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Surcouf
René hatte erfahren, dass Surcouf vormittags von
acht bis zehn Uhr seine Seeleute rekrutierte.
Folglich legte René um halb acht Uhr seine Kleidung
vom Vortag, die über Nacht getrocknet war, wieder an; der Kleidung
sah man den langen Weg an, den René gekommen war, und sie eignete
sich besser für ein Vorsprechen bei Surcouf als ein ungetragenes
Gewand frisch aus der Schneiderwerkstatt.
Um acht Uhr erreichte er die Rue Porcon de la
Barbinais, gelangte dann über die Rue de la Boucherie zur Rue de
Dinan, an deren Ende unterhalb der Befestigungen und gegenüber dem
Stadttor Surcoufs Haus lag, ein großes Gebäude mit Hof und
Garten.
Ein Dutzend Seeleute, die sich zeitiger eingefunden
hatten als René, wartete im Vorraum; sie wurden einer nach dem
anderen in den Nebenraum
vorgelassen, und damit es keine Rangeleien gab, hatte ein Matrose
neben der Tür des Vorraums Nummern ausgegeben, mit denen die
Reihenfolge geregelt wurde.
René bekam eine Nummer und wartete zusammen mit
sechs verbliebenen Seemännern; um sich die Zeit zu vertreiben,
betrachtete er die Trophäen und Waffen aus aller Herren Länder an
den Wänden.
In einem schwarzen Pantherfell aus Java steckten
vergiftete malaiische Dolche, Kris geheißen, Pfeile, die in die
tödlichsten Gifte getaucht worden waren, und Säbel, mit denen die
Haut des Opfers nur geritzt werden muss, um eine tödliche Wunde zu
erzielen.
Das Fell eines Löwen aus dem Atlasgebirge trug eine
Reihe von Candjiar-Dolchen aus Tunis, von Flissah-Säbeln aus
Algier, von Pistolen mit verzierten silbernen Griffen und von
halbmondförmig gebogenen Damasszenerklingen.
Das Fell eines Präriebisons zeigte eine Sammlung
von Bogen, von Tomahawks, von Skalpiermessern und Gewehren mit
gezogenem Lauf.
Das Fell eines bengalischen Tigers präsentierte
Dolche mit vergoldeten Klingen und Jadegriffen, damaszierte Dolche
mit Elfenbein- und Karneolgriffen, Silberringe und silberne
Armreifen.
Die vier Erdteile fanden sich solchermaßen an den
vier Wänden dieses Wartezimmers durch ihre Waffen
dargestellt.
Während René diese Trophäen mit Interesse musterte
und den Blick zur Zimmerdecke hob, wo sich neben einem zwanzig Fuß
langen Kaiman eine mindestens doppelt so lange Boa schlängelte,
waren weitere Wartende vorgelassen worden, und zehn neue Kandidaten
hatten den Vorraum betreten und ihre Nummer erhalten.
Ab und zu waren Schüsse zu hören, denn Surcouf saß
an einem Fenster und hatte Pistolen vor sich liegen; einige seiner
Offiziere vertrieben sich die Zeit damit, in dem großen Garten auf
metallene Zielscheiben zu schießen, an denen die Kugeln ihre Spur
hinterließen.
In einem zweiten Raum, der als Rüstkammer diente,
erprobten drei oder vier junge Männer, die an Bord des Kaperschiffs
vermutlich als Fähnriche zur See oder als Seekadetten dienten, ihre
Gewandtheit mit Degen und Säbel.
Obwohl René als einfacher Matrose gekleidet war,
erkannte Surcouf auf den ersten Blick, dass er es mit einem Mann
aus einer ganz anderen gesellschaftlichen Sphäre zu tun hatte; der
entschiedene Gesichtsausdruck des jungen Mannes beeindruckte ihn;
mit Kennerblick registrierte er den
wohlgestalten Körper und den gepflegten, sorgfältig gestutzten
Bart, und gerne hätte er die Hände gesehen, um sein Urteil
abzurunden, doch sie waren in Handschuhen verborgen, die zwar alt
waren, aber frisch mit Gummi gereinigt, so dass man ihrem Träger
zwar nicht unbedingt Luxus attestieren konnte, aber Streben nach
Eleganz.
Und als René zwei Schritte vor Surcouf stehen blieb
und salutierte, erwiderte dieser den Gruß, indem er seinen Hut
lüpfte, was er einem gewöhnlichen Seemann gegenüber nicht getan
hätte.
