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Die römische Gesandtschaft
Bonaparte zeigte sich von der Unterhaltung mit
Monsieur de Chateaubriand entzückt. Monsieur de Chateaubriand
wiederum berichtet in seinen Erinnerungen, Bonapartes Fragen
seien einander so rasch gefolgt, dass er keine Zeit fand, ihm zu
antworten.
Das waren Gespräche, wie Bonaparte sie liebte:
solche, die er allein bestritt.
Es kümmerte ihn wenig, ob Monsieur de Chateaubriand diplomatische
Erfahrung hatte oder nicht; mit einem Blick hatte er entschieden,
wo und wie dieser Mann ihm nützlich sein würde, und er war der
festen Überzeugung, dass ein Geist wie dieser alles wusste und
nichts zu lernen brauchte.
Bonaparte war weiß Gott ein großer Entdecker von
Menschen, allerdings mit der Eigenheit, dass er von ihren
Fähigkeiten völlige Unterordnung unter seinen Willen verlangte,
ununterbrochen der Geist sein wollte, der die Massen antrieb. Die
Mücke, die ohne Bonapartes Genehmigung ihr Mückenliebchen
umschwirrte, war eine rebellische Mücke.
Chateaubriand, den die Vorstellung marterte, jemand
zu sein, jemand Bedeutendes, wäre nie auf den Gedanken gekommen, er
könnte nur eine Sache sein. Er lehnte ab.
Abbé Émery erfuhr davon. Abbé Émery war Vorsteher
des Priesterseminars von Saint-Sulpice, und Bonaparte schätzte ihn.
Der Abbé flehte Chateaubriand an, der Sache der Religion einen
Gefallen zu erweisen und die Stelle des Ersten Botschaftssekretärs
anzunehmen, die Bonaparte ihm anbot.
Zuerst wollte Chateaubriand davon nichts hören,
doch der Abbé blieb hartnäckig, und zuletzt lenkte der Dichter
ein.
Chateaubriand traf seine Reisevorbereitungen und
machte sich auf den Weg, denn als Botschaftssekretär musste er vor
dem Botschafter in Rom eintreffen.
Für gewöhnlich beginnt der Reisende seine Reisen
mit dem Besuch antiker Städte, den Ahnen unserer Zivilisation.
Chateaubriand hatte mit den alten Urwäldern Amerikas begonnen, dem
Schauplatz künftiger Zivilisationen.
Überaus pittoresk liest sich der Bericht dieser
Reise nach Rom, verfasst in dem unnachahmlichen Stil Chateaubriands
– einem gleichermaßen so erhabenen und eigenartigen Stil, dass eine
Schule ihm nacheiferte, die uns Monsieur d’Arlincourt bescherte,
dessen unsinnige Romane mit den Titeln Solitaire und
Ipsiboé für kurze Zeit ganz Frankreich begeisterten, doch
was Chateaubriands Einzigartigkeit ausmacht und worin seine
Nacheiferer so kläglich scheitern, das ist die Mischung aus
Schlichtheit und Größe, die bei ihm so natürlich und bei jenen so
gestelzt anmutet.
Seine Fahrt durch die lombardische Ebene ist ein
Beispiel dieses unvergleichlichen Stils; er malt uns das Bild
unserer Soldaten in der Fremde
und zeigt, warum man uns überall, wo wir hinkommen, liebt und
verabscheut.
»Die französische Armee richtete sich in der
Lombardie wie eine militärische Kolonie ein. Die Fremdlinge aus
Gallien und ihre wachhabenden Kameraden mit ihren Polizeimützen
wirkten wie eifrige und fröhliche Schnitter, die statt der Sichel
einen Säbel umhängen hatten. Sie versetzten Steine, schleppten
Kanonen, fuhren Karren, errichteten Unterstände und Laubhütten.
Pferde tummelten sich, bäumten sich auf, tänzelten in der Menge wie
Hunde, die ihren Herrn umspringen. Auf dem Markt dieser närrischen
Armee verkauften die Italienerinnen Früchte aus ihren flachen
Körben; unsere Soldaten schenkten ihnen ihre Pfeifen und ihre
Feuerzeuge und sagten zu ihnen, was ihre Vorfahren, die alten
Barbaren, zu ihren Geliebten gesagt hatten: ›Ich, Fotrad, Sohn des
Eupert aus dem Geschlecht der Franken, schenke dir, Helgine, meinem
geliebten Eheweib, zu Ehren deiner Schönheit meine Behausung im
Viertel der Tannen. ‹
Wir sind eigenartige Gegner: Zuerst findet man uns
ein wenig dreist, ein wenig zu munter, zu mutwillig; und kaum haben
wir den Staub von unseren Füßen geschüttelt, weint man uns nach.
