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Der Leiter des Bestattungsinstituts war derselbe Mann, der sich auch schon um die Beerdigung meiner Mutter gekümmert hatte. Er war ein warmherziger, freundlicher Typ mit Haaren, die einen Touch zu schwarz waren, und einem großen, borstigen Schnurrbart. Er hieß Frank – ›genau wie Ihr Vater‹, wie er sagte. Er führte mich in das Institut, das mit seinen Orientteppichen, der dunklen Einrichtung und den Räumen, die von einem zentralen Korridor abgingen, wie ein zu spärlich möbliertes Vororthaus wirkte. Sein Büro war klein und dunkel mit ein paar altmodischen Aktenschränken aus Metall und einigen gerahmten Drucken von Schiffen und Landschaften. An dem Mann wirkte nichts falsch, er schien wirklich mit mir mitzufühlen. Frank sprach ein wenig darüber, wie hart der Tod seines eigenen Vaters sechs Jahre zuvor für ihn gewesen sei. Er bot mir eine Schachtel Kleenex an, aber ich brauchte sie nicht. Dann machte er sich Notizen für die Todesanzeige – im Stillen fragte ich mich, wer sie lesen und ob es überhaupt jemanden interessieren würde – und wir einigten uns auf den Wortlaut. Ich hatte Schwierigkeiten, mich an den Namen von Dads älterer Schwester zu erinnern, die ebenfalls tot war, und auch die Namen seiner Eltern, die ich höchstens zehnmal in meinem Leben gesehen und nur ›Grandpa‹ und ›Grandma‹ genannt hatte, wollten mir nicht einfallen. Dad hatte ein gespanntes Verhältnis zu seinen Eltern gehabt, also hatten wir sie nur selten besucht. Über Dads langes und kompliziertes Arbeitsleben war ich mir nicht ganz sicher, vergaß wohl auch die eine oder andere Schule, wo er angestellt war, aber das Wesentliche bekam ich doch hin.
Als Frank nach Dads Militärdienst fragte, wusste ich nur noch, dass er auf irgendeiner Militärbasis seine Grundausbildung absolviert hatte und dann nie irgendwo eingesetzt worden war. Er hasste die Armee leidenschaftlich. Frank fragte, ob ich eine Fahne auf seinem Sarg haben wollte, wozu Dad als Veteran berechtigt war, aber ich lehnte ab, weil Dad keine Fahne auf seinem Sarg hätte haben wollen. Er hätte darüber geschimpft, hätte so etwas gesagt wie: »Wer zum Teufel glaubst du bin ich, John F. Kennedy bei einem Staatsbegräbnis?« Weiter fragte er, ob der Zapfenstreich gespielt werden sollte, wozu Dad ebenfalls ein Anrecht hatte, und er erklärte, dass dies heutzutage kein echter Trompeter mehr spiele, sondern ein Kassettenrekorder neben dem Grab. Ich sagte nein, Dad hätte auch keinen Zapfenstreich gewollt. Ich erklärte, ich wollte, dass die Beerdigung und alles so schnell, wie er es arrangieren könne, über die Bühne ginge. Ich wollte es hinter mich bringen.
Frank rief in der katholischen Kirche an, wo wir Moms Totenmesse hatten lesen lassen, und bekamen für zwei Tage später einen Termin. Soweit ich wusste, kamen keine Verwandten von außerhalb. Die einzigen noch lebenden Verwandten waren ein paar Cousins und eine Tante, mit der er nie Kontakt gehabt hatte. Es gab ein paar Typen, die man wohl als seine Freunde hätte bezeichnen können, auch wenn er seit Jahren nicht mehr mit ihnen gesprochen hatte; sie alle wohnten in derselben Stadt. Frank fragte, ob Dad einen Anzug hätte, in dem ich ihn beerdigen wollte. Ich sagte, das wäre möglich, ich würde nachsehen.
Dann führte er mich hinunter zu den Räumlichkeiten, wo die Särge ausgestellt wurden. Sie alle sahen groß und protzig aus, und Dad hätte sich mit Sicherheit über sie lustig gemacht. Ich weiß noch, dass er mal nach Moms Tod über die Bestattungsbranche gewettert hatte, das Ganze wäre ein einziger Beschiss, und man würde lächerlich hohe Preise für Särge verlangen, die ohnehin vergraben würden, was das Ganze also sollte, und außerdem hätte er gehört, es wäre üblich, dass die teuren Särge, wenn man nicht hinsah, gegen billige aus Kiefernholz ausgetauscht würden. Ich wusste, dass das nicht stimmte – ich hatte gesehen, dass Moms Sarg ins Grab gesenkt und dass Erde darauf geschaufelt wurde, ich glaube nicht, dass da irgendeine Betrügerei möglich war, es sei denn, man wäre mitten in der Nacht wiedergekommen und hätte den Sarg ausgegraben, was ich bezweifle.
