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Das Nest ist leer
Ein befremdlicher Umstand hatte die Polizei auf
Troches Fährte gesetzt. Zwei, drei Jahre vor der Zeitspanne, die
wir inzwischen behandeln, war es bei einer Landung zu einer
Auseinandersetzung zwischen Zoll und Schmugglern gekommen; Schüsse
waren gefallen, und an einem der halb verbrannten Stopfen, die auf
dem Schlachtfeld liegen geblieben waren, konnte man die Aufschrift
entziffern: An Citoyen Troche, Uhrmacher in …
Jedermann in Dieppe kannte den Citoyen Troche, und
niemand bezweifelte, dass der Citoyen Troche sein Gewehr mit einem
Stopfen geladen hatte, der aus einem an ihn adressierten Brief
bestand; dieser Brief lenkte folglich die Aufmerksamkeit der
Regierung auf Troche.
Wenige Tage vor Querelles Verurteilung hatte man
den Citoyen Troche, einen gewieften Normannen von fünfundvierzig
bis fünfzig Jahren, Querelle gegenübergestellt; da Troche sah, dass
Querelle ihn nicht erkennen wollte, hatte auch er Querelle nicht
erkannt, doch ungeachtet seiner Schweigsamkeit hatten die Behörden
den Citoyen Troche in Haft behalten.
Nun wandte man sich an Troche junior, einen groß
gewachsenen naiven Jüngling von neunzehn oder zwanzig Jahren, der
seiner vorgeblichen Naivität zum Trotz als Schmuggler weitaus
gewandter war denn als Uhrmacher. Nach Paris gebracht und Savary
vorgeführt, der zur Wache beim Ersten Konsul eingeteilt war, tat
Nicolas Troche so, als glaubte er, was man behauptete, dass nämlich
sein Vater alles gestanden habe, und legte ein Geständnis ab.
Dieses Geständnis belastete ihn selbst nicht allzu
schwer. Er gestand, dass er von Schmugglern, die an Land gehen
wollten, benachrichtigt wurde und dass er ihnen ein verabredetes
Signal zukommen ließ. Bei ruhigem Seegang half er ihnen, bei
unruhiger See wartete er auf Windstille; er reichte ihnen die Hand,
wenn sie den Gipfel der Klippe erreichten, und dann, so erklärte
er, wies er sie an einen seiner Freunde weiter und hörte erst
wieder von ihnen, wenn er die drei Francs pro Person für seine
Hilfe erhielt.
So hatte man es seit Menschengedenken im Hause
Troche gehalten; der älteste Sohn erbte dieses Gewerbe als Teil
seines Geburtsrechts, und die ganze Sippschaft der Troches, die auf
diese Weise an die tausend Francs im Jahr erwirtschaftete, tat so,
als hätte sie bei diesem klandestinen Treiben noch nie mit anderen
Kunden als Schmugglern zu tun gehabt.
Durch eine angelehnte Tür hatte General Bonaparte
das ganze Verhör belauscht und erfahren, was man sich im Großen und
Ganzen erwartet hatte. Savary fragte den jungen Troche, ob man bald
mit einer neuen Landung von »Schmugglern« rechne. Der junge Troche
erwiderte, zu dem Zeitpunkt, da Savary ihm die Ehre habe angedeihen
lassen, ihn abzuholen, um sich mit ihm zu unterhalten, kreuze ein
englischer Kutter vor der Klippe von Biville und warte auf
ruhigeres Wetter, um anlegen zu können.
Der Erste Konsul hatte Savary haarklein vorgegeben,
wie er zu verfahren habe. Sollte Nicolas Troche gestehen – was er
nun getan hatte -, dann würde Savary mit ihm in den Wagen steigen,
der ihn hergebracht hatte, und sich unverzüglich auf den Weg
machen, um die Neuankömmlinge bei Biville in Empfang zu
nehmen.
Der junge Troche wurde die ganze Fahrt über
bewacht.
Savary konnte nicht vor sieben Uhr abends
aufbrechen; ihm folgte ein Wagen, in dem sich ein Dutzend
Elitegendarmen befand.
