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Der letzte Kampf
Als die Verfolger die Grafschaft Molise
erreichten, sah die Landschaft aus, als hätte eine unvorstellbare
Katastrophe sie heimgesucht, denn einige Zeit zuvor hatte ein
Erdbeben die Provinz erschüttert; die geflohenen Bewohner kehrten
nach und nach in ihre zerstörten Häuser zurück; andere hatten in
hastig errichteten Baracken Schutz gesucht; doch Major Hugo, der
schon oft mit ihnen zu tun gehabt hatte, wusste, wie gutwillig und
gastfreundlich sie waren; er zweifelte keinen Augenblick lang
daran, dass sie alles tun würden, um ihm zu helfen, und die Bauern,
die er als Kuriere beschäftigte, waren ohne Ansehen der Gefahr Tag
und Nacht unermüdlich unterwegs, um Fragen zu überbringen und
Antworten zurückzubringen. Überall boten sich die Nationalgardisten
als Führer und als Kundschafter an, ohne sich darum zu scheren,
dass ihre Häuser dem Erdboden gleichgemacht waren oder welches
Unglück ihnen widerfahren war; dies erstaunte Fra Diavolo nicht
wenig, und es erschreckte ihn zu sehen, dass seine Landsleute zu
seinen Feinden wurden.
Einer unbezwingbaren Macht gehorchend, sah der
Bandit sich genötigt, nicht dem eigenen Plan zu folgen, sondern dem
Willen seines Widersachers, und schon bald erfuhr Major Hugo, dass
die Briganten, denen seine Truppen von allen Seiten nachsetzten, in
das Bojanotal hinunterstiegen.
Das Wetter war abscheulich; Bäche und Flussläufe
strömten wild und unberechenbar. Bei jedem Schritt traf man auf
einen Wasserlauf, den es zu überqueren galt, und oft reichte das
Wasser den Soldaten bis zum Gürtel. Der Biferno, der normalerweise
nicht mehr als zwei Fuß Wasser führt, war
so gestiegen, dass Fra Diavolo in der Falle gesteckt hätte, wenn
die Nationalgarde von Cinchiaturo rechtzeitig eingetroffen wäre, um
die Brücke zu halten, denn den Fluss konnte man unmöglich
durchwaten.
An einem Tag, der aus Regenguss um Regenguss
bestand, trafen die Soldaten des afrikanischen Korps und die Männer
Fra Diavolos zwischen Bojano und dem Dorf La Guardia aufeinander;
die Soldaten Major Hugos, von ihm befehligt, kämpften gegen eine
vierfache Übermacht. Glücklicherweise stießen die anderen Kolonnen,
die Fra Diavolo verfolgten, eine nach der anderen hinzu und
mischten sich in die Kampfhandlungen; doch die anhaltenden
Regenstürme führten dazu, dass nur noch mit Gewehrkolben,
Bajonetten und Dolchen gekämpft wurde.
Dieser scheußliche Kampf oder eher dieses gewaltige
Duell, in dem jeder seinen Gegner tötete oder von ihm getötet
wurde, währte länger als zwei Stunden; nach wahren Wundern an Mut
und Hartnäckigkeit konnten die Banditen zuletzt zerstreut werden;
von den fünfzehnhundert Männern waren nur hundertfünfzig übrig, und
diese überquerten die Brücke von Vinchiaturo und flohen das Tal von
Tammaro bis nach Benevent entlang; die Soldaten machten etwa
dreißig Gefangene, und tausend Gefallene bedeckten das Schlachtfeld
oder ertranken in den reißenden Wasserläufen. Hätte Major Hugo
seine Dragoner bei sich gehabt, wäre die ganze Bande zersprengt und
Fra Diavolo gefasst worden.
Auf dem Weitermarsch näherte sich einer der
Gefangenen dem Major und bot an, ihm im Tausch gegen seine Freiheit
die Stelle zu zeigen, wo zehntausend Dukaten beziehungsweise
fünfundvierzigtausend Francs aus dem Besitz der Banditen vergraben
waren.
Major Hugo ging auf diesen Handel nicht ein; seine
Aufgabe war nicht, Beute zu machen, sondern Fra Diavolo zu
verfolgen.