Wegen dieses Verdachts – das behauptete er zumindest – hatte Dad einen der billigsten Särge für Mom ausgesucht, Kiefer, die so gebeizt worden war, dass sie wie Mahagoni aussah. »Glaub mir«, sagte er zu mir im Bestattungsinstitut, nachdem Mom gestorben war und ich mir die Augen ausheulte, »deine Mutter hielt nichts von Geldverschwendung.«
Aber das würde ich ihm nicht antun, auch wenn er tot war und nie etwas davon erfahren würde. Ich fuhr einen Porsche, wohnte in einer riesigen Wohnung in den Harbor Suites und konnte es mir leisten, für meinen Vater einen schönen Sarg zu kaufen. Mit dem Geld, das ich durch die Arbeit verdiente, über die er ständig hergezogen hatte. Ich suchte mir einen elegant wirkenden aus Mahagoni mit einem so genannten ›Memory-Safe‹ aus, einem Fach im Innern, in das man etwas Persönliches von dem Verblichenen unterbringen konnte.
Ein paar Stunden später fuhr ich nach Hause, kroch in mein noch nie gemachtes Bett und schlief ein. Später fuhr ich hinüber zu Dads Wohnung und ging seinen Schrank durch, der schon lange Zeit nicht mehr geöffnet worden war, und fand einen billig aussehenden blauen Anzug, in dem ich ihn noch nie gesehen hatte. Auf jeder Schulter hatte der Staub einen Streifen hinterlassen. Ich fand auch ein weißes Hemd, aber keine Krawatte – ich glaube, so etwas hatte er nie angezogen – aber ich beschloss, ihm eine von meinen zu geben. Dann sah ich mich in der Wohnung nach etwas um, das er möglicherweise gerne bei sich gehabt hätte. Vielleicht ein Päckchen Zigaretten.
Ich hatte befürchtet, es würde hart werden, seine Wohnung aufzusuchen, und dass ich vielleicht wieder weinen musste. Aber es war bloß tieftraurig zu sehen, wie wenig der alte Knabe hinterlassen hatte – den schwachen Geruch nach Zigaretten, den Rollstuhl, den Inhalator, den Barcalounger. Nach einer quälenden halben Stunde, in der ich seine Sachen durchsuchte, gab ich auf und beschloss, überhaupt nichts in den ›Memory-Safe‹ zu stecken. Ich würde ihn leer lassen, sehr symbolisch. Warum nicht.
Als ich wieder zu Hause war, nahm ich eine meiner Krawatten, die mir nicht gefielen, eine blauweiß gestreifte aus Ripp, die düster genug aussah und mir nicht fehlen würde. Ich hatte keine Lust, noch mal zum Beerdigungsinstitut zu fahren, also brachte ich sie nach unten zum Empfang und bat darum, sie zuzustellen.
Am nächsten Tag war die Totenwache. Ich kam etwa zwanzig Minuten vor Beginn im Bestattungsinstitut an. Dort war es fast kalt, und es roch nach Raumdeo. Frank fragte, ob ich Dad allein die ›letzte Ehre erweisen wollte‹, und ich sagte: Natürlich. Er wies zu einem der Räume, die von dem Mittelflur abgingen. Als ich hineinging und den offenen Sarg erblickte, durchfuhr es mich wie ein elektrischer Schlag. Dad lag dort in seinem billigen blauen Anzug, meiner gestreiften blauen Krawatte und hatte die Hände über der Brust gefaltet. Ich spürte einen Kloß im Hals, aber das verging rasch, und ich hatte nicht den Drang zu weinen, was seltsam war. Ich fühlte mich einfach nur leer.