René wiederum hatte Surcouf mit einem einzigen
Blick eingeschätzt: Der berühmte Seefahrer war ein Mann von
einunddreißig Jahren, mit kurz geschnittenen blonden Haaren, kurz
getrimmtem Kinn- und Backenbart, kräftigem Hals und stämmigen
Schultern, eher klein als groß und dennoch von wahrscheinlich
herkulischer Körperkraft.
»Was wünschen Sie von mir, Monsieur?«, fragte
Surcouf mit einer leichten Kopfbewegung.
»Ich weiß, dass Sie in See stechen wollen, und ich
würde gerne bei Ihnen anheuern.«
»Doch nicht etwa als einfacher Matrose?«, fragte
Surcouf.
»Als einfacher Matrose«, erwiderte René mit einer
Verbeugung.
Surcouf betrachtete ihn erneut und noch
verwunderter als zuvor. »Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen«, fuhr
Surcouf fort, »dass Sie mir so wenig zum Matrosen geeignet
erscheinen wie ein Chorknabe zum Schuhputzer.«
»Das mag sein, Monsieur, aber jedes Gewerbe lässt
sich erlernen, sei es noch so hart, wenn man nur fest dazu
entschlossen ist.«
»Körperkraft ist für dieses Gewerbe
unerlässlich.«
»In Ermangelung der Kraft, Monsieur, kann man mit
Geschicklichkeit manches ausrichten. Mir scheint, dass man nicht
allzu viel Kraft benötigt, um das große oder kleine Toppsegel zu
reffen oder um vom Mastkorb oder den Wanten aus Granaten auf das
Deck eines gegnerischen Schiffs zu werfen.«
»In unserem Gewerbe«, sagte Surcouf, »gibt es
Tätigkeiten, die ohne Körperkraft nicht zu bewältigen sind.
Angenommen, Sie müssten eine Kanone bedienen, würden Sie sich dann
zutrauen, eine achtundvierzigpfündige Kanonenkugel zur Kanone zu
tragen?«
Und mit dem Fuß stieß er eine solche Kanonenkugel
zu René hin.
»Ich glaube«, sagte dieser, »dass mir das ein
Leichtes wäre.«
»Versuchen Sie es!«, sagte Surcouf.
René bückte sich, ergriff die Kugel mit einer Hand,
als wäre er beim Kegelspiel, und warf sie über Surcoufs Kopf in den
Garten.
Die Kugel rollte fast zwanzig Schritte weit, bevor
sie liegen blieb.
Surcouf erhob sich, sah hinaus und setzte sich
wieder.
»Vortrefflich Monsieur; an Bord der Revenant
gibt es, mich eingeschlossen, höchstens fünf oder sechs Mann, die
zu dem, was Sie eben taten, befähigt wären. Darf ich Ihre Hand
sehen?«
René lächelte, zog seinen Handschuh aus und reichte
Surcouf seine zarte und zierliche Hand, die dieser eingehend
besah.
»Parbleu! Meine Herren«, rief Surcouf die
Offiziere herbei, die sich am anderen Fenster aufhielten, »das
müssen Sie sehen!«
Die Offiziere kamen herbei.
»Diese Mädchenhand«, fuhr Surcouf fort, »hat soeben
jene Achtundvierzigerkugel über meinen Kopf hinweg nach dort
draußen geschleudert.«
Renés Hand, die in Surcoufs kräftigen Händen wie
eine Frauenhand gewirkt hatte, sah zwischen Kernochs riesigen
Pranken wie eine Kinderhand aus.
»Kapitän«, sagte Kernoch, »Sie halten uns wohl zum
Besten; soll das vielleicht eine Hand sein?« Und mit einer
verächtlichen Geste brutaler Kraft gegenüber augenscheinlicher
Schwäche stieß er Renés Hand von sich.
Surcouf streckte die Hand aus, um Kernoch Einhalt
zu gebieten, doch René kam ihm zuvor und sagte: »Kapitän, gestatten
Sie?«
»Nur zu, mein Junge, nur zu«, sagte Surcouf, der
wie alle überlegenen Geister das Unerwartete begrüßte.
Und René sprang über die Querstange des Fensters
hinweg in den Garten.
Nicht weit von der Kugel, die René geworfen hatte,
lag eine zweite Kugel gleicher Größe, mit der Surcouf wohl
Gewichtheben geübt hatte.
