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Jupiter auf dem Olymp
Man wird nicht übersehen haben, wie gewissenhaft
wir bemüht waren, die historischen Persönlichkeiten, die in dieser
Erzählung eine Rolle spielen, unseren Lesern so unvoreingenommen
wie möglich zu schildern, ja so zu schildern, wie sie selbst sich
von der unvoreingenommenen Geschichte geschildert wünschten. Wir
ließen uns dabei weder von den persönlichen Erinnerungen an die
Missgeschicke unserer Familie beeinflussen, deren Ursprung bis zu
Bonapartes Zwist mit Kléber in Ägypten zurückreicht (denn für
Kléber hatte mein Vater Partei ergriffen), noch von dem
Hosianna-Geschrei der unermüdlichen Bonapartisten, die
grundsätzlich alles an ihrem Idol bewundern, noch von der Mode,
ausgelöst durch erneute Opposition gegen Napoleon III., die
Vergangenheit in Bausch und Bogen zu verurteilen, um die
Grundfesten seiner wackeligen Dynastie zu erschüttern. Nein; fern
sei mir zu behaupten, ich sei gerecht gewesen, denn welcher Mensch
könnte das von sich sagen?, doch aufrichtig war ich, und ich bin
mir sicher, dass an dieser Aufrichtigkeit niemand zweifelt. Nun
denn! Es ist meine aufrichtige Überzeugung, dass zu jener Zeit, von
der soeben die Rede war, in dem Wissen, dass für die Vollendung
seiner hochgesteckten Ziele der Frieden nicht minder nützlich wäre
als der Krieg, der Erste Konsul ernsthaft den Frieden wünschte. Ich
will damit keineswegs behaupten, dass ihm, der so erfolgreich, so
versiert und so sicher das blutige Spiel der Schlachten zu spielen
verstand, nicht bisweilen die Schatten von Arcoli und Rivoli den
Schlaf verdüsterten, ich will nicht behaupten, dass nicht von Zeit
zu Zeit die geschmeidigen Palmen des Nils oder die starren
Pyramiden von Giseh ihm in wachen Stunden vor das innere Auge
traten, und ebenso wenig will ich leugnen, dass ihn dann der
blendende Schnee des Sankt Bernhard oder der beißende Rauch von
Marengo aus diesen Halbträumen rissen. Dagegen will ich
bereitwillig behaupten, dass er die goldenen Früchte und
Eichenlaubkronen schimmern sah, die der Frieden jenen schenkt,
denen ein günstiges Geschick vergönnt, die Türen des Janustempels
zu schließen.
Denn Bonaparte war gelungen, im Alter von
einunddreißig Jahren das zu tun, was weder Marius noch Sulla, noch
Cäsar in ihrem ganzen Leben hatten tun können.
Doch würde es in seiner Macht liegen, diesen
Frieden zu bewahren, der so teuer erworben war? Und würde England,
dessen drei Leoparden er die Krallen gestutzt und die Zähne
ausgerissen hatte, Cäsar die Zeit lassen, ein Augustus zu
werden?
Und doch benötigte Bonaparte den Frieden, um den
Thron Frankreichs zu erobern, wie Napoleon den Krieg benötigt
hatte, um auf Kosten der anderen Throne Europas diesen Thron fester
zu verankern. Zudem gab Bonaparte sich keinen Illusionen über die
Absichten seines ewigen Widersachers hin; er wusste sehr wohl, dass
England den Frieden nur geschlossen hatte, weil es den Krieg ohne
seine Alliierten nicht fortsetzen konnte, und er wusste, dass
England Frankreich nicht genug Zeit lassen würde, seine Marine
wiederaufzubauen, was vier bis fünf Jahre in Anspruch nehmen
musste. Bonaparte war sich der diesbezüglichen Pläne des Kabinetts
von Saint James so gewiss, dass er, wenn von den Bedürfnissen der
Völker die Rede war, von den Vorteilen des Friedens und seinen
wohltätigen Auswirkungen auf die innere Ordnung, die Künste, Handel
und Gewerbe, kurzum alles, was gebündelt den allgemeinen Wohlstand
ausmacht, nichts davon leugnete, doch erwiderte, all diese Dinge
seien nur im Zusammenwirken mit England erreichbar und man könne
sich darauf verlassen, dass es keine zwei Jahre dauern werde, bis
England von Neuem das Gewicht seiner Marine in die Waagschale der
Welt werfen und mit seinem Gold alle Kabinette Europas zu
beeinflussen suchen werde. Dann brachen seine Gedanken hervor wie
ein Fluss, der sich von seinem Damm nicht mehr halten lässt, und er
schien zu spüren, wie der Frieden seinen Händen entglitt,
nachgerade, als wohnte er den Sitzungen des englischen Kabinetts
bei.
