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Der Krieg
Das dünne Eis friedlichen Einvernehmens war
gebrochen. Bonapartes Auftritt vor Lord Whitworth kam einer
Kriegserklärung gleich.
In der Tat ließ England es sich von diesem Moment
an angelegen sein, Malta zu behalten, obwohl es sich verpflichtet
hatte, die Insel zu verlassen.
Unseligerweise besaß England seinerzeit eine jener
Übergangsregierungen, die sich ihre wichtigsten Entscheidungen von
der öffentlichen Meinung aufnötigen lassen, statt sie im Interesse
des Staates zu treffen.
Es handelte sich um die Regierung Addingtons und
Hawkesburys, die durch ihre Fehlentscheidungen seither zu so
traurigem Ruhm gelangt ist.
George III. von England befand sich in einer
eigenartigen Zwickmühle zwischen der Tory-Regierung Mister Pitts
und der Whig-Regierung Mister Foxes. Mit Mister Pitt teilte er die
politischen Ansichten, doch den Menschen konnte er nicht ausstehen.
Mister Fox brachte er als Person die größte Hochachtung entgegen,
doch seine politischen Ansichten waren ihm ein Gräuel. Und um weder
auf den einen noch den anderen dieser Rivalen um das Regierungsamt
zurückgreifen zu müssen, behielt er die Regierung
Addington, die wie alles Provisorische zu einer Dauereinrichtung
geworden war.
Am 11. Mai ersuchte der englische Botschafter um
Pass und Reisepapiere.
Die Abreise Lord Whitworths erregte ein Aufsehen,
wie man es bei einem ähnlichen Anlass noch nie erlebt hatte. Seit
sich herumgesprochen hatte, dass er seine Reisepapiere beantragt
hatte, warteten zwei- bis dreihundert Neugierige von morgens bis
abends vor den Pforten des Stadtpalais, in dem er residierte.
Als zuletzt die Wagen herausfuhren, wurde dem
scheidenden Botschafter seitens der Zuschauer lebhafteste Sympathie
bekundet, denn jedermann wusste, dass er sich bis zuletzt für den
Frieden eingesetzt hatte.
Wie alle tatkräftigen Menschen hatte Bonaparte,
sobald er sich für den Frieden entschieden hatte, dessen Vorzüge zu
schätzen gewusst und die Vorteile, die er für Frankreich daraus
beziehen konnte, in den leuchtendsten Farben gesehen. Unversehens
mit aller Gewalt in die entgegengesetzte Richtung genötigt,
gelangte er zu dem Schluss, wenn er nicht der Wohltäter Frankreichs
und der ganzen Welt sein könne, wolle er sie wenigstens das Staunen
lehren. Die dumpfe Abneigung, die er England schon immer
entgegengebracht hatte, verwandelte sich nun in überschäumenden
Hass, begleitet von größenwahnsinnigen Zukunftsplänen. Die Meerenge
zwischen Dover und Calais war keine größere Entfernung als die
Strecke, die er beim Überqueren des Sankt Bernhard zurückgelegt
hatte, und er dachte sich, wenn er die Alpen bezwungen hatte, im
tiefsten Winter, vorbei an Abgründen und oft ohne erkennbaren Weg,
über schneebedeckte Berge, die als unüberwindlich galten – wenn all
das also nur eine Frage des Transports war, warum sollte ihm dann
die Eroberung Englands nicht ebenso gelingen können wie die
Eroberung Italiens, vorausgesetzt, er brachte genug Schiffe auf, um
eine Armee von hundertfünfzigtausend Mann über den Ärmelkanal zu
transportieren? Er ließ die Personen in seiner Umgebung vor seinem
inneren Auge Revue passieren und erwog, auf wen er sich verlassen
konnte und vor wem er sich in Acht nehmen musste. Die Gesellschaft
der Philadelphes war noch immer eine Geheimgesellschaft, doch das
Konkordat hatte den Hass der republikanischen Generäle erneut
geschürt und vermehrt. All die Apostel der Vernunft – ob Dupuis,
Monge oder Berthollet -, die man mit Mühe und Not dazu bewegen
konnte, Gott eine gewisse Göttlichkeit zuzuerkennen, waren
keineswegs bereit, dem Papst einen besonderen Status einzuräumen.
