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General Reynier
General Reynier, dem René sich anschließen wollte,
war im Jahr 1792 auf Empfehlung La Harpes in seiner Eigenschaft als
Ingenieur in die Artillerie des Generalstabs von General Dumouriez
aufgenommen worden; von Dumouriez zum Adjutanten befördert, nahm er
an der berühmten Kampagne der Nordarmee in den Niederlanden teil,
in der Husarenregimenter die holländische Flotte eroberten, indem
sie über die zugefrorene Insel Texel stürmten; er wurde zum
Brigadegeneral befördert und bald darauf zum Chef des Generalstabs
der Rheinarmee unter Moreau.
Bonaparte nahm ihn nach Ägypten mit und vertraute
ihm das Kommando über eine Division an. Diese Division bildete
eines der Karrees, die den Sieg der Schlacht bei den Pyramiden
errangen. Nach der Einnahme Kairos wurde General Reynier
beauftragt, Ibrahim Bey aus Syrien zu vertreiben und den Oberbefehl
über die Provinz Charki zu übernehmen. Die Loyalität, mit der
General Reynier sich ausnahmslos betrug, brachte ihm die Achtung
aller arabischen Völker ein.
Bonaparte verließ Ägypten. Das Oberkommando über
die Armee hätte von Rechts wegen Reynier zugestanden, wurde aber
Bonapartes Günstling Menou verliehen. Die Armee murrte, und eines
Tages ließ Menou Reynier festnehmen, auf eine Fregatte bringen und
ohne Erklärung nach Frankreich verschiffen.
Bei seiner Ankunft in Paris erfuhr Reynier, dass er
bei Bonaparte in Ungnade gefallen war, und er musste sich auf sein
Landgut im Nièvre (vormals Nivernais) zurückziehen.
Unbeugsame und stolze Menschen wie Reynier waren
Napoleon stets suspekt; dennoch rief er ihn für die Kampagne von
1805 in den aktiven Dienst zurück, und nach der Schlacht von
Austerlitz vertraute er ihm das Kommando über die Armee an, die für
seinen Bruder Joseph das Königreich Neapel zu erobern hatte.
Josephs Amtseinführung verlief ohne Zwischenfälle,
und da er sich vom Augenschein blenden ließ, prahlte er sogar in
dem Briefwechsel mit seinem Bruder, dem Kaiser, mit dem Wohlwollen,
das die Neapolitaner ihm bezeigten und das, wie er sagte, bei
manchen bis zur Begeisterung reichte. Doch die lange Belagerung
Gaetas, die den Großteil seiner Truppen erforderte, ermöglichte den
einstigen Parteigängern der Bourbonen oder eher jenen Briganten,
die jede Gelegenheit nutzen, ihr ruchloses Gewerbe mit einem
patriotischen Banner zu schmücken, ihre Banden wieder
zusammenzurufen und das Land mit ihren sogenannten politischen
Überfällen zu überziehen, die in Wahrheit das Deckmäntelchen für
Plünderungen und private Rachefeldzüge waren.
Daraufhin wurde Reynier mit einer Armee von sieben-
bis achttausend Mann nach Kalabrien entsandt. Keine Stadt, keine
Räuberbande wagte sich ihm entgegenzustellen; und so erreichte er
Scilla und Reggio, und in beiden Städten errichtete er
Garnisonen.
Doch Ferdinand und Caroline, die nach Palermo
geflüchtet waren, hatten sich mittlerweile mit den Engländern
verständigen können, ihren althergebrachten Verbündeten gegen die
Franzosen.
Die Engländer schickten Schiffe vor die kalabrische
Küste und versorgten die Aufständischen mit Geld, Schießpulver und
Waffen, während sie in Messina eine Flotte ausrüsteten, die noch
wirksamere Hilfe bringen sollte.
Reynier musste also jeden Tag damit rechnen, dass
die Engländer Truppen an Land absetzten, während die Anführer der
Räuberbanden wie Panedigrano, Benincasa, Parafante oder Il Bizzarro
seinen Männern aus dem Hinterhalt auflauerten und sie bisweilen
sogar im offenen Kampf töteten.
