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Die Île de France
Wenige Stunden später, um fünf Uhr morgens, rief
der Matrose im Ausguck: »Land in Sicht!« Der Tafelberg war in
Sichtweite.
Der Wind war günstig, und die Schiffe passierten im
Verlauf des Tages das Kap der Guten Hoffnung. Am Kap Agulhas
erfasste lebhafter Wind die kleine Flotte und beförderte sie im
Handumdrehen ostwärts und außer Sichtweite festen Landes. Man nahm
wieder Kurs auf die Île de France, und vor Ende des Tages erblickte
man den Piton des Neiges auf der Insel Réunion.
Im Jahr 1505 beschloß Dom Emmanuel, König von
Portugal, an der indischen Küste einen Vizekönig oder Gouverneur zu
etablieren. Den Posten erhielt Dom Francesco de Almeida, der fünf
Jahre später nahe dem Kap der Guten Hoffnung von den Hottentotten
dahingemetzelt wurde, als er sich anschickte, nach Europa zu
fahren.
Doch seit dem ersten Jahr der Regentschaft de
Almeidas, in dem Dom Pedro Mascarenhas die Île de France und die
Île de Bourbon entdeckte, kamen die Portugiesen niemals auf den
Gedanken, sich auf einer dieser beiden Inseln dauerhaft
niederzulassen, solange sie Herrscher in diesen Breiten waren,
anders gesagt: das ganze siebzehnte Jahrhundert hindurch, und der
einzige Vorteil, den die Inselbewohner von dem Besuch der Fremden
hatten, waren ein paar Ziegenherden, Affen und Schweine, die von
den Portugiesen auf den Inseln ausgesetzt wurden; im Jahr 1598
überließen sie die Inseln den Holländern.
Als Portugal unter die Herrschaft Philipps II.
geraten war, wanderten die Portugiesen in Scharen nach Indien aus.
Da sie sich ihres Vaterlandes beraubt wähnten, erklärten die einen
sich für unabhängig, die anderen wurden Piraten, die nicht mehr im
Dienst der Herrscher ihres Landes standen.
Im Jahr 1595 legte Cornelius de Houtman den
Grundstein zu der Macht, welche die Holländer auf diesen Inseln
entfalten sollten. Nach und nach bemächtigten sie sich aller
Eroberungen der Portugiesen und Spanier im Indischen Ozean,
darunter der »Ilha do Cirne« und der Maskarenen. Admiral van Neck
war der Erste, der die Ilha do Cirne 1598 betrat, die damals
unbewohnt war.
Die holländische Flotte war am 1. Mai 1600 von
Texel aus unter dem Kommando des Jacob Cornelius van Neck in See
gestochen; die Namen der einzelnen Schiffe sind uns erhalten; und
der Admiral taufte die Ilha do Cirne oder Cerné-Insel auf den Namen
Mauritius zu Ehren ihres Statthalters, des Grafen Moritz von
Nassau. Die Holländer, die diese Insel nie zuvor betreten hatten,
ließen zwei Schaluppen zu Wasser, um die Insel zu erkunden und ihre
Häfen zu begutachten, damit man wusste, ob sie sich für größere
Schiffe eigneten; eine der Schaluppen gelangte bis in den großen
Hafen, und man stellte fest, dass sein Becken tief genug war und an
die fünfzig Schiffe aufnehmen konnte; am Abend brachten die
Matrosen bei ihrer Rückkehr zum Schiff des Admirals mehrere große
und eine Vielzahl kleine Vögel mit, die sich mit der Hand hatten
einfangen lassen; außerdem hatten sie einen Süßwasserfluss
entdeckt, der aus den Bergen kam und Wasserreichtum
versprach.
Da der Admiral nicht wissen konnte, ob die Insel
bewohnt war, und es ihm an Zeit mangelte, sie in Ruhe zu erkunden,
weil er viele Kranke an Bord hatte, ließ er eine größere Abteilung
Leute an Land gehen, die sich einen Stützpunkt suchten, an dem sie
vor Überraschungsangriffen sicher waren.
