51
Die falschen Engländer
Um ihren Gast nicht zu stören, hatte Madame
Leroux, mehr als besänftigt durch die Handvoll Gold, die sie in
seinen Fingern hatte funkeln sehen, das Abendessen in einem
Nachbarzimmer auftragen lassen. Es ließ sich kein einladenderer
Anblick denken als der des gedeckten Tischs mit den Austern, den
drei Gläsern verschiedener Form neben den Gedecken, dem blitzenden
Silberbesteck und den zwei Flaschen Chablis, beide bereits
entkorkt. Der alte Seemann blieb an der Tür stehen und betrachtete
den herrlichen Anblick mit wohlgefälligem Lachen.
»Ha!«, sagte er, »wenn Sie sich in der Hoffnung
einschiffen, an Bord jeden Tag so fürstlich zu leben, dann täuschen
Sie sich, mein junger Freund. Die Kost ist nicht zu verachten bei
Surcouf, aber trockene Bohnen sind da eher an der Tagesordnung als
gebratene Hühner.«
»Nun, Kamerad, wenn trockene Bohnen an der
Tagesordnung sind, werden wir trockene Bohnen essen, aber bis dahin
wollen wir uns an den Austern gütlich tun, die uns erwarten. Eines
noch: Du weißt meinen Namen, aber ich nicht den deinen, das
erschwert unsere Unterhaltung. Wie heißt du?«
»Saint-Jean, gnädiger Herr. An Bord hieß ich
›Mastkorb‹, weil ich oben am Mast Wache halte.«
»Gut, Saint-Jean. Ein Glas Chablis? Der hat die
Linie nicht passiert, das kann ich dir versichern.«
Saint-Jean hielt dem Gastgeber sein Glas hin und
leerte es auf einen Zug.
»Verdammt«, sagte er, »ich dachte wohl, es wäre
Apfelmost. Schenken Sie mir ein zweites Glas ein, Kamerad, damit
ich gutmachen kann, dass ich das erste so formlos hinuntergestürzt
habe.«
René ließ sich nicht lange bitten, denn er wollte
Saint-Jean zum Sprechen bringen und selbst so wenig wie möglich
reden, was sich auf diesem Weg als nicht weiter schwierig erwies.
Nach dem Chablis gab es Bordeaux, nach dem Bordeaux Burgunder und
nach dem Burgunder Champagner. Und Saint-Jean ließ sich mit einer
Ungezwungenheit bewirten, die seine Arglosigkeit bezeugte.
Als das Dessert serviert wurde, sagte René: »Ich
glaube, jetzt wäre es
an der Zeit für den Rest der Geschichte, wie es Surcouf gelang,
seine Fahrt auf einem englischen Schiff statt auf der
Confiance zu beenden.«
»Als wir gewendet haben, um bei Tisch vor Anker zu
gehen, waren die zwei Schiffe keine zwei Seemeilen mehr voneinander
entfernt. Ich war auf Posten im Ausguck und hatte ein Fernrohr; ich
meldete unserem Kapitän, dass das Schiff, das wir uns ausgesucht
hatten, verdeckte Geschütze besaß, dass es teuflisch aufgetakelt
war und dass seine Segel englischen Zuschnitt hatten: Nun galt es
nur noch herauszufinden, wie gut es bewaffnet war und mit welchem
Schiff wir es zu tun hatten. Während ich mit dem Kapitän spreche,
wird die Position unserer Confiance prekär, weil der Wind,
der anfangs ein mildes Lüftchen war, so frisch wird, dass wir auf
einmal vier Knoten machen; aber um uns zweifelsfrei zu vergewissern
und um zu erfahren, mit welchem Gegner wir es zu tun haben,
streichen wir alle kleinen Segel, luven an und segeln hoch am Wind.
Das andere Schiff macht uns das Manöver nach, so dass man meinen
könnte, es wäre unser Schatten, wäre es nicht größer gewesen als
die Confiance. Da die beiden Schiffe einander der Entfernung
wegen nicht taxieren können, segelt die Confiance eine
Dreiviertelwende nach Backbord, und abermals wiederholt das
rätselhafte fremde Schiff unser Manöver, so dass wir einander
erneut so schräg gegenüberliegen wie zuvor und wir das andere
Schiff nicht recht in Augenschein nehmen können, denn Balken und
Fässer verdecken seine Geschütze.