»Der Frieden wird nicht von Bestand sein«, rief er,
»und England wird ihn brechen. Wäre es da nicht klüger, den
Engländern zuvorzukommen? Wäre es nicht besser, ihnen keine Zeit zu
lassen, uns zuvorzukommen, sondern einen großen, schrecklichen
Erstschlag zu führen, der die ganze Welt in Erstaunen versetzen
müsste?«
Und daraufhin verlor er sich in einen jener
tiefgründigen Gedankengänge, die Frankreich aufmerksam und Europa
staunend verfolgten.
In der Tat rechtfertigte Englands Betragen
Bonapartes Misstrauen nur allzusehr oder, anders gesagt, indem
England annahm, Bonaparte wolle den Krieg, handelte England ganz
genau so, wie Bonaparte erwartete, und das Einzige, was dieser an
jenem auszusetzen hätte haben können, war, dass es schneller
handelte, als selbst Bonaparte wünschen konnte.
Der englische König hatte seinem Parlament eine
Nota übermittelt, in der er sich darüber beschwerte, dass in den
Häfen Frankreichs offenbar gerüstet werde, und verlangte, dass
Gegenmaßnahmen getroffen würden, damit man sich der Angriffe
erwehren könne, welche die Franzosen im Schilde führten. Dieses
Misstrauen erboste den Ersten Konsul im höchsten Maß: Kaum hatte
sich seine Beliebtheit verdoppelt dank des heißersehnten Friedens,
den er seinem Land endlich beschert hatte, drohte England bereits,
diesen Frieden zu brechen.
England hatte sich im Vertrag von Amiens
verpflichtet, die Insel Malta abzutreten, doch nichts dergleichen
getan. Es sollte sich aus Ägypten zurückziehen, doch nichts war
geschehen. Es sollte das Kap der Guten Hoffnung an Frankreich
abtreten, dachte jedoch nicht daran.
Zu guter Letzt beschloss der Erste Konsul, diese
Situation zu beenden, die quälend, unerträglich und schlimmer als
der Krieg war, und er nahm sich vor, mit ungeschminkter Ehrlichkeit
mit dem englischen Gesandten zu sprechen, um diesem klarzumachen,
dass in zwei Punkten seine Meinung feststand, nämlich bezüglich der
Räumung Maltas und der Räumung Ägyptens. Was er vorhatte, war etwas
völlig Neues: ohne Umschweife mit dem Gegner zu sprechen und ihm zu
sagen, was man sonst nie sagt, die Wahrheit über das, was man
denkt.
Am 18. Februar 1803 war Lord Whitworth in den
Tuilerienpalast eingeladen; Bonaparte empfing ihn in seinem
Kabinett, bot ihm einen Sitz am einen Ende eines langen Tischs an
und nahm am anderen Ende Platz. Sie waren allein, wie es sich für
eine derartige Besprechung geziemt.
