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Der Entschluss
Bevor wir diese lange Abschweifung über den
Verfasser des Geistes des Christentums eröffneten, erwähnten
wir, dass Bonaparte angeordnet hatte, man möge ihn nicht stören.
Diese Anordnung bedeutete, dass er sich in seinen Zorn so heftig
hineinsteigern wollte, wie es das Thermometer der Leidenschaft nur
erlaubte. Im Unterschied zu anderen, die sich beruhigen, wenn sie
mit sich allein sind, die das Nachdenken besänftigt, überhitzte
sich in solchen Momenten seine Phantasie in ihrer Reizbarkeit, ein
Sturm braute sich in seinem Inneren zusammen, und wenn dieser Sturm
losbrach, musste der Blitz ein Opfer treffen.
Er speiste allein, und als Monsieur Réal abends zur
Arbeit mit einem Bericht erschien, der demjenigen glich, den der
Erste Konsul morgens erhalten hatte, der aber in dem Staatsrat
völlig andere Überlegungen ausgelöst hatte, fand er den Ersten
Konsul über einen Tisch gebeugt vor, auf dem große Landkarten
entrollt lagen.
Bonaparte studierte die Entfernung vom Rhein nach
Ettenheim, maß sie, rechnete die Wegstunden aus. Während er damit
beschäftigt war, trat Monsieur Réal ein.
Bonaparte blickte auf, stützte sich mit einer Faust
auf den Tisch und begrüßte den Staatsrat mit den Worten: »So, so,
Monsieur Réal, Sie sind für meine Polizei zuständig, Sie sehen mich
jeden Tag, und Sie vergessen, mir zu sagen, dass der Herzog von
Enghien sich vier Wegstunden von meiner Grenze entfernt aufhält, wo
er militärische Verschwörungen anzettelt!«
»In der Tat«, erwiderte Réal ungerührt, »komme ich,
um mit Ihnen über all das zu sprechen. Der Herzog von Enghien hält
sich keineswegs vier Wegstunden von Ihrer Grenze entfernt auf,
sondern in Ettenheim,
das er nicht verlassen hat und das zwölf Wegstunden von der Grenze
entfernt ist.«
»Und wenn schon!«, versetzte Bonaparte. »War
Georges etwa nicht sechzig Meilen weit weg? Und Pichegru achtzig?
Und wo war Moreau? Der war wohl keine vier Wegstunden weit
entfernt, wie? Er weilte in der Rue d’Anjou-Saint-Honoré, in
vierhundert Schritt Entfernung zum Tuilerienpalast; er musste nur
mit den Fingern schnipsen, und seine zwei Komplizen waren in seiner
Nähe in Paris... Angenommen, sein Vorhaben wäre ihm geglückt: Ein
Bourbone wäre in der Hauptstadt und träte meine Nachfolge an. Das
wäre ja noch schöner! Ich bin wohl ein Hund, den man auf der Straße
totschlagen kann, während meinen Mördern kein Haar gekrümmt werden
darf!«
In diesem Augenblick trat Monsieur de Talleyrand in
Begleitung des Zweiten und des Dritten Konsuls ein.
Bonaparte stellte sich vor den Außenminister und
fuhr ihn an: »Was macht eigentlich Ihr Minister Massias in
Karlsruhe, während die bewaffneten Einheiten meiner Feinde in
Ettenheim zusammengezogen werden?«
»Davon ist mir nichts bekannt«, sagte Monsieur de
Talleyrand, »und Massias hat mir diesbezüglich nichts gemeldet«,
fügte er mit seiner gewohnten Gelassenheit hinzu.
Diese Art zu antworten und sich nicht aus der Ruhe
bringen zu lassen, brachte Bonaparte noch mehr auf.
»Glücklicherweise genügen die Auskünfte, die ich besitze«, sagte
er. »Ich werde ihre Komplotte bestrafen; der Schuldige wird mit dem
Leben dafür bezahlen.« Dabei ging er mit großen Schritten im Salon
auf und ab, wie es seine Art war.