Der französische Soldat ist lebhaft, geistreich, intelligent und
legt bei allen Verrichtungen seiner Logiergeber Hand an; er holt
Wasser am Brunnen, ganz wie Moses für die Töchter des Priesters in
Midian, er verjagt die Hirten und tränkt die Schafe, er hackt Holz,
macht Feuer, wacht über den Kochtopf, trägt das Kleinkind in den
Armen oder schaukelt es in der Wiege. Seine gute Laune und seine
Umtriebigkeit erfüllen alles mit Leben, und nach und nach hält man
ihn für einen familieneigenen Rekruten. Wird die Trommel gerührt?
Der Besatzungssoldat eilt zu seiner Muskete, lässt die Töchter des
Hauses weinend auf der Türschwelle zurück und verlässt das
Bauernhaus, an das er erst wieder denken wird, wenn er im
Invalidenheim weilt.
Als ich Mailand durchreiste, war ein großes Volk
erwacht und öffnete kurz die Augen. Italien schüttelte den Schlaf
ab und entsann sich seines Genius wie eines göttlichen Traumes; als
nützlicher Verbündeter unseres wiedererstehenden Landes versah
dieses Ausonien die Schäbigkeit unserer Armut mit dem Glanz
transalpiner Mentalität, der sich den Kunstwerken und erhabenen
Erinnerungen eines so berühmten Ursprungslandes verdankte. Dann kam
Österreich; es deckte seinen bleiernen Mantel über Italien und
zwang die Italiener in den Sarg zurück. Rom ist in seine Ruinen
zurückgekehrt, Venedig in sein Meer. Im Sterben verschönerte
Venedig
den Himmel mit einem letzten Lächeln, bevor es betörend in den
Fluten versank wie ein Gestirn, das nie wieder aufgehen
wird.«
Am Abend des 27. Juni traf Chateaubriand in Rom
ein; am nächsten Tag war Sankt Peter, einer der vier höchsten
Feiertage der Ewigen Stadt.
Am 28. durchstreifte er den ganzen Tag die Stadt;
wie jeder Neuankömmling warf er einen ersten Blick auf das
Kolosseum, das Pantheon, die Trajanssäule und die Engelsburg.
Abends nahm Monsieur Artaud, sein Amtsvorgänger, ihn zu einer
Gesellschaft in ein Gebäude in der Nähe des Petersplatzes mit; dort
sahen sie zwischen den wirbelnden Walzern, die vor den offenen
Fenstern einhertanzten, die Feuergirlande der Kuppel Michelangelos,
während die Leuchtraketen des Feuerwerks an der Hadrianmole sich
über Sant’ Onofrio und über Tassos Grab entfalteten.
Stille, Andacht und Dunkelheit herrschten in der
Campagna.
Am nächsten Tag besuchte Chateaubriand den
Gottesdienst im Petersdom, bei dem Papst Pius VII. die Messe
feierte. Zwei Tage später wurde er Seiner Heiligkeit vorgestellt;
der Papst hieß ihn sich neben ihn setzen, was eine seltene Ehre
war, denn bei der päpstlichen Audienz pflegen die Besucher zu
stehen. Allerdings lag ein geöffneter Band des Geistes des
Christentums auf dem Tisch.
Mit Vergnügen entdecken wir in dem großen Geist
Chateaubriands mitten unter all den herrlichen Wendungen, die
unsere Phantasie ansprechen, die unscheinbaren und alltäglichen
Details, deren sich jedermann entsinnt.
Kardinal Fesch hatte nahe dem Tiber den Palazzo
Lancelotti gemietet, und man hatte dem jungen Botschaftssekretär
das oberste Stockwerk des Palazzos zugewiesen. Als er es betrat,
sprangen ihm so viele Flöhe an den Beinen hoch, dass seine weiße
Hose schwarz aussah. Er ließ dieses diplomatische Kabinett
reinigen, richtete sich darin ein und begann, Pässe auszustellen
und sich ähnlich wichtigen Aufgaben zu widmen.