Mehrere Tage lang sandte der Admiral Schaluppen zur
Erkundung der anderen Inselteile aus; die Mannschaften begegneten
nur überaus friedfertigen Vierfüßlern, die Reißaus vor ihnen
nahmen, und zahlreichen Vögeln, die Menschen so wenig gewohnt
waren, dass sie nicht wegzulaufen versuchten, wenn man sie einfing.
Doch eine Seilfähre, die Stange einer Schiffswinde und eine Großrah
bezeugten, dass sich am Ufer dieser Insel ein Schiffsunglück
ereignet haben musste.
Besonders pittoresk anzusehen war diese Insel, weil
sie allenthalben von hohen Bergen bedeckt war, die das satte Grün
dichter Wälder färbte und deren Gipfel oftmals Wolken dem Blick
entzogen. Der steinige Boden war so dicht bewachsen, dass man sich
kaum einen Weg durch das Unterholz bahnen konnte; es gab Bäume aus
dunklem Holz, das dem herrlichsten Ebenholz in nichts nachstand,
und andere von einem lebhaften Rotton sowie einem dunklen Gold wie
Bienenwachs; die zahlreichen Palmen boten erfrischende Nahrung; ihr
Mark schmeckte wie Rüben und konnte mit derselben Sauce zubereitet
werden wie diese; aus dem Holz, das auf der Insel so reichlich
vorhanden war, konnten die Seeleute bequeme Hütten errichten, in
denen die Kranken schnell genasen, was durch die gesunde Luft
zusätzlich gefördert wurde.
Das Meer wiederum war von so großem Fischreichtum,
dass man das Netz nur auszuwerfen brauchte, um es bis zum Bersten
gefüllt einzuholen. Eines Tages fingen die Leute des Admirals einen
Rochen von so gewaltiger Größe, dass sich daraus zwei Mahlzeiten
für eine ganze Schiffsbesatzung bereiten ließen. Die Schildkröten
waren so groß, dass sich bei einem Sturm sechs Männer unter einen
leeren Panzer kauern konnten.
Der holländische Kommandant ließ an einem Baum ein
Schild anbringen, das mit dem holländischen Wappen, dem Wappen
Zeelands und dem Wappen Amsterdams als Schnitzerei versehen war und
mit der Inschrift in portugiesischer Sprache: Christianos
reformados. Dann ließ er ein Gelände von vierhundert Klafter
Umfang einzäunen und auf dem Gelände diverse Gemüse aussäen und
anpflanzen; außerdem wurde Geflügel auf der Insel ausgesetzt, damit
nachfolgende Besucher dieses schönen Eilands sich mit anderem
Proviant als nur den einheimischen Erzeugnissen versehen
konnten.
Am 12. August 1601 schickte Kapitän Hermansen eine
Schaluppe nach Mauritius, um Wasser und Nahrungsmittel aufzunehmen,
die an Bord seines Schiffs rar geworden waren; die Schaluppe kam
erst nach einem ganzen Monat wieder und brachte einen Franzosen
mit, der berichtete, welch merkwürdige Abenteuer er erlebt
hatte.
Er hatte einige Jahre zuvor in England an Bord
eines Schiffs angeheuert, das mit zwei anderen Schiffen zusammen
nach Indien in See gestochen war. Eines der drei Schiffe war in
einem Sturm am Kap der Guten Hoffnung mit Mann und Maus
untergegangen; die Mannschaften der zwei verbliebenen Schiffe waren
so dezimiert, dass man beschloss, nur das seetüchtigere zu behalten
und das andere zu verbrennen; bald darauf jedoch wüteten Skorbut
und Typhus so fürchterlich unter den Unglücklichen, dass nicht
einmal mehr genug Seeleute für den Betrieb dieses einen Schiffs
übrig waren.
Das Schiff strandete an der Küste Timors südlich
der Molukken, und dabei kam die ganze Besatzung ums Leben bis auf
den Franzosen, vier Engländer und zwei Neger. Trotz ihrer
Mittellosigkeit gelang es den Schiffbrüchigen, sich einer Dschunke
zu bemächtigen, und sie fassten den befremdlichen Entschluss, nach
England zurückzukehren. Zu Beginn verlief ihre Reise wie gewünscht,
doch die Neger, die sich fern ihrem Heimatland sahen,
konspirierten, um das Schiff in ihre Gewalt zu bringen, und als
ihre Pläne entdeckt wurden, sprangen sie vor Verzweiflung und aus
Furcht, bestraft zu werden, ins Meer.