Kurzfristig hatte man mit dem Gedanken gespielt,
Troche junior zu seinem Vater Jérôme ins Gefängnis zu stecken, doch
der junge Mann, der die frische Luft auf den Klippen der Kerkerluft
vorzog, hatte darauf hingewiesen, dass keine Landung stattfinden
würde, wenn er nicht an Ort und Stelle wäre, um das verabredete
Signal zu geben. Nicolas Troche war der geborene Jäger: Wenig
kümmerte ihn, für wen er jagte, solange er nur jagte. Die Einsicht,
dass der Weg, dem er folgte, ihn auf das Schafott führen konnte,
machte, dass er mit ebenso großem Eifer denen eine Falle stellte,
deren Landung er erwartete, wie er denen geholfen hatte, die zuvor
gelandet waren.
Savary erreichte Dieppe vierundzwanzig Stunden nach
seiner Abfahrt aus Paris bei stockfinsterer Nacht, vom
Kriegsminister mit allen Vollmachten versehen.
Troche erkundete sogleich die Lage an der Küste.
Die See war noch immer unruhig, der Kutter kreuzte noch immer in
Sichtweite. Das schlechte Wetter hatte eine Landung bisher
verhindert. Bei Tagesanbruch suchte Savary mit Troche das Ufer auf.
Der Kutter war nach wie vor zu sehen.
Bei günstigen Windverhältnissen konnte er von
seiner derzeitigen Position aus ohne zu kreuzen den Fuß der Klippe
erreichen.
Savary wollte nicht in Dieppe bleiben. Er
verkleidete sich als Bürgersmann, ließ zwölf seiner Gendarmen
ebenfalls bürgerliche Kleidung anlegen und begab sich mit ihnen
nach Biville. Die zwölf Gendarmen gehörten zu den tapfersten des
ganzen Regiments.
Savary ließ seine Pferde vorausschicken; von Troche
geführt, betrat er ein Haus, das für gewöhnlich von den
Kundschaftern besucht wurde, welche die englischen Postschiffe an
der Küste absetzten. Dieses abgelegene Haus befand sich außerhalb
des Überwachungsbereichs der Polizeibehörde am äußersten Rand des
Dorfs und bot denen, die seinen Schutz suchten, den Vorteil,
unbemerkt kommen und gehen zu können.
Savary ließ seine Männer vor dem Garten, sprang
über die Hecke und näherte sich dem kleinen Haus. Durch einen
geöffneten Fensterladen sah er einen Tisch, gedeckt mit Wein,
frisch geschnittenen Brotscheiben und Butterbroten.
Savary wandte sich zur Hecke um, rief Troche herbei
und zeigte ihm die Mahlzeit. »Das«, sagte Troche, »ist die
Verpflegung, die für all jene bereitsteht, die von der Küste
kommen, und sie zeigt, dass für heute Nacht oder spätestens für
morgen mit der Landung gerechnet wird. Bei Ebbe werden die
Ankömmlinge entweder innerhalb der nächsten Viertelstunde
eintreffen oder erst morgen.«
Savary wartete vergebens; weder an diesem Tag noch
an den folgenden Tagen kam es zu einer Landung.
Diese Landung, die nicht erfolgte, wurde mit
größter Ungeduld erwartet. Den Gerüchten zufolge befand sich der
sagenumwobene Prinz, ohne den nicht gehandelt werden konnte oder
ohne den zumindest Georges nicht handeln wollte, an Bord des
Kutters.
Bei Tagesanbruch war Savary auf dem Gipfel der
Klippe. Der Boden war schneebedeckt; unterwegs hatte Savary einen
Augenblick lang geglaubt, gefunden zu haben, was er suchte.
Der Wind blies heftig vom Meer herein,
Schneeflocken wirbelten in der Luft, und man sah keine zehn
Schritte weit, doch man hörte sehr gut. Stimmen ertönten aus einem
Hohlweg, der zur Klippe führte, Troche legte Savary die Hand auf
den Arm und sagte: »Das sind unsere Leute; ich höre Pageot de
Pauly.« Pageot de Pauly war ein junger Mann in Troches Alter, der
in seiner Abwesenheit die Funktion des Führers innehatte. Savary
ließ seine Gendarmen den Hohlweg am anderen Ende abriegeln und ging
mit Troche und zwei Mann auf die Stimmen zu. Das plötzliche
Erscheinen von vier Männern oben auf der Klippe und der laut
geäußerte Ruf: »Halt!« erschreckten die nächtlichen Wanderer.
