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Der Prozess
Wenn die Maßnahmen der Polizei hinsichtlich
Georges so vorausschauend waren, dass dem Sicherheitspolizisten
Caniolle befohlen werden konnte, am Fuß des Hügels Sainte-Geneviève
auf ein Kabriolett mit der Nummer dreiundfünfzig zu warten, das
zwischen sieben und acht Uhr abends vorbeifahren würde, wenn er um
sieben Uhr dem Kabriolett folgen und sehen konnte, dass es am
Eingang eines Gässchens neben einem Obstladen anhielt, wenn um halb
acht vier Personen aus dem Gässchen kamen, darunter Georges
Cadoudal und Le Ridant, und wenn Georges zuletzt dank der genauen
Informationen, die man über ihn besaß, gefasst werden konnte, dann
liegt das daran, dass er von seiner Abreise aus London
bis zu seiner Ankunft in Paris und von dem Tag seiner Ankunft bis
zum Freitag, dem 9. März, ohne Unterbrechung von dem fähigsten und
intelligentesten Spitzel des Citoyen Fouché überwacht wurde, dem
sogenannten Limousiner.
Und weil Fouché wusste, dass Georges sich nicht
ohne Gegenwehr ergeben würde, hatte er es nicht darauf ankommen
lassen wollen, seinen kostbaren Limousiner dem Zorn des
bretonischen Anführers auszusetzen; ohne vorauszusehen, welches
Blutbad Cadoudal unter seinen Häschern anrichten würde, hatte er
ihn von Familienvätern festnehmen lassen statt durch den ledigen
Limousiner.
Fouché wartete zu Hause auf die Nachricht von
Cadoudals Festnahme, die ihm gegen neun Uhr überbracht wurde.
Er rief den Limousiner aus dem Nebenzimmer. »Sie
haben es gehört«, sagte Fouché. »Jetzt müssen wir nur noch
Villeneuve und Burban verhaften.«
»Wann immer Sie wollen. Ich weiß, wo sie
wohnen.«
»Wir können uns Zeit lassen. Verlieren Sie sie nur
nicht aus den Augen.«
»Habe ich Georges aus den Augen verloren?«
»Nein.«
»Gestatten Sie mir zu sagen, dass es eine Sache
gibt, die Sie aus den Augen verlieren?«
»Ich?«
»Ja.«
»Und was wäre das?«
»Cadoudals Geld. Als wir aus London aufbrachen,
hatte er mehr als hunderttausend Francs bei sich.«
»Wollen Sie versuchen, dieses Geld
aufzustöbern?«
»Ich tue, was ich kann. Aber nichts verschwindet so
schnell wie Geld.«
»Machen Sie sich noch heute Abend auf die
Suche.«
»Bin ich bis morgen um die gleiche Zeit
beurlaubt?«
»Zufällig bin ich für morgen um die gleiche Zeit
mit dem Ersten Konsul verabredet. Es wäre mir kein geringes
Vergnügen, alle seine Fragen beantworten zu können.«
Am nächsten Tag fand Fouché sich um halb zehn Uhr
im Tuilerienpalast ein.
Es geschah dies vor dem Beschluss, den Herzog von
Enghien entführen
zu lassen. Indem wir uns mit Georges’ Festnahme befassen, sind wir
einen Schritt zurückgegangen.
Fouché traf den Ersten Konsul ruhig und beinahe
vergnügt an.
»Warum haben Sie mich nicht persönlich von der
Festnahme Cadoudals informiert?«, fragte Bonaparte.
»Schließlich«, erwiderte Fouché, »muss man den
anderen auch etwas zu tun übrig lassen.«
»Wissen Sie, wie sich die Sache abgespielt
hat?«
»Er hat einen der Polizisten namens Buffet getötet
und einen anderen namens Caniolle verwundet.«
»Offenbar sind beide verheiratet.«
»Ja.«
»Man muss etwas für die Ehefrauen der armen Teufel
tun.«
»Ich habe daran gedacht: eine Pension für die Witwe
und eine Belohnung für die Frau des Verwundeten.«
»Eigentlich müsste England ihnen dieses Geld
auszahlen.«
»Das wird es auch tun.«
»Wie das?«
»England oder Cadoudal. Denn da Cadoudals Geld
englisches Geld ist, wird letzten Endes England die Pension
bezahlen.«
»Man hat mir aber gesagt, er habe nur tausend bis
zwölfhundert Francs bei sich gehabt und die Durchsuchung seines
Quartiers habe nichts erbracht.«
»Er ist mit hunderttausend Francs aus London
abgereist, und seit seiner Ankunft in Paris hat er dreißigtausend
ausgegeben. Siebzigtausend waren übrig, und das ist mehr, als für
die Pension der Witwe und eine Belohnung für die Verwundeten
benötigt wird.«
»Und wo sind diese siebzigtausend Francs?«, fragte
Bonaparte.
»Hier, bitte sehr«, sagte Fouché, und er legte
einen Beutel voller Goldmünzen und Banknoten auf den Tisch.
Bonaparte leerte den Beutel neugierig aus. Es waren
vierzigtausend Francs in holländischen Sovereigns, der Rest in
Papiergeld.