Cambacérès, der Zweite Konsul, versuchte, mit ihm
Schritt zu halten, doch bei den Worten »der Schuldige wird mit dem
Leben dafür bezahlen« blieb er stehen. »Ich erlaube mir die
Hoffnung«, sagte er, »dass Ihre Strenge nicht so weit reichte,
befände sich eine solche Person in Ihrer Macht.«
»Was reden Sie da, Monsieur?«, herrschte Bonaparte
ihn an und maß ihn von oben bis unten. »Merken Sie sich, dass ich
denen gegenüber, die mir mit Meuchelmördern nachstellen, keine
Milde walten lassen werde; in dieser Sache werde ich so handeln,
wie meine Eingebung es mir sagt, und ich werde auf keine Ratschläge
hören, schon gar nicht auf welche von Ihnen, Monsieur, die Sie mir
seit dem Tag, an dem Sie für den Tod Ludwigs XVI. stimmten, mit dem
Blut der Bourbonen recht sparsam geworden zu sein scheinen. Wenn
ich die Gesetze des Landes gegen die Vergehen des
Schuldigen nicht auf meiner Seite habe, dann habe ich die Rechte
des Naturrechts für mich, das Recht der legitimen
Verteidigung.
Dieser Herzog und die Seinen haben nichts anderes
im Sinn, als mir das Leben zu nehmen. Von allen Seiten wird mir
aufgelauert, sei es mit dem Dolch, sei es mit Feuerwaffen;
Luftgewehre werden gebastelt, Höllenmaschinen werden gebaut,
Komplotte, wohin ich den Blick wende, Fallstricke, so viel das Herz
begehrt! Tag für Tag will man mir ans Leben! Keine Macht, kein
Gericht auf Erden können mich davor schützen, und da sollte ich
nicht das Recht haben, Krieg mit Krieg zu erwidern! Wo ist der
Mann, der es wagen wollte, mich kaltblütig – von Vernunft und
Gerechtigkeitssinn ganz zu schweigen – zu verurteilen? Welche Seite
müsste er der Schuld, der Abscheulichkeit, des Verbrechens
bezichtigen? Blut verlangt Blut, das ist die natürliche,
unausweichliche, unvermeidliche Konsequenz; wehe dem, der sie
provoziert!
Wer sich darauf versteift, Unruhen zu schüren und
politische Umwälzungen zu betreiben, läuft Gefahr, ihnen zum Opfer
zu fallen! Nur ein Esel oder ein Wahnsinniger könnte allen Ernstes
auf die Idee kommen, dass eine Familie das befremdliche Vorrecht
besäße, meine Existenz unablässig anzugreifen, ohne mir das Recht
einzuräumen, ihr dies heimzuzahlen. Woher nähme sie den Anspruch,
oberhalb der Gesetze zu stehen, wenn es darum geht, einen anderen
zu vernichten und sich dann zum eigenen Schutz auf die Gesetze zu
berufen? O nein, die Voraussetzungen müssen die gleichen
sein.
Ich habe persönlich keinem einzigen Bourbonen
jemals etwas zuleide getan. Eine große Nation hat mich an ihre
Spitze gesetzt; Europa hat dieser Wahl fast einhellig zugestimmt;
mein Blut ist schließlich kein Straßenkot, und es ist höchste Zeit,
dass ich es dem ihren gleichstelle. Was wäre denn gewesen, wenn ich
sie mit Repressalien bedrängt hätte? Die Macht dazu hatte ich! Mehr
als einmal lagen ihre Geschicke in meiner Hand. Zehnmal wurden mir
ihre Köpfe angeboten, und zehnmal habe ich dieses Angebot mit
Abscheu zurückgewiesen. Nicht dass ich es ungerecht gefunden hätte
angesichts der Lage, in die sie mich bringen, doch ich wähnte mich
so mächtig und so wenig in Gefahr, dass ich es für niedrige und
schäbige Feigheit gehalten hätte, dergleichen anzunehmen. Mein
Leitspruch in der Politik wie im Krieg war stets, dass alles
Schlechte, und wäre es noch so gerechtfertigt, nur dann
entschuldbar ist, wenn es unumgänglich ist; alles, was darüber
hinausgeht, ist ein Verbrechen.«
Fouché hatte bislang geschwiegen. Bonaparte drehte
sich zu ihm um, denn er wusste, dass dieser ihn unterstützen
würde.
