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Gegenordre
Kein Mann im ganzen Morbihan hätte es gewagt, die
Hand gegen Cadoudal zu erheben, oder gezögert, seine Befehle zu
befolgen. Der Unteranführer der Bande, der die zwei Kinder noch an
der Hand hielt, setzte sie ab und trat zu Cadoudal mit den Worten:
»General, was befehlen Sie?«
»Binden Sie zuerst das bedauernswerte Paar
los.«
Die Banditen stürzten sich auf Bauer und Bäuerin
und lösten im Handumdrehen die Fesseln. Die Frau ließ sich in einen
Lehnstuhl sinken, nahm ihre Kinder in die Arme und presste sie ans
Herz. Der Mann erhob sich, ging zu Cadoudal und drückte ihm die
Hand.
»Und jetzt?«, fragte der »Offizier«.
»Jetzt«, sagte Cadoudal, »will ich wissen, ob es
stimmt, dass ihr drei Banden seid.«
»Ja, General.«
»Wer hat euch dazu angestiftet, euch
zusammenzurotten und dieses verabscheuenswürdige Gewerbe zu
betreiben?«
»Es ist jemand aus Paris gekommen, der uns
versichert hat, Sie würden vor Ablauf eines Monats zu uns stoßen,
und der uns in Ihrem Namen befohlen hat, uns zu sammeln.«
»Als Chouans, das würde ich ja noch verstehen, aber
als Fußbrenner! Bin ich vielleicht ein Fußbrenner?«
»Man hat uns sogar gesagt, wir sollten den zum
Anführer machen, der Georges II. hieß, weil er Ihnen so ähnlich
sah, damit jeder glaubt, dass Sie unter uns weilen. Wie sollen wir
unser Vergehen jetzt sühnen?«
»Euer Vergehen besteht darin, dass ihr geglaubt
habt, ich wäre imstande, Anführer einer Bande von Fußbrennern zu
werden, und dafür gibt es keine Sühne. Bringt auf der Stelle den
anderen Truppen meinen Befehl, sich zu zerstreuen und vor allen
Dingen mit ihrem schändlichen Treiben aufzuhören. Dann
benachrichtigt alle ehemaligen Anführer, insbesondere Sol de
Grisolles und Guillemot, dass sie die Waffen wieder ergreifen und
sich bereithalten sollen, auf mein Geheiß erneut in den Kampf zu
ziehen. Aber kein Schritt, keine Handlung ohne meinen
ausdrücklichen Befehl!«
Ohne ein Wort, beinahe lautlos, zogen die Banditen
sich zurück.
Der Bauer und seine Frau räumten ihre Schränke
wieder ein, die Wäsche in die Fächer, das Silberbesteck in die
Schubladen. Nach einer halben Stunde waren keine Spuren des
Überfalls mehr zu sehen.
Madame Doley hatte sich nicht getäuscht: Ihr
Ehemann hatte tagsüber seine Vorkehrungen getroffen. Er hatte den
größten Teil des Silbergeschirrs, einen Teil des Bestecks und die
Goldmünzen im Wert von ungefähr zwölftausend Francs in ein sicheres
Versteck gebracht.
Von allen Bauern ist der Bretone der
misstrauischste und vielleicht auch der vorausschauendste. Trotz
Cadoudals Wort hatte Doley geargwöhnt, dass die Sache schlecht
ausgehen könnte, und für diesen Fall wollte er wenigstens den
größeren Teil seines Vermögens in Sicherheit wissen, was ihm auch
gelungen war.
Jean und seine Frau wurden benachrichtigt, und die
Türen wurden geschlossen, nachdem der Leichnam Georges’ II.
hinausgeschafft worden
war. Cadoudal, der seit dem Morgen nichts gegessen hatte, speiste
so ungerührt zu Abend, als wäre nichts geschehen; er lehnte das
Bett ab, das der Bauer ihm anbot, und schlief in der Scheune im
frischen Stroh.
Am nächsten Tag kam Cadoudals einstiger Adjutant
Sol de Grisolles, kaum dass Cadoudal auf den Beinen war. Sol de
Grisolles wohnte in Auray, zweieinhalb Wegstunden von Plescop
entfernt. Einer der Briganten hatte ihn sofort benachrichtigt, in
der Hoffnung, damit Gnade vor Cadoudal zu finden.
Sol de Grisolles war nicht wenig erstaunt, Cadoudal
wiederzusehen: Wie alle Welt hatte er ihn in London geglaubt.