Als die Vorhut der Kolonne, die Fra Diavolo auf den
Fersen war, den Calore erreichte, musste man feststellen, dass der
Fluss bis zu einer Höhe von fünfzehn, sechzehn Fuß gestiegen war;
die Kolonne kehrte nach Benevent zurück, wo sie Major Hugo
mitteilte, auf welches Hindernis sie gestoßen war. Fra Diavolo
gewann so einen Vorsprung von vierundzwanzig Stunden gegenüber
seinen Verfolgern, die nun befürchten mussten, dass es ihm gelingen
würde, das Ufer zu erreichen und nach Capri überzusetzen, wenn sie
seine Fährte verloren.
Major Hugo ließ Schuhe an seine Leute verteilen und
zwang sie, trotz vereinzelten Murrens eine Stunde nach Mitternacht
wieder aufzubrechen.
In Montesarchio erfuhr er, dass Fra Diavolo sich
zwischen seinen Kolonnen hindurchgeschlängelt und den jenseitigen
Abhang des Monte Vergine erreicht hatte.
Montesarchio liegt an der Straße von Neapel nach
Benevent; an dieser Straße befinden sich die berühmten kaudinischen
Pässe, unter denen vorbeizuziehen die römische Armee im Krieg gegen
die Samniten gezwungen wurde. Der Engpass, den sie bilden, wird auf
der einen Seite vom Monte Taburno und auf der anderen vom Monte
Vergine abgeschlossen, der seinen Namen einem prachtvollen Kloster
am gegenüberliegenden Hang verdankt; doch nach Benevent hin sind
die Berge so steil, dass nur Hirten auf der Suche nach ihren Ziegen
sich in diese Höhen wagen.
Major Hugo ließ seine Soldaten den unbesteigbaren
Berg erklettern; so holte er nicht nur die vierundzwanzig Stunden
Vorsprung des Gejagten auf, sondern hatte sogar die Chance, ihn
einzuholen; obwohl die Führer nichts unversucht ließen, den Major
von seinem Vorhaben abzubringen, beharrte er darauf, und bei
Tagesanbruch begann er mit der Besteigung; als Führer dienten nur
Hirten, die als Einzige bereit waren, an einem solchen Wagnis
teilzunehmen; Hugos Soldaten folgten murrend, doch sie
folgten.
Den immensen Schwierigkeiten dieser Bergbesteigung
gesellte sich feiner Schneefall hinzu, der den Pfad, der über
nacktes Felsgestein führte, noch unwegsamer machte. Das Glück
wollte es, dass verstreut Bäume wuchsen, an deren Zweigen man sich
festhalten konnte. Und nach drei Stunden unvorstellbarer Mühen
gelangten die Soldaten, in denen die Erschwernisse der
Bergwanderung Ehrgeiz geweckt hatten und die nun über ihre Stürze
und ihr Stolpern lachen konnten, auf ein Hochplateau im Nebel,
dessen Lage sich nicht einmal erraten ließ.
Doch kaum hatten sie ihre schneegetränkte Kleidung
geschüttelt, fuhr ein Windstoß über die Gipfel, zerriss den
Wolkenschleier, der sie einhüllte, und als höbe sich ein Vorhang im
Theater, erblickten sie den Golf von Neapel in all seiner Pracht
und Größe.
Der Berg war erstiegen. Froh, doch schweigend
machte sich die Kolonne daran, in Richtung Aletta
hinunterzusteigen, als sie von Musketenfeuer überrascht wurde; der
Zufall hatte sie mitten in Fra Diavolos Bande geführt.
Fra Diavolo wäre nur zu gern geflohen, ohne zu
kämpfen, doch das war ausgeschlossen: Die korsische Vorhut befand
sich bereits im Handgemenge mit seinen Männern; die anderen
Abteilungen eilten herbei, als sie
die Schüsse hörten, und stürzten sich mit gesenktem Kopf in den
Kampf, denn sie wussten, dass die Entscheidung bevorstand; doch
auch diesmal gelang es Fra Diavolo, sich mit dreißig seiner Männer
den Verfolgern zu entziehen, die seit zwei Nächten nicht geschlafen
hatten. Hundertzwanzig Briganten blieben zurück und wurden entweder
gefangen genommen oder warfen ihre Waffen weg und flohen, was den
Major nicht weiter kümmerte, denn der Einzige, um den es ihm ging,
war ihr Anführer. Sobald dieser gefasst wäre, bliebe von der Bande
nichts übrig, denn die Männer, die unter ihm gedient hatten, hätten
sich niemals einem anderen untergeordnet.
Fra Diavolo, der durch die lichte Bewaldung floh,
die das Durchkommen nicht hinderte, und der mit der Gegend völlig
vertraut war, konnte noch immer hoffen zu entkommen, doch dafür
musste er die Straße nach Apulien erreichen und ihr eine Zeit lang
folgen.