Er sah kein bisschen echt aus, aber das sehen sie auch nie, wirklich. Frank oder wer auch immer sich darum gekümmert hatte, hatte keine schlechte Arbeit geleistet – er hatte weder zu viel Rouge aufgelegt noch sonst was übertrieben – aber trotzdem sah Dad aus wie eine Puppe aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, wenn auch eine der besseren. Der Geist verlässt den Körper, und es gibt nichts, womit der Leichenbestatter ihn wieder zurückbringen könnte. Sein Gesicht hatte eine falsche wirkende ›Fleischfarbe‹. Es schien auch unauffälliger brauner Lippenstift auf seinem Mund zu sein. Er wirkte nicht mehr ganz so wütend wie im Krankenhaus, aber es war ihnen nicht gelungen, ihn friedlich aussehen zu lassen. Ich schätze, sie konnten nichts weiter tun, als die Falten auf seiner Stirn zu glätten. Seine Haut war jetzt kalt und viel wächserner, als sie sich im Krankenhaus angefühlt hatte. Ich zögerte einen Moment, bevor ich seine Wange küsste; es fühlte sich seltsam an, unnatürlich und unhygienisch.
Ich stand dort und blickte auf seine fleischliche Hülle, seine abgeworfene Haut, die Hülse, die einst die geheimnisvolle und Furcht erregende Seele meines Vaters enthalten hatte. Und ich fing an, zu ihm zu reden, so, wie wohl jeder Sohn mit seinem verstorbenen Vater redet. »Tja, Dad«, sagte ich, »jetzt bist du endlich weg. Wenn es wirklich ein Leben nach dem Tod gibt, hoffe ich, du bist dort glücklicher, als du es hier warst.«
Dann tat es mir um ihn Leid, und ich glaube, dazu war ich, als er noch lebte, nie in der Lage. Ich erinnerte mich an einzelne Gelegenheiten, wo er wirklich glücklich wirkte, als ich noch viel jünger war und er mich auf seinen Schultern trug. Einmal hatte eine seiner Mannschaften eine Meisterschaft gewonnen. Dann, als er in der Bartholomew Browning angestellt wurde. An ein paar Gelegenheiten wie diese. Aber er lächelte selten, meistens war sein Lachen verbittert. Vielleicht hatte er Antidepressiva gebraucht, vielleicht war das sein Problem, aber ich bezweifelte es. »Ich habe dich nicht besonders gut verstanden, Dad«, sagte ich. »Aber ich habe es wirklich versucht.«
In den drei Stunden tauchte kaum jemand auf. Es kamen ein paar meiner Kumpel von der Schule, ein, zwei mit ihren Frauen, und zwei Freunde vom College. Dads alte Tante Irene kam eine Weile und sagte: »Dein Vater hatte großes Glück, dich zum Sohn zu haben.« Sie sprach mit schwachem irischem Akzent und hatte übertrieben viel Altfrauenparfüm aufgelegt. Seth kam früh und ging spät, leistete mir Gesellschaft. Er erzählte mir Geschichten von Dad, um mich zum Lachen zu bringen, berühmte Anekdoten aus seinen Zeiten als Trainer, Geschichten, die bei meinen Freunden und in der Bartholomew Browning bereits Legenden geworden waren. Einmal nahm er einen Filzmarker und zog einen Strich mitten über den Gesichtsschutz eines Jungen, eines großen, gutmütigen Trottels namens Pelly. Dann führte er den Strich über das Trikot hinunter bis zu den Schuhen und danach in einer geraden Linie über das ganze Spielfeld, obwohl der Stift keine Spuren auf dem Gras hinterließ. Als er fertig war, sagte er: »Du rennst da lang, Pelly, hast du das verstanden? Da lang musst du rennen.«
Ein anderes Mal hatte er Auszeit gerufen, war zu einem Footballspieler namens Steve gegangen, hatte sein Visier gepackt und gesagt: »Bist du dämlich, Steve?« Und ohne auf eine Antwort zu warten, hatte er das Visier rauf- und runtergerissen, dass Steves Kopf nickte wie bei einer Handpuppe. »Ja, das bin ich, Trainer«, hatte er quäkend Steves Stimme imitiert. Der Rest der Mannschaft fand das komisch, und die meisten von ihnen lachten. »Ja, ich bin dämlich.«
Und dann hatte er einmal während eines Hockeyspiels eine Auszeit genommen und einen Jungen namens Resnick angebrüllt, weil der gefoult hatte. Er packte sich Resnicks Hockeyschläger und sagte. »Mr. Resnick, wenn ich Sie noch einmal hakeln sehe« – und dann stieß er Resnick den Schläger in den Magen, woraufhin der sich sofort übergab – »oder schlagen« – und er stieß ihm erneut den Schläger in den Magen – »dann zerquetsche ich Sie zu Mus.« Und Resnick hatte Blut gespuckt und danach weitergewürgt, obwohl nichts mehr kam. Da hatte niemand gelacht.