Nachdem die verbliebene Mannschaft mehreren Stürmen
entkommen war, wurde sie zuletzt an das Ufer der Insel Mauritius
geschwemmt; doch obwohl ihr Leben selbst dann in höchster Gefahr
gewesen wäre, wenn unter ihnen größte Einigkeit geherrscht hätte,
waren Zwistigkeiten zwischen ihnen an der Tagesordnung; nachdem sie
acht Tage auf Mauritius verbracht hatten, schlug der Franzose vor,
sie sollten dort bleiben, bis der Himmel ihnen Hilfe schicken
würde. Die Engländer aber wollten nicht abwarten, sondern ihre
Reise fortsetzen; da sie in der Mehrzahl waren, setzten sie ihr
Vorhaben in die Tat um, doch da der Franzose entschlossen war, sein
Vorhaben auszuführen, stachen seine Kameraden in See und überließen
ihn auf der einsamen Insel seinem Schicksal. Dort hatte er sich
seit beinahe drei Jahren aufgehalten und von Schildkrötenfleisch
und Früchten ernährt; seine Körperkraft war ungemindert, und er war
so stark wie die Matrosen an Bord der holländischen Schiffe; doch
einen Teil seiner geistigen Fähigkeiten hatte er eingebüßt, was man
im Gespräch mit ihm schnell bemerkte. Seine Kleider waren nur mehr
Fetzen, und er war fast nackt.
Offenbar hatten die Holländer der Insel im Jahr
1606 einen Besuch abgestattet, doch bis 1644 hatten sie dort keine
Niederlassung errichtet. Trotz aller Ungewissheit über die ersten
Siedler scheint manches dafür zu sprechen, dass sie sich aus den
Reihen der Piraten rekrutierten, die seinerzeit den Indischen Ozean
heimsuchten.
Mit Gewissheit sagen lässt sich, dass van der
Master 1648 Gouverneur von Mauritius war. François Leguat wiederum
erzählt in seinem Reisebericht, dass bei seiner Ankunft auf der
Insel Rodriguez ein Monsieur Lameocius Gouverneur von Mauritius
gewesen sei und dass im Jahr 1690 Rodolphe Déodati aus Genf diesen
Posten bekleidet habe, als Leguat bei seiner Rückkehr von Rodriguez
auf Mauritius festgehalten wurde. Zwischen 1693 und 1696 brachten
einzelne Franzosen, die Madagaskar seines unbekömmlichen Klimas
wegen verließen, gelbe und schwarze Frauen auf die Insel
Mascarenhas, die sie in Ermangelung weißer Gefährtinnen heirateten.
Flacourt bemächtigte sich der Insel im Namen des Königs und hisste
die französische Flagge, wo zuvor die portugiesische geweht hatte;
er gab der Insel den Namen Île de Bourbon, hinterließ in der
Neugründung Männer und Frauen und setzte als Befehlshaber einen
Schützling mit Namen Payen ein. Die neuen Kolonisten fanden
fruchtbaren Boden vor, den sie mit Fleiß bestellten. Zuerst
ernährten sie sich von Fisch, Reis, Schildkröten, Süßkartoffeln und
anderen Gemüsen; den Genuss von
Schlachtfleisch versagten sie sich gänzlich, damit die Herden
wuchsen, und sie führten in diesem Winkel des Paradieses, der auf
die Erde gefallen war, das entzückendste und friedlichste
Leben.