Im Unterschied zu mir, dem meine ordentliche
Handschrift eine zuverlässige Stütze ist, war Chateaubriands
Handschrift der Entfaltung seiner Fähigkeiten eher hinderlich.
Kardinal Fesch verdrehte die Augen, als er seine Unterschrift zu
sehen bekam, und da der Kardinal weder Atala noch den
Geist des Christentums gelesen hatte, fragte er sich, was
jemand, dessen Name die ganze Breite eines Blatts Papier einnahm,
Vernünftiges schreiben können sollte.
Da es in der hohen Position eines
Botschaftssekretärs, von der Übelgesinnte
gemunkelt hatten, sie werde seine Intelligenz überfordern, so gut
wie nichts zu tun gab, vertrieb er sich die Zeit damit, aus seinem
Mansardenfenster über den Dächern zu einem Nachbarhaus zu schauen,
in dem ihm Wäscherinnen zuwinkten und eine zukünftige Sängerin ihn
mit ihren unablässigen Solfeggien verfolgte. Wenn ein Trauerzug zu
seiner Unterhaltung unten vorbeiging, fühlte er sich glücklich,
weil der Tod ihn an die unsterbliche Poesie von Himmel und Erde
erinnerte. Und von seinem Fenster aus sah er in der Straßenschlucht
den Leichenzug einer jungen Mutter, die mit enthülltem Gesicht
zwischen zwei Reihen Büßermönchen getragen wurde, ihr ebenfalls
verstorbenes blumenbekränztes Neugeborenes zu ihren Füßen.
In den ersten Tagen seines Aufenthalts beging
Chateaubriand einen großen Fehler. Der ehemalige König von
Sardinien, den Bonaparte abgesetzt hatte, weilte in Rom;
Chateaubriand machte ihm seine Aufwartung, denn große Herzen haben
eine natürliche Affinität zu allem Gestürzten. Dieser Besuch hatte
die Wirkung eines diplomatischen Sturms, der über den Palazzo der
Botschaft hereinbrach. Alle Diplomaten wandten sich beim Anblick
des Sekretärs ab, zeigten ihm die kalte Schulter und murmelten
untereinander: »Das ist sein Ende!«
»Da war kein diplomatischer Gimpel«, schreibt
Chateaubriand, »der sich auf der Höhe seiner grenzenlosen Dummheit
mir nicht überlegen wähnte. Man hoffte wohl, dass ich nun stürzen
würde, obwohl ich nichts war und auch nichts weiter galt,
gleichviel, Hauptsache, dass jemand zu Fall kommt, das macht immer
Vergnügen. In meiner Einfalt ahnte ich nichts von meinem Vergehen.
Die Könige, denen ich, wie man meinte, eine so große Wichtigkeit
beimaß, hatten in meinen Augen nur die ihres Unglücks. Man
berichtete von Rom nach Paris über meine erschreckenden Torheiten.
Glücklicherweise hatte ich mit Bonaparte zu tun; und was mich
zugrunde richten sollte, errettete mich.«
Chateaubriand langweilte sich schier zu Tode. Die
Tätigkeit, der man seine Verdienste und seine Intelligenz nicht
gewachsen gewähnt hatte, bestand darin, Federn zuzuschneiden und
Briefe zu versenden. In den Auseinandersetzungen, die sich
anbahnten, hätte man ihn sinnvoll beschäftigen können, doch man
weihte ihn in keines der diplomatischen Mysterien ein. Er begnügte
sich klaglos mit den Streitfällen der Kanzlei, doch es muss gesagt
werden, dass man den größten Denker seiner Zeit für Arbeiten
einsetzte, die der erstbeste Schreiber ebenso gut verrichtet
hätte.
Eine der wichtigsten Aufgaben, mit denen man ihn
betraute, bestand
darin, der Fürstin Borghese eine Kiste mit Schuhen aus Paris zu
überbringen. Die Fürstin probierte mit vollendeter Anmut fünf oder
sechs Paar in seiner Anwesenheit als Zeichen des Danks; diese
eleganten Schuhe sollten an ihren Füßen den alten Erdboden der
Söhne der Wölfin nur kurze Zeit berühren.
