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Am nächsten Morgen prüfte ich zu Hause meine E-Mails und entdeckte eine Nachricht von ›Arthur‹:
Boss sehr beeindruckt von Ihrer Präsentation und will sofort mehr sehen.
Eine Minute lang starrte ich darauf und beschloss dann, nicht zu reagieren.
Kurze Zeit später erschien ich unangemeldet und mit einer Packung Doughnuts bei meinem Dad. Ich parkte direkt vor seinem zweistöckigen Haus. Ich wusste, dass Dad die ganze Zeit, die er nicht vor dem Fernseher verbrachte, aus dem Fenster starrte. Ihm entging nichts, was draußen vor sich ging.
Ich kam direkt von der Wagenwaschanlage, und der Porsche glänzte wie ein massiver Obsidian, ein echtes Schmuckstück. Ich war aufgeregt. Dad hatte ihn noch nicht gesehen. Sein ›Versager-Sohn‹ war kein Versager mehr und kam stilvoll daher – in einem Wagen mit 320 PS.
Mein Vater hatte seinen üblichen Platz vor dem Fernseher inne und sah sich eine Billigreportage über Firmenskandale an. Antwoine saß neben ihm in einem weniger bequemen Sessel und las in einer der bunten Supermarktzeitungen, die alle gleich aussehen; ich glaube, es war die Star.
Dad blickte auf, sah den Karton mit den Doughnuts, den ich vor ihm schwenkte, und schüttelte den Kopf. »Näh«, sagte er.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass einer mit Schokoglasur dabei ist. Dein Lieblingsdoughnut.«
»Solchen Scheiß darf ich nicht mehr essen. Der Sklavenhalter hier steht mit ’ner Knarre hinter mir. Warum bietest du ihm keinen an?«
Aber Antwoine schüttelte ebenfalls den Kopf. »Nein danke, ich versuche gerade, ein paar Pfunde loszuwerden. Sie sind der Antichrist.«
»Wo bin ich denn hier gelandet, in der Zentrale der Weight Watchers?« Ich stellte den Karton mit den Doughnuts auf das Walnussfurnier-Tischchen neben Antwoine. Dad hatte immer noch nichts über den Wagen gesagt, aber ich dachte, dass er wahrscheinlich zu sehr mit seiner Fernsehreportage beschäftigt gewesen war. Außerdem sah er nicht mehr besonders gut.
»Kaum bist du aus dem Haus, lässt dieser Typ die Peitsche knallen und jagt mich durchs Zimmer«, sagte Dad.
»Er lässt nicht locker, was?«, erwiderte ich.
Dads Miene war eher amüsiert als wütend. »Was auch immer ihm einfällt«, sagte er. »Obwohl ihn nichts so auf Touren bringt, wie mich vom Rauchen abzuhalten.«
Die Spannungen zwischen den beiden schienen zu einer Art resigniertem Waffenstillstand abgeebbt zu sein. »Hey, du siehst aber viel besser aus, Dad«, log ich.
»Bullshit«, widersprach er und löste seinen Blick nicht von der pseudoaufklärerischen TV-Story. »Arbeitest du immer noch in dieser neuen Firma?«
»Jaah«, antwortete ich. Ich lächelte verlegen und dachte, jetzt sei der rechte Zeitpunkt, ihm die große Neuigkeit zu erzählen. »Genau genommen –«
»Ich will dir mal eines sagen«, unterbrach er mich, löste seinen Blick endlich vom Fernseher und starrte mich trüb an. Er wies zum Fernseher, sah aber nicht dorthin. »Diese Hurensöhne – diese Arschgeigen – leiern dir jeden verdammten Nickel aus dem Kreuz, wenn du nicht aufpasst.«
»Wer, die Firmen?«
»Die Firmen, die Geschäftsführer mit ihren Aktien, ihren riesigen Ruhestandsgeldern und ihrer Vetternwirtschaft. Die interessiert nur ihr eigener Arsch, ohne Ausnahme, vergiss das ja nicht.«
Ich blickte auf den Teppich. »Nun«, widersprach ich leise, »es gibt auch Ausnahmen.«
»Ach, mach dir doch nichts vor!«
»Hören Sie auf Ihren Vater«, schaltete Antwoine sich ein, ohne von seiner Zeitung aufzublicken. Es kam mir fast so vor, als schwänge in seiner Stimme Zuneigung mit. »Der Mann ist eine Quelle der Weisheit.«
»Zufällig weiß ich ein bisschen über Geschäftsführer, Dad. Ich habe gerade eine Riesenbeförderung hinter mir und bin jetzt persönlicher Referent der Geschäftsleitung von Trion.«
Schweigen trat ein. Ich dachte, er hätte nicht zugehört. Er starrte auf den Fernseher. Ich dachte, dass ich möglicherweise ein wenig arrogant geklungen hatte, also schwächte ich es etwas ab. »Das ist wirklich eine ganz große Sache, Dad.«
Wieder Schweigen.