Als halber Italiener
war Bonaparte vielleicht nur bedingt religiös, doch abergläubisch
war er immer gewesen. Er glaubte an Vorahnungen, Voraussagen,
Wahrsager; und wenn er sich dazu hinreißen ließ, in Joséphines
engerem Kreis über die Religion zu sprechen, waren seine
überspannten Ideen für die Zuhörer nicht selten verstörend.
Eines Abends sagte Monge zu ihm: »Citoyen Erster
Konsul, hoffen wir nur, dass wir nicht zum Beichtzettel
zurückkehren.«
»Das kann man nie wissen«, erwiderte Bonaparte
ungerührt.
Das Konkordat hatte Bonaparte mit der Kirche
ausgesöhnt, aber es hatte ihn mit einem Teil seiner Armee entzweit.
Die Philadelphes schöpften Hoffnung und wähnten den Moment
gekommen, der ein Handeln erforderlich machte. Eine Verschwörung
gegen den Ersten Konsul wurde angezettelt.
Die Verschwörer beabsichtigten, Bonaparte während
einer Truppeninspektion und vor den Augen seines Gefolges aus
Generälen und Ordonnanzen vom Pferd zu stoßen und unter den
Pferdehufen zu Tode treten zu lassen. Große Hoffnungen setzten die
Verschwörer bei all ihren Projekten stets in Bernadotte, den
Kommandanten der Armee im Westen, der sich zurzeit allerdings in
Paris aufhielt, und in Moreau, der auf seinem Landgut Grosbois
schmollte, weil ihm sein glänzender Sieg bei Hohenlinden, der den
Krieg mit Österreich beendet hatte, mit Undank gelohnt worden
war.
Daraufhin gelangten drei Schmähschriften nach
Paris, die in Form einer Ansprache an die französischen Armeen
gehalten waren. Sie kamen aus dem Generalquartier in Rennes, das
heißt von Bernadotte. In ihnen wurde der korsische Tyrann
verunglimpft, der feige Mörder Klébers, denn die Nachricht
von dessen Tod verbreitete sich gerade in Paris, und nicht nur
wahrheitswidrig, sondern sogar gegen jede Wahrscheinlichkeit wurde
dieser gewaltsame Tod demjenigen angelastet, dem der eine Teil
Frankreichs alles Gute zuschrieb, was sich ereignete, und der
andere Teil alles Böse. Nach diesen blutigen Themen wurden
Bonapartes capucinades mit beißendem Spott bedacht, und das
Ganze gipfelte in einem Aufruf, sich gegen ihn zu erheben und ihn
mitsamt seiner korsischen Sippschaft vom Erdboden zu tilgen.
Diese Pamphlete wurden mit der Post an alle
Generäle, kommandierenden Generäle und ranghöheren Offiziere
geschickt, doch hatte Fouchés Polizei jede dieser Sendungen mit
Ausnahme der allerersten beschlagnahmt. Die erste Sendung war in
der Eilpost von Rennes nach Paris gelangt,
in einem Butterfässchen, das an General Moreaus Aide de Camp
Rapatel geliefert wurde.
An dem Tag, an dem Bonaparte Fouché kommen ließ,
damit dieser mit ihm die Liste der Freunde und Feinde
zusammenstellte, hatte Fouché sich darauf eingerichtet, mit den
Beweisen der Offiziersverschwörung im Tuilerienpalast
vorzusprechen.
Bei Bonapartes ersten Worten begriff Fouché, dass
er keinen besseren Zeitpunkt hätte wählen können, denn er führte
von jedem der drei Pamphlete ein Exemplar mit sich. Er wusste, dass
ein Packen Pamphlete an Rapatel abgeschickt worden war, was
bedeutete, dass Moreau auf jeden Fall Mitwisser, wenn nicht gar
Mitanstifter dieses Umsturzversuches war, der zum Ziel hatte, in
alle Ränge des Heeres Brandsätze zu schleudern.