Wissen Sie, Kamerad«, fuhr Saint-Jean fort, »es
gibt eine brave kleine Fee, die man zur Taufe Surcoufs einzuladen
vergessen hat, und diese Fee heißt Geduld. Aber die Mannschaft war
nun genauso aufgebracht wie ihr Kapitän. Gnade Gott dem fremden
Schiff, wenn es von gleicher Stärke wie das unsere ist und es zum
Handgemenge kommt!
Die Confiance profitierte von ihrer
besonderen Bauweise am meisten, wenn sie dicht am Wind segelte; da
dieses Manöver jedoch zu den allergefährlichsten bei Beginn eines
Kampfes gehört, luven wir wieder an und lassen das Schiff Fahrt
aufnehmen, damit wir im äußersten Notfall den Rückzug antreten
können.
Schließlich gehen wir hoch an den Wind und
überholen das andere Schiff, was wir mit Freudenrufen
quittieren.
Surcouf hatte sich neben mich gesetzt. ›Zum
Teufel!‹, sagte er. ›Jetzt werden wir bald sehen, ob dieses Schiff
ein ehrliches Spiel treibt und ob es ehrlich an unserem Schiff
längsseits gehen will. Ich bin ein alter Seebär, aber einen Bären
lasse ich mir nicht aufbinden. Ich kenne alle Schliche
dieser Schurken mit ihren Handelsschiffen. Oft genug habe ich
erlebt, dass solche Schiffe verlockend aussahen und von Kapitänen
geführt wurden, die mit allen Wassern gewaschen waren und jene, die
sie verfolgten, in die Flucht schlugen, weil sie sich stellten, als
suchten sie selbst den Kampf!‹
Surcouf war von dieser Überzeugung so durchdrungen,
dass sich die Confiance laut seinem Befehl von Luv dem
gegnerischen Schiff näherte. Das war nicht zum Lachen, denn hätte
er sich getäuscht, wäre uns eine Breitseite auf den Pelz gefeuert
worden, oder aber wir wären Gefahr gelaufen, geentert zu
werden.
Surcouf lässt sich an einem Tau auf das Deck
herunter und geht dann schnellen Schritts auf den ersten und den
zweiten Leutnant zu. ›Tod und Teufel!‹, ruft er und stampft mit dem
Fuß auf. ›Ich habe eine Riesendummheit begangen, ich hätte das
fremde Schiff zuerst herankommen lassen und es dann mit
verschiedenen Geschwindigkeiten jagen sollen, um seine Stärke und
Schnelligkeit einschätzen zu können.‹ Und er schlug sich mit der
Faust an die Stirn, spuckte seine Zigarre weg, gewann dann seine
Kaltblütigkeit wieder und sagte: ›Das soll mir eine Lehre
sein.‹
Dann hob er sein Fernrohr ans Auge, folgte dem
Schiff fünf Minuten lang mit dem Blick, schob die Kupferrohre des
Perspektivs mit der Handfläche wieder zusammen und rief die
Mannschaft herbei. ›Alle hierher an Deck!‹
Wir drängten uns um ihn. ›Zum Teufel!‹, rief er.
›Jetzt ist mir alles klar. Ihr seid Männer, keine Kinder, wozu euch
also verbergen, was ich jetzt weiß? Seht euch den Engländer gut an:
Er hat eine Büste als Galionsfigur, Bugsprietsegelbrassen mit
einfachen Taljen und ein nagelneues Geschütz über dem Reff seines
kleinen Toppsegels. Nun, es handelt sich ganz einfach um eine
Fregatte.‹
›Eine Fregatte!‹
›Und wollt ihr wissen, wie diese Fregatte heißt?
Das ist die vermaledeite Sibylle! Es wird ein hartes Stück
Arbeit sein, sie uns vom Hals zu schaffen, aber noch ist nicht
aller Tage Abend; wenn es mir gelingt, mit unserer Confiance
so dicht wie möglich am Wind zu bleiben, möchte ich sehen, wie sie
uns einholen wollen. Ach!‹, fuhr er fort, ballte die Fäuste und
knirschte mit den Zähnen. ›Wenn mir nicht die Hälfte meiner Männer
fehlte, die ich mit den Prisen zur Île de France schicken musste,
zum Teufel, auch wenn es nichts einbrächte, würde ich mir den Spaß
erlauben, den Engländern ein bisschen die Hölle heißzumachen, so
dass wir etwas zu lachen hätten; aber mit den paar Mann Besatzung,
die mir geblieben sind,
kann ich mir diese Unterhaltung nicht erlauben, denn es hieße die
Confiance ohne Not aufs Spiel zu setzen. Lieber den
Engländer täuschen. Aber welche List soll ich ersinnen, welche
Falle kann ich ihm stellen?‹
Surcouf ging nach achtern, setzte sich und senkte
den Kopf in die Hände, um nachzudenken. Fünf Minuten später hatte
er gefunden, was er suchte, und es war höchste Zeit, denn wir
befanden uns nur mehr in halber Gefechtsdistanz zu dem anderen
Schiff.