Pageot aber erkannte Troche und rief: »Ihr habt nichts zu fürchten,
es ist Troche!« Die zwei Gruppen näherten sich einander; Pageots
Begleiter waren nur Dörfler, die in Erwartung einer Landung zur
Klippe gegangen waren.
Die Landung war versucht worden, doch die Schaluppe
hatte nicht landen können, weil der Seegang zu heftig war. Eine
laute Stimme hatte aber gerufen: »Bis morgen!«, und diese Worte
hatte der Wind bis zu den Dörflern hinaufgetragen. Es war das
dritte Mal, dass der Kutter seine Schaluppe zu Wasser gelassen
hatte, ohne dass ihr die Landung geglückt war.
Bei Tagesanbruch fuhr der Kutter auf das offene
Meer hinaus, und dort kreuzte er den ganzen Tag. Am Abend näherte
er sich wieder der Küste und versuchte eine Landung seiner
Schaluppe. Savary blieb die ganze Nacht auf der Lauer, doch nichts
geschah, und am nächsten Morgen entfernte sich der Kutter von der
Küste und fuhr nach England zurück.
Savary blieb einen Tag länger, um zu sehen, ob der
Kutter wiederkehren würde. Während dieses Tages untersuchte er
aufmerksam das Kabel, mit dessen Hilfe die Gelandeten die Klippe
überwanden, und obwohl er kein Hasenfuß war, bekannte er, dass er
lieber zehn Schlachten auf sich nähme, als an diesem dünnen Seil
die Klippe zu erklimmen, vom Sturm umtost, vor sich die Finsternis,
unter sich das Meer.
Jeden Tag korrespondierte er über einen Boten mit
Bonaparte. Am achtundzwanzigsten Tag wurde er telegraphisch nach
Paris zurückbeordert.
Savary war zurückbeordert worden, weil gewisse
Dinge sich erhellt und andere sich verdunkelt hatten.
Bonaparte war inzwischen überzeugt, dass auf dem
Kutter, dessen Anwesenheit ihm Savary zehn oder zwölf Tage lang
gemeldet hatte, nicht der sagenumwobene Prinz weilte, ohne den
Georges nicht losschlagen wollte. Wenn Georges allein handelte, war
er nur ein gewöhnlicher Verschwörer; wenn Georges mit dem Herzog
von Berry oder dem Grafen von Artois zusammen handelte, war er
Verbündeter eines Prinzen.
Bonaparte hatte Carnot und Fouché kommen lassen.
Lesen wir, was er selbst über diese Unterredung in dem Manuskript
sagt, welches das Schiff Le Héron von Sankt Helena
mitbrachte:
Je weiter ich voranschritt, desto gefährlicher
wurden die Jakobiner, die mir den Hinrichtungstod ihrer Freunde
nicht verzeihen konnten. In dieser äußersten Gefahr ließ ich Carnot
und Fouché holen.
»Meine Herren«, sagte ich zu ihnen, »nach langen
Stürmen schmeichle ich mir mit dem Gedanken, dass Sie wie ich
erkannt haben, dass die Interessen Frankreichs bislang keineswegs
im Einklang mit den verschiedenen Regierungen waren, die das Land
sich im Lauf der Revolution verliehen hat; keine dieser Regierungen
war der geographischen Lage Frankreichs, Anzahl und Befähigung
seiner Bewohner umsichtig angepasst. Der Staat mag Ihnen heute
friedlich erscheinen, doch er gründet noch immer auf einem Vulkan,
dessen Lava brodelt und dessen Ausbruch es um jeden Preis zu
verhindern gilt. Ich glaube, wie im Übrigen sehr viele ehrbare
Leute, dass es nur einen einzigen Weg gibt, Frankreich zu retten
und ihm für alle Zeiten die Vorteile der Freiheit zu sichern, die
es errungen hat, indem es unter den Schutz einer konstitutionellen
Monarchie mit erblicher Thronfolge gestellt wird.«
Carnot und Fouché zeigten sich über meinen
Vorschlag nicht erstaunt; sie hatten damit gerechnet. Carnot sagte
unumwunden, er bezweifle nicht, dass ich es auf den Thron abgesehen
hätte.