Es war die Zeit, zu der Bonaparte Ehrensäbel und
Ehrengewehre verlieh, eine Vorstufe zur Verleihung des Ordens der
Ehrenlegion. Moreau, angespornt durch seine Frau und seine
Schwiegermutter, die sich mit Joséphine überworfen hatten und sie
mit ihrem Hass verfolgten, hatte sich über diese Ehrengaben lustig
gemacht; Fouché berichtete Bonaparte, im Verlauf eines großen und
prunkvollen Diners bei Moreau sei dem Koch eine Ehrenkasserolle
verliehen und bei einer Wildschweinjagd sei der Jagdhund, der sich
am tapfersten in der Verfolgung hervorgetan und drei Bisswunden
davongetragen hatte, mit einem Ehrenhundehalsband ausgezeichnet
worden.
Solche Bosheiten verübelte Bonaparte dem Urheber
ganz ungemein, umso mehr, als sie sich so massiert ereigneten. Er
verlangte von Fouché, sich auf der Stelle zu Moreau zu begeben und
eine Erklärung von ihm zu fordern. Moreau jedoch lachte nur über
die Botschaft, tat die »Butterfässchenverschwörung« als Kinderei ab
und gab zur Antwort, wenn Bonaparte als Regierungsoberhaupt
Ehrensäbel und Ehrengewehre verteile, könne er als Oberhaupt seines
Hauses dort nach eigenem Gutdünken Ehrenkasserollen und
-hundehalsbänder verteilen.
Fouché war selten entrüstet, doch diesmal kam er
voller Entrüstung zurück.
Als Bonaparte den Bericht seines Ministers vernahm
– des Polizeiministers, der nur für ihn allein da war -, geriet er
in maßlosen Zorn.
»Moreau ist der Einzige, der neben mir etwas taugt,
und es geht nicht an, dass Frankreich darunter leidet, zwischen ihm
und mir hin- und hergezerrt zu werden. Wäre ich an seiner Stelle
und er an meiner, diente ich
ihm mit Vergnügen als sein erster Aide de Camp. Wenn er aber
denkt, er könnte sich ein Regierungsamt zutrauen! … Armes
Frankreich! Nun, wohlan! Er soll sich morgen früh um vier Uhr im
Bois de Boulogne einfinden, und dann werden wir mit dem Säbel die
Entscheidung ausfechten. Fouché, Sie werden ihm meinen Befehl
übermitteln, Wort für Wort.«
Bonaparte wartete bis um Mitternacht. Um
Mitternacht kam Fouché zurück. Diesmal hatte er Moreau zugänglicher
vorgefunden. Moreau hatte zugesagt, am nächsten Tag zum Lever in
den Tuilerienpalast zu kommen; dieser Zeremonie hatte er schon seit
Langem nicht mehr beigewohnt.
Von Fouché vorbereitet, empfing Bonaparte Moreau
leutselig, lud ihn zum Frühstück ein und beschenkte ihn beim
Abschied mit einem prachtvollen Paar diamantbesetzter Pistolen, die
er mit den Worten überreichte: »Ich hätte Ihre Siege auf diese
Waffen gravieren lassen, General, doch dafür war nicht genug
Platz.«
Sie reichten einander die Hand, doch die Herzen
hatten nicht zueinander gefunden.
Kaum war diese Fraktion beruhigt, wenn auch nicht
zum Verstummen gebracht, machte Bonaparte sich an die Umsetzung
seiner großen Pläne; er ließ die flandrischen und holländischen
Häfen auf Form, Größe, Bewohnerschaft und Material untersuchen.
Oberst Lacuée, der mit dieser Aufgabe betraut war, musste sich
einen ungefähren Überblick über den Zustand aller Schiffe
verschaffen, die zwischen Le Havre und Texel Küstenschifffahrt und
Fischerei dienten. Offiziere wurden nach Saint-Malo, Granville und
Brest entsandt, um die Schiffe zu zählen. Marineingenieure mussten
dem Ersten Konsul die Modelle aller Flachboote vorführen, die
schweres Geschütz transportieren konnten. Sämtliche Wälder am
Ärmelkanal wurden auf die Menge Holz, die man in ihnen schlagen
konnte, und auf die Tauglichkeit dieses Holzes zum Bau einer
Kriegsflotte inspiziert, und da Bonaparte wusste, dass die
Engländer in Italien mit Holz handelten, schickte er Unterhändler
mit dem erforderlichen Geld, dieses Holz zu erwerben, das unser
Land so dringend brauchte.