›Die englischen Uniformen!‹, rief er.
Zu einer der letzten Prisen, die wir erbeutet
hatten, gehörten zwölf Truhen englischer Uniformen, die auf dem Weg
nach Indien gewesen waren; in einer Vorahnung, dass diese Uniformen
ihm eines Tages nützlich sein würden, hatte Surcouf sie an Bord der
Confiance behalten.
Kaum hatte Surcouf nach den Uniformen verlangt,
ging ein Lächeln über alle Mienen, denn jedermann begriff, was er
vorhatte; die Uniformen werden geholt und ins Zwischendeck
gebracht; jeder Seemann steigt durch eine Luke in unserer
Nationaltracht hinunter und durch eine andere Luke im roten Rock
wieder hinauf: Und keine fünf Minuten später waren nur noch
Engländer auf Deck zu sehen.
Daraufhin legen etwa dreißig der Unseren einen Arm
in eine Schlinge, und andere binden sich gerötete Bandagen um den
Kopf: Das Blut musste ein Huhn hergeben. Unterdessen nageln wir von
außen an die Schiffsplanken Holzstücke, die den Eindruck
zugestopfter Einschusslöcher machen sollen, und mit Hammerschlägen
durchlöchern wir das Schandeck unserer Beiboote. Zuletzt begibt
sich unser echter Engländer, unser Dolmetscher, in Kapitänsuniform
und mit Sprachrohr auf die Wachtbank des Offiziers, während
Surcouf, als einfacher Matrose verkleidet, sich neben ihn stellt,
um ihm zu soufflieren, was er sagen soll.
Unser Fähnrich zur See, ein tapferer Bursche namens
Bléas, den Hut eines englischen Offiziers auf dem Kopf, tritt zu
Surcouf. ›Zu Befehl, Kapitän‹, sagt er, ›ich hoffe, Sie sind mit
meiner Verkleidung zufrieden.‹
›Ganz ausgezeichnet‹, erwidert Surcouf lachend.
›Aber für Maskeraden und Späße ist jetzt keine Zeit mehr. Bléas,
merken Sie sich gut, was ich Ihnen sagen werde, denn Ihr Auftrag
ist von allergrößter Wichtigkeit; aus zwei Gründen habe ich Sie
dazu ausersehen: Zum einen sind Sie Neffe des Eigners der
Confiance und unmittelbar an ihrem Schicksal beteiligt, zum
anderen sprechen Sie tadellos die englische Sprache; im Übrigen
setze ich uneingeschränktes Vertrauen in Ihren Mut, Ihre
Intelligenz und Ihre Kaltblütigkeit. ‹<
›Kapitän, ich kann nur wiederholen, was ich bereits
sagte: Ich stehe Ihnen zu Befehl.‹<
›Danke. Bléas, Sie werden in die Jolle steigen und
sich an Bord der Sibylle begeben.‹
›Kapitän, in zehn Minuten werden Sie mich an Deck
der Sibylle sehen.‹<
›Oh, nicht so schnell‹, sagte Surcouf, ›ganz so
einfach ist die Sache nicht. In fünf Minuten will ich sehen, dass
Ihre Jolle mit Wasser vollläuft, während Sie sich darin
befinden.‹
›Ich bin gerne bereit, sie volllaufen zu lassen,
mit ihr unterzugehen oder mich von einem Hai anknabbern zu lassen,
während ich mich schwimmend zu retten versuche. Aber vor allem
wüsste ich gerne, was all das zur Rettung der Confiance
beitragen soll.‹
›Glauben Sie mir, dass ich Ihnen nichts Böses will,
Bléas?‹
›Oh, ganz gewiss, mein Kapitän.‹<
›Nun, denn: Verlangen Sie keine Erklärung von
mir.‹
›Einverstanden, mein Kapitän; was aber ist mit
denen, die mich begleiten? ‹
›Seien Sie unbesorgt, sie werden ihre Rollen umso
überzeugender spielen, je weniger sie wissen; und zum Beweis, dass
ich weder Sie noch jene in ernstlicher Gefahr glaube, gebe ich
Ihnen hundert Dublonen und Ihren Begleitern je fünfundzwanzig
Dublonen. Diese Belohnung erhalten Sie neben Ihrem Sold, denn sie
ist dazu gedacht, Ihnen die Gefangenschaft nicht langweilig werden
zu lassen; doch seien Sie unbesorgt, ich verspreche Ihnen, dass Sie
aus der Gefangenschaft befreit sein werden, bevor Sie noch Zeit
haben, das Geld auf den Kopf zu hauen, und wenn ich fünfzig
Engländer hergeben müsste, um euch freizubekommen. Ich muss wohl
nicht eigens erwähnen, dass zu den hundert Dublonen und Ihrem
Prisengeld noch eine ansehnliche Belohnung auf Sie und Ihre Männer
wartet.‹<
›Oh, was das betrifft, Kapitän …‹<
›Pah, lassen Sie nur; Gold bringt Glück. Haben Sie
alles verstanden?‹
›Jawohl.‹<
›Springen Sie auf keinen Fall ins Wasser.‹
›Wie, sollen wir doch ertrinken?‹, rief Bléas
ratlos.