Schon vor über einem Monat hatte er König Joseph
mitgeteilt, dass zahlreiche englische Agenten in Kalabrien
eingetroffen waren, denen jedes Mittel recht war, das Volk zum
Aufstand aufzuwiegeln, und er hatte mehrere Kolonnen gebildet, die
sie verfolgten.
Dann verließ die englische Flotte die Meerenge von
Messina.
Reynier schrieb unverzüglich an General Compère,
den er mit zwei Bataillonen zwischen Scilla und Reggio postiert
gelassen hatte, er solle nur so viele Männer in den Städten
belassen, wie für den Schutz der Paläste und des Krankenhauses
erforderlich waren, und mit den übrigen Soldaten am Fluss Angitola
zu ihm stoßen, und er sandte Boten an alle verstreuten Regimenter,
um sie aufzufordern, sich ebenfalls an besagtem Fluss zu
konzentrieren.
Als Reynier in Monteleone ankam, erfuhr er, dass
die Engländer im Schutz der Dunkelheit am Golf von Sant’ Eufemia an
Land gegangen waren. Drei polnische Kompanien, die sich ihnen in
den Weg gestellt hatten, waren unter großen Verlusten
zurückgeschlagen worden und hatten sich hinter den Angitola
zurückziehen müssen. General Digonet war nachts mit einer Kompanie
polnischer Grenadiere und dem neunten Jägerregiment hinzugestoßen
und kampierte am Lamato.
Reynier kampierte mit seinen etwa fünfzehnhundert
Mann oberhalb des Angitola. Von dem Hochplateau aus hatte er
ungehinderte Sicht über den ganzen Golf von Sant’ Eufemia. Der
Gegner, sechs- bis siebentausend Mann stark, hatte seit der Landung
seine Stellung nicht verändert und mit seinem rechten Flügel samt
Feldbatterie am Fuß des Turms der Bastion Posten bezogen, mit dem
linken im Dorf von Sant’ Eufemia. Die Engländer schickten
Patrouillen nach Sambiase und Nicastro, bei deren Erscheinen in
beiden Orten Aufruhr ausbrach; man hisste die rote Kokarde und
verbündete sich mit den Engländern. Den ganzen Tag kamen Briganten
in Trüppchen von zwanzig bis vierzig Mann den Berg hinunter und
verstärkten die englischen Einheiten.
Von seinem Aussichtspunkt aus konnte Reynier all
das sehen; er dachte sich, dass die Engländer immer mehr
Verstärkung erhalten würden, je länger er wartete, und obwohl diese
Verstärkung auf flachem Land nicht allzu sehr zu fürchten war,
beschloss er, trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit seiner Truppen
am nächsten oder übernächsten Tag die Engländer anzugreifen.
So kam es, dass Reynier an ebenjenem Tag, an dem
René in Amantea übernachtete, von dem Hochplateau hinter dem
Angitola herunterkam und am Fluss Lamato Stellung bezog, in der
Nähe von Maida, damit er innerhalb von zwei Stunden den Gegner in
dessen Zentrum angreifen konnte, zwischen Bergen und Meer, so dass
die französischen Truppen sich einerseits außerhalb Reichweite der
Gewehre der Briganten befanden,
die am Fuß der Berge versammelt waren, und andererseits außerhalb
der Reichweite der Geschütze auf den Schiffen, die vor der Küste
warteten und den linken Flügel des Gegners bis in das Meer
verlängerten.
Am Vorabend hatte René durch seinen Führer
erfahren, dass die französische Armee nur mehr wenige Meilen von
ihm entfernt war und dass er sie am nächsten Tag erreichen werde;
am nächsten Morgen war er bei Tagesanbruch auf den Beinen und
bewaffnet; er öffnete die Tür seines Zimmers und sah seinen Führer
an der Wand lehnen, ebenfalls bereit.
Der Führer legte den Finger auf den Mund und
bedeutete René, ihm zu folgen; dann führte er ihn nicht etwa zu
einer Tür, sondern zu einem Fenster, vor dem eine Leiter
stand.
Der Führer kletterte als Erster hinaus, René folgte
ihm; ihre Pferde warteten gesattelt vor einem Hintertürchen.