Cadoudal erzählte ihm, was vorgefallen war; auf dem
Küchenboden waren noch Ruß und Blutspuren zu sehen.
Offensichtlich hatte die Polizei ein Komplott
geschmiedet, um das Abkommen mit Bonaparte zu unterminieren, indem
man Cadoudal beschuldigte, es gebrochen zu haben. Falls sich das so
verhielt, stand es Cadoudal frei zu tun, was er wollte; und darüber
wollte er sich mit Sol de Grisolles beraten.
Als Erstes wollte er sich unmittelbar an Bonaparte
wenden und ihm schreiben, dass er aufgrund des Vorgefallenen sein
Wort zurücknehme; nachdem er ihm einwandfrei dargelegt hätte, dass
er mit den neuen Mordbrennereien im Westen nichts zu tun hatte und
ihnen sogar unter Einsatz des eigenen Lebens ein Ende bereitet
hatte, würde er ihm den Krieg erklären – nicht von Herrscher zu
Herrscher, denn einen solchen Krieg konnte er nicht finanzieren,
sondern einen Rachefeldzug in korsischer Manier. Und Sol de
Grisolles war dazu ausersehen, Bonaparte die Vendetta
anzukündigen.
Sol de Grisolles sagte ohne Widerrede zu; er
gehörte zu denen, die dem, was sie für ihre Pflicht halten, nie
ausweichen.
Als Nächstes sollte Sol de Grisolles Laurent
ausfindig machen, wo er sich auch befinden mochte, und ihn
auffordern, seine Compagnons de Jéhu wieder zu sammeln und
loszuschlagen, während Cadoudal keinen Augenblick verlieren und
sich unverzüglich nach London zurückbegeben wollte, um von dort
nach Paris aufzubrechen und seine Vorhaben in die Tat
umzusetzen.
Tatsächlich verabschiedete Cadoudal sich von seinen
Gastgebern, nachdem er Sol de Grisolles seine Anweisungen erteilt
hatte, bat sie um Verzeihung, dass ihr Haus als Schauplatz der
schrecklichen Szenen hatte dienen müssen, die sich dort abgespielt
hatten, stieg auf sein Pferd, und während
Sol de Grisolles sich nach Vannes aufmachte, ritt Cadoudal zu dem
Strand von Erdeven und Carnac, wo sein Fischerboot zu Wasser
wartete.
Die Rückfahrt verlief so reibungslos wie die
Herfahrt.
Drei Tage später war Sol de Grisolles in Paris und
erbat sich beim Ersten Konsul einen Geleitbrief und einen
Gesprächstermin wegen einer Sache von höchster Dringlichkeit.
Der Erste Konsul schickte Duroc. Sol de Grisolles
entschuldigte sich mit der Höflichkeit eines Edelmanns und
erklärte, nur General Bonaparte mitteilen zu können, was General
Cadoudal ihm aufgetragen habe.
Duroc ging zurück und kam wieder, um Sol de
Grisolles zu holen.
Sol de Grisolles fand Bonaparte empört und voller
Zorn auf Cadoudal vor. Bonaparte ließ Cadoudals Abgesandten gar
nicht erst zu Wort kommen. »So also«, sagte er, »hält Ihr General
sein Wort! Er verspricht, sich nach London zurückzuziehen, und
stattdessen verschanzt er sich im Morbihan, wo er Banden aushebt,
mit denen er dem Gewerbe des Fußbrennens nachgeht und nach
Herzenslust das Land unsicher macht wie ein Mandrin oder ein
Poulailler! Aber ich habe meine Befehle gegeben, alle Behörden sind
alarmiert, und wenn er gefasst wird, dann machen sie kurzen Prozess
mit ihm wie mit dem erstbesten Hühnerdieb. Sagen Sie jetzt nicht,
es sei alles nicht wahr: Le Journal de Paris hat darüber
berichtet, und die Berichte stimmen mit den Auskünften meiner
Polizei überein; zudem wurde er erkannt.«
»Würde der Erste Konsul mir gestatten, ihm zu
antworten«, fragte Sol de Grisolles, »und ihm in wenigen Worten die
Unschuld meines Freundes zu beweisen?«
Bonaparte zuckte die Schultern.