Signal der Wiederaufnahme der Kriegshandlungen
sollte die Besetzung Portugals und des Golfs von Tarent im
Handstreich sein.
Englands Eidbrüchigkeit war so eklatant, dass nicht
einmal Bonapartes eingefleischtester Feind ihm den Bruch zur Last
legte. Ganz Frankreich empörte sich einhellig; man war sich zwar
der Unterlegenheit unserer
Marine bewusst, doch zugleich war man der Überzeugung, mit genug
Zeit und genug Geld für den Bau der erforderlichen Menge Flachboote
werde es uns gelingen, die Engländer zur See ebenso vernichtend zu
schlagen wie ihre Alliierten zu Lande.
Sobald bekannt wurde, was diese Flachboote
kosteten, wurde es zur Mode, sie dem Ersten Konsul zum Geschenk zu
machen. Das Departement Loiret ging voran und bot
dreihunderttausend Francs an. Für diesen Betrag konnte man eine
Fregatte bauen und mit dreißig Kanonen bestücken. Und alsbald
schenkten kleine Städte wie Coutances, Berny, Louviers, Valognes,
Foix, Verdun oder Moissac Flachboote, die zwischen achttausend und
zwanzigtausend Francs kosteten.
Paris, dessen Wappen ein Schiff ziert, spendete ein
Schiff mit hundertzwanzig Kanonen, Lyon eines mit hundert, Bordeaux
eines mit achtzig und Marseille eines mit vierundsiebzig Kanonen.
Die italienische Republik schließlich spendete dem Ersten Konsul
vier Millionen für den Bau zweier Fregatten, die Le
Président und La République Italienne heißen
sollten.
Unterdessen, während Bonaparte ganz in seinen
Kriegsvorbereitungen aufging und die Innen- um der Außenpolitik
willen vergaß, erhielt Savary das Schreiben eines ehemaligen
Anführers der Vendée, dem Savary so manchen Gefallen getan hatte
und der sich auf seine Landgüter zurückgezogen hatte, um dort in
Frieden zu leben. Er meldete Savary, eine Gruppe Bewaffneter habe
ihn aufgesucht und auf Torheiten angesprochen, wie er sie
seit dem 18. Brumaire nicht mehr beging. Er fügte hinzu, um sein
Wort zu halten, das er seinerzeit der Regierung gegeben hatte, und
um sich vor möglichen Folgen dieses Besuchs zu schützen, habe er
sofort Meldung erstattet und sei überdies bereit, sich nach Paris
zu begeben, um alles zu berichten, sobald die Weinlese beendet
sei.
Savary wusste, welch großen Wert der Erste Konsul
darauf legte, über alles informiert zu sein. Sein gewitzter und
durchdringender Verstand witterte in den harmlosesten Geschehnissen
die verborgensten Absichten. Der Brief beschäftigte ihn eine Weile,
doch nach kaum einer Viertelstunde sagte er zu Savary: »Sie werden
hinfahren, einige Tage bei Ihrem Vendéer verbringen, die Vendée
beobachten und herauszufinden versuchen, was sich dort
zusammenbraut.«
Savary reiste am selben Tag inkognito ab.
Bei seinem Freund angekommen, hielt er die
Situation für so gravierend, dass er sich als Bauer verkleidete und
seinen Freund nötigte, es ihm
gleichzutun, woraufhin sie sich an die Verfolgung der Bande
machten, die seinen Freund aufgesucht hatte.
Am dritten Tag trafen sie auf einige Männer, die
sich am Vortag von der Bande getrennt hatten. Von ihnen erfuhren
sie alles, was sie wissen wollten.
Savary kehrte nach Paris zurück, zutiefst
überzeugt, dass es nur des sprichwörtlichen Funkens bedürfe, um das
Pulverfass namens Vendée und Morbihan in die Luft zu
sprengen.