René legte die eine Kugel auf seine Handfläche,
legte dann die zweite Kugel im Gleichgewicht auf die erste und trug
beide zum Fenster; dort angekommen, nahm er in jede Hand eine
Kugel, sprang unter der Querstange hindurch in das Zimmer und trat
zu Kernoch, dem er eine Kugel reichte. »Ein Fass Apfelwein für die
Mannschaft«, sagte er, »zu Ehren desjenigen, der die Kugel am
weitesten wirft.«
René hatte sich seiner selbstgestellten Aufgabe mit
so viel Anmut und Leichtigkeit unterzogen, dass mehrere der
Offiziere die Kugeln betasteten, um sich zu vergewissern, dass sie
wirklich aus Eisen waren.
»Ha! Kernoch, alter Freund, das ist ein Vorschlag,
den du kaum zurückweisen wirst.«
»Ganz gewiss nicht«, sagte Kernoch, »und
vorausgesetzt, mein Schutzpatron, der heilige Jakob, lässt mich
nicht im Stich...«
»Bitte sehr«, sagte René zu dem bretonischen
Hünen.
Kernoch richtete sich auf, sammelte alle
Körperkraft in seinem rechten Bein und rechten Arm, dann schnellten
beide wie Federn zurück, die Kugel sauste durch das Fenster, fiel
draußen in einer Entfernung von zehn Schritten zu Boden und rollte
noch ein paar Schritte weiter.
»So viel vermag ein Mensch«, sagte Kernoch, »mehr
kann nur der Teufel.«
»Ich bin nicht der Teufel, Monsieur Kernoch«, sagte
René, »aber ich glaube Grund zu der Annahme zu haben, dass Sie es
sein werden, der das Fass für die Mannschaft ausgibt.«
René begnügte sich damit, mehrmals mit dem Arm
auszuholen, bevor er beim dritten Mal die Kugel warf, die ein paar
Schritte hinter Kernochs Kugel zu Boden fiel und noch etwa zehn
Schritte weit rollte.
Surcouf stieß einen Freudenruf aus, Kernoch einen
Laut des Zorns. Alle anderen waren sprachlos vor Staunen;
allerdings erbleichte René nach diesem Wurf erschreckend und musste
am Kaminsims Halt suchen.
Surcouf sah ihn besorgt an, sprang zu einem
Schränkchen, holte die umflochtene Flasche mit Branntwein heraus,
die er bei Gefechten quer über Brust und Schulter umgehängt trug,
und bot sie René an.
»Danke«, sagte dieser, »ich trinke nie geistige
Getränke.«
Daraufhin trat er zu einer Wasserkaraffe, die mit
einem Glas und etwas Zucker auf einem Tablett stand, goss ein wenig
Wasser in das Glas und trank es. Sogleich kehrte das Lächeln auf
seine Lippen und das Rot in seine Wangen zurück.
»Willst du deine Revanche, Kernoch?«, fragte ein
junger Leutnant zur See.
»Meiner Treu, nein!«, erwiderte Kernoch.
»Kann ich Ihnen einen anderen Gefallen tun?«,
fragte René.
»Jawohl!«, sagte Kernoch. »Machen Sie das
Kreuzeszeichen.«
René musste lächeln; er bekreuzigte sich und sagte
dazu die Worte: »Ich glaube an Gott den Herrn, den Allmächtigen,
Schöpfer von Himmel und Erde.«
»Meine Herren«, sagte Surcouf, »lassen Sie mich
jetzt bitte mit diesem jungen Mann allein.«
Alle zogen sich zurück, Kernoch brummend, die
anderen lachend.
René, der mit Surcouf allein zurückblieb, war
wieder so ruhig und bescheiden wie vorher. Ein anderer hätte
vielleicht auf den Sieg angespielt, den er soeben errungen hatte,
er jedoch wartete ruhig darauf, dass Surcouf das Wort an ihn
richtete.