Als Antwort auf die stumme Frage des Ersten Konsuls
sagte Fouché zu Monsieur Réal: »Könnten der Herr Staatsrat uns zum
Zwecke der Aufklärung das Verhörungsprotokoll eines gewissen Le
Ridant zeigen, der zur gleichen Zeit wie Georges verhaftet wurde?
Möglicherweise wissen Herr Staatsrat noch nichts von der Existenz
dieses Protokolls, denn es wurde Ihnen erst vor zwei Stunden von
Monsieur Dubois überreicht, und in diesen zwei Stunden haben Sie
vor Arbeit vielleicht noch nicht die Zeit gefunden, es zu
lesen.«
Réal spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.
In der Tat hatte er Unterlagen erhalten, deren Wichtigkeit ihm ans
Herz gelegt worden war, doch er hatte sie in Georges’ Dossier
gelegt, ohne sie zu lesen, und sich vorgenommen, dies nachzuholen,
sobald er eine freie Minute hatte. Diese freie Minute hatte er
nicht gehabt; er wusste von der Existenz des Protokolls, ohne zu
wissen, was es enthielt.
Wortlos öffnete er sein Portefeuille und begann,
zwischen den Papieren darin zu suchen. Fouché blickte ihm über die
Schulter, deutete mit dem Finger auf einen Bogen und sagte: »Das
ist es.«
Bonaparte betrachtete mit unverhohlenem Erstaunen
den Mann, der besser als die anderen mit dem Inhalt ihrer
Portefeuilles vertraut war.
Das Protokoll enthielt die gravierendsten Aussagen.
Le Ridant gestand eine Verschwörung, behauptete, ein Prinz stehe an
der Spitze des Komplotts, sei bereits in Paris gewesen und werde
aller Wahrscheinlichkeit nach wiederkommen. Außerdem habe er bei
Georges einen jungen Mann von zweiunddreißig Jahren gesehen,
wohlerzogen, elegant gekleidet, Gegenstand allgemeiner
Ehrerbietung, vor dem jedermann, sogar Pichegru, den Hut gezogen
habe.
Bonaparte gebot Réal innezuhalten. »Genug, meine
Herren, genug!«, sagte er. »Es steht außer Frage, dass der junge
Mann, dem die Verschwörer so viel Ehrerbietung bezeigen, keiner der
Prinzen aus London sein kann, denn die Klippe von Biville wurde
einen ganzen Monat lang von Savary bewacht. Es kann sich nur um den
Herzog von Enghien handeln, der in achtundvierzig Stunden von
Ettenheim nach Paris kam und im gleichen Zeitraum von Paris nach
Ettenheim zurückkehrte, nachdem er sich kurz mit seinen Komplizen
beraten hatte. Das gesamte Vorhaben wird unstreitig immer klarer«,
fuhr er fort. »Der Graf von Artois sollte mit Pichegru über die
Normandie kommen, der Herzog von Enghien mit
Dumouriez aus dem Elsass. Als Vorhut für ihre Rückkehr nach
Frankreich wollten die Bourbonen zwei der berühmtesten Generäle der
Republik einsetzen. Man rufe die Obersten Ordener und
Caulaincourt.«
Begreiflicherweise wagte niemand mehr, sich den
Plänen des Ersten Konsuls unmittelbar oder auch nur indirekt zu
widersetzen, nachdem er seine Meinung so unumwunden ausgesprochen
hatte.