Vier englische Piraten namens Avery, England,
Condon und Patisson ließen sich mitsamt einem Teil ihrer Mannschaft
auf der Insel nieder, nachdem sie auf dem Roten Meer und an den
Küsten Arabiens und Persiens ein Vermögen angehäuft hatten. Der
König Frankreichs erteilte ihnen Pardon, und einer dieser
Abenteurer, der 1657 gekommen war, lebte bis zum Jahr 1763. Während
die Insel Bourbon, stolz auf ihren neuen Namen, unter den Franzosen
gedieh, verkümmerte Mauritius unter den Holländern, die diese
Kolonie vernachlässigten und sie 1712 aufgaben, denn ihre
Aufmerksamkeit hatte sich auf ihre neue Niederlassung am Kap der
Guten Hoffnung verlagert. Am 15. Januar 1715 nutzte Kapitän
Dufresne diesen Umstand, setzte an die dreißig Franzosen auf der
Insel ab und verlieh ihr den Namen Île de France: Und in der Folge
bewirkten der blühende Zustand der beiden Inseln, die günstige
Beschaffenheit ihrer Häfen, die Fruchtbarkeit des Bodens und die
gute Luft, dass man ernsthaft erwog, eine Kolonie zu gründen.
Monsieur de Beauvillier, Gouverneur der Insel Bourbon, entsandte
1721 den Chevalier Garnier de Fougerey, Kapitän der Triton,
dorthin; dieser ergriff am 23. September im Namen des Königs Besitz
von ihr und ließ einen Fahnenmast von vierzig Fuß Höhe errichten,
an dem eine weiße Fahne mit lateinischer Inschrift gehisst wurde.
Am 28. August 1726 wurde Monsieur Dumas, der auf der Insel Bourbon
wohnte, zum Gouverneur beider Inseln ernannt. Die Verwaltung der
Inseln wurde aufgeteilt, und Monsieur Maupin wurde zum Gouverneur
der Île de France ernannt.
Der wahre Vater, Begründer, ja Gesetzgeber der
jungen Kolonie war jedoch Monsieur Mahé de la Bourdonnais. Er
betrat sein kleines Reich im Jahr 1735. Mag die Geschichte ihn
vergessen haben, so hat der Roman sein Gedächtnis gerächt.
Bei seiner Ankunft musste der neue Gouverneur
erfahren, dass die Gerichtsbarkeit der Île de France derjenigen der
Insel Bourbon unterstellt war; Monsieur de la Bourdonnais brachte
Urkunden mit, die der Île de France die gleichen strafrechtlichen
Befugnisse einräumten wie der Nachbarinsel.
Während der elf Jahre der Regierung des Monsieur de
la Bourdonnais waren diese Befugnisse allerdings ein überflüssiger
Luxus, denn kein einziges Gerichtsverfahren wurde auf der Insel
anberaumt; der einzige Makel,
der Mauritius befleckte, waren die entlaufenen Negersklaven.
Monsieur de la Bourdonnais rekrutierte aus gefügigen Negern eine
berittene Polizei, mit der er gegen widerspenstige Neger vorging.
Dann pflanzte er zuerst Zuckerrohr auf der Île de France, und als
Zweites gründete er Baumwollfabriken und Indigofärbereien. Ihre
Erzeugnisse wurden auf den Märkten von Surate und Mocha, in Persien
und in Europa abgesetzt.
Die von Monsieur de la Bourdonnais gegen 1735
gegründeten Zuckerrohrfabriken erwirtschafteten fünfzehn Jahre
später jährliche Einnahmen in Höhe von sechzigtausend Francs. Er
ließ Maniok aus Brasilien und Santiago del Nuevo Extremo holen,
doch die Siedler auf Mauritius weigerten sich, die neue Pflanze
anzubauen, und der Gouverneur hatte keine andere Wahl, als jeden
Einwohner gesetzlich zu verpflichten, von jedem seiner Sklaven auf
dreihundert Fuß Land Maniok anpflanzen zu lassen.