Als René sah, dass der Führer sich anschickte
wegzureiten, sagte er: »Halt, mir scheint, wir haben vergessen
abzurechnen.«
»Das ist schon erledigt«, erwiderte der Führer,
»beeilen wir uns lieber.«
Und er trieb sein Pferd zum Trab an, der René
inzwischen so vertraut war.
Gegen acht Uhr morgens erreichten sie den Gipfel
des Bergs von Sant’ Eufemia mit Blick über den ganzen Golf, die
beiden Armeen und die Flotte, während am Horizont eine lange
bläuliche Linie die sizilianische Küste anzeigte und mehrere dunkle
Flecken auf dem Wasser und Rauch und Feuer, die von einer Insel in
Zuckerhutform aufstiegen, Stromboli und sein Archipel
bezeichneten.
René hielt einen Moment inne, um das prachtvolle
Schauspiel zu genießen, das alle Schönheiten und alle Schrecknisse
der Natur zusammenfasste: Berge, Wälder, Meer, Inseln, den Golf mit
goldenem Sandstrand und an diesem Golf mit einer Meile Zwischenraum
zwei Armeen, im Begriff, einander umzubringen.
»Wir sind da«, sagte der Führer. »Dort sind die
Franzosen, und hier stehen ihnen die Engländer gegenüber, von deren
Landung Sie gestern erfuhren.«
René kramte in der Tasche.
»Hier«, sagte er, »sechs Louisdors für dich statt
der drei, die ich versprochen habe.«
»Danke«, sagte der Führer und schob Renés Hand weg.
»Ich habe noch
die Hälfte des Geldes, das Sie mir gaben, als Sie mich im
Vicaria-Gefängnis verließen.«
René sah ihn verblüfft an. Der Mann lüpfte den Hut,
nahm die Binde ab, die sein Gesicht zur Hälfte verdeckt hatte, und
obwohl er Bart und Schnurrbart abrasiert hatte, erkannte René den
Banditen, den er in den Pontinischen Sümpfen gefangen genommen
hatte.
»Wie! Du bist hier?«, sagte er.
»Ja«, erwiderte der Bandit und lachte.
»Konntest du entfliehen?«
»Ja«, sagte der Bandit, »der Gefängniswärter war
ein Freund von mir; durch Zufall bin ich Ihnen begegnet, und ich
hatte nicht vergessen, was Sie für mich getan hatten.«
»Was soll ich denn für dich getan haben?«
»Sie hätten mich erschlagen können, aber Sie haben
mein Leben verschont; ich verschmachtete vor Durst, und Sie ließen
mir zu trinken geben, ohne dass ich darum bitten musste; ich hatte
kein Geld, und als sie mich am Gefängnis absetzten, steckten Sie
mir einen Louisdor zu. Brigant mag ich sein, aber Ehrenmann bin ich
trotzdem. Ich habe einige Male aufgepasst, dass Sie nicht im Schlaf
ermordet wurden; wir sind quitt.«
Diesmal trieb der Bandit sein Pferd nicht zum Trab
an, sondern zum Galopp, und war verschwunden, bevor René sich von
seinem Erstaunen erholt hatte.
René zuckte die Schultern, sagte sich: »Nicht zu
glauben, in welchen Winkeln die Dankbarkeit sich einnistet!«, und
richtete den Blick wieder auf den Strand, wo die Schlacht
stattfinden würde.
In den Reihen der Engländer herrschte Unruhe, sie
bewegten sich auf das Meer zu, und einen Augenblick lang wollte es
René scheinen, als wären sie im Begriff, an Bord zu gehen; doch
dann teilten sie sich in zwei Kolonnen auf und marschierten der
Flussmündung entgegen, die sie durchquerten, da sie nur knietief
war; ein Kriegsschiff, eine Fregatte und mehrere Kanonenboote
begleiteten sie auf dem Meer; sie verlagerten ihre rechte Flanke
zum Lamato hin, den sie offenbar überqueren wollten, um den
Franzosen den Weg nach Monteleone abzuschneiden.
Nun marschierte die Kolonne, die den Fluss an
seiner Mündung überschritten hatte, den Flusslauf hinauf und dem
französischen Lager entgegen.