Chateaubriand hatte bereits beschlossen, den
diplomatischen Dienst an den Nagel zu hängen, eine Laufbahn, bei
der sich zu der Geistlosigkeit der Beschäftigung persönliche
politische Händel gesellten, als ein persönliches Unglück ihm zu
der Langeweile des Geistes den Kummer des Herzens brachte. Bei
seiner Rückkehr aus dem Exil hatte ihn eine Madame de Beaumont
aufgenommen, die Tochter des Grafen von Montmorin, des
seinerzeitigen französischen Gesandten in Madrid, Kommandant der
Bretagne und Minister für Auswärtige Angelegenheiten unter Ludwig
XVI., der den Grafen sehr schätzte und dem dieser samt eines Teils
seiner Familie auf das Schafott folgte.
Die Porträts, die Chateaubriand zeichnet, sind so
poetisch, dass man, wenn man über ihn spricht, immer wieder
versucht ist, seine Worte dem Leser zu zitieren, in der
Überzeugung, dass auch er bewundern wird, was man selbst bewundert
hat. Sehen Sie nun das Porträt der Freundin, die Sie nicht kennen,
nicht einmal dem Namen nach, und die vor Ihnen erscheinen wird, als
höbe der Zauberstab der Wahrsagerin von Endor den Schleier von
ihrem Gesicht.
»Madame de Beaumont, deren Antlitz eher hässlich
als schön war, ähnelte sehr dem Porträt, das Madame Lebrun von ihr
malte. Ihr Gesicht war abgezehrt und bleich. Die mandelförmig
geschnittenen Augen wären vielleicht zu glänzend gewesen, hätte
nicht eine außerordentliche Liebenswürdigkeit den Blick halb
gesänftigt, indem sie ihn schmachtend machte, so wie ein
Lichtstrahl sich sänftigt, wenn er durch kristallklares Wasser
hindurchgeht. Ihr Charakter war von Strenge und Unnachgiebigkeit
gekennzeichnet, was der Heftigkeit ihrer Gefühle und ihrem Leiden
geschuldet war. Sie war eine edle Seele und ein großer Geist und
für die Welt bestimmt, aus der sie sich willentlich und aus Not
zurückgezogen hatte; doch wenn eine Freundesstimme die einsame
Intelligenz aus ihrem Versteck rief, kam sie und sagte Worte, die
vom Himmel hätten kommen können.«
Die Ärzte empfahlen Madame de Beaumont die Luft des
Südens, und Chateaubriands Anwesenheit in Rom bewegte sie dazu,
sich dorthin zu begeben. In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft
besserte ihr Zustand
sich merklich. Monsieur de Chateaubriand fuhr im Wagen mit ihr aus
und zeigte ihr die ganze prachtvolle Ewige Stadt; doch um zu sehen,
zu lieben und zu bewundern, muss man leben. Die Kranke fand an
nichts mehr Gefallen. Eines Tages besuchte er mit ihr das
Kolosseum. Es war einer jener Oktobertage, wie man sie nur in Rom
erlebt. Die Leidende setzte sich auf einen Stein vor einem der
Altäre an der Innenmauer des Gebäudes; sie hob den Blick und ließ
ihn langsam über das Gemäuer schweifen, das selbst seit so vielen
Jahren tot war und so viele Menschen und Dinge hatten sterben
sehen. Brombeerranken und herbstlich gelbe Akelei schmückten die
von der Herbstsonne vergoldeten Ruinen; dann wandte die Sterbende
ihren Blick vom Sonnenlicht ab, richtete ihn an den Sitzreihen
entlang hinunter bis zur Arena, wo er auf dem Kreuz des Altars
verharrte, und sagte: »Gehen wir, mir ist kalt!«
Monsieur de Chateaubriand brachte sie in ihre
Wohnung; sie legte sich zu Bett und zur letzten Ruhe.
Der Dichter schildert den Tod Madame de Beaumonts
mit den Worten: »Sie bat mich, das Fenster zu öffnen, weil sie sich
beklemmt fühlte. Ein Sonnenstrahl fiel auf ihr Bett und schien sie
zu erquicken. Sie erinnerte sich nun an die Pläne zu einem
gemeinsamen Landaufenthalt, über die wir uns manchmal unterhalten
hatten, und sie begann zu weinen.