»Ja«, sagte ich, »er war schon ein komischer Typ, nicht?« Mittlerweile wollte ich, dass Seth aufhörte, was er glücklicherweise auch tat.
Bei der Totenmesse am nächsten Morgen saß Seth auf der einen Seite neben mir auf der Kirchenbank und Antwoine auf der anderen. Der Priester, ein distinguierter Typ mit silbernem Haar, der aussah wie ein Fernsehpfarrer, hieß Pater Joseph Iannucci. Vor der Messe nahm er mich beiseite und stellte mir ein paar Fragen über Dad – seinen ›Glauben‹, wie er gewesen sei, wie er seinen Lebensunterhalt verdient und ob er Hobbys gehabt hätte, so was in der Art. Ich wusste nicht viel zu sagen.
Es waren vielleicht zwanzig Personen in der Kirche, einige von ihnen normale Kirchgänger, die nicht wegen der Totenmesse gekommen waren und Dad nicht kannten. Die anderen waren Freunde von mir aus der Highschool und vom College, ein paar aus unserer Nachbarschaft und eine alte Dame, die direkt nebenan gewohnt hatte. Dann war da einer von Dads ›Freunden‹, ein Typ, der mit Dad in einem gemeinnützigen Verein gearbeitet hatte, bevor Dad in einem Wutanfall über irgendeine Nichtigkeit dort ausgetreten war. Er hatte noch nicht mal gewusst, dass Dad krank gewesen war. Dann waren da noch ein paar ältere Cousins, die ich kaum kannte.
Seth und ich waren mit ein paar anderen Typen von der Kirche und vom Beerdigungsinstitut die Sargträger. Am Altar stand ein großer Blumenstrauß – ich hatte keine Ahnung, wie der da hingekommen war, ob jemand ihn geschickt oder ob das Beerdigungsinstitut dafür gesorgt hatte.
Die Totenmesse war eine dieser unglaublich langen Angelegenheiten, wo man ständig aufstehen, sich wieder hinsetzen oder gar hinknien muss. Wahrscheinlich, um nicht einzuschlafen. Ich fühlte mich erschöpft, benommen, irgendwie traumatisiert. Pater Iannucci nannte Dad ›Francis‹ und einige Male sogar bei seinem vollen Namen ›Francis Xavier‹, als wolle er damit sagen, Dad sei ein frommer Katholik gewesen und kein ungläubiger Mann, dessen einzige Verbindung zum Herrn darin bestand, Seinen Namen unnütz zu führen. Er sagte: »Wir sind traurig, dass Francis von uns gegangen ist, wir betrauern sein Hinscheiden, aber wir glauben, dass er nun bei Gott ist, an einem besseren Ort und nun wie Jesus auferstanden ist.« Er sagte: »Francis’ Tod ist nicht das Ende. Wir können immer noch mit ihm in Verbindung treten.« Er fragte: »Warum musste Francis so viel in den letzten Monaten leiden?«, und beantwortete diese Frage mit einem Hinweis auf Jesus’ Leiden, sagte: «Jesus wurde durch sein Leiden weder besiegt noch geschlagen.« Ich konnte ihm nicht ganz folgen, hörte aber auch nicht wirklich zu. Ich hatte mich ausgeblendet.
Als es vorbei war, umarmte mich Seth, dann zerquetschte Antwoine mir die Hand und drückte mich, und ich sah überrascht, dass dem riesigen Kerl eine Träne über die Wange rollte. Ich hatte während der gesamten Messe nicht geweint; ich hatte den ganzen Tag nicht geweint. Ich fühlte mich wie betäubt. Vielleicht war mir nicht mehr zu helfen.
Tante Irene kam tatternd auf mich zu und nahm meine Hand in ihre weichen, mit Altersflecken besprenkelten Hände. Ihr grellroter Lippenstift war etwas verwackelt. Ihr Parfüm war so aufdringlich, dass ich die Luft anhalten musste. »Dein Vater war ein guter Mann«, sagte sie. Sie schien etwas an meiner Miene abzulesen, einen Anflug von Skepsis, den ich nicht hatte zeigen wollen, denn sie fügte hinzu: »Was Gefühle betrifft, war es nicht gerade leicht mit ihm, ich weiß. Er hatte Schwierigkeiten, sie auszudrücken. Aber ich weiß, er hat dich geliebt.«
Okay, wenn du darauf bestehst, dachte ich, lächelte und dankte ihr. Dads Freund vom gemeinnützigen Verein, ein grobschlächtiger Mann etwa in Dads Alter, der aber zwanzig Jahre jünger aussah, nahm meine Hand und sagte: »Mein Beileid.« Selbst Jonesie, der Lagerarbeiter von Wyatt Telecom, tauchte mit seiner Frau Esther auf. Beide sprachen mir ihr Beileid aus.