René konnte von seinem Platz aus beinahe die
Soldaten beider Armeen zählen. Die Franzosen waren zahlenmäßig
völlig unterlegen. Mit ihren
Alliierten aus dem Räubergewerbe waren die Engländer an die
achttausend Mann stark, denen die Franzosen nur fünftausend Mann
entgegenstellen konnten.
Unterdessen war General Reynier offenbar zu der
Ansicht gelangt, dass der Augenblick für einen Angriff günstig sei
und dass er das Zentrum der gegnerischen Armee mit einer
kraftvollen Attacke umso eher vernichten konnte, als die englische
Armee durch den Flusslauf des Lamato zweigeteilt war; die englische
Abteilung, die sich nahe dem Meer befand, konnte sich dann zwar auf
die Schiffe retten, doch die andere Abteilung, die Reyniers linke
Flanke überwältigen wollte, müsste in die Sümpfe oder in die Wälder
von Sant’ Eufemia flüchten.
Gelang es Reynier, den Lamato zu überschreiten,
konnte er den Engländern mit seiner Infanterie, seiner leichten
Artillerie und seiner Kavallerie entgegentreten (wobei die
Kavallerie sich leider auf einhundertfünfzig Jäger beschränkte),
überließ er aber den Lamato den Engländern, musste er alle Vorteile
einbüßen, da er gezwungen wäre, auf einem Terrain zu kämpfen, das
von Schluchten durchzogen und von Sümpfen durchsetzt war, in denen
er weder seine Artillerie noch seine Pferde zum Einsatz bringen
konnte.
Eine Viertelmeile vom Ort des Geschehens entfernt,
sah René, wie General Reynier zwei Kompanien von Schützen abzog,
damit diese den Vormarsch der englischen Kolonne störten, die den
Lamato an der Mündung überschritten hatte, und wie unter dem
Kommando eines Generals, den er nicht kannte, zwei Regimenter von
annähernd zweieinhalbtausend Mann den Lamato überquerten und am
jenseitigen Ufer in Gefechtsstellung gingen. Ihnen folgten das
vierte Schweizer Bataillon und zwölf Kompanien des polnischen
Regiments, ungefähr fünfzehnhundert Mann.
Das dreiundzwanzigste Regiment der leichten
Infanterie unter General Digonet begab sich an die äußerste rechte
Flanke, und die vier leichten Artilleriegeschütze und die
hundertfünfzig Reiter bezogen in der Mitte Aufstellung.
Dann befahl General Reynier General Compère, sich
an die Spitze des ersten Regiments zu setzen und gestaffelt den
Engländern entgegenzumarschieren, während Schweizer und Polen als
zweite Linie folgen sollten und das dreiundzwanzigste
Infanterieregiment, das zu weit nach rechts abgeschwenkt war, sich
den Schweizern nähern und ebenso wie General Compère alle
Anstrengungen auf das Zentrum des englischen Heeres richten
sollte.
Zum ersten Mal erlebte René eine geordnete
Feldschlacht mit: Vor Neugier war er wie gebannt; zudem fragte er
sich, was in einem solchen Gewimmel ein Mann mehr oder weniger
bewirken sollte.
Die zwei Attacken wurden mit großer Ruhe und
Kaltblütigkeit vorgetragen; General Compère ging an der Spitze der
Soldaten. Als die Engländer die Franzosen kommen sahen, warteten
sie bis auf halbe Gefechtweite, ohne zu schießen.
Dann gab das erste Regiment Signal zum Angriff und
stürmte voran, vom zweiundvierzigsten Regiment gefolgt.
General Compère befand sich mit seinen zwei
Ordonnanzen und seinem Leutnant in dem Zwischenraum zwischen den
beiden Heeren.
Als die Franzosen sich den Engländern bis auf
fünfzehn Fuß genähert hatten, feuerten die Engländer der ersten und
der zweiten Reihe.
Die Franzosen marschierten unverdrossen weiter,
wurden jedoch von neuem Gewehrfeuer begrüßt, nachdem die Männer aus
der dritten englischen Reihe ihre geladenen Gewehre nach vorne
gereicht hatten.
General Compère stürzte nach dieser Salve zu Boden,
an Kopf und Arm getroffen.