Zwischen zwei und drei Uhr nachmittags bat Madame
de Beaumont ihre alte spanische Kinderfrau, Madame Saint-Germain,
die ihr mit größter Anhänglichkeit diente, sie möge sie umbetten;
der Arzt widersetzte sich dem, aus Furcht, dass Madame de Beaumont
während dieser Umbettung stürbe. Dann sagte sie zu mir, sie spüre
das Herannahen der Agonie. Plötzlich warf sie die Bettdecke weg,
hielt mir die Hand hin, presste die meine in einem Krampf, ihre
Augen verdrehten sich. Mit der freien Hand machte sie
irgendjemandem, den sie am Fuß ihres Bettes sah, ein Zeichen, dann
sagte sie mit auf ihre Brust gelegter Hand: ›Da ist es!‹
Erschreckt fragte ich sie, ob sie mich erkenne:
Inmitten ihrer Verwirrung leuchtete ein leises Lächeln auf, sie
bejahte es mir durch ein leichtes Neigen des Kopfes; ihre Sprache
war schon nicht mehr in dieser Welt. Die Zuckungen währten nur
wenige Minuten. Wir hielten sie in unseren Armen, ich, der Arzt und
die Krankenwärterin: Eine meiner Hände lag auf ihrem Herzen, das
mit der Geschwindigkeit eines überdrehten Uhrwerks gegen ihre
zarten Knochen hämmerte.
Plötzlich spürte ich, wie es stillstand. Wir
betteten die zur Ruhe gekommene Frau auf ihr Kissen; ihr Kopf sank
zur Seite. Einige ihrer aufgelösten
Locken fielen ihr in die Stirn; ihre Augen waren geschlossen, die
ewige Nacht hatte sich herabgesenkt. Der Arzt hielt einen Spiegel
und eine brennende Kerze an den Mund der Fremden. Der Spiegel wurde
vom Atem des Lebens nicht getrübt, und das Licht blieb unbeweglich.
Alles war zu Ende.«
Ich werde Dich immer lieben, besagt die
griechische Grabinschrift auf dem Grabmal Madame de Beaumonts,
doch Du im Totenreich trinke, ich bitte Dich, nicht von den
Wassern der Lethe, die Dich die Menschen, die Du geliebt hast,
vergessen machen würden.
Einige Zeit darauf erhielt Monsieur de
Chateaubriand die Nachricht, der Erste Konsul habe ihn zum
Gesandten in der neu gegründeten Republik Wallis ernannt. Bonaparte
hatte begriffen, dass der Verfasser des Geistes des
Christentums zu jenen Menschen zählte, die nur in
herausragender Position zu etwas nütze sind und die man nicht mit
anderen zusammenspannen darf.
Chateaubriand kehrte nach Paris zurück; und
dankbar, dass Bonaparte seine Verdienste gewürdigt hatte, widmete
er ihm die zweite Auflage des Geistes des Christentums.
Diese Widmung habe ich vor mir, und ich schreibe sie ab, denn die
Ausgabe, die sie enthält, scheint mittlerweile recht selten
geworden zu sein:
An den Ersten Konsul, General
Bonaparte.
General,
Sie waren so gnädig, diese zweite Auflage
des Geistes des Christentums mit Ihrem Wohlwollen zu
bedenken. Es ist dies eine neuerliche Bezeigung der Gunst, die Sie
der edlen Sache erweisen, die im Schutz Ihrer Macht triumphiert. In
Ihrem Geschick ist das Walten der Vorsehung nicht zu leugnen, der
Vorsehung, die Sie von Anfang an zur Erfüllung ihrer großen Ziele
ausersehen hatte. Die Völker blicken auf Sie, und das durch Ihre
Siege gemehrte Frankreich setzt all seine Hoffnung in Sie, seit Sie
die Religion zur Grundlage des Staates und Ihres Gedeihens gemacht
haben.
Reichen Sie auch weiterhin den dreißig Millionen
Christen die Hand, die an den Altären, die Sie ihnen zurückgaben,
für Sie beten.
Mit tiefster Hochachtung verbleibe ich,
General,
Ihr ergebenster und gehorsamster Diener
Ihr ergebenster und gehorsamster Diener
CHATEAUBRIAND
So waren die Beziehungen beschaffen, die zwischen
dem Ersten Konsul und dem Dichter bestanden, als Bonaparte die
Abschiedsaudienz für Monsieur de Chateaubriand, den er zum Minister
im Wallis ernannt hatte, um zwei Stunden verschob, weil er sich
über den Herzog von Enghien beraten wollte.