Bald war es so weit.
Eine tiefe Schlucht auf der anderen Straßenseite
verhinderte dort das Weiterkommen; hinter dem Gejagten waren die
Soldaten des Majors, und vor sich erblickte er plötzlich ein
französisches Kavallerieregiment auf Patrouille, das ihm
entgegenkam: Ging er weiter, musste er auf das Regiment treffen,
ging er zurück, schnitten ihm die Verfolger den Weg ab, wenn sie
die Straße erreichten, und jenseits der Straße gähnte der
Abgrund.
Seine Gefährten blieben zitternd stehen, und ihre
ängstlichen Blicke schienen zu besagen: »Nur du kannst uns aus
dieser Klemme retten, und zwar mit einer der teuflischen Listen,
die dir den Namen Fra Diavolo eingebracht haben.«
Und wahrhaftig ließ sein Einfallsreichtum ihn auch
in dieser schwierigen Lage nicht im Stich.
»Bindet mir schnell die Hände hinter dem Rücken«,
sagte er, »und tut das Gleiche mit meinem Leutnant.«
Die Briganten starrten ihn an, sprachlos vor
Verblüffung.
»Beeilt euch! Beeilt euch!«, rief Fra Diavolo. »Wir
dürfen keine Zeit verlieren!«
Der Gehorsam siegte: Da sie keine Stricke hatten,
nahmen sie ihre Taschentücher und banden den beiden Männern die
Hände.
»Und jetzt«, sagte Fra Diavolo, »marschieren wir
frech dem Kavallerieregiment entgegen, und wenn ihr gefragt werdet,
wer wir sind, antwortet ihr, wir seien zwei Banditen aus der
Räuberbande des Fra Diavolo, die ihr gefangen genommen habt und
nach Neapel bringt, um die Belohnung zu kassieren.«
»Und wenn sie euch selbst hinbringen wollen?«
»Dann lasst ihr sie gewähren und verzieht euch
unter lautem Gezeter ob des Unrechts, das sie euch antun.«
»Aber Sie, Hauptmann?«
»Pah! Man stirbt nur einmal.«
Sein Befehl wurde ausgeführt. Fra Diavolo und sein
Leutnant setzten mürrische Arme-Sünder-Mienen auf, und die
vorgebliche Bürgerwehr wanderte munter den Soldaten entgegen, die
sie anhielten und ausfragten. Als Neapolitaner ist man der geborene
Improvisator, und einer der Briganten ergriff das Wort und
erzählte, wie sie die Gefangenen gemacht hatten. Die Reiter
spendeten ihm Beifall, und auf diese Weise gelangte das Trüppchen
allmählich an das Ende des Regiments, bis man sich voneinander
verabschiedete und einander eine gute Reise wünschte.
Dreihundert Schritt hinter der Nachhut des
Regiments stießen die Banditen auf einen Pfad, der die Straße
kreuzte und in eine Lichtung mündete. Fra Diavolo und sein Leutnant
ließen sich losbinden, und Fra Diavolo befahl, auf das
Reiterregiment zu schießen.
Die Soldaten wussten nicht, wer ihnen da entwischt
war; sie merkten nur, dass man sich über sie lustig machte; doch da
sie zu Pferde waren und die Gegend nicht kannten, dachten sie nicht
daran, in beinahe undurchdringlichem Gebüsch Männer zu verfolgen,
die zu Fuß waren und das Land wie ihre Westentasche kannten; wie
sehr man sie zum Besten gehalten hatte, wurde ihnen erst klar, als
sie auf der Straße den Soldaten Major Hugos begegneten, die ihnen
sagten, mit wem sie es zu tun gehabt hatten.
Die Jagd ging weiter. Am Abend erreichte Major Hugo
mit seiner Kolonne Lettere in der Nähe von Castellamare. Dort
erfuhr er, dass in einiger Entfernung Lagerfeuer gesichtet worden
waren, und es kam zu einem weiteren Scharmützel, in dessen Verlauf
die meisten der Männer getötet wurden, die dem Räuberhauptmann
geblieben waren; er selbst wurde verwundet und rettete sich nach La
Cava. Da er fast niemanden mehr hatte, musste man ihn nicht mehr
fürchten, doch zu befürchten blieb, dass er ein Boot fand, mit dem
er nach Capri oder nach Sizilien übersetzen konnte, um dort eine
neue Bande ins Leben zu rufen.
Das Meer war seine letzte Hoffnung. Da er annahm,
allein eher fliehen zu können, verabschiedete er seine letzten
Gefährten.