Als die Franzosen ihren General am Boden sahen,
ergriffen die Soldaten des ersten Regiments die Flucht, woraufhin
die Soldaten des zweiundvierzigsten Regiments unschlüssig
verharrten. René erkannte, dass diese Panik im Handumdrehen die
ganze Armee überwältigen konnte; die Hufe seines Pferdes schienen
sich wie von allein vom Boden zu lösen, und ohne zu überlegen, ob
ihn unterwegs noch andere Hindernisse erwarteten als das
abschüssige Terrain, gab er dem Pferd die Sporen und befand sich
eine Sekunde später mitten unter den Flüchtenden, in jeder Hand
eine Pistole.
Zuerst versuchte er die Flüchtenden aufzuhalten;
doch als er sah, dass die Soldaten, die er aufhalten wollte, ihn
mit ihren Gewehren bedrohten, sprang er vom Pferd und kümmerte sich
um den verwundeten General, den die Engländer entführen wollten,
nachdem sie gemerkt hatten, dass er nicht tot war, sondern nur
verwundet, und den seine Adjutanten verzweifelt verteidigten.
Mit zwei Pistolenschüssen und zwei Schüssen aus dem
Stutzen sorgte René für etwas Luft um den Verwundeten; da Pistolen
und Stutzen entladen waren, hängte er den Stutzen an seinen Sattel,
steckte die Pistolen in ihr Halfter, ergriff ohne abzusteigen einen
Kavalleriesäbel vom Boden und preschte auf die fünf oder sechs
Engländer los, die sich noch immer um den General herum
aufhielten.
René handhabte den Säbel ebenso gewandt wie den
Degen: In wenigen Sekunden waren drei der Engländer tot oder
verwundet, und die drei anderen ergriffen die Flucht; einer von
ihnen wurde dabei von einem der Adjutanten des Generals erschossen.
Diesen Augenblick des Atemholens nutzte René, um seine Waffen zu
laden.
Unterdessen hatte Reynier sich unter die
Flüchtenden geworfen, begleitet von seinen hundertfünfzig
berittenen Jägern; von seinem Feldherrenhügel aus hatte er voller
Staunen gesehen, wie René sich in den Kampf gestürzt und gekämpft
hatte. Da ihm Renés Uniform unbekannt war, zögerte er einen
Augenblick, doch dann sagte er sich, dass sie das Herz eines
tapferen Mannes bedeckte, und rief ihm zu: Ȇbernehmen Sie das
Kommando über diese Männer, und tun Sie Ihr Bestes!«
»Wollt ihr mich als euren Anführer?«, rief
René.
»Ja«, antworteten die Soldaten wie aus einem
Mund.
Daraufhin nahm René seinen Hut auf die Spitze
seines Säbels, stürzte sich gegen die englische Schlachtlinie, warf
den Hut mitten unter die Engländer, erlegte einen Gegner mit einem
Säbelhieb und rief: »Zwanzig Louisdors für den, der mir meinen Hut
zurückbringt.«
Und die Soldaten, angefeuert durch ihren Mut und
durch die Hoffnung auf Belohnung, zerteilten die Reihen der
Engländer und gelangten bis zur dritten Reihe, doch dort kamen sie
nicht weiter. René klemmte sich den Säbel zwischen die Zähne, nahm
seine Pistolen aus dem Halfter und schoß zwei Männer nieder; dann
steckte er die Pistolen wieder ein, nahm den Säbel wieder zur Hand,
hob damit seinen Hut auf, den er als Einziger erreicht hatte, und
sagte: »Nun gut, es sieht ganz so aus, als hätte ich meine zwanzig
Louisdors gewonnen.«
Hinter ihm hatten sich die Reihen der Engländer
geschlossen; er hatte zwei gegnerische Reihen durchquert,
durchquerte nun die dritte, indem er zwei Männer niederstreckte,
und fand sich als einziger Franzose hinter der englischen Armee
wieder.
Offiziere zu Pferd umringten General Stuart, und
zwei von ihnen kamen René entgegen.
René begriff, dass man ihm ein Duell anbot, nur
dass es sich um ein Duell handelte, bei dem zwei gegen einen
kämpften.