Konsul Lebrun erhob einige unbestimmte
Einwendungen, denn er fürchtete die Reaktionen, die Bonapartes
Durchgreifen in Europa hervorrufen musste. Cambacérès appellierte
abermals an die Großmut des Ersten Konsuls und bat um Milde, obwohl
Bonaparte ihm so hässlich über den Mund gefahren war, doch dieser
erwiderte lediglich: »Lassen Sie es gut sein, ich weiß, was Sie so
sprechen macht, es ist Ihre Ergebenheit, und dafür danke ich Ihnen;
aber ich werde mich nicht ermorden lassen, ohne mich zu wehren; ich
werde all diese Leute das Zittern lehren und ihnen beibringen, Ruhe
zu geben.«
Das Gefühl, das in diesem Augenblick in Bonapartes
Geist vorherrschte, war weder Besorgnis noch Rachsucht, sondern die
Entschlossenheit, ganz Frankreich zu zeigen, dass das Blut der
Bourbonen, das ihren Parteigängern heilig war, für ihn nicht
heiliger war als das jeder anderen Persönlichkeit der
Republik.
»Aber«, fragte Cambacérès, »zu welcher Entscheidung
sind Sie nun gelangt?«
»Das ist recht einfach«, sagte Bonaparte, »zu der,
den Herzog von Enghien auszuheben und die Sache zu
beenden.«
Man schritt zur Abstimmung. Cambacérès wagte als
Einziger, bis zuletzt seinen Widerstand aufrechtzuerhalten.
Nachdem der Beschluss von dem versammelten
Staatsrat gefasst worden war und Bonaparte somit nicht allein die
Verantwortung dafür trug, ließ er die Obersten Ordener und
Caulaincourt hereinholen, die im Vorzimmer warteten.
Oberst Ordener sollte zum Rheinufer aufbrechen und
dreihundert Dragoner, mehrere Brigaden Gendarmen und einige
Pontoniere mitnehmen, versehen mit Lebensmitteln für vier Tage und
mit einem Geldbetrag von dreißigtausend Francs, damit er und seine
Begleitung auf keinen Fall der Bevölkerung zur Last fielen. Sie
sollten den Rhein bei Rheinau überschreiten, direkten Weges nach
Ettenheim marschieren, die Ortschaft umstellen und den Herzog von
Enghien mitsamt allen Emigranten in seiner Begleitung, insbesondere
Dumouriez, gefangen nehmen.
Unterdessen sollte sich ein zweites Detachement
unter Oberst Caulaincourt, verstärkt durch einige
Artilleriegeschütze, über Kehl nach Offenburg begeben und dort
warten, bis der Herzog französisches Territorium erreichte. Sobald
der Oberst diese Nachricht erhalten hatte, sollte er den Markgrafen
von Baden aufsuchen und ihm eine Note überreichen, die erklärte,
was man soeben getan hatte.
Es war acht Uhr. Bonaparte entließ den versammelten
Staatsrat, und als fürchte er, sich eines Besseren zu besinnen,
befahl er den zwei Obersten, denen ihre Mission den Titel General
verlieh, noch am selben Abend aufzubrechen.
Als Bonaparte allein war, zeigte seine Miene einen
Ausdruck des Triumphs; die Tat, die für ihn ein Gegenstand
ständiger Reue sein musste, war sie erst vollbracht, flößte ihm in
dem Augenblick, in dem sie beschlossen war, nur das Gefühl
befriedigter Eitelkeit ein; sein Blut war dem von Prinzen und
Königen gleich, da niemand, nicht einmal ein gekrönter Prinz, das
Recht hatte, es zu vergießen.
Er sah auf die Uhr, die ein Viertel nach acht
anzeigte. Monsieur de Méneval, sein neuer Sekretär, Bourriennes
Nachfolger, der dieser befremdlichen Sitzung beigewohnt hatte, war
geblieben für den Fall, dass der Erste Konsul Befehle für ihn
hatte.