»Und verhielte es sich so«, erwiderte ich, »was
würden Sie dann darauf erwidern, wenn es Ruhm und Frieden
Frankreichs diente?«
»Dass Sie an einem Tag das Werk eines ganzen
Volkes vernichten würden, welches Sie dafür eines Tages büßen
lassen könnte.«
Ich erkannte wohl, dass bei Carnot nichts
auszurichten war, und beendete das Gespräch, das ich ein andermal
mit Fouché weiterführen wollte, den ich wenige Tage darauf rufen
ließ.
Carnot hatte mein Geheimnis verraten, das in der
Tat allmählich keines mehr war. Da ich ihn nicht um Stillschweigen
gebeten hatte, verübelte ich ihm seine Indiskretion nicht.
Schließlich mussten meine Vorhaben wohl oder übel bekannt werden,
damit ich erfuhr, wie sie sich auf die öffentliche Meinung
auswirkten.
Hatte mein Handeln, seit ich die Geschicke des
Landes leitete, die Franzosen darauf vorbereitet, mich eines Tages
nach dem Szepter greifen zu sehen, sahen sie mein Handeln gar als
Garanten ihres Friedens und ihres Glücks? Ich weiß es nicht; gewiss
aber ist, dass die Sache sich ohne großes Aufsehen hätte abwickeln
lassen, wäre nicht ein wahrer Teufel auf den Plan getreten, nämlich
Fouché. Sollte er allen Ernstes an das Gerücht geglaubt haben, das
er ausstreuen ließ, wäre er weniger
schuldig, doch sollte er es allein zu dem Zweck haben ausstreuen
lassen, mir Ungelegenheiten zu bereiten, wäre er ein wahres
Ungeheuer.
Kaum hatte Fouché durch seine Polizeispitzel von
meinen Absichten auf den Thron erfahren, ließ er unter den
Hauptjakobinern, ohne dass man ahnte, dass er die Quelle war, das
Gerücht verbreiten, ich wolle die Monarchie wiedereinführen, und
zwar in der alleinigen Absicht, die Krone dem legitimen Erben
zurückzugeben. Weiter hieß es, in einem Geheimabkommen sei
festgehalten, dass alle ausländischen Mächte mich in diesem
Unternehmen unterstützen würden.
Es war dies diabolisch ersonnen, denn es machte
mir all jene zum Feind, deren Wohlergehen oder gar Existenz durch
eine Rückkehr der Bourbonen Gefahr drohen konnte.
Hinzu kam, dass ich zu jener Zeit Fouché weder
gut genug kannte, noch ihm ein so finsteres Vorhaben zu
unterstellen vermochte. Die Wahrheit dieser Worte mag belegen, dass
ich ihn damit beauftragte, die öffentliche Meinung zu sondieren. Es
fiel ihm nicht schwer, mir die Gerüchte zu melden, die in Umlauf
waren, da er sie selbst ausgestreut hatte.
»Die Jakobiner«, sagte er, »werden eher ihren
letzten Tropfen Blut vergießen, als Sie den Thron besteigen zu
lassen. Nicht einen Herrscher fürchten sie – denn ich neige
mittlerweile zu der Ansicht, sie würden sich früher oder später
gerne davon überzeugen lassen, dass dies das beste Mittel wäre,
gesicherte Verhältnisse zu etablieren -, sondern die Bourbonen, die
sie nicht zurückkehren lassen wollen, weil sie auf deren Rachsucht
rechnen.«
Diese Worte zeigten mir zwar Hindernisse auf,
waren jedoch nicht dazu angetan, mich zu entmutigen, denn die
Bourbonen hatte ich nicht im Entferntesten im Sinn. Dies bemerkte
ich zu Fouché, und ich fragte ihn, wie man es anstellen solle, die
falschen Gerüchte zu dementieren und die Jakobiner davon zu
überzeugen, dass ich nicht zum Liebediener der Bourbonen geworden
war.
Er verlangte zwei Tage Bedenkzeit.