»Milord«, sagte Bonaparte, »ich wollte Sie unter
vier Augen sehen und Ihnen unmittelbar meine wahren Absichten
enthüllen, etwas, was kein Minister an meiner Stelle tun
könnte.«
Dann erinnerte er sein Gegenüber an den Verlauf
seiner Beziehungen zu England seit seinem Eintritt in das Konsulat
– mit welcher Umsicht er noch am selben Tag seine Ernennung zum
Konsul der englischen Regierung hatte mitteilen lassen, wie
unverschämt Mister Pitt alle Annäherungsversuche zurückgewiesen
hatte, wie unverdrossen er wiederum die Verhandlungen erneut
aufgenommen hatte, sobald es ohne Ehrverlust möglich war, und unter
welchen Zugeständnissen es zum Friedensschluss von Amiens gekommen
war. Mehr im Scherz als im Zorn sprach er von dem Kummer, den es
ihm bereitete, seine Bemühungen um ein gedeihliches Auskommen mit
Großbritannien so gänzlich fruchtlos zu sehen. Er erinnerte den
Botschafter daran, dass die üblen Machenschaften, die
mit den Feindseligkeiten hätten aufhören sollen, stattdessen seit
dem Unterzeichnen des Abkommens offenbar zugenommen hatten; er
beklagte sich, dass die englischen Gazetten anscheinend dazu
ermuntert wurden, gegen ihn vom Leder zu ziehen, dass man den
Gazetten der Emigranten erlaubte, ihn unflätig zu beschimpfen, dass
den französischen Prinzen in ganz England ein königlicher Empfang
bereitet werde, und zuletzt ließ er durchblicken, dass er bei jeder
neuen Verschwörung gegen ihn die Hand Englands im Spiel sehe.
»Jeder Windstoß aus England«, fügte er hinzu,
»bringt mir neben dem alten Hass neuen Schimpf. Und jetzt, Milord,
haben wir eine Situation erreicht, aus der wir uns unter allen
Umständen befreien müssen; wollen Sie den Vertrag von Amiens
einhalten oder nicht?
Ich für meinen Teil habe ihn bis in alle
Einzelheiten erfüllt. Dieser Vertrag hat mich genötigt, Neapel,
Tarent und die römischen Staaten binnen drei Monaten zu verlassen,
und innerhalb von zwei Monaten hatten die französischen Truppen
sich aus all diesen Ländern zurückgezogen.
Vor zehn Monaten wurden die Verträge bestätigt, und
noch heute halten die englischen Truppen Malta und Alexandria
besetzt.
Wollen Sie Frieden? Oder wollen Sie Krieg? Mein
Gott, wenn Sie Krieg wollen, müssen Sie es nur sagen. Wenn Sie
Krieg wollen, können Sie ihn haben, und zwar bis zum letzten Mann
unserer beiden Völker.
Wollen Sie Frieden? Dann müssen Sie Malta und
Alexandria räumen. Die felsige Insel Malta, auf der so viele
Befestigungen aufeinandergetürmt wurden, mag von großer
strategischer Bedeutung sein, doch sie ist für mich von noch
größerer Bedeutung, was die Ehre Frankreichs betrifft. Was würde
die Welt sagen, wenn wir zuließen, dass ein feierlich mit uns
geschlossener Vertrag mit Füßen getreten würde? Sie müßte an
unserem Mut zweifeln. Ich habe mich entschieden, und ich sähe Sie
lieber im Besitz der Butte Montmartre und der Butte Chaumont als im
Besitz Maltas.«2
Lord Whitworth, der nicht im Geringsten auf diesen
Ausfall gefasst war, hatte schweigend und reglos zugehört, denn er
besaß keine Instruktionen seiner Regierung für den Fall derartiger
Vorwürfe; nun erwiderte er auf den Redeschwall des Ersten Konsuls:
»Wie soll es möglich sein, innerhalb weniger Monate den Hass zu
ersticken, den ein über zweihundert Jahre währender Krieg zwischen
den zwei Nationen entfacht hat?
Sie wissen, wie wenig Macht die englischen Gesetze
uns über die Presse einräumen; uns sind die Hände gefesselt, sogar
gegenüber denen, die jeden Tag die englische Regierung mit Schimpf
und Schande überhäufen. Die Bezüge der Chouans wiederum sind der
Lohn für vergangene Dienste und nicht etwa Zahlungen für künftige.