»Aber wenn Sie sich in fünf Minuten eingestehen
müssten, dass Ihre Zeitungen und Polizeiberichte im Unrecht sind
und dass ich recht habe, was würden Sie dann sagen?«
»Ich würde sagen... dass Régnier ein Idiot ist,
weiter nichts.«
»Nun, General, die Ausgabe des Journal de
Paris, in der gemeldet wurde, Cadoudal habe Frankreich gar
nicht verlassen, sondern Räuberbanden im Morbihan ausgehoben, kam
ihm in London in die Hände; sofort hat er ein Fischerboot bestiegen
und sich zur Halbinsel Quiberon begeben. Versteckt in einem
Bauernhaus, das nachts von Fußbrennern überfallen wurde, hat er
sein Versteck in dem Augenblick verlassen, in dem der Anführer
dieser Bande, der sich seines Namens bediente, den Bauern foltern
wollte. Dieser Bauer heißt Jacques Doley, das Landgut
Plescop. Cadoudal trat auf den Bandenführer zu, erschoss ihn und
sagte: ›Du lügst, Cadoudal bin ich.‹
General, er hat mir aufgetragen, Ihnen
auszurichten, dass Sie oder wenigstens Ihre Polizei es waren, die
ihn entehren wollten, indem Sie einen Mann, der ihm täuschend
ähnlich sah und den man für ihn halten konnte, zum Anführer dieser
Banden machten. Er hat sich an diesem Mann gerächt; er hat ihn
mitten unter seinen Leuten getötet und hat die anderen aus dem Haus
verjagt, in das sie eingedrungen waren, obwohl sie zwanzig Männer
waren, während er allein war.«
»Was Sie da sagen, kann unmöglich wahr sein.«
»Ich habe den Toten mit eigenen Augen gesehen, und
hier ist die Bestätigung des Bauernpaares.« Sol de Grisolles
reichte dem Ersten Konsul die Niederschrift dessen, was er ihm
erzählt hatte, abgezeichnet von Monsieur und Madame Doley.
»Und von diesem Augenblick an«, fuhr er fort, »hat
er Sie von Ihrem Wort entbunden und sich von seinem Wort entbunden,
und da er Ihnen nicht den Krieg erklären kann, denn seine
Verteidigungsmittel haben Sie ihm genommen, erklärt er Ihnen die
korsische Vendetta, den Krieg Ihrer Heimat. Seien Sie auf der
Hut! Er wird auf der Hut sein!«
»Citoyen«, rief Duroc, »haben Sie vergessen, mit
wem Sie es zu tun haben?«
»Ich habe es mit einem Mann zu tun, der uns sein
Wort gab, wie wir ihm unseres gaben, der gebunden war wie wir und
der so wenig wie wir das Recht hatte, es zu brechen.«
»Er hat recht, Duroc«, sagte Bonaparte. »Jetzt
wüsste ich nur gern, ob er auch die Wahrheit sagt.«
»General, wenn ein Bretone sein Wort gibt...«,
protestierte Sol de Grisolles.
»Auch ein Bretone kann sich täuschen oder getäuscht
werden. Duroc, holen Sie mir Fouché.«
Zehn Minuten später stand Fouché im Kabinett des
Ersten Konsuls.
Sobald Bonaparte den ehemaligen Polizeiminister
erblickte, rief er: »Monsieur Fouché, wo ist Cadoudal?«
Fouché lachte. »Ich könnte Ihnen antworten, dass
ich es nicht weiß.«
»Und warum?«
»Nun, schließlich bin ich nicht mehr Ihr
Polizeiminister.«
»Oh, Sie wissen sehr wohl, dass Sie es nach wie vor
sind.«
»In partibus, von mir aus.«
»Keine Scherze. Jawohl, in partibus sind Sie
es. Ich werde Sie als solchen behandeln; Sie führen dieselben
Spitzel, und Sie sind mir für alles verantwortlich, als wären Sie
noch nominell Minister. Ich habe Sie gefragt, wo Cadoudal
ist.«
»Um diese Zeit müsste er auf dem Rückweg nach
London sein.«
»Er hatte England also verlassen?«
»Ja.«
»Und zu welchem Zweck?«
»Um einen Bandenchef zu erschießen, der sich
erdreistet hat, seinen Namen zu benutzen.«
»Und hat er ihn erschossen?«
»Mitten unter seinen zwanzig Gefolgsleuten auf dem
Landgut Plescop; aber Monsieur«, und er deutete auf Sol de
Grisolles, »kann Ihnen mehr darüber sagen als ich, denn er war fast
Zeuge der Ereignisse. Plescop liegt, wenn ich mich nicht täusche,
nur zweieinhalb Meilen von Auray entfernt.«
»Wie! Das wussten Sie alles, und Sie haben mich
nicht gewarnt?«
»Monsieur Régnier ist Polizeipräfekt, und Sie zu
warnen ist seine Aufgabe; ich bin nur ein Privatier, ein
Senator.«
»Es ist also wahr«, rief Bonaparte ungehalten,
»dass ehrbare Leute in diesem Gewerbe einfach nicht zu gebrauchen
sind!«
»Danke, General«, sagte Fouché.