So kommt es, dass die Île de France alles, was sie
ist, Monsieur de la Bourdonnais verdankt. Er ließ Straßen und Wege
anlegen; er ließ mittels Ochsengespannen Bauholz und Steine zum
Hafen schaffen, damit dort Häuser gebaut werden konnten; er ließ
die Arsenale errichten, die Batterien, die Befestigungen, die
Kasernen, die Mühlen, die Kais, die Kontore, die Kramläden und ein
Aquädukt von dreihundert Klafter Länge, welches das Süßwasser zum
Hafen, in die Krankenhäuser und an das Meerufer bringt. Bis dahin
war den Bewohnern der Île de France der Schiffsbau so unbekannt
gewesen, dass sie auf die Hilfe fremder Schiffszimmermänner
angewiesen waren, deren Schiffe zufällig im Hafen lagen, wenn ihre
Fischerboote leckten. Er brachte sie dazu, ihm zu helfen, eine
Seestreitkraft zu schaffen, wozu die Insel Holz in Hülle und Fülle
beitrug: In den Wäldern wurden die Bäume gefällt und auch für die
spätere Verwendung zugeschnitten, und innerhalb von zwei Jahren
hatte man genug Holz für die bezweckten Arbeiten.
Im Jahr 1737 führte Monsieur de la Bourdonnais
Pontons zum Entladen und Kielholen der Schiffe ein; er ließ Boote
und große Schaluppen als Transportkähne bauen; er erfand neue
Leichterschiffe zum Transport von Wasser und eine Vorrichtung, mit
der sich Schaluppen und Boote aus dem Meer in eine Position heben
ließen, in der sie ohne großen Aufwand ausgebessert werden konnten.
Mit dieser Vorrichtung konnte man ein Schiff in nur einer Stunde
kalfatern, säubern und wieder flottmachen. Er ließ eine Brigg
bauen, die sich als ausgezeichnetes Schiff erwies; im Jahr
darauf ließ er zwei Nachfolgemodelle anfertigen und ließ ein
Schiff von fünfhundert Tonnen vom Stapel.
Er tat zu viel des Guten, was notgedrungen üble
Nachrede auf den Plan rief. Er begab sich nach Paris, um sich zu
verteidigen, was ihm nicht schwerfiel: Alle gegen ihn ins Feld
geführten Verdächtigungen konnte er im Handumdrehen zerstreuen, und
da die Rede von einem bevorstehenden Zerwürfnis zwischen England
und Holland ging, fasste er den Entschluss, Schiffe auszurüsten,
mit denen er den Handel beider gegnerischer Mächte stören wollte;
dieser Plan wurde zwar gnädig aufgenommen, nicht aber in die Tat
umgesetzt, und 1741 verließ Monsieur de la Bourdonnais Paris mit
dem Patent eines Fregattenkapitäns in der Tasche und mit dem
besonderen Auftrag, das Schiff Seiner Majestät, die Mars, zu
befehligen.
Doch 1742 wurde Frieden geschlossen, und Monsieur
de la Bourdonnais kehrte zur Île de France zurück. Neue Anklagen
wurden gegen ihn erhoben, und abermals machte er sich nach
Frankreich auf. In Pondicherry traf er auf Monsieur Pierre Poivre,
der Pfeffer, Zimt und verschiedene Bäume nach Frankreich brachte,
deren Rinde sich zum Färben eignet.
Monsieur Pierre Poivre wurde 1766 von dem Herzog
von Choiseul zum Oberverwalter der Île de France und der Insel
Bourbon ernannt; er ließ auf ihnen den Brotfruchtbaum anbauen, und
es gelang ihm, in den ihm anvertrauten Kolonien den Anbau der
Gewürze Muskat, Zimt, Pfeffer und Nelken einzuführen. Heute wachsen
allein auf Bourbon vierhunderttausend Nelkenbäume, deren
Blütenknospen in Asien denen von den Molukken vorgezogen werden;
und der Ampalisbaum, das Echte Rosenholz, der Talgbaum, der
Teestrauch aus China, der Blut- oder Blauholzbaum, der
Korallenstrauch, der ceylonesische Zimtbaum und die Zimtkassia aus
Kochinchina, die Varietäten der Kokospalme, der Dattelpalme, des
Mangobaums und Pimentbaums sowie Eiche, Tanne, Weinrebe, Apfelbaum
und Pfirsichbaum, die aus Europa eingeführt wurden, der
Avocadobaum, der von den Antillen stammt, der Mabolobaum von den
Philippinen, der Palmfarn von den Molukken, der Seifenbaum aus
China und der Mangostanbaum, dessen Früchte als die besten der Welt
gelten, wurden alle der Île de France von ihrem Gouverneur oder
besser Oberverwalter Monsieur Poivre geschenkt.