Und der Empfang, der den emigrierten Prinzen zuteil wird, ist der
noble Ausdruck englischer Gastfreundschaft.«
»Doch all das«, unterbrach ihn Bonaparte,
»rechtfertigt weder die Nachsicht, mit der die französischen
Pamphletisten behandelt werden, noch die Ruhegelder, die Sie den
Meuchelmördern zahlen, noch die Ehrenbezeigungen, die den
bourbonischen Prinzen zuteil werden.« Er brach in Gelächter aus.
»Einem Mann, den ich so schätze wie Sie«, sagte er, »will ich nicht
die Haltlosigkeit Ihrer Argumente vor Augen führen. Kehren wir zu
Malta zurück.«
»Nun denn, ich kann Ihnen versichern«, sagte Lord
Whitworth schnell, »dass unsere Soldaten zum gegenwärtigen
Zeitpunkt Alexandria geräumt haben dürften, und das Gleiche träfe
auch auf Malta zu, hätte Ihre Politik nicht so gewaltige
Veränderungen in Europa bewirkt.«
»Auf was für Veränderungen spielen Sie an?«, rief
Bonaparte.
»Haben Sie sich etwa nicht zum Präsidenten der
Republik Italien ernennen lassen?«
»Milord«, sagte Bonaparte lachend, »ist Ihr
Zahlengedächtnis so schwach, dass Sie vergessen haben sollten, dass
diese Präsidentschaft mir vor dem Vertrag von Amiens angetragen
wurde?«
»Und was ist mit dem Königreich Etrurien, das Sie
geschaffen haben«, erwiderte der Gesandte, »ohne England zu diesem
Gegenstand im Mindesten zu konsultieren?«
»Da irren Sie sich, Milord: England wurde so
eingehend konsultiert, obwohl es sich dabei um eine überflüssige
Formalität handelte, dass es die umgehende Anerkennung dieses
Königreichs in Aussicht gestellt hat.«
»England«, erwiderte Lord Whitworth, »hat Ihre
Zusage verlangt, den König von Sardinien wieder in Besitz seiner
Länder zu setzen.«
»Und ich habe Österreich, Russland und Ihnen
erwidert, dass ich ihm nicht nur seine Länder nicht wiedergeben,
sondern ihn auch nicht entschädigen werde. Sie wussten schon immer,
denn es war nie ein Geheimnis, dass ich mich seit Langem mit der
Absicht trage, Piemont mit Frankreich zu vereinigen; diese
Vereinigung ist Voraussetzung für meine Herrschaft über Italien,
eine ungeschmälerte Herrschaft, weil ich es so will, und so
soll es bleiben. Aber lassen Sie uns beide ruhig einen Blick auf
die Karte Europas werfen: Sehen Sie selbst, sehen Sie nur. Gibt es
in irgendeinem Winkel, an irgendeinem Flecken ein Regiment meiner
Armee, das dort nichts zu suchen hat? Gibt es irgendwo einen Staat,
den ich bedrohe oder den ich überfallen will? O nein, das wissen
Sie sehr wohl, zumindest solange der Frieden Bestand haben
wird.«
»Wären Sie offen, Citoyen Erster Konsul, gäben Sie
zu, dass Sie Ägypten noch immer im Sinn haben.«
»Gewiss habe ich Ägypten im Sinn, gewiss doch,
gewiss werde ich es immer im Sinn behalten, und das erst recht,
wenn Sie mich zwingen sollten, Krieg zu führen. Doch Gott bewahre
mich davor, den Frieden aufs Spiel zu setzen, den wir seit so
Kurzem erst genießen, und das einer bloßen Frage der Chronologie
wegen. Das Osmanische Reich bröckelt an allen Ecken und Enden und
steht kurz vor dem Zusammenbruch; sein Platz ist nicht in Europa,
sondern in Asien; ich werde mich dafür einsetzen, es solange wie
möglich am Leben zu erhalten, doch wenn es zerbricht, dann will
ich, dass auch Frankreich davon profitiert. Sie müssen zugeben,