»Ha! Die Grille fehlte Ihnen noch, sich als
ehrbaren Mann ausgeben zu wollen. An Ihrer Stelle würde ich meinen
Ehrgeiz auf andere Ziele richten, weiß Gott. Monsieur de Grisolles,
danke für Ihren Besuch. Als Mann und Korse nehme ich die Vendetta
an, die Cadoudal mir erklärt hat. Er sei auf der Hut, wie ich auf
der Hut sein werde; doch wenn er gefasst wird, dann kenne ich keine
Gnade.«
»So sieht er es auch«, sagte der Bretone mit einer
tiefen Verbeugung. Dann verließ er das Kabinett des Ersten Konsuls
und ließ diesen mit Fouché zurück.
»Sie haben es gehört, Monsieur Fouché: Die Vendetta
ist erklärt, jetzt ist es an Ihnen, mich zu beschützen.«
»Machen Sie mich wieder zum Polizeiminister, und
ich werde es tun.«
»Sie sind ein rechter Einfaltspinsel, Monsieur
Fouché, mögen Sie sich für noch so geistreich halten. Je weniger
Sie Polizeiminister sein werden – wenigstens in den Augen der
Öffentlichkeit -, desto leichter werden Sie mich beschützen können,
da man sich vor Ihnen nicht in Acht nehmen
wird. Außerdem kann ich das Polizeiministerium nicht ohne
stichhaltige Gründe wieder einrichten, nachdem ich es vor kaum zwei
Monaten aufgelöst habe. Retten Sie mich aus einer großen Gefahr,
und ich gebe es Ihnen zurück. Bis dahin gewähre ich Ihnen einen
Kredit von fünfhunderttausend Francs auf Geheimgelder. Tun Sie sich
keinen Zwang an, und wenn der Kredit ausgeschöpft ist, sagen Sie es
mir. Aber vor allem will ich, dass Cadoudal kein Haar gekrümmt wird
und man ihn lebend ergreift!«
»Man wird sich bemühen, aber dafür muss er zuerst
nach Frankreich zurückkehren.«
»Oh, seien Sie unbesorgt, das wird er tun! Ich
erwarte, von Ihnen zu hören.«
Fouché verneigte sich vor dem Ersten Konsul, eilte
zu seinem Wagen zurück, sprang hinein und rief dem Kutscher zu:
»Schnell nach Hause!«
Als er ausstieg, befahl er: »Man hole sofort
Monsieur Dubois und wenn möglich Victor, einen seiner fähigsten
Spitzel.«
Eine halbe Stunde später befanden sich die
verlangten zwei Personen in Fouchés Kabinett.
Obwohl Monsieur Dubois nunmehr dem neuen
Polizeipräfekten unterstand, hatte er Fouché die Treue gewahrt, und
das nicht aus Prinzipientreue, sondern aus Eigennutz: Er wusste,
dass Fouché sich nie länger als vorübergehend in Ungnade befinden
würde und dass er selbst gut beraten wäre, ihn nicht als Menschen,
sondern als Füllhorn der Fortuna zu betrachten, dem man keinesfalls
die Treue aufkündigen durfte. Folglich war er zusammen mit drei
oder vier anderen der schlauesten Spitzel weiterhin Fouché ergeben
geblieben, und als Fouché ihn rufen ließ, kam er
unverzüglich.
Auf dem Kaminsims waren Goldstücke in zwei Säulen
angeordnet, als Dubois und der Polizeispitzel Victor das Kabinett
des eigentlichen Polizeiministers betraten.
Der Spitzel Victor war als Mann aus dem Volk
gekleidet, denn zum Umziehen war nicht genug Zeit geblieben.