Ich verließ die Kirche und wollte gerade in die Limousine steigen, um dem Leichenwagen zum Friedhof zu folgen, da sah ich einen Mann auf einer der hinteren Kirchenbänke sitzen. Er war einige Zeit nach Beginn der Messe gekommen, aber ich hatte im dämmrigen Licht der Kirche und auf die Entfernung sein Gesicht nicht erkennen können.
Der Mann drehte sich um und sah mich an.
Es war Goddard.
Ich konnte es nicht glauben. Erstaunt und gerührt ging ich langsam zu ihm. Ich lächelte und dankte ihm für sein Kommen. Er schüttelte den Kopf und tat meinen Dank ab.
»Ich dachte, Sie wären in Tokio«, sagte ich.
»Ach zum Teufel, die Truppe Asien/pazifischer Raum hat mich schließlich auch immer wieder warten lassen.«
»Aber …« Ungläubig verstummte ich. »Sie haben Ihre Reise verschoben?«
»Eines der wenigen Dinge, die ich in meinem Leben gelernt habe, ist, wie wichtig es ist, die richtigen Prioritäten zu setzen.«
Einen Augenblick lang war ich sprachlos. »Ich komme morgen wieder zur Arbeit«, sagte ich. »Vielleicht etwas später, weil ich wahrscheinlich noch einiges zu erledigen habe –«
»Nein«, sagte er. »Lassen Sie sich Zeit. Gehen Sie es langsam an.«
»Mir geht es gut, wirklich.«
»Gehen Sie behutsam mit sich um, Adam. Eine Weile werden wir es auch irgendwie ohne Sie schaffen.«
»Es ist nicht – nicht so wie bei Ihrem Sohn, Jock. Ich meine, mein Dad hatte schon ziemlich lang ein Emphysem und … es ist wirklich besser so für ihn. Er wollte gehen.«
»Ich kenne das Gefühl«, sagte er leise.
»Ich meine, wir haben uns wirklich nicht so nahe gestanden.« Ich warf einen Blick durch das dämmrige Innere der Kirche, über die Reihen der hölzernen Kirchenbänke, das Rot und Gold auf den Wänden. Ein paar Freunde von mir standen an der Tür und warteten darauf, mit mir zu sprechen. »Wahrscheinlich sollte ich nicht so reden, vor allem nicht hier, nicht wahr?« Ich lächelte traurig. »Aber er war ein ziemlich schwieriger Mann, ein zäher Knochen, was es für mich leichter macht, dass er nicht mehr da ist. Es ist nicht so, als wäre ich am Boden zerstört oder so.«
»O nein, das macht es nur noch schlimmer, Adam. Sie werden sehen. Wenn Ihre Gefühle so kompliziert sind.«
Ich seufzte. »Ich glaube nicht, dass meine Gefühle für ihn so kompliziert sind – ich meine, waren.«
»Es wird Sie später treffen. Die verpassten Gelegenheiten. Die Dinge, die hätten sein können. Aber ich möchte, dass Sie immer eines wissen: Ihr Vater konnte sich glücklich schätzen, Sie zu haben.«
»Ich glaube nicht, dass er sich als glückl –«
»Wirklich, Ihr Vater war ein glücklicher Mann.«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich, und plötzlich, ohne Vorwarnung, löste sich etwas in mir, der Damm brach und die Tränen kamen. Ich wurde rot vor lauter Scham, als sie mir langsam übers Gesicht strömten, und ich stieß hervor: »Es tut mir Leid, Jock.«
Er streckte beide Hände aus und legte sie mir auf die Schultern. »Wenn man nicht weinen kann, lebt man auch nicht«, sagte Goddard. Seine Augen waren feucht.
Jetzt heulte ich wie ein Baby, was mich gleichzeitig beschämte und erleichterte. Goddard legte seine Arme um mich und umarmte mich fest, als ich plärrte wie ein Idiot.
»Ich möchte, dass Sie eines wissen, mein Sohn«, sagte er kaum hörbar. »Sie sind nicht allein.«