›Nein; sobald Ihnen das Wasser über die Knöchel
steigt, wenden Sie sich der Sibylle zu und rufen in gutem
Englisch um Hilfe. Verstanden?‹
›Ja, Kapitän, verstanden.‹
›Dann geben Sie mir die Hand und springen Sie ins
Boot.‹
Und zu dem Matrosen, der die Jolle führte, sagte
er: ›Kernoch, mein Freund, du vertraust mir, nicht wahr?‹
›Potz Bomben und Granaten! Das will ich wohl
meinen!‹
›Dann leere dieses Glas Wein auf mich, nimm dieses
Splisshorn, und wenn du auf halbem Weg zu der Fregatte bist, hau
mir ein paar anständige Löcher in den Boden der Jolle, damit sie
schnell vollläuft.‹<
Dann näherte er den Mund dem Ohr des Seemanns und
die Hand seiner Tasche, flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr und
steckte ihm ein zusammengerolltes Papier in die Tasche.
›Das war nicht nötig, Kapitän‹, sagte Kernoch,
›aber es schadet auch nicht.‹<
›Willst du mich nicht zum Abschied küssen?‹
›Teufel auch! Mit dem größten Vergnügen‹, erwiderte
der Seemann.
Und indem er einen Priem von der Größe eines
Hühnereis in der Backe versteckte, drückte er Surcouf auf beide
Wangen einen schmatzenden Kuss, wie er auf dem Land Ammenkuss
heißt.
Kurz darauf verließ uns die Jolle mit Monsieur
Bléas.
Von der Sibylle bedrängt, streicht die
Confiance alle Segel bis auf die Toppsegel, kommt fast zum
Stehen bei rauem Wind, hisst die englische Flagge, die sie mit
einem Kanonenschuss bestätigt, segelt eine Backbordhalse und fiert
auf. Die Sibylle wiederum, die dem Frieden und unserer
Nationalität nicht so recht traut, hält sich weiterhin
gefechtsbereit, lässt einige der vorgeblichen Balken ins Wasser
fallen, um die Stückpforten ihrer Geschütze freizumachen, enthüllt
unseren Blicken eine furchterregende Reihe von Kanonen und dreht zu
unserer Linken bei.
Kaum hatten wir den gleichen Kurs aufgenommen, als
der englische Kapitän uns die Frage zurief, woher wir kamen und
warum wir uns ihm mit vollen Segeln genähert hatten.
Unser Dolmetscher erwiderte, was ihm Surcouf
einflüsterte, dass wir nämlich die Sibylle an ihrer
Maskierung erkannt und uns deshalb so schnell genähert hatten, weil
wir eine gute Nachricht für ihren Kapitän hatten.
›Was für eine Nachricht?‹, fragt der Kapitän
persönlich durch sein Sprachrohr.
›Die Nachricht Ihrer Beförderung in den
nächsthöheren Dienstgrad‹, erwidert der Dolmetscher mit
unerschütterlicher Kaltblütigkeit.
Mit dieser Antwort bewies Surcouf, wie gut er das
Menschenherz kennt: Denn wer eine gute Nachricht erhält, ist nur
selten geneigt, an der
Glaubwürdigkeit des Überbringers zu zweifeln. Und von diesem
Augenblick an verschwand das Misstrauen von der Miene des
englischen Kapitäns.