nichts wäre leichter gewesen, als eine der zahlreichen
Schiffsbemannungen, die ich nach Santo Domingo führe, Kurs auf
Alexandria nehmen zu lassen. Sie haben dort viertausend Mann
stationiert, die seit zehn Monaten Ägypten hätten verlassen sollen;
diese viertausend Mann wären kein Hindernis für mich gewesen,
sondern im Gegenteil ein Vorwand. Ich hätte Ägypten in
vierundzwanzig Stunden erobert, und diesmal hätten Sie es mir nicht
wieder abgejagt. Sie denken, meine Machtfülle mache mich blind für
das Bild, das die öffentliche Meinung in Frankreich und in Europa
von mir hat. Ich aber sage Ihnen, dass diese Machtfülle nicht so
groß ist, dass sie mir einen mutwillig vom Zaun gebrochenen
Angriffskrieg erlauben würde. Wäre ich so töricht, England ohne
einen schwerwiegenden Grund anzugreifen, wäre mein politisches
Ansehen, das weit mehr moralische als materielle Grundlagen hat,
auf der Stelle in den Augen ganz Europas verwirkt. Frankreich
wiederum muss ich beweisen, dass man mich bekriegt hat, ohne von
mir dazu herausgefordert worden zu sein, wenn ich den Kampfgeist in
ihm wecken will, den ich für den Krieg gegen Sie benötigen werde,
falls sie mich zu diesem Krieg zwingen; dann müssen Sie ganz und
gar im Unrecht sein, und ich muss im Recht sein! Und sollten Sie
noch an meinem ernsthaften Wunsch zweifeln, den Frieden zu
erhalten, dann hören und urteilen Sie selbst.
Ich bin zweiunddreißig Jahre alt; mit
zweiunddreißig Jahren genieße
ich eine Macht und ein Prestige, die zu steigern schwerfallen
dürfte. Soll ich diese Macht, soll ich dieses Prestige leichtfertig
aufs Spiel setzen, um einen aussichtslosen Kampf zu führen? O nein,
das täte ich nur, wenn mir keine andere Wahl bliebe. Dann aber täte
ich Folgendes: Ich würde keinen Scharmützelkrieg und keinen
Blockadekrieg führen, keinen Krieg, bei dem hie und da ein Schiff
auf dem Meer in Brand gesetzt wird und vom Meer gelöscht werden
kann; o nein, ich würde zweihunderttausend Mann zusammenrufen und
mit einer unermesslich großen Flotte den Ärmelkanal überqueren.
Vielleicht verlöre ich dabei wie Xerxes meinen Ruhm und mein Glück,
die zum Meeresboden sänken! Und sogar das Leben! Denn von solchen
Expeditionen kehrt man nicht zurück – entweder man hat Erfolg, oder
man kommt um!« Und da Lord Whitworth ihn sprachlos vor Erstaunen
ansah, fuhr er fort: »Ein befremdlich kühner Einfall, nicht wahr,
England überfallen zu wollen! Aber warum nicht? Was Cäsar gelang,
ist auch mir gelungen; warum sollte mir nicht gelingen, was Wilhelm
dem Eroberer gelang? Und deshalb will ich diese Kühnheit wagen,
sollten Sie mich dazu zwingen. Ich werde meine Armee und mich
selbst dem Wagnis unterziehen; ich habe die Alpen im Winter
überschritten, und ich weiß, wie man möglich macht, was dem
Hausverstand unmöglich erscheint. Doch sollte ich dabei Erfolg
haben, dann werden noch Ihre fernsten Neffen blutige Tränen über
den Entschluss vergießen, den zu treffen Sie mich gezwungen haben
werden. Wenn ich sage: Ich will den Frieden, kann ich Ihnen keine
anderen Beweise meiner Aufrichtigkeit geben. Und es wäre besser für
Sie und für mich, wenn wir den Rahmen der Verträge einhielten:
Ziehen Sie sich von Malta zurück und aus Ägypten, bringen Sie Ihre