Schon wollte ich es ihm noch einmal erklären, da sagte er: »Persönlicher Referent? Was ist das, eine Art Sekretär?«
»Nein, nein. Es ist was viel Anspruchsvolleres. Es geht um Strategien entwickeln und so.«
»Was genau machst du denn den ganzen Tag über?«
Der Mann hatte ein Emphysem, doch wusste er ganz genau, wie er mir den Wind aus den Segeln nehmen konnte. »Ach, nicht so wichtig, Dad«, sagte ich. »Tur mir Leid, dass ich es überhaupt erwähnt habe.« Das tat es wirklich. Warum zum Teufel scherte ich mich überhaupt um seine Meinung?
»Nein, im Ernst. Ich bin neugierig, was du für diese schicken neuen Reifen da draußen getan hast.«
Also hatte er den Wagen doch bemerkt. Ich lächelte. »Schöner Schlitten, nicht?«
»Und wie viel kostet dich dieses Fahrzeug?«
»Nun, genau genommen –«
»Ich meine: im Monat.« Er holte mühsam Luft.
»Nichts.«
»Nichts«, wiederholte er, als wäre das zu hoch für ihn.
»Nada. Trion übernimmt die Leasingraten komplett. Der Wagen ist ein Bonus meiner neuen Arbeit.«
Er holte erneut Luft. »Ein Bonus.«
»Genau wie meine Wohnung.«
»Du bist umgezogen?«
»Ich dachte, das hätte ich dir erzählt. Zweitausend Quadratmeter in diesen neuen Harbor Suiten. Und Trion kümmert sich um das Finanzielle.«
Ein weiterer Atemzug. »Und bist du stolz?«, fragte er.
Ich war fassungslos. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals von ihm dieses Wort gehört zu haben. »Und wie«, sagte ich und wurde rot.
»Stolz darüber, dass sie dich jetzt besitzen?«
Ich hätte es wissen müssen. »Niemand besitzt mich, Dad«, entgegnete ich kurz. »Ich glaube, so was nennt man eher ›es geschafft haben‹. Schlag’s nach. Du wirst es im Lexikon neben ›Leben an der Spitze‹, ›Managersuite‹ und ›Großverdiener‹ finden.« Ich fasste es nicht, was ich da sagte. Die ganze Zeit hatte ich gemotzt, dass ich nur eine Marionette war. Und jetzt blies ich mich hier auf? Siehst du, wozu du mich gebracht hast?
Antwoine legte seine Zeitung nieder und entschuldigte sich taktvoll, er hätte etwas in der Küche zu tun.