Dennoch sagte er kopfschüttelnd: ›Es ist doch gar
zu sonderbar, wie ähnlich Ihr Schiff einem französischen
Kaperschiff sieht.‹<
›Aber Kapitän, das kommt daher, dass es ein
Kaperschiff ist‹, erwidert unser Dolmetscher, ›und ein berühmtes
obendrein, das wir an der Küste der Gascogne gekapert haben. Und
weil die Kaperschiffe von Bordeaux die schnellsten Schiffe der Welt
sind, wollten wir lieber damit die Fahrt fortsetzen als mit unserem
eigenen, um mit Gottes Hilfe den Korsaren Surcouf zu verfolgen und
einzufangen.‹
Während dieses Gesprächs zwischen unserem
Dolmetscher und dem englischen Kapitän stoßen die Männer in der
Jolle auf einmal Verzweiflungsschreie und Hilferufe aus, und man
sieht, dass das Boot voller Wasser ist und unterzugehen
droht.
Sofort stellen wir die Fregatte in den Wind und
bitten um Hilfe für unsere Männer, denn unsere anderen Beiboote
sind noch ärger beschädigt als die Jolle, die gerade absäuft, und
völlig seeuntüchtig.
Da es die erste Pflicht und das oberste Gebot für
jeden Seemann ist, diejenigen zu retten, die sich in Gefahr
befinden, ob Freund oder Feind, lässt man von der Sibylle
große Boote zu Wasser, die dem Fähnrich zur See Bléas und seinen
Matrosen entgegenrudern.
›Retten Sie nur unsere Leute aus dem Boot‹, rief
der Dolmetscher. ›Wir werden manövrieren, ohne zu wenden, und sie
dann mitsamt dem Boot mitnehmen.‹
Um dieses Manöver auszuführen, lässt die
Confiance das Focksegel herunter, hisst das Vorbramsegel,
den großen Klüver, holt das Briggsegel bei und entfernt sich von
der Fregatte.
Surcouf hatte einen famosen Geistesblitz gehabt,
und nun konnte er seiner Freude freien Lauf lassen. ›Seht mir diese
wackeren Engländer‹, ruft er, ›wir sollten uns schämen, dass wir
sie nicht lieben, wo sie doch unsere Männer an Bord nehmen. Ha! Da
bekommt Kernoch einen Nervenzusammenbruch, und Bléas, meiner Treu,
fällt in Ohnmacht! Ha, ha, was für Spitzbuben, das werde ich ihnen
nicht vergessen; sie haben ihre Rolle ganz hervorragend gespielt;
unsere Freunde sind in Sicherheit und wir auch. Aber jetzt heißt es
manövrieren! Setzt alle Segel! Stellt alle Segel so dicht wie
möglich auf Am-Wind-Kurs! Setzt alle Beisegel! Und du,
Schiffsjunge, bring mir eine angezündete Zigarre.‹<
Der Wind blies mit voller Kraft, und die
Confiance legte sich ins Zeug wie noch nie. So flink, wie
sie segelte, hätte man meinen können, sie wüsste um die Gefahr, aus
der sie uns rettete.
Voller Stolz auf unser Schiff betrachteten wir
dankbar und staunend, wie sie das schäumende Wasser
durchpflügte.
Kaum hatte die Besatzung der Sibylle unsere
Finte erraten, feuerte sie ihre Geschütze auf uns ab, nahm ihre
Boote an Bord und nahm Kurs auf uns, doch wir waren bereits außer
Reichweite ihrer Kanonenkugeln.
Die Verfolgungsjagd dauerte bis zum Abend. Als es
Nacht geworden war, steuerten wir einen falschen Kurs, und
angeschmiert war der Engländer von der Bramstenge bis zum
Kiel!«
Und da im späteren Verlauf dieses Berichts, auf
dessen pittoreske Sprache wir weitgehend verzichtet haben, um dem
Leser das Verständnis zu erleichtern, René nicht versäumt hatte,
seinem Gast fleißig nachzuschenken, sei es Rum, sei es
Zuckerrohrschnaps, sei es Cognac, ließ Saint-Jean nach seinen
letzten Worten den Kopf auf den Tisch sinken, und sein lautes
Schnarchen verriet, dass er die Wirklichkeit des Wachseins mit dem
launischen Reich des Schlafs vertauscht hatte.