Bonaparte trat zu dem Tisch, an dem sein Sekretär
saß, berührte die Tischplatte mit einem ausgestreckten Finger und
sagte schroff: »Schreiben Sie!«
Der Erste Konsul an den
Kriegsminister,
Paris, 19. Ventôse des Jahres XII (10. März
1804)
Citoyen General, haben Sie die Güte, General
Ordener, den ich zu diesem Zweck zu Ihrer Verfügung stelle, zu
befehlen, sich heute Nacht zum Dienst nach Straßburg zu begeben; er
wird dort unter fremdem Namen logieren und beim Divisionsgeneral
vorstellig werden.
Der Zweck seiner Mission ist es, sich nach
Ettenheim zu begeben, die Stadt zu umzingeln und den Herzog von
Enghien, Dumouriez, einen englischen Obersten und jedes weitere
Individuum auszuheben, das sich bei ihnen befinden mag. Der
Divisionsgeneral, der Quartiermeister der Gendarmerie, die
Ettenheim ausgekundschaftet hat, und der Polizeikommissar werden
ihm alle erforderlichen Auskünfte erteilen.
Sie werden General Ordener anweisen, aus
Schlettstadt dreihundert Mann des sechsundzwanzigsten
Dragonerregiments ausrücken zu lassen,
die sich nach Rheinau begeben, wo sie um acht Uhr abends
eintreffen.
Der Divisionskommandant wird elf Pontoniere nach
Rheinau entsenden, die ebenfalls um acht Uhr abends eintreffen und
zu diesem Zweck die Eilpost oder Pferde der leichten Artillerie
nehmen werden, unabhängig von der Rheinfähre. Man wird Sorge
getragen haben, dass vier oder fünf große Schiffe vorhanden sind,
mit denen dreihundert Pferde auf einmal übergesetzt werden
können.
Die Truppen werden sich mit Brot für vier Tage
und mit genügend Munition versorgen. Der Divisionsgeneral wird
ihnen einen Hauptmann oder einen Offizier mitgeben, einen
Gendarmerieleutnant und drei oder vier Gendarmeriebrigaden. Hat
General Ordener den Rhein überquert, wird er Ettenheim aufsuchen
und sich dort zum Haus des Herzogs und dem Haus Dumouriez’ begeben.
Sobald diese Expedition beendet ist, wird er nach Straßburg
zurückkehren.
In Lunéville wird General Ordener anordnen, dass
sich der Karabinieroffizier, der die Ersatzkompanie in Ettenheim
befehligte, auf Posten nach Straßburg begibt, wo er seine Ordres
erwartet.
In Straßburg wird General Ordener unter höchster
Geheimhaltung zwei zivile oder militärische Polizeispitzel
losschicken, nachdem er mit ihnen vereinbart hat, wo sie sich ihm
anschließen werden.
Sie werden Ordre geben, dass sich am selben Tag
zur selben Zeit zweihundert Mann des sechsundzwanzigsten
Dragonerregiments unter dem Befehl General Caulaincourts nach
Offenburg aufmachen, um die Stadt zu umzingeln und die Baronin von
Reich festzunehmen, sofern sie nicht schon in Straßburg gefasst
wurde, sowie weitere Agenten der englischen Regierung, über welche
der Präfekt des Departements Bas-Rhin, der sich zur Zeit in
Straßburg befindet, ihm Auskunft erteilen wird.
Von Offenburg aus wird General Caulaincourt
seine Patrouillen auf Ettenheim ausdehnen, bis General Ordener dort
eingetroffen sein wird. Beide werden einander unterstützen.
Gleichzeitig wird der Divisionsgeneral dreihundert Kavalleristen
bei Kehl über den Rhein setzen lassen, zusammen mit vier leichten
Artilleriegeschützen, und er wird einen Posten leichte Kavallerie
nach Willstätt schicken, dem Verbindungspunkt zwischen den zwei
Routen.