»Wir wollten keine Sekunde verlieren«, sagte
Dubois, »und ich habe Ihnen einen meiner zuverlässigsten Männer in
der Kostümierung mitgebracht, die er trug, als ich Ihre Nachricht
erhielt.«
Ohne zu antworten, trat Fouché zu dem Spitzel und
sah ihn mit seinem scheelen Blick an. »Verwünscht aber auch,
Dubois!«, sagte er, »das ist der falsche Mann.«
»Was für einen Mann hätten Sie gebraucht, Citoyen
Fouché?«
»Ich muss einen bretonischen Rädelsführer verfolgen
lassen, vielleicht in Deutschland, mit Sicherheit in England. Ich
brauche einen Mann von Stand, der ihm unauffällig in Cafés folgen
kann, in Clubs, notfalls in Salons. Ich brauche einen Gentleman,
und Sie bringen mir einen Limousiner Bauernlümmel!«
»Oh, da haben Sie recht«, sagte der Agent, »Cafés,
Clubs und Salons sind nicht mein Wirkungsgebiet, aber wenn Sie mich
in eine Kneipe schicken, auf einen volkstümlichen Ball oder in ein
Musiklokal, dann würden Sie sehen, dass ich mich dort wacker
schlage.«
Dubois starrte ihn mit unverhohlenem Erstaunen an,
doch der Agent machte ihm ein Zeichen, und Dubois begriff.
»Sie werden mir also«, sagte Fouché, »auf der
Stelle jemanden besorgen, der sich auf einem Abendempfang bei dem
englischen Prinzregenten sehen lassen kann. Ich werde ihm seine
Instruktionen geben.« Dann nahm er zwei Louisdors von einem dritten
Stapel Münzen und sagte zu dem Polizeispitzel Victor: »Nehmen Sie
das, mein Freund, als Entschädigung dafür, dass Sie bemüht wurden;
sollte ich Sie für Beobachtungen im volkstümlichen Milieu
benötigen, werde ich Sie benachrichtigen lassen. Aber schweigen Sie
über unser Gespräch.«
»Ich schweige«, sagte der Spitzel mit seinem
Limousiner Akzent, »mit Vergnügen. Sie lassen mich rufen, Sie sagen
mir nichts, und Sie geben mir zwei Louis, damit ich den Mund halte.
Nichts leichter als das.«
»Schon gut, schon gut, junger Mann«, sagte Fouché,
»verschwinde!«
Die Besucher stiegen in ihren Wagen, und Fouché
bezeigte leichte Ungeduld, doch da er nicht genau genug erklärt
hatte, was für einen Polizeispitzel er benötigte, wusste er, dass
die Verzögerung seine Schuld war, und schwieg.
Lange musste er nicht warten. Nach einer
Viertelstunde meldete man ihm denjenigen, den er erwartete.
»Ich sagte, man solle ihn einlassen!«, rief er
ungeduldig. »Herein mit ihm!«
»Bin schon da, bin schon da, Citoyen«, sagte ein
junger Mann von fünf- oder sechsundzwanzig Jahren mit schwarzem
Haar und Augen, die vor Geist sprühten, untadelig gekleidet, der
lebhaft, aber vollendet weltmännisch den Raum betrat. »Ich habe
keinen Augenblick gesäumt, und hier bin ich!«
Fouché beäugte ihn durch sein Lorgnon. »Sehr gut!«,
sagte er. »Das ist mein Mann!«
Und nach kurzem Schweigen, währenddessen er seine
Musterung fortsetzte: »Sie wissen, worum es geht?«
»Gewiss doch, es geht darum, einen verdächtigen
Citoyen zu beschatten, mit ihm nach Deutschland zu gehen,
unter Umständen nach England; nichts leichter als das, ich spreche
Deutsch wie ein Deutscher, Englisch wie ein Engländer; ich werde
ihn beschatten und nicht aus den Augen lassen. Sie müssen ihn mir
nur zeigen oder mir sagen, wo er sich aufhält; ich muss ihn einmal
gesehen haben.«
»Er heißt Sol de Grisolles und ist Cadoudals Aide
de Camp; er wohnt im Hotel L’Unité in der Rue de la Loi.
Möglicherweise ist er schon abgereist; in diesem Fall müssten Sie
in Erfahrung bringen, welchen Weg er eingeschlagen hat, und sich
ihm an die Fersen heften. Ich muss über jeden seiner Schritte
Bescheid wissen. Und das ist für Sie«, fügte Fouché hinzu und nahm
die zwei Stapel Goldmünzen vom Kaminsims, »um Ihnen zu erleichtern,
an Auskünfte zu kommen.«
Der junge Mann streckte seine elegant behandschuhte
Hand aus und steckte das Geld ein, ohne nachzuzählen. »Muss ich
Ihnen jetzt die zwei Louisdor des Limousiner Bauernlümmels
zurückgeben?«, fragte der junge Stutzer.