Zwei Tage später kam Fouché wie angekündigt
wieder. »Der Kutter, von dem Oberst Savary uns berichtet hat«,
sagte er, »ist am elften Tag verschwunden. Dieser Kutter hatte nur
zweitrangige Verschwörer an Bord, die an der bretonischen Küste
abgesetzt werden sollten und die auf anderem Weg nach Frankreich
gelangen werden. Die bourbonischen Prinzen,
den Grafen von Artois und den Herzog von Berry, kennen Sie gut
genug, um zu wissen, dass sie sich niemals darauf einlassen würden,
nach Paris zu kommen, um es dort mit Ihnen aufzunehmen; trotz aller
Appelle waren sie nicht einmal bereit, sich in die Vendée zu
begeben, um es dort mit den Republikanern aufzunehmen. Der Herr
Graf von Artois, dieser eitle Hohlkopf, ist viel zu sehr damit
beschäftigt, den englischen Misses und Ladys schöne Augen zu
machen, und der Herzog von Berry hat es, wie Sie wissen, noch nie
darauf ankommen lassen, in einem Duell oder in einem Gefecht den
persönlichen Mut zu beweisen, den jeder Prinz unter Beweis stellen
müsste. Doch am anderen Ende der Welt, auf dem jenseitigen
Rheinufer, sechs bis acht Meilen von Frankreich entfernt, gibt es
einen mutigen Mann, der wiederholt seine Tapferkeit bewiesen hat,
als er gegen die republikanischen Truppen kämpfte: Ich spreche von
dem Sohn des Prinzen von Condé, dem Herzog von Enghien.«
Bonaparte zuckte zusammen. »Nehmen Sie sich in
Acht, Fouché«, sagte er. »Ich pflege meine Zukunftspläne nicht in
allen Einzelheiten mit Ihnen zu erörtern, doch mir will scheinen,
dass Ihnen von Zeit zu Zeit eine Befürchtung in den Sinn kommt: die
Befürchtung, ich könnte mich eines Tages mit den Bourbonen
arrangieren, was für Sie, den ausgemachten Königsmörder, die
allerunerquicklichsten Folgen haben könnte. Wenn ein Bourbone gegen
mich konspirieren sollte und mir das klipp und klar bewiesen würde,
ließe ich mich weder von seinem königlichen Geblüt noch von
irgendwelchen gesellschaftlichen Erwägungen von dem abhalten, was
zu tun mir geboten erschiene. Ich will mein Geschick vollenden, wie
es im Buch des Schicksals geschrieben steht, jedenfalls soweit ich
es sehen kann. Jedes Hindernis auf diesem Weg werde ich beseitigen,
doch dabei werde ich immer auf mein Recht und auf mein Gewissen
vertrauen.«
»Citoyen«, sagte Fouché, »ich erwähne den Herzog
von Enghien weder zufällig noch aus Eigennutz. Als nach der
Unterredung, die Sie Cadoudal gewährten, Sol de Grisolles nicht
etwa seinem General nach London folgte, sondern nach Deutschland
aufbrach, war ich neugierig zu erfahren, was er am anderen
Rheinufer zu suchen hatte. Ich setzte jenen Spitzel auf seine
Fährte, der die Ehre hatte, Ihnen seinerzeit vorgestellt zu werden.
Er ist überaus gewandt, wie Ihnen aufgefallen sein wird. Er
verfolgte seinen Mann nach Straßburg, überschritt mit ihm den
Rhein, machte sich unterwegs mit ihm bekannt und kam mit ihm
zusammen in Ettenheim an. Die erste Sorge des Aide de Camp
Cadoudals war, Seiner Durchlaucht
dem Herzog von Enghien seine Aufwartung zu machen, und der Herzog
von Enghien lud ihn zum Abendessen ein und behielt ihn bis um zehn
Uhr nachts bei sich.«
»Schon recht«, sagte Bonaparte schroff, denn er
hatte begriffen, wohin Fouché ihn führen wollte, »aber gespeist hat
Ihr Spitzel nicht mit den beiden, oder? Er kann weder wissen,
worüber sie gesprochen haben, noch, welche Pläne sie geschmiedet
haben.«
»Worüber sie gesprochen haben, ist nicht schwer zu
erraten. Die Pläne allerdings sind schwieriger zu erraten. Doch
bleiben wir bei dem, was wir wissen, ohne uns in Spekulationen zu
ergehen.