Dad lachte rau und blickte mich erneut an. »Jetzt wollen wir’s doch noch mal klarstellen.« Er sog erneut Sauerstoff ein. »Du besitzt weder den Wagen noch die Wohnung, ist das richtig? Und das nennst du einen Bonus?« Ein Atemzug. »Ich sag dir jetzt mal, was das wirklich heißt. Alles, was sie dir geben, können sie dir auch wieder wegnehmen, und sie werden es tun, glaub mir. Du fährst einen gottverdammten Firmenwagen, wohnst in einer Firmenwohnung, trägst eine Firmenuniform, und nichts davon gehört dir. Dein ganzes Leben gehört nicht dir.«
Ich biss mir auf die Lippen. Es würde nichts bringen, meiner Wut freien Lauf zu lassen. Zum hunderttausendsten Mal sagte ich mir: Der alte Mann ist todkrank. Er nimmt Steroide. Er ist ein unglücklicher, verbitterter Mensch. Aber es brach einfach aus mir heraus. »Weißt du, Dad, andere Väter wären wirklich stolz über den Erfolg ihres Sohnes.«
Seine kleinen Augen glitzerten, während er geräuschvoll Luft holte. »Ach, das nennst du Erfolg? Weißt du, Adam, du erinnerst mich immer mehr an deine Mutter.«
»Ach wirklich?« Innerlich befahl ich mir: Kontrolle, halt deine Wut unter Kontrolle, nicht die Kontrolle verlieren, sonst hat er gewonnen.
»Ja, wirklich. Du siehst aus wie sie. Hast dieselbe gesellige Persönlichkeit – alle mochten sie, sie passte überall hin, sie hätte einen viel reicheren Mann heiraten, hätte es viel besser haben können. Und glaub nicht, dass sie mich das nicht spüren ließ. Bei all diesen Elternabenden in der Bartholomew Browning konnte man sehen, wie sie sich mit diesen reichen Bastarden verbrüderte, wie sie sich aufmotzte und ihnen praktisch ihre Titten unter die Nase hielt. Glaubst du, das hätte ich nicht bemerkt?«
»Oh, das ist gut, Dad. Das ist wirklich gut. Zu schade nur, dass ich nicht ein bisschen mehr wie du bin, wie?«
Er sah mich nur an.
»Du weißt schon – verbittert, gehässig. Von der Welt angeekelt. Du möchtest, dass ich mehr werde wie du, ist es das?«
Er schnaufte, während sein Gesicht sich rötete.
Ich konnte nicht mehr stoppen. Mein Herz raste, meine Stimme wurde lauter und lauter, bis ich fast schrie. »Als ich pleite war und die ganze Zeit nur abfeierte, da hast du mich für einen Versager gehalten. Okay, jetzt habe ich nach der Definition jedes anderen Menschen Erfolg, aber du hast nur Verachtung für mich übrig. Vielleicht gibt es einen Grund, warum du nicht stolz auf mich sein kannst, ganz egal, was ich tue, Dad.«
Er starrte mich schnaufend an und sagte: »Ach ja?«
»Sieh dich doch an. Sieh dir dein Leben an.« Ich fühlte mich wie einer dieser außer Kontrolle geratenen Güterzüge, die nicht mehr aufzuhalten sind. »Du sagst doch immer, die Welt scheide sich in Gewinner und Verlierer. Dann will ich dich mal etwas fragen, Dad. Was bist denn du, Dad? Was bist du?«
Mein Vater rang nach Luft und starrte mich mit blutunterlaufenen Augen an, die so hervorquollen, als würden sie ihm jeden Moment aus den Höhlen springen. Er schien etwas zu murmeln. Ich verstand »gottverdammt« und »verfickt« und »Scheiße.«
»Ja, Dad«, sagte ich und wandte mich ab. »Ich möchte so sein wie du.« Getrieben von meiner aufgestauten und endlich losgelassenen Wut lief ich zur Tür. Es war heraus und konnte nicht mehr zurückgenommen werden, und ich fühlte mich elender als je zuvor. Ich verließ seine Wohnung, bevor ich noch mehr Schaden anrichten konnte. Das Letzte, was ich von ihm sah, mein Abschiedsbild von dem Mann, war sein großes rotes Gesicht, sein schnaufender, murmelnder Mund, seine glasigen Augen, die ungläubig oder wütend oder schmerzerfüllt, ich weiß es nicht, vor sich hin starrten.