch.«

»Kann ich was für dich tun?«

»Nichts, mach dir keine Gedanken.«

»Weißt du schon … wann die Beerdigung ist?«

»In ein paar Tagen.«

»Ich bin hier bis Donnerstag. Adam, es tut mir so Leid.«

Als Nächstes rief ich Seth an, der fast dasselbe sagte: »Oh, Mann, Kumpel, es tut mir so Leid. Kann ich was für dich tun?« Die Leute sagen das immer, und es ist ja auch nett, aber irgendwann fragt man sich, was könnte man schon tun, oder nicht? Schließlich wollte ich ja keinen Schmortopf. Ich wusste nicht, was ich wollte.

»Nichts, ehrlich.«

»Komm schon, ich kann ein paar Tage freimachen. Kein Problem.«

»Nein, ist schon okay, danke, Mann.«

»Gibt es eine Beerdigung und so?«

»Ja, wahrscheinlich. Ich ruf dich an.«

»Gib auf dich Acht, Kumpel, ja?«

Als ich das Gespräch gerade beendet hatte, klingelte das Handy. Meacham sagte weder ›Hallo‹ oder sonst was zur Begrüßung. Seine ersten Worte lauteten: »Wo zum Teufel haben Sie gesteckt?«

»Mein Vater ist gerade gestorben. Vor etwa einer Stunde.«

Langes Schweigen. »Meine Güte«, sagte er dann. Dann fügte er unbeholfen, als wäre es ihm gerade eingefallen, hinzu: »Tut mir Leid, das zu hören.«

»Yep«, sagte ich.

»Ganz schlechtes Timing.«

»Yep«, sagte ich, dann loderte Wut in mir hoch: »Ich hab ihm gesagt, er solle noch warten.« Und drückte den Aus-Knopf.

Paranoia
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