Nach einer Reihe hervorragender Gouverneure, deren
jeder seinen Stein zum Fundament dieser prachtvollen Kolonie
beitrug, wurden die blühenden Inseln von Monsieur
Magallon-Lamorlière seinem Nachfolger
General Decaen anvertraut, doch dieser erhielt sie zugleich mit
dem Krieg gegen England. Seit Eröffnung dieses Krieges waren die
Île de France und Réunion die einzigen Zufluchtsorte für
französische Schiffe im Indischen Ozean, und dort ließen ein
Surcouf, ein L’Hermite oder Dutertre ihre Prisen verkaufen und ihre
Schiffe reparieren; nicht selten kreuzten in Sichtweite englische
Schiffe, die nur darauf warteten, den Korsaren ihre Beute streitig
zu machen.
Surcouf war folglich nicht wenig erstaunt, als er
nach dem Ruf: »Land in Sicht!« die Groß-Obermarsrah erklomm und von
Port Savanne bis zur Pointe Quatre-Cocos einen glatten
Meeresspiegel erblickte, obwohl einzelne englische Schiffe sich am
anderen Ende der Insel vor der Baie de la Tortue oder der Baie du
Tamarin aufhalten mochten.
Surcouf, der zum vierten Mal das »indische Kythera«
erreichte, erkannte die Insel durch den Dunst, der für alle stark
bewaldeten Inseln charakteristisch ist, an der Montagne des Créoles
und an der Bergkette, die von Grand Port bis zum Morne aux Bambous
reicht.
Wer an der Île de France nur anlegt, um sich mit
Lebensmitteln oder Wasser zu versorgen, kann sich manchmal zwischen
den Häfen von Grand Port und von Port Louis nicht entscheiden; wer
jedoch wie Surcouf kommt, um sein Schiff ausbessern zu lassen oder
eine Prise zu verkaufen, weiß, wo er anlegen will. Die Einfahrt in
die Bucht von Grand Port ist ein Leichtes dank der Passatwinde, die
neun Monate des Jahres hindurch die Bäume der Insel nach Westen
biegen, wie im Süden Frankreichs der Mistral die Bäume nach Süden
biegt, doch die Ausfahrt ist unter solchen Bedingungen schier
unmöglich.
Nachdem Surcouf sich vergewissert hatte, dass kein
Engländer in Sicht war, gelangte er an der Pointe-du-Diable vorbei
und hielt Kurs nach Nordosten, um den Untiefen auszuweichen; er
fuhr an den großen Wäldern von Savanne vorbei, an der Montagne
Blanche, am Morne Faïence und an den Hügeln von Flacq, durchquerte
die Meerenge zwischen Île de France und Île d’Ambre und hielt
Westnordwestkurs, um Cap Málheureux zu umfahren. Danach ging es an
der Pointe au Vaquois und an der Pointe aux Canonniers vorbei und
in den Hafen von Port Louis. Längst schon hatte die Signalstation
die Ankunft einer Fregatte, einer Brigg und einer Slup gemeldet,
und Neugierige mit Ferngläsern verfolgten ihre Einfahrt von Hügeln
und Türmen.
Die Schiffe warfen Anker am Hafeneingang, und ihre
Besatzungen
warteten auf den Besuch der Quarantänebehörde, die sich alsbald
einfand und ihnen die Erlaubnis erteilte, in den Hafen einzufahren;
in ihrer Begleitung kam eine Vielzahl kleiner Kähne mit Früchten
und Erfrischungen jeder Art. Nach erhaltener Erlaubnis und
freudiger Begrüßung durch die Lenker der kleinen Boote ordnete
Surcouf die Einfahrt in den Hafen zur Anlegestelle am Quai
Chien-de-Plomb an, doch sein Name, von den Bootsführern
weitergesagt, weckte in den zahlreichen Zuschauern Nationalstolz
und so manche Erinnerung, so dass die Standard, die
Revenant und die Runner of New York unter den
Jubelrufen und dem Beifall aus unzähligen Kehlen vor Anker
gingen.