Gazetten zum Schweigen, verjagen Sie die feigen Mörder, die mir
nach dem Leben trachten, aus Ihrem Land, handeln Sie im
Einvernehmen mit mir, und ich verspreche Ihnen meinerseits
ungetrübtes Einvernehmen. Nähern wir unsere Nationen einander an,
schweißen wir sie aneinander, und wir werden eine Herrschaft über
die Welt ausüben, wie sie weder Frankreich noch England allein
ausüben könnte! Sie besitzen eine Marine, der ich mit zehn Jahren
ununterbrochener Anstrengung und unter Einsatz all meiner Mittel
nichts Vergleichbares zur Seite stellen könnte; ich hingegen habe
fünfhunderttausend Mann, die bereit sind, unter meinem Befehl zu
marschieren, wohin ich will. Sind Sie die Herren der Meere, so bin
ich der Herr des Landes; ziehen wir also in Betracht, uns zu
vereinen, statt einander zu befehden, und wir werden die Geschicke
der übrigen Welt nach unserem Gutdünken leiten!«
Lord Whitworth informierte die englische Regierung
von seiner Unterredung mit dem Ersten Konsul. Unglücklicherweise
war er zwar ein Ehrenmann und ein Mann von Welt, doch kein großes
Licht, und hatte deshalb den Gedanken, die der Erste Konsul
entwickelt hatte, nicht ganz folgen können.
Auf Bonapartes lange und beredte Stegreifrede
antwortete König George mit folgender Nota an sein Parlament:
George, König...
Seine Majestät hält es für erforderlich, das
Unterhaus davon in Kenntnis zu setzen, dass beträchtliche
militärische Vorbereitungen in den Häfen Frankreichs und Hollands
getroffen werden und dass er es deshalb als geraten erachtet, neue
Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit Großbritanniens
zu gewährleisten. Wiewohl die erwähnten Vorbereitungen allem
Anschein nach Kolonialexpeditionen ermöglichen sollen, hat Seine
Majestät es angesichts der gegenwärtigen ernsthaften
Auseinandersetzungen zwischen Seiner Majestät und der französischen
Regierung, deren Ausgang ungewiss ist, für ratsam gehalten, seinem
treuen Unterhaus zu versichern, dass er im vollen Vertrauen darauf,
sich von seinem Parlament in seinem dringlichen und unermüdlichen
Eintreten für den Frieden unterstützt zu wissen, ebenfalls auf
dessen Bürgergeist und Großzügigkeit vertraut und darauf, dass es
ihm ermöglichen wird, alle Maßnahmen zu ergreifen, welche die
Umstände erfordern mögen, auf dass die Ehre der englischen Krone
und das Wohlergehen des englischen Volkes erhalten
bleiben.
Der Erste Konsul erfuhr durch Monsieur de
Talleyrand von dieser Verlautbarung. Er geriet in einen
Zornesausbruch wie seinerzeit Alexander der Große; doch Monsieur de
Talleyrand gelang es, ihn zu beruhigen und ihm das Versprechen
abzuringen, sich zu beherrschen und es den Engländern zu
überlassen, sich durch den ersten Schritt ins Unrecht zu setzen.
Unglückseligerweise war der übernächste Tag ein Sonntag und der
Tag, an dem im Tuilerienpalast die Diplomaten empfangen wurden.
Alle Gesandten waren aus schierer Neugier anwesend. Jeder wollte
wissen, wie Bonaparte den Schimpf ertragen und wie er mit dem
englischen Botschafter verfahren würde.
Der Erste Konsul wartete bei Madame Bonaparte auf
die Gäste und
spielte mit dem ersten Kind König Louis’ und Königin Hortenses,
als man ihm meldete, die Gesandten seien vollzählig
versammelt.