Bonaparte lauschte ihm mit ungeheuchelter
Überraschung. Mit dieser Entwicklung hatte er nicht gerechnet;
gewiss, Georges hatte ihm den Fehdehandschuh hingeworfen, doch ihn
wähnte der Erste Konsul in London, denn Régniers Polizei hatte ihm
versichert, sie überwache Cadoudal lückenlos.
In den verschiedenen Kerkern der Stadt gab es
zahllose Gefangene, die der Spionage angeklagt waren oder
politischer Umtriebe und denen kein Prozess gemacht worden war,
weil Bonaparte selbst gesagt hatte, die Zeit werde kommen, da man
derlei Intrigen keine Bedeutung mehr beimessen und all diese
Unglücklichen auf einen Schlag freilassen werde.
Diesmal ließ der Erste Konsul nicht nach Fouché
rufen, sondern sich von Savary die Liste der festgenommenen
Personen mit dem Datum ihrer Festnahme und den Notizen über ihr
Vorleben bringen.
Unter diesen Häftlingen befanden sich ein gewisser
Picot und ein gewisser Lebourgeois; sie waren vor über einem Jahr
um die Zeit des Attentats mit der Höllenmaschine nach ihrer Ankunft
aus England in Pont-Audemer in der Normandie festgenommen worden.
Das Vernehmungsprotokoll wies folgende Randnotiz auf: »Eingereist,
um den Ersten Konsul umzubringen.«
Es lässt sich nur spekulieren, warum diese Namen
Bonaparte eher auffielen als andere. Jedenfalls ordnete er an,
diese beiden und drei weitere vor Gericht zu stellen und
abzuurteilen.
Trotz der erdrückenden Beweislage bewahrten Picot
und Lebourgeois eine bewunderswerte Kaltblütigkeit; ihre
Komplizenschaft mit Saint-Régeant und Carbon war so offenkundig,
dass sie zum Tode verurteilt und füsiliert wurden. Bis zuletzt war
kein Geständnis von ihnen zu erlangen; im Gegenteil trotzten sie
dem Gericht und verkündeten, es werde bald genug Krieg geben, und
dieser Krieg werde Bonaparte den Kopf kosten.
Zwei der drei übrigen Gefangenen wurden vom Gericht
freigesprochen, einer wurde verurteilt. Der Verurteilte hieß
Querelle; er war ein
Niederbretone, der in der Vendée-Armee unter Georges Cadoudal
gedient hatte.
Verhaftet worden war er auf Betreiben eines
Gläubigers, dem er zu seinem eigenen Pech einen Teil des
geschuldeten Geldes gezahlt hatte; da er nicht den ganzen Betrag
hatte aufbringen können, hatte jener ihn als Verschwörer
denunziert.
Der Prozess gegen Picot und Lebourgeois und der
gegen Querelle wurden nicht gleichzeitig verhandelt, und so kam es,
dass die drei nicht zusammen hingerichtet werden konnten. Die zwei
zuerst Verurteilten hatten ihren Gefährten ermahnt, als sie zu
ihrem letzten Gang aufbrachen: »Folge unserem Beispiel: Frommen
Herzens und ehrlichen Sinnes kämpfen wir für Thron und Altar; wir
sterben für eine Sache, die uns die Himmelspforten weit öffnet;
sterbe wie wir und sage nichts, wenn du verurteilt wirst; Gott wird
dich in die Reihen seiner Märtyrer erheben, und du wirst alle
himmlischen Freuden kosten!«
Wie seine Gefährten es vorausgesehen hatten, wurde
Querelle zum Tode verurteilt. Gegen neun Uhr abends ließ der
Richter das Urteil dem Befehlshaber des Regimentsstabs überbringen,
damit dieser bei Anbruch des nächsten Tages das Urteil vollstrecken
ließ, wie es üblich war.
Der Befehlshaber war auf einem Ball; er kam um drei
Uhr nachts nach Hause, öffnete die Depesche, steckte sie unter sein
Kopfkissen und schlief ein.