»Monsieur«, sagte dieser lachend, »ich weiß nicht,
ob Sie noch andere Fertigkeiten besitzen als die, welche Sie mir
vorgeführt haben, aber ein Mann, der so springen kann wie Sie und
mit einer Hand eine Achtundvierzigerkugel wirft, wird auf einem
Schiff wie dem meinen immer gebraucht. Was sind Ihre
Bedingungen?«
»Eine Hängematte an Bord, Verpflegung wie an Bord
üblich und das Recht, mich für Frankreich töten zu lassen, das ist
alles, was ich verlange, Monsieur.«
»Mein lieber Freund«, sagte Surcouf, »ich bin es
gewohnt, die Dienste, die man mir leistet, zu bezahlen.«
»Aber ein Seemann, der noch nie auf dem Meer war,
ein Seemann, der sich auf sein Gewerbe nicht versteht, kann Ihnen
keinerlei Dienst leisten, sondern im Gegenteil leisten Sie ihm
einen Dienst, indem Sie ihm sein Gewerbe beibringen.«
»Meine Mannschaft erhält ein Drittel meiner Prisen;
wären Sie einverstanden, in meinen Dienst zu treten zu den
Bedingungen, die für meine besten und für meine schlechtesten
Matrosen gelten?«
»Nein, Kapitän, denn Ihre Matrosen müssten mir zu
Recht vorwerfen, dass ich Geld einstecke, das mir nicht zusteht, da
ich nichts kann und alles lernen muss. In sechs Monaten können wir
dieses Gespräch führen, wenn es Ihnen recht ist; bis dahin sollten
wir es auf sich beruhen lassen.«
»Aber mein Lieber«, sagte Surcouf, »Sie werden doch
nicht einzig und allein ein Athlet wie Milon von Kroton sein? Sind
Sie vielleicht Jäger?«
»Die Jagd zählte zu den Vergnügungen meiner
Jugend«, erwiderte René.
»Wenn Sie jagen, verstehen Sie sich auch auf
Pistolen?«
»Wie jedermann.«
»Sie fechten?«
»Gut genug, um mich erstechen zu lassen.«
»Nun gut! An Bord haben wir drei ausgezeichnete
Schützen und eine Rüstkammer, in der jedes Mitglied unserer
Mannschaft zu den Zeiten, da es nicht auf Wache ist, nach
Herzenslust mit Degen oder Säbel üben kann.
Sie werden es halten wie die anderen und ihnen innerhalb von drei
Monaten in nichts nachstehen.«
»Ich hoffe es«, sagte René.
»Dann bleibt nur noch die Frage Ihres Solds, und
die werden wir nicht in sechs Monaten klären, sondern über dem
Abendessen, denn ich hoffe, Sie werden mir nicht abschlagen, heute
Abend mit mir zu speisen.«
»Oh, Kapitän, ich danke Ihnen für die Ehre.«
»Wollen Sie unterdessen unseren Pistolenschützen
zusehen? Kernoch und Bléas sind gegeneinander angetreten, und da
sie gleichwertige Kombattanten sind, wird die Sache so bald nicht
entschieden sein.«
Surcouf führte Roland zu dem zweiten Fenster. Von
dort aus sah man im Garten eine gusseiserne Schießscheibe in einer
Entfernung von fünfundzwanzig Schritt, mit einem senkrechten
Kreidestrich in der Mitte markiert.
Die zwei Seemänner setzten ihren Wettkampf fort,
ohne sich um die Neuankömmlinge zu scheren; bei jedem Treffer
applaudierten die Zuschauer.
Kernoch und Bleás waren gute, wenn auch nicht
herausragende Schützen.
René applaudierte mit den anderen.
Kernoch traf den Kreidestrich, und René rief:
»Bravo!«
Kernoch, der René noch immer verübelte, dass dieser
ihn besiegt hatte, nahm Bléas wortlos die Pistole aus der Hand und
reichte sie René.
»Was soll ich damit anstellen, Monsieur?«, fragte
René.
»Vorhin haben Sie uns Ihre Körperkraft bewiesen«,
sagte Kernoch, »und ich hoffe, Sie werden sich jetzt nicht zieren,
Ihre Geschicklichkeit zu beweisen.«
»Oh, Monsieur, mit Vergnügen. Sie lassen mir wenig
Chancen, da Sie die Linie getroffen haben, doch ich sehe, dass Ihre
Kugel rechts ein wenig mehr übersteht als links.«
»Und?«, fragte Kernoch.
»Und«, sagte René, »ich will versuchen, den
Kreidestrich genau in der Mitte zu treffen!«
Und er schoss so schnell, dass man fast hätte
meinen können, er hätte gar nicht gezielt.
Die Kugel traf den Strich genau in der Mitte, und
die Stelle sah aus, als wäre sie sorgsam ausgemessen worden.
Die Matrosen wechselten verblüffte Blicke. Surcouf
brach in Gelächter aus.
