20
Etwa eine Viertelstunde nach dem Meeting tauchte Mordden an meinem Arbeitsplatz auf.
»Tja, ich bin beeindruckt«, sagte er.
»Ach ja?«, fragte ich nicht gerade begeistert.
»Absolut. Sie haben mehr Rückgrat, als ich dachte. Ihrer Vorgesetzten, der grausigen Nora, bei ihrem Lieblingsprojekt den Kampf anzusagen …« Er schüttelte den Kopf. »So was nenne ich ›kreative Spannungen‹. Aber man sollte Ihnen die Konsequenzen Ihres Tuns nicht vorenthalten. Einen Affront vergisst Nora nie. Denken Sie immer daran, dass die skrupellosesten Wärter in den Konzentrationslagern der Nazis Frauen waren.«
»Danke für den Rat«, sagte ich.
»Sie sollten auf winzige Anzeichen für Noras Missfallen achten. Wenn sich zum Beispiel leere Kartons neben Ihrem Schreibtisch stapeln. Oder Sie nicht mehr in der Lage sind, sich in Ihren Computer einzuloggen. Oder wenn die Personalabteilung Ihren Firmenausweis zurückhaben will. Aber keine Sorge, Sie bekommen ein gutes Zeugnis, und der Umzugsservice bei Trion ist gratis.«
»Ich verstehe. Danke.«
Ich bemerkte, dass ich eine Voicemail hatte. Als Mordden ging, griff ich zum Telefonhörer.
Es war eine Nachricht von Nora Sommers, die mich bat – nein, mir befahl –, unverzüglich in ihr Büro zu kommen.
Als ich dort eintraf, gab sie etwas in ihren Computer ein. Sie warf mir einen raschen, eidechsenähnlichen Seitenblick zu und wandte sich dann wieder zu ihrer Tastatur. In der Art ignorierte sie mich volle zwei Minuten. Ich stand dort unbeholfen herum. Ihr Gesicht rötete sich schon wieder – fast tat sie mir Leid, dass ihre Haut sie so leicht verriet.
Schließlich sah sie auf und wirbelte mit ihrem Stuhl herum, um mich zu fixieren. Ihre Augen glitzerten, doch nicht etwa aus Kummer. Es lag etwas anderes, fast Wildes in ihnen.
»Hören Sie, Nora«, sagte ich zögernd. »Ich möchte mich entschuldigen –«
Sie sprach so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Jetzt hören Sie mal zu, Adam. Sie haben heute schon genug gesagt.«
»Ich war ein Idiot –«, setzte ich wieder an.
»Derartige Bemerkungen in Anwesenheit von Camilletti, von Mister Bottom Line, Mister Profit Margin zu äußern … Wegen Ihnen musste ich ernsthaft Schadensbegrenzung betreiben.«
»Ich hätte meinen Mund halten –«
»Sie versuchen, meine Autorität zu untergraben«, sagte sie, »Sie wissen nicht, mit wem Sie es zu tun haben.«
»Wenn ich gewusst hätte«, versuchte ich es wieder.
»Fangen Sie erst gar nicht so an. Phil Bohjalian hat mir erzählt, dass er vor dem Meeting bei Ihnen vorbeigegangen ist und gesehen hat, wie Sie fieberhaft im Internet Informationen über GoldDust gesucht haben. So viel also zu Ihrer ›beiläufigen‹, ›spontanen‹ Ablehnung dieser wichtigen Technologie. Ich will Ihnen mal eines sagen, Mr. Cassidy. Sie halten sich wegen Ihrer Leistungen bei Wyatt vielleicht für was ganz Tolles, aber ich würde es mir hier bei Trion nicht zu leicht machen. Wenn Sie nicht auf den Zug springen, wird er Sie überrollen. Und noch eins: Ich sitze in der Lok.«
Ein paar Sekunden lang stand ich nur da, während sie mich mit ihren weit auseinander liegenden Raubtieraugen durchbohrte. Schließlich blickte ich kurz zu Boden und dann wieder zu ihr. »Ich habe großen Mist gebaut«, sagte ich, »und ich schulde Ihnen eine riesige Entschuldigung. Offensichtlich habe ich die Situation falsch eingeschätzt und mich wahrscheinlich auch von meinen alten Vorurteilen aus der Zeit bei Wyatt Telecom hinreißen lassen, aber das macht es auch nicht besser. Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Es wird auch keine Gelegenheit mehr dazu geben«, antwortete sie ruhig. Sie war härter zu knacken als alle martialischen Streifenpolizisten, die mich je an den Randstreifen gewunken hatten.
»Ich verstehe«, sagte ich. »Und wenn mir irgendjemand gesagt hätte, dass die Entscheidung schon gefällt ist, hätte ich sicher meinen großen Mund gehalten. Wahrscheinlich habe ich angenommen, ihr hier bei Trion hättet schon von der Sache mit Sony gehört, das ist alles. Mein Fehler.«
»Sony?«, sagte sie. »Was meinen Sie mit ›der Sache mit Sony‹?«
Wyatts Scouts hatten ihm diese Information besorgt, und er hatte sie mir verraten, damit ich sie in einem strategischen Moment einsetzen konnte. Ich fand, dass es durchaus ein strategischer Moment war, wenn es darum ging, meinen Arsch zu retten. »Sie wissen schon, dass sie den Plan aufgegeben haben, GoldDust in all ihre neuen Handhelds zu integrieren.«
»Warum?«, fragte sie argwöhnisch.
»Die neueste Version von Microsoft Office wird damit nicht kompatibel sein. Sony rechnet sich also aus, dass sie Millionen von Dollars verlieren, wenn sie GoldDust integrieren, daher setzen sie auf BlackHawk, das drahtlose Transferprotokoll, mit dem Microsoft Office kompatibel sein wird.«
»Ach ja?«
»Absolut.«
»Und da sind Sie sich ganz sicher? Ihre Quellen sind absolut vertrauenswürdig?«
»Absolut, einhundert Prozent. Darauf würde ich mein Leben verwetten.«
»Ihre Karriere auch?« Ihre Augen bohrten sich in meine.
»Das habe ich doch wohl gerade getan.«
»Sehr interessant«, sagte sie. »Äußerst interessant, Adam. Danke.«