Die Generäle werden auf äußerste Disziplin
achten und darauf, dass die Truppen den Bewohnern nicht zur Last
fallen; zu diesem Zweck werden Sie sie mit zwölftausend Francs
ausstatten.
Sollten sie ihre Aufgabe nicht erfüllen können
und die Hoffnung hegen, nach drei oder vier Tagen Aufenthalt und
Patrouillen Erfolg zu haben, sind sie hiermit ermächtigt, so zu
handeln.
Sie werden den Amtmännern der beiden Städte
bekannt geben, dass diese sich großem Ungemach aussetzen werden,
wenn sie weiterhin den Feinden Frankreichs Unterschlupf
gewähren.
Sie werden anordnen, dass der Kommandant von
Neu-Breisach hundert Mann mit zwei Kanonen auf dem rechten
Rheinufer Position beziehen lässt.
Die Posten von Kehl werden ebenso wie die am
rechten Rheinufer abgezogen, sobald die beiden Detachements
zurückgekehrt sein werden.
General Caulaincourt wird ungefähr dreißig
Gendarmen bei sich haben; im Übrigen werden sich General
Caulaincourt, General Ordener und der Divisionsgeneral miteinander
beraten und die Veränderungen vornehmen, die ihnen die Umstände
geraten erscheinen lassen.
Sollten in Ettenheim weder Dumouriez noch der
Herzog von Enghien vorzufinden sein, wird man durch einen
Sonderkurier vom Stand der Dinge Bericht erstatten.
Sie werden anordnen, dass der Postmeister von
Kehl und andere Personen, die über Obiges Mitteilung machen
könnten, festzunehmen sind.
BONAPARTE
Kaum hatte er dieses Dokument unterzeichnet, wurde
ihm der Citoyen Chateaubriand angekündigt.
Wie gesagt war Monsieur de Chateaubriand gleichen
Alters mit Bonaparte – beide waren damals fünfunddreißig Jahre alt.
Beide waren klein, beinahe von gleicher Größe. Bonaparte hielt sich
aufrecht und reckte den Kopf, Monsieur de Chateaubriand, der ohne
seine schlechte Körperhaltung größer gewesen wäre, zog den Kopf
zwischen die Schultern, eine Marotte, die, wenn man seinen
Erinnerungen Glauben schenken will, bei Nachfahren
kriegerischer Familien, deren Ahnen lange Zeit dem Militär
angehörten, äußerst verbreitet ist.
Alle, welche die Ehre hatten, Monsieur de
Chateaubriand zu kennen, werden, dafür lege ich die Hand ins Feuer,
mit mir darin übereinstimmen, dass sie einem vergleichbaren Hochmut
niemals begegnet sind – mit Ausnahme Bonapartes.
Der Hochmut des Verfassers des Geistes des
Christentums überlebte alles:
den Verlust seines Vermögens, den Verlust der politischen Ämter
und literarischen Ehren, die er bekleidet hatte. Und in diesem
Augenblick des Triumphs muss sein Hochmut unfassbar gewesen
sein.
Bonaparte wiederum trennte nur mehr ein Schritt von
der höchsten gesellschaftlichen Stellung, die ein Mensch erreichen
kann, und sein Hochmut erlaubte keinen Vergleich zwischen ihm und
anderen, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart.
Leviathan und Behemoth fanden sich einander von Angesicht zu
Angesicht gegenüber.