»Nun, Kernoch«, fragte er seinen Bootsmann, »was
sagst du dazu?«
»Ich sage, dass so etwas durch Zufall glücken kann,
aber ein andermal …«
»Ein andermal wird es nicht geben«, sagte René,
»denn schließlich ist das ein Kinderspiel, und ich mache Ihnen
lieber einen anderen Vorschlag.«
Er sah sich um und bemerkte auf dem Schreibtisch
rote Siegellackstückchen; er nahm fünf davon, sprang in den Garten,
wobei er sich mit der Hand an der Querstange abstützte, und klebte
die fünf Siegellackstücke auf die Schießscheibe, so dass sie eine
Karo-Fünf bildeten; dann kehrte er zum Fenster zurück und sprang
wieder hinein, ergriff die Pistolen und schoss fünf Kugeln ab,
unter denen die fünf Siegellackstücke verschwanden.
Dann reichte er Kernoch die Pistole. »Jetzt sind
Sie an der Reihe«, sagte er.
Kernoch schüttelte den Kopf. »Danke«, erwiderte
der, »ich bin ein guter Bretone und ein guter Christ, aber das hier
ist Teufelswerk, und damit will ich nichts zu tun haben.«
»Du hast recht, Kernoch«, sagte Surcouf, »und damit
der Teufel uns keinen Streich spielt, werden wir ihn an Bord der
Revenant mitnehmen.«
Und er öffnete die Tür zum Nebenraum, in dem sich
der Fechtmeister des Schiffs aufhielt, denn Surcouf, der selbst
jede Art körperlicher Ertüchtigung beherrschte, wünschte sich das
Gleiche für seine Matrosen, und deshalb hatte er einen Fechtmeister
angestellt, der diese im Schwertkampf und im Florettfechten
unterrichtete.
Man war gerade beim Assaut.
Surcouf und René sahen eine Weile zu.
Surcouf konsultierte René zu einem Stoß, der ihm
schlecht pariert erschien.
»Ich«, sagte der junge Mann, »hätte mit einer Quart
pariert und als Riposte einen Ausfall geführt.«
»Monsieur«, sagte der Fechtmeister und strich sich
über seinen Schnurrbart, »das wäre der sicherste Weg gewesen, sich
wie ein Vogel zum Braten aufspießen zu lassen.«
»Das mag sein, Monsieur«, sagte René, »dann hätte
ich meine Parade und meine Riposte zu langsam ausgeführt.«
»Ist Monsieur hier, um eine Stunde zu nehmen?«,
fragte der Fechtmeister lachend Surcouf.
»Sehen Sie sich vor, mein lieber Bras-d’Acier«,
erwiderte Surcouf, »dass
Monsieur nicht am Ende Ihnen eine Stunde gibt. Zwei Lektionen hat
er schon erteilt, seit er hier ist, und ich bin stark geneigt zu
glauben, dass er sich nicht bitten ließe, Ihnen die dritte zu
erteilen, wenn Ihr Schüler ihm sein Florett leihen wollte.«
»Chasse-Bœuf«, sagte der Fechtmeister, »geben Sie
Monsieur Ihr Florett, damit er den Ratschlag, den er Ihnen vorhin
gab, in die Tat umsetzen kann.«
»Das werden Sie nicht erleben, Monsieur
Chasse-Bœuf«, sagte René, »denn es wäre ungehörig, einen
Fechtmeister zu touchieren, und deshalb will ich mich damit
begnügen zu parieren.«
Und mit unnachahmlicher Anmut salutierte René mit
dem Florett, das der Schüler ihm gereicht hatte, und ging in
Fechterstellung.
Daraufhin begann ein merkwürdiger Zweikampf mit
Meister Brasd’Acier, der seine ganze Kunst aufbot, doch vergebens.
René wehrte seine Klinge mit leichter Hand und den vier
Grundparaden ab, ohne sich die Mühe zu machen, Kontrariposten zu
führen. Bras-d’Acier führte seinen Spitznamen zu Recht, denn eine
Viertelstunde lang erschöpfte er das ganze Repertoire an
Fechthieben, als da sind Finte, Ausfall, Bindung; er machte die
kompliziertesten Hiebe noch komplizierter, doch alles vergebens:
Der Knopf an seinem Rapier fuhr immer wieder links und rechts an
seinem Gegner vorbei.
Als René erkannte, dass Meister Bras-d’Acier nicht
bereit war, sich geschlagen zu geben, salutierte er mit ebenso
formvollendeter Höflichkeit wie zur Eröffnung des Zweikampfes und
versprach Surcouf, der ihn zur Tür begleitete, sich pünktlich zum
Essen einzufinden, das heißt um fünf Uhr.