»Wie! Die zwei Louisdor des Limousiner
Bauernlümmels?«, wiederholte Fouché.
»Die Sie mir vorhin gegeben haben.«
»Sie waren das vorhin?«
»Gewiss, und der Beweis: Hier sind sie.«
»Gut«, sagte Fouché, »dann gehört Ihnen auch der
dritte Stapel, aber als Belohnung. Gehen Sie jetzt, verlieren Sie
keine Zeit; heute Abend will ich von Ihnen hören.«
»Das werden Sie.«
Der Spitzel ging, ebenso zufrieden mit Fouché wie
dieser mit ihm.
Am Abend erhielt Fouché folgendes erstes Bulletin:
Ich habe im Hotel L’Unité in der Rue de la Loi
ein Zimmer neben dem des Citoyen Sol de Grisolles genommen. Vom
Balkon vor unseren vier Fenstern konnte ich sein Zimmer einsehen:
Es enthält ein Kanapee, das, nützlich für Gespräche, an der
Trennwand zu meinem Zimmer steht; ich habe ein Loch in die Wand
gebohrt, das mir ermöglicht, alles zu sehen und zu hören, ohne mich
aufzudrängen. Citoyen Sol de Grisolles hat den Mann, den er sehen
wollte, im Hotel Mont-Blanc
nicht angetroffen, er wird im Hotel L’Unité bis um zwei Uhr
morgens auf ihn warten und hat dort mitgeteilt, er erwarte den
späten Besuch eines Freundes.
Ich werde als unbekannter Dritter bei diesem
Besuch anwesend sein.
DER LIMOUSINER
P.S. Morgen in aller Frühe ein zweites
Bulletin.
Am nächsten Tag wurde Fouché bei Tagesanbruch mit
einem zweiten Bulletin geweckt, das lautete wie folgt:
Der Freund, den Citoyen Sol de Grisolles
erwartete, war der berüchtigte Bandit Laurent, genannt »der schöne
Laurent«, der Anführer der Compagnons de Jéhu. Der Befehl, den
Cadoudals Aide de Camp für Laurent hatte, war der, alle Mitstreiter
an ihr Gelübde zu erinnern. Am kommenden Samstag sollen sie ihre
Überfälle wiederaufnehmen und die Schnellpost von Rouen nach Paris
im Wald von Vernon überfallen. Wer sich nicht einfindet, wird mit
dem Tode bestraft.
Citoyen Sol de Grisolles reist um zehn Uhr
vormittags nach Deutschland ab, und ich reise mit ihm; über
Straßburg werden wir uns, soweit ich weiß, nach Ettenheim begeben,
wo sich der Herzog von Enghien aufhält.
DER LIMOUSINER
Diese zwei Bulletins fielen als doppelter
Sonnenstrahl auf Fouchés Schachbrett, denn ihr Licht erlaubte dem
Polizeiminister in partibus, Cadoudals Schachbrett zu
überschauen. Cadoudal hatte keine leere Drohung ausgestoßen, als er
Bonaparte die Vendetta erklärte. Während seines Aufenthalts in
Paris hatte er die Compagnons de Jéhu wiedererweckt, die er nur bis
auf weiteres beurlaubt hatte, und seinen Adjutanten hatte er bis
zum Wohnsitz des Herzogs von Enghien vorgeschickt. Überdrüssig der
Ausflüchte des Sohns des Grafen von Artois und des Grafen von
Artois – die einzigen Personen königlichen Geblüts, mit denen er zu
tun gehabt hatte und die ihm stets nicht nur Geld und Männer
versprochen hatten, sondern auch den Schutz ihrer königlichen
Persönlichkeit, und die keines ihrer Versprechen gehalten hatten -,
wandte er sich nun an den letzten Erben der kriegerischen Rasse der
Condés, um zu erfahren, ob dieser ihm mehr zu bieten haben würde
als fromme Wünsche und Ermunterungen.
Fouché, der seine Schlingen ausgelegt hatte,
wartete ruhig wie eine Spinne in ihrem Netz.
Doch die Gendarmerie von Andelys und Vernon wurde
beauftragt, Tag und Nacht gesattelte Pferde bereitzuhalten.