»Wohlan, Monsieur de Chateaubriand«, sagte
Bonaparte und trat auf ihn zu, »Sie sehen, dass ich Sie nicht
vergessen habe.«
»Ich danke Ihnen, Citoyen Erster Konsul. Sie haben
verstanden, dass es Menschen gibt, die nur an dem Platz, der ihnen
gebührt, etwas taugen.«
»Anders gesagt«, sagte Bonaparte, »habe ich mich
der Worte Cäsars erinnert: ›Lieber der Erste in einem Dorf sein als
Zweiter in Rom.‹ Ich nehme an«, fuhr er fort, »dass es für Sie bei
meinem verehrten Onkel nicht allzu vergnüglich war zwischen dem
kleinkrämerischen Gezänk des Kardinals, dem vornehmtuerischen
Bramarbasieren des Bischofs von Châlons und den unvermeidbaren
Eiertänzen des baldigen Bischofs von Marokko.«
»Sie meinen Abbé Guillon«, sagte
Chateaubriand.
»Sie kennen seine Geschichte«, erwiderte Bonaparte.
»Nachdem er sich die Namensähnlichkeit mit dem Lyoner
Eidverweigerer zunutze gemacht hat, gibt er vor, er sei dem
Massaker im Carmes-Gefängnis wie durch ein Wunder entkommen,
nachdem er in La Force Madame de Lamballe die Beichte abgenommen
hatte. Kein Wort davon ist wahr... Womit haben Sie sich die Zeit
vertrieben?«
»Ich lebte mit den Toten, soviel ich konnte. Ich
tat alles, was die Fremden tun, die nach Rom gehen, um dort zu
träumen. Rom selbst ist ein Traum, den man im Mondschein erleben
muss: Von der Piazza Trinitá dei Monti erscheinen die fernen
Gebäude wie Skizzen eines Malers oder wie von Bord eines Schiffes
aus gesehene umnebelte Meeresgestade. Das Gestirn der Nacht, dieser
Himmelskörper, den man für eine untergegangene Welt halten könnte,
warf seine bleichen Strahlen auf die Einöden Roms. Er erleuchtete
die menschenleeren Straßen, die Winkel, die Plätze, die Gärten, in
denen niemand weilte, die Klöster, die so stumm und unbewohnt
wirkten wie die Säulengänge des Kolosseums.
Ich fragte mich, was sich zu solcher Stunde an
diesen Stätten vor achtzehn Jahrhunderten ereignet haben mochte.
Welche Menschen überquerten
hier den Schatten jenes Obelisken, der nun nicht mehr auf
ägyptischen Wüstensand fiel? Nicht nur das antike Italien, auch das
Italien des Mittelalters ist verschwunden. Dennoch ist die Ewige
Stadt von den Spuren beider Italien geprägt. Wenn das moderne Rom
seinen Petersdom und seine Meisterwerke vorweist, stellt ihm das
antike Rom sein Pantheon und seine Ruinen entgegen; wenn jenes
seine Konsuln vom Kapitol herabsteigen lässt, bringt dieses seine
Päpste aus dem Vatikan herbei; der Tiber trennt diese in denselben
Staub gebettete Pracht: Das heidnische Rom versinkt immer tiefer in
seinen Gräbern, und das christliche Rom steigt allmählich in seine
Katakomben zurück.«
Bonaparte hatte dieser poetischen Beschreibung Roms
mit verträumter Miene gelauscht; seine Ohren hatten vernommen, was
der Dichter sagte, doch sein Blick richtete sich ganz
augenscheinlich in weitere Ferne.
»Monsieur«, sagte er, »begäbe ich mich nach Rom,
insbesondere als Mitglied der französischen Gesandtschaft, sähe ich
in Rom etwas anderes als die Stadt Cäsars, Diokletians oder Gregors
VII.; ich sähe in ihr nicht allein die Erbin von sechstausend
Jahren Geschichte, die Mutter der römischen Welt, anders gesagt:
des größten Weltreiches, das es jemals gab, sondern ich sähe in ihr
vor allen anderen Dingen die Königin des Mittelmeerraums, dieses
großartigen, unvergleichlichen, von der Vorsehung geschenkten
Gebiets, geprägt von den Zivilisationen aller Zeiten und Garant der
Einheit aller Länder, dieses Spiegels, in dem sich Marseille,
Venedig, Korinth, Athen, Konstantinopel, Smyrna, Alexandria,
Kyrene, Karthago und Cadiz spiegeln durften und um das herum die
drei Teile der Alten Welt Europa, Afrika und Asien
aneinandergrenzen.