Wäre der Befehl rechtzeitig ergangen, wäre Querelle
zusammen mit seinen Gefährten zur Hinrichtung geschritten, dann
wäre er sicherlich wie sie gestorben, von ihrem Mut und von seiner
Selbstachtung aufrechterhalten, und er hätte wie sie sein Geheimnis
mit ins Grab genommen. Doch die Verspätung in der Ausführung seines
Todesurteils, der Tag, den er ganz allein im Angesicht des nahen
Todes verbrachte, das langsame Herannahen des letzten Augenblicks,
all das senkte Verzweiflung in seinen Geist. Gegen sieben Uhr
abends fiel er in so heftige Zuckungen, dass man glaubte, er habe
seinen Wärtern Gift entwendet. Der Gefängnisarzt wurde gerufen. Er
befragte den Gefangenen nach der Ursache seiner Zustände; er war
überzeugt, es mit einer Vergiftung zu tun zu haben, und wollte
erfahren, welches Gift der Gefangene genommen hatte.
Querelle jedoch umschlang den Hals des Arztes,
näherte seinen Mund dessen Ohr und flüsterte: »Ich bin nicht
vergiftet. Ich habe Angst!«
Da erkannte der Arzt, wie man ihn zum Sprechen
bringen konnte.
»Sie wissen um ein Geheimnis«, sagte er, »für das
die Polizei viel geben würde; stellen Sie Ihre Bedingungen – wer
weiß, ob man Sie nicht begnadigen wird!«
»Oh! Niemals, niemals!«, stöhnte der Verurteilte.
»Zu spät.«
Auf Drängen des Arztes verlangte Querelle zuletzt
eine Feder und Papier und schrieb an den Gouverneur von Paris, er
habe ihm Enthüllungen zu machen.
Gouverneur von Paris war nicht mehr Junot, sondern
Murat. Bonaparte fand, Junot sei zu leichtfertig, und hatte ihn
durch Murat ablösen lassen.
Gegen elf Uhr abends unterhielt sich der Erste
Konsul sorgenvoll und nachdenklich in seinem Kabinett mit Réal.
Plötzlich wurde die Tür geöffnet, Savary kündigte den Gouverneur
von Paris an, und Murat erschien.
»Ah, Murat, Sie sind es«, sagte Bonaparte und trat
seinem Schwager ein paar Schritte entgegen. »Sie müssen gewichtige
Neuigkeiten haben, wenn Sie mich zu so später Stunde
aufsuchen.«
»Ja, General; ich habe soeben den Brief eines armen
Teufels erhalten, der zum Tode verurteilt ist und morgen früh
hingerichtet werden soll. Er bietet uns Enthüllungen an.«
»Und?«, sagte Bonaparte gleichgültig. »Leiten Sie
den Brief an den Richter weiter, der ihn abgeurteilt hat, der soll
sich damit befassen.«
»Ich gedachte«, sagte Murat, »so zu verfahren, doch
der Brief ist von einer solchen Offenheit und Ehrlichkeit, dass er
mein Interesse geweckt hat. Lesen Sie selbst.«
Bonaparte las den Brief, den Murat ihm entrollt
hinhielt.
»Armer Teufel! Er will eine Stunde Leben
herausschlagen, weiter nichts. Tun Sie, wie Ihnen geboten.«
Und er reichte ihm den Brief zurück.
»Aber General«, beharrte Murat, »haben Sie denn
nicht gesehen, was dieser Mann steif und fest behauptet?«
»O doch, das habe ich sehr wohl gesehen; aber
solche Behauptungen bin ich gewohnt, und ich sage Ihnen noch
einmal, dass der Verurteilte uns nichts mitzuteilen hat, was einen
Aufschub rechtfertigen würde.«
»Wer weiß?«, sagte Murat. »Überlassen Sie mir und
Monsieur Réal diese Sache.«
»Wenn Sie unbedingt darauf bestehen«, lenkte
Bonaparte ein, »dann tun Sie, was Sie für richtig halten. Réal, Sie
werden ihn vernehmen. Murat,
Sie begleiten den Oberrichter, wenn Sie wollen, aber keinen
Aufschub, haben Sie verstanden, ich gestatte keinen
Aufschub.«
Réal und Murat zogen sich zurück. Bonaparte ging in
sein Schlafzimmer.