Wie Sie sich denken können, war mein Mann nicht
acht Stunden lang sich selbst überlassen, ohne auf Betätigung zu
sinnen. Nun, er hat die Zeit darauf verwendet, Erkundigungen
einzuholen. Auf diese Weise erfuhr er, dass der Herzog von Enghien
von Zeit zu Zeit für sieben bis acht Tage aus Ettenheim
verschwindet und bisweilen eine oder auch zwei Nächte in Straßburg
zu verbringen pflegt.«
»Was soll daran erstaunlich sein?«, sagte
Bonaparte. »Ich weiß es, denn auch ich habe mich über das Tun des
Herzogs informiert.«
»Und was tut er zu diesen Zeiten?«, fragte
Fouché.
»Er besucht seine Geliebte, die Fürstin Charlotte
de Rohan.«
»Jetzt müssten wir nur noch in Erfahrung bringen«,
sagte Fouché, »ob die Anwesenheit Madame Charlotte de Rohans in
Straßburg, die im Übrigen nicht die Geliebte, sondern die heimlich
angetraute Ehefrau des Herzogs von Enghien ist, die ohne Weiteres
mit ihm in Ettenheim residieren könnte, ob also ihre Anwesenheit in
Straßburg nicht ein Vorwand ist, damit der Fürst, der seine Frau
besuchen kommt, bei diesem Anlass auch seine Komplizen sprechen
kann, ganz zu schweigen davon, dass er von Straßburg aus innerhalb
von zwanzig Stunden in Paris wäre.«
Bonaparte runzelte die Stirn. »Dann wäre wahr«,
sagte er, »was behauptet wurde, als man mir erzählte, man habe ihn
im Theater gesehen! Ich habe die Schultern gezuckt und es als
Hirngespinst abgetan.«
»Ob er im Theater war oder nicht«, sagte Fouché,
»ich würde dem Ersten Konsul raten, den Herzog von Enghien nicht
aus den Augen zu verlieren.«
»Ich werde mehr tun als nur das«, sagte Bonaparte,
»ich werde morgen noch einen Mann meines Vertrauens auf die andere
Rheinseite schicken; er wird mir sofort berichten, und unmittelbar
nach seiner Rückkehr werden wir über die Angelegenheit
beraten.«
Indem er Fouché den Rücken zuwendete, gab er ihm zu
verstehen, dass er allein sein wollte.
Fouché ging.
Eine Stunde später ließ der Erste Konsul den
Gendarmerieinspektor kommen und fragte ihn, ob er in seinen Rängen
einen intelligenten Mitarbeiter habe, den man in geheimer und
höchst vertraulicher Mission nach Deutschland schicken und der
außerdem die Auskünfte überprüfen könne, die Fouchés Spitzel
schickte.
Der Inspektor erwiderte, er habe einen Mann zur
Hand, der genau das sei, was der Erste Konsul suche, und fragte, ob
der Erste Konsul den Mann persönlich instruieren wolle oder ob es
ihm genüge, seine Anweisungen über ihn, den Inspektor,
weiterzugeben.
Bonaparte antwortete, in einer so ernsthaften
Angelegenheit könnten die Instruktionen gar nicht zu klar sein. Er
werde sie deshalb noch am selben Abend aufsetzen und dem Inspektor
übergeben lassen, damit dieser sie an den Beamten weitergeben
könne, der abreisen solle, sobald er seine Instruktionen erhalten
hätte.
Die Instruktionen lauteten: »Sich darüber
informieren, ob der Herzog von Enghien tatsächlich regelmäßig auf
geheimnisvolle Weise aus Ettenheim verschwindet; sich darüber
informieren, mit welchen Personen aus dem Kreis der Emigranten er
sich mit Vorliebe umgibt oder wen er häufiger als andere empfängt;
sich schließlich darüber informieren, ob er politische Beziehungen
zu den englischen Spitzeln an den kleinen deutschen Fürstenhöfen
unterhält.«
Um acht Uhr morgens reiste der Gendarmeriebeamte
nach Straßburg ab.