Monsieur de Rémusat, der Präfekt des Palasts, trat
ein und verkündete, dass alle anwesend seien.
»Ist Lord Whitworth auch da?«, fragte Bonaparte
lebhaft.
»Ja, Citoyen Erster Konsul«, erwiderte Monsieur de
Rémusat. Bonaparte, der auf dem Teppich lag, stieß das Kind weg,
das er in den Armen hielt, richtete sich auf, ergriff Madame
Bonapartes Hand, durchschritt die Tür zum Empfangssalon, ging an
den ausländischen Ministern vorbei, ohne ihren Gruß zu erwidern,
trat zu dem Vertreter Englands und sagte: »Milord, haben Sie
Nachrichten aus England?«
Und ohne ihm Zeit für eine Antwort zu lassen, fügte
er hinzu: »Sie wollen also Krieg?«
»Nein, General«, erwiderte der Botschafter, der
sich verneigte, »dafür sind wir uns der Vorteile des Friedens allzu
bewusst.«
»Sie wollen also Krieg«, sagte der Erste Konsul mit
lauter Stimme, als hätte er die Antwort nicht gehört, wollte aber
von allen Anwesenden gehört werden. »Wir haben einander zehn Jahre
lang bekämpft, und Sie wollen, dass wir einander noch zehn Jahre
länger bekämpfen! Wie konnte man sich zu der Lüge versteigen,
Frankreich rüste? Man hat Europa belogen und der Welt
Lügengeschichten erzählt! In unseren Häfen ankert kein einziges
Kriegsschiff; alle diensttauglichen Kriegsschiffe wurden nach Santo
Domingo geschickt. Das einzige vorhandene bewaffnete Schiff
befindet sich in holländischen Gewässern, und jedermann weiß, dass
es für Louisiana bestimmt ist. Es wurde das Gerücht verbreitet,
zwischen Frankreich und England bestünden
Meinungsverschiedenheiten. Ich weiß nichts davon; ich weiß nur,
dass die Insel Malta nicht innerhalb der vereinbarten Zeitspanne
geräumt wurde, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre
Minister der englischen Loyalität untreu werden wollen, indem sie
sich weigern sollten, einen Vertrag einzuhalten. Ebenso wenig will
ich glauben, dass Sie mit Ihrem Rüsten das französische Volk
einzuschüchtern gedächten. Man kann es töten, Milord, aber
einschüchtern? Niemals!«
»General«, warf der Botschafter ein, völlig
benommen von diesem Ausfall Bonapartes, »es ist unser höchstes
Bestreben, in gutem Einvernehmen mit Frankreich zu leben.«
»Aber dann«, rief der Erste Konsul voller Vehemenz,
»müssen Sie die Verträge einhalten! Wehe dem, der die Verträge
bricht! Wehe dem Volk, dessen Verträge mit einem schwarzen Schleier
bedeckt werden müssen!«
Und indem er abrupt Miene und Ton wechselte, um
Lord Whitworth deutlich zu machen, dass die soeben ausgesprochene
Schmähung seiner Regierung und nicht ihm persönlich galt, sagte er:
»Milord, erlauben Sie mir, mich nach Ihrer Gemahlin, der Herzogin
von Dorset, zu erkundigen; nachdem sie den Winter in Frankreich
verbracht hat, hoffe ich, dass sie die schöne Jahreszeit hier wird
genießen können. Doch dies hängt nicht von mir ab, sondern von
England; und sollten wir uns genötigt sehen, wieder zu den Waffen
zu greifen, läge die Verantwortung dafür voll und ganz und in den
Augen Gottes und der Meinen bei den Eidbrüchigen, die ihren
Verpflichtungen nicht nachkommen wollten.«
Und er ging nach einem Gruß an Lord Whitworth und
die übrigen Gesandten, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und
ließ das ganze ehrbare diplomatische Korps in der tiefsten
Verwirrung zurück, die es seit Langem erlebt hatte.