Er ließ sein Pferd anhalten, schoss mit seinem
Stutzen aus fünfzig Fuß Entfernung auf einen der Reiter und aus
zwanzig Fuß Entfernung auf den zweiten; beide stürzten zu
Boden.
Daraufhin löste sich ein dritter Reiter aus der
Gruppe, der seinen Säbel
schwenkte und damit bedeutete, dass er einen Kampf mit blanker
Waffe vorschlug. René befestigte seinen Stutzen am Sattel und
galoppierte dem neuen Gegner entgegen.
Und wie im Altertum oder im Mittelalter boten René
und sein Widersacher, homerischen Helden oder unerschrockenen
Rittern vergleichbar, das Schauspiel eines Kampfes, den beide
Kombattanten mit größtem Mut und Einsatz führten.
Nach zehn Minuten musste der Engländer sich
ergeben, an der rechten Hand verwundet und Renés Säbelspitze vor
der Brust.
»Monsieur«, sagte er daraufhin in tadellosem
Französisch zu René, »wären Sie bereit, mich auf Parole zu meinem
General zurückkehren zu lassen? Ich möchte ihm etwas sagen.«
»Gehen Sie, Monsieur.«
René nutzte die Atempause, um seine Waffen zu laden
und wieder an ihrem Platz unterzubringen.
Kurz darauf sah er den englischen Offizier
zurückkommen, den rechten Arm verbunden und in der Linken seinen
Säbel mit einem weißen Taschentuch an der Spitze.
»Was bedeutet dieses weiße Taschentuch?«, fragte
René lachend. »Kommen Sie als Unterhändler, um mich aufzufordern,
mich zu ergeben?«
»Ich komme, um Sie zu bitten, mir zu folgen,
Monsieur; und damit Ihnen kein Ungemach widerfährt, wenn Sie
abermals die Reihen unserer Armee durchqueren, um zu Ihrer Armee
zurückzugelangen, hat General Stuart mich beauftragt, als
Ehrenbezeigung unsere Reihen für Sie zu öffnen.«
»Sollte General Stuart etwa der Ansicht sein, ich
verstünde sie mir nicht selbst zu öffnen?«
»Keineswegs, Monsieur, doch er legt so großen Wert
darauf, dass Sie wohlbehalten aus der Lage zurückkehren, in die Sie
sich begeben haben, dass er mich bat, Ihnen auszurichten, er werde
selbst Ihr Führer sein, wenn Sie mich nicht als Führer
annähmen.«
»Du lieber Himmel«, sagte René, »dafür wollen wir
ihn nicht bemühen. Reiten Sie voran, Monsieur, wenn es Ihnen recht
ist, ich folge Ihnen.«
Unterdessen war der Ausgang der Schlacht
entschieden worden: General Compère war gefangen genommen worden,
der Bataillonschef des ersten Regiments war gefallen, der
Bataillonschef der Schweizer war lebensgefährlich verwundet und der
des dreiundzwanzigsten Regiments verwundet; die Verbindung zu
Monteleone war unterbrochen, die französische
Armee wurde von der englischen Armee verfolgt und befand sich auf
dem Rückzug durch das Lamatotal.
Die englische Armee schrak davor zurück, sich in
das Tal zu begeben, und gewährte General Reynier einen ungestörten
Rückzug.
Renés Führer rief mit lauter Stimme: »Salutiert auf
Befehl General Stuarts!«
Die Soldaten gehorchten, und René durchschritt eine
doppelte Reihe erhobener Gewehre.
So gelangten sie zu der Stelle, wo die englische
Vorhut innegehalten hatte.
»Monsieur«, sagte René zu seinem Führer, »niemand
als Sie kann General Stuart meinen Dank angemessen ausdrücken; ich
entlasse Sie unter der einzigen Bedingung, dass Sie ihm meinen
innigen Dank aussprechen.«
Er gab seinem Pferd die Sporen, nachdem er den
Gefangenen gegrüßt hatte, dem er die Freiheit gegeben hatte, und
gesellte sich zu der französischen Nachhut, die erst bei Catanzaro
anhielt, anders gesagt: sechs Meilen entfernt.