»Oho!«, sagte Bonaparte. »Bezahlt jetzt Holland
meine Meuchelmörder?«
»Nein, man hat lediglich befürchtet, mit englischem
Gold Verdacht zu erregen.«
»Und wie haben Sie dieses Geld in die Finger
bekommen?«
»Sie kennen doch den alten Polizeigrundsatz:
Cherchez la femme!«
»Und?«
»Ich habe die Frau suchen lassen und sie
gefunden.«
»Erzählen Sie schnell, ich bin heute
neugierig.«
»Nun, ich wusste, dass eine gewisse Izaï, eine
Kurtisane aus dem vierten Stand, sich den Verschwörern
angeschlossen hatte und bei der Obsthändlerin ein Zimmer gemietet
hatte, in dem sie sich bisweilen trafen. Als Georges in das
Kabriolett stieg, folgte sie ihnen aus der unbeleuchteten Gasse.
Georges schien zu ahnen, dass er verfolgt wurde, und er hatte nur
noch Zeit, den Beutel, den er in der Hand hielt, der Frau in die
Schürze zu werfen und zu rufen: ›Zu dem Parfumeur Canon!‹ Diese
Worte hörte Caniolle, der wiederum nur noch Zeit hatte, zu einem
Polizisten zu sagen: ›Beschatten! ‹«
»Und was heißt das?«, fragte Bonaparte.
»Der Dirne folgen und sie nicht aus den Augen
verlieren. Doch als sie unmittelbar nach Georges’ Verhaftung den
Carrefour de l’Odéon erreichte und die Menschenmenge sah, die sich
über das Geschehen unterhielt, wagte sie nicht weiterzugehen. Sie
erfuhr, dass Georges festgenommen war, und fürchtete sich noch
mehr; weil sie nicht wagte, nach Hause zu gehen, suchte sie
Zuflucht bei einer Freundin, der sie das Päckchen zur Aufbewahrung
übergab.
Ich ließ die Wohnung der Freundin durchsuchen, und
so fanden wir das Päckchen. Das war alles, nicht weiter
schwierig.«
»Und das Straßenmädchen haben Sie nicht festnehmen
lassen?«
»Gewiss doch, wir brauchten sie ja nicht mehr. Oh,
das ist eine fromme Person«, fuhr Fouché fort, »die es verdient
hätte, dass der Himmel ihr besseren Schutz angedeihen ließe.«
»Was soll das heißen, Monsieur?«, fragte Bonaparte
mit gerunzelter Stirn. »Sie wissen, dass ich Scherze auf Kosten der
Religion nicht schätze.«
»Wissen Sie, was diese Person um den Hals hängen
hatte?«, fragte Fouché.
»Woher soll ich das wissen?« fragte Bonaparte
zurück, der sich nolens volens aus Neugier auf die verschlungenen
Mäander der Erzählweise Fouchés einließ, ein Privileg, dessen sich
niemand außer Fouché erfreute, denn zu den Eigenschaften, über die
Bonaparte nicht verfügte, gehörte die des Zuhörenkönnens.
»Nun, sie trug ein Medaillon mit der Aufschrift:
Splitter vom wahren Kreuz
Verehrt in der Sainte-Chapelle in Paris
Und in der Stiftskirche von Saint-Pierre in Lille.«
Verehrt in der Sainte-Chapelle in Paris
Und in der Stiftskirche von Saint-Pierre in Lille.«
»Schon gut«, sagte Bonaparte. »Nach Saint-Lazare
mit ihr. Die Kinder des bedauernswerten Buffet und die Kinder
Caniolles werden auf Staatskosten erzogen. Von dem Geld, das bei
der Freundin der Dirne Izaï sichergestellt wurde, geben Sie der
Witwe Buffet fünfzigtausend Francs, den Rest bekommt Caniolle. Ich
lege eine Pension von tausend Francs aus meiner Privatschatulle für
die Witwe Buffet dazu.«
»Wollen Sie, dass sie vor Freude tot
umfällt?«
»Wieso das?«
»Weil sie den Tod ihres Ehemannes schon als
Erlösung begrüßt haben dürfte.«
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Bonaparte, der die
Geduld zu verlieren begann.
»Wie! Sie verstehen nicht? Wohlan! Der Ehemann war
ein ausgemachter Tunichtgut, der sich jeden Abend einen gehörigen
Rausch antrank und jeden Morgen seine Frau grün und blau schlug.
Ohne es zu ahnen, hat unser guter Georges zwei Fliegen mit einer
Klappe geschlagen.«
»Aber nun«, sagte Bonaparte, »nachdem Georges
hinter Schloss und Riegel sitzt, möchte ich die Verhörprotokolle
einsehen, sobald Sie darüber verfügen. Ich will diese Geschichte
Schritt für Schritt und mit größter Aufmerksamkeit
verfolgen.«
»Ich habe Ihnen das erste Protokoll mitgebracht«,
sagte Fouché, »und es liest sich nicht gerade wie Vergil oder
Horaz, wie wir sie ad usum delphini den Schülern der
Oratorianer von Paimbœuf zu lesen geben, sondern es ist Wort für
Wort die Mitschrift dessen, was Georges und Monsieur Réal gesagt
haben.«
»Werden die Worte der Angeklagten in den
Verhörprotokollen in anderen Fällen etwa verändert?«
»Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass die Worte der
Redner auf der Tribüne nie dieselben sind wie im Abdruck der Rede
im Moniteur? Nun, ebenso verhält es sich mit den
Verhörprotokollen; der Wortlaut wird nicht verändert, sondern
verschönert.«
»Befassen wir uns mit Georges’ Worten.«