79

Wir saßen schweigend im Empfangsbereich vor seinem Büro. Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Ich rief in meinem Büro an und bat Jocelyn, ein paar Termine zu verschieben.

Dann saß ich minutenlang da und dachte nach. »Weißt du«, sagte ich, »das Schlimmste ist, dass ich Wyatt alles Nötige in die Hand gab, uns zu bestehlen. Er hat bereits die große Übernahme zum Platzen gebracht, und jetzt wird er uns völlig fertig machen – und das ist ganz allein meine Schuld.«

Seth starrte mich eine Weile an. »Wer ist ›wir‹?«

»Trion.«

Er schüttelte den Kopf. »Du bist nicht Trion. Du sagst ständig ›wir‹ und ›uns‹, wenn du von Trion redest.«

»Ein Versprecher«, sagte ich.

»Das glaube ich nicht. Ich möchte, dass du deine sauteure französische Seife, die du jetzt sicher benutzt, nimmst und auf deinen Badezimmerspiegel schreibst: ›Ich bin nicht Trion, und Trion ist nicht ich‹.«

»Es reicht«, sagte ich. »Du klingst schon genau wie mein Dad.«

»Ist dir eigentlich je in den Sinn gekommen, dass dein Vater nicht immer falsch lag? Eine stehen gebliebene Uhr zeigt auch zweimal am Tag korrekt die Zeit an, oder?«

»Halt’s Maul.«

Dann ging die Tür auf, und Howard Shapiro erschien. »Kommen Sie ’rein«, sagte er.

Ich konnte an seiner Miene ablesen, dass es nicht gut gelaufen war. »Was hat Ihr Freund gesagt?«, fragte ich.

»Mein Freund wurde zum Generalbundesanwalt versetzt. Sein Nachfolger ist ein echtes Arschloch.«

»Wie schlimm ist es?«, fragte ich.

»Er sagte: ›Wissen Sie was, Sie plädieren auf schuldig, und wir sehen mal, was passiert‹.«

»Was soll das heißen?«

»Das heißt, Sie plädieren im Amtszimmer des Richters auf schuldig, und die Öffentlichkeit wird niemals davon erfahren.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Wenn Sie ihm einen tollen Fall liefern, ist er bereit, Ihnen ein großartiges Five-K zu schreiben. Ein Five-K ist ein Schreiben vom Staatsanwalt an den Richter, in dem darum gebeten wird, sich von den Empfehlungen der Strafbemessungsregeln zu entfernen.«

»Muss der Richter der Bitte des Staatsanwalts folgen?«

»Natürlich nicht. Außerdem gibt es keine Garantie dafür, dass der Arsch Ihnen wirklich ein anständiges Five-K schreibt. Um ehrlich zu sein, traue ich ihm nicht.«

»Was ist seine Definition von einem ›tollen Fall‹?«, fragte Seth.

»Er möchte, dass Adam einen verdeckten Ermittler einschleust.«

»Einen verdeckten Ermittler?«, wiederholte ich. »Das ist doch hirnrissig! Wyatt würde nie darauf reinfallen. Er würde sich nur mit mir treffen. Er ist doch kein Idiot.«

»Und wenn Adam ein Abhörgerät tragen würde?«, fragte Seth. »Wäre er damit einverstanden?«

»Ich wäre damit nicht einverstanden«, sagte ich. »Jedes Mal, wenn ich Wyatt treffe, werde ich auf elektronische Geräte gescannt. Ich würde ganz sicher erwischt.«

»Ist schon gut«, sagte Shapiro. »Unser Freund bei der Staatsanwaltschaft würde sich ohnehin nicht darauf einlassen. Er spielt nur mit, wenn Sie einen verdeckten Ermittler einschleusen.«

»Kommt nicht in Frage«, sagte ich. »Er würde nie darauf reinfallen. Und welche Garantie hätte ich, um eine Haftstrafe herumzukommen, selbst wenn ich mich darauf einließe?«

»Keine«, gab Shapiro zu. »Kein Staatsanwalt wird Ihnen das hundertprozentige Versprechen abgeben, dass ein Richter Sie auf Bewährung setzt. Und der Richter lässt sich möglicherweise nicht darauf ein. Aber wie auch immer Sie sich entscheiden, er lässt Ihnen zweiundsiebzig Stunden Zeit.«

»Oder was?«

»Oder die Würfel fallen, wie sie fallen. Er würde Ihnen nie im Leben eine Kronzeugenregelung einräumen, wenn Sie nicht nach seinen Regeln spielen. Sehen Sie, sie trauen Ihnen nicht. Sie glauben nicht, dass Sie es allein schaffen können. Und blicken wir den Tatsachen ins Auge: Es ist ihr Spiel.«

»Ich brauche keine zweiundsiebzig Stunden«, sagte ich. »Ich habe mich bereits entschieden. Ich spiele nicht mit.«

Shapiro bedachte mich mit einem seltsamen Blick. »Sie werden also für Wyatt weiterarbeiten.«

»Nein«, sagte ich. »Ich werde es auf meine Weise lösen.«

Jetzt lächelte Shapiro. »Wie das?«

»Ich möchte meine eigenen Bedingungen stellen.«

»Wie das?«, wiederholte Shapiro.

»Sagen wir mal so: Ich werde ein paar konkrete Beweise gegen Wyatt besorgen«, antwortete ich. »Echte, harte Beweise seiner Kriminalität. Könnten wir die direkt ans FBI geben und einen besseren Deal aushandeln?«

»Theoretisch ja.«

»Gut«, sagte ich. »Dann glaube ich, ich mache es allein. Der Einzige, der mich da rausbringen kann, bin ich.«

Seth lächelte verhalten, streckte den Arm aus und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich? Meintest du ›ich‹ oder meintest du ›wir‹?«

Paranoia
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