Auf seinen Kopf war eine Belohnung von sechstausend
Dukaten ausgesetzt (achtundzwanzigtausend Francs). Die
Nationalgarden der Umgebung
und die französischen Truppen waren sämtlich alarmiert; so kam es,
dass Fra Diavolo im Königreich beider Sizilien beinahe ebenso viele
Feinde hatte, wie es dort Männer gab, die es nach sechstausend
Dukaten Belohnung gelüstete.
Gegen Ende November konnte er am Fuß der Berge
nicht mehr im Freien lagern, da es nachts sehr kalt war und Schnee
den Boden bedeckte; zudem hatte er bei einer erneuten
Auseinandersetzung mit der Bürgerwehr eine zweite Verwundung
davongetragen und war sehr geschwächt; seit neunundzwanzig Tagen
war er auf der Flucht vor den Franzosen; er stand im wahrsten Sinn
des Wortes kurz vor dem Verhungern, denn seit Aletta hatte er
nichts mehr gegessen. Die zehntausend Dukaten, die am Berghang
vergraben waren und die einer seiner Männer Major Hugo angeboten
hatte, hätte er sicherlich mit Freuden gegen ein Stück Brot und
eine Nacht Schlaf eingetauscht.
Eine Stunde oder zwei wanderte er aufs Geratewohl
dahin; die neue Gegend war ihm völlig unbekannt. Gegen neun Uhr
abends fand er sich vor der Hütte eines Schäfers wieder; durch ein
Astloch nahm er das Innere in Augenschein und sah, dass ein
einzelner Mann sie bewohnte; er trat ein und bat um
Gastfreundschaft, entschlossen, sie sich mit Gewalt zu verschaffen,
sollte sie ihm verweigert werden.
Der Hirte gewährte sie ihm mit der Großzügigkeit,
mit der die Armen das Wenige teilen, das Gott ihnen gegeben
hat.
Fra Diavolo befragte seinen Gastgeber, und nachdem
er sich vergewissert hatte, dass in der Umgebung noch nie eine
Bürgerwehr gesehen worden war, legte er seine Waffen in eine Ecke,
setzte sich nahe an das Feuer und aß die Reste, die vom Abendessen
des Hirten geblieben waren, anders gesagt ein paar Kartoffeln, die
dieser in der Asche vergessen hatte.
Dann warf sich Fra Diavolo auf einen Sack mit
Maisstroh und schlief ein.
An die Bürgerwehr hatte er gedacht, doch nicht an
die Räuber. Gegen Mitternacht betraten vier einheimische Banditen
zufällig die Hütte, in der Fra Diavolo schlief. Der Hirte und sein
Gast erwachten, als ihnen ein Pistolenlauf an die Kehle gedrückt
wurde, und da Fra Diavolo nicht wissen konnte, ob er es mit
seinesgleichen oder mit der Bürgerwehr zu tun hatte, verriet er
nicht, wer er war, und ließ sich ohne Widerstand Waffen und Geld
entwenden.
Nach diesem Besuch hoffte Fra Diavolo, dass ihm
nichts mehr zu fürchten geblieben war als der Tod. Seit Major Hugo
ihn verfolgte, hatte ihn
das Glück ganz und gar im Stich gelassen; jedes Mal war er
geschlagen worden; verwundet, ohne Mittel, ohne Waffen, was sollte
seiner noch harren?
Doch der Unglückliche hatte den Kelch noch nicht
bis zur Neige geleert; kaum hatten die Räuber hundert Schritte
getan, kam ihnen der Gedanke, dass sie in der Hütte einen Mann
zurückgelassen hatten, der sie anzeigen konnte, und sie machten
kehrt und zwangen ihn, ihnen zu folgen.
Ihm blieb nichts übrig, als zu gehorchen.
Doch da er seit neunundzwanzig Tagen durch Dornen,
Stacheln und über Felsbrocken geflohen war, die letzten drei Tage
ohne Schuhe, waren die Füße des Bedauernswerten eine einzige offene
Wunde. Die Banditen, die sahen, dass er seine Schmerzen zu
verbergen trachtete, ihnen aber trotz aller Mühen nicht folgen
konnte, trieben ihn vor sich her, indem sie ihn mit ihren
Gewehrkolben schlugen und mit ihren Bajonetten stachen.
»Tötet mich, wenn ihr wollt«, sagte Fra Diavolo,
»aber ich kann keinen Schritt mehr gehen.«
Und er stürzte hin.