Dank dieser Stadt könnte derjenige, der über Rom
und Italien gebietet, sich in jede Richtung und an jeden Ort
begeben: über die Rhône in das Herz Frankreichs, über den Eridanos
in das Herz Italiens, über die Meerenge von Gibraltar in den
Senegal, zum Kap der Guten Hoffnung, in die beiden Amerikas, über
die Dardanellen in das Marmarameer, zum Bosporus, zum Pontos
Euxeinos, das heißt in das Land der Tataren, über das Rote Meer
nach Indien, Tibet, Afrika, zum pazifischen Ozean, anders gesagt
zur Unendlichkeit, über den Nil nach Ägypten, nach Theben, Memphis,
Elephantine, nach Äthiopien, in die Wüste, anders gesagt, in das
Unbekannte. In Erwartung künftiger Größe, die jene Cäsars oder
Karls des Großen vielleicht übertreffen wird, wuchs die heidnische
Welt um dieses Meer. Die Christenheit hat sie für einen Augenblick
umarmt. Alexander,
Hannibal, Cäsar wurden an ihrem Rand geboren. Vielleicht wird man
eines Tages sagen: ›Bonaparte wurde mitten darin geboren!‹ Mailands
Echo lautet ›Karl der Große‹, das von Tunis lautet ›Sankt Ludwig‹.
Die Invasionen der Araber haben sich am einen Ufer des Meeres
ereignet, die Kreuzzüge am anderen. Seit dreitausend Jahren erhellt
die Zivilisation diesen Raum. Und seit achtzehn Jahrhunderten
beherrscht ihn der Kalvarienberg!
Wenn nun der Zufall wollte, dass Sie nach Rom
zurückkehrten, wagte ich zu sagen: ›Monsieur de Chateaubriand, von
Ihrem Standpunkt aus haben genug Dichter, genug Träumer und genug
Philosophen Rom betrachtet; es ist an der Zeit, dass ein praktisch
veranlagter Mensch die Weite des Horizonts erwägt, statt in
Träumereien über die Stadt zu versinken. Die Stadt, die zweimal die
Hauptstadt der Welt war, hat uns nichts mehr zu sagen, aber die
große Ebene, die sich ganz allein bestellt und die wir das Meer
nennen, hat uns alles zu sagen.‹ Wäre ich eines Tages Herr über
Spanien, wie ich es über Italien bin, würde ich England die
Meerenge von Gibralter versperren, selbst wenn ich dafür eine
Zitadelle in den Tiefen des Ozeans verankern müsste. Und dann,
Monsieur de Chateaubriand, wäre das Mittelmeer nicht länger ein
Meer, sondern es wäre ein französischer See.
Sollte, was durchaus möglich ist, ein Mann Ihrer
Fähigkeiten jemals nach Rom zurückkehren, während ich an der Macht
wäre, dann würde ich Sie nicht mehr als Botschaftssekretär
zurückschicken, sondern als Botschafter. Ich würde zu Ihnen sagen:
›Beschweren Sie sich nicht mit einer Bibliothek; lassen Sie Ovid,
Tacitus und Sueton in Paris; nehmen Sie nur eine Karte mit, die
Karte des Mittelmeergebiets, und verlieren Sie diese Karte keine
Sekunde lang aus den Augen. Wo auch immer ich mich auf der Welt
befände, ich würde sie jeden Tag ansehen, das kann ich Ihnen
versprechen. ‹
Adieu, Monsieur de Chateaubriand.«
Monsieur de Chateaubriand verließ den Ersten Konsul
gesenkten Kopfes; er hatte an seiner Stirn den Druck einer der
mächtigen Hände gespürt, die den Willen brechen und den Hochmut in
die Knie zwingen.