Strang 1 / Kapitel 34
Als sie beim Motorrad ankamen, waren beide ausser Atem. Für eine Verschnaufpause blieb aber keine Zeit. Ben löste Emmas Helm von der Maschine und warf ihn ihr zu.
Emma fing ihn auf.
Da klirrte es leise.
Sie hielt inne und sah zu Boden.
Etwas Glänzendes lag auf der Erde zu ihren Füssen. Sie bückte sich. Nahm es auf, und erbleichte.
„Was ist?“ Sofort war Ben an Emmas Seite. Sie sagte nichts. Schweigend reichte sie ihm den Gegenstand.
Ben musterte ihn.
Es war ein Pin mit einer filigran gearbeiteten Figur auf der Nadel. Ein Tier. Anfangs erkannte Ben nicht, um welches Tier es sich handelte, doch dann begriff er.
Die Figur auf dem Pin stellte eine Gämse dar, die stolz auf einem Felsvorsprung thronte.
Indess hob Emma einer Eingebung folgend ihren Helm an und sah ins Innere. Was sie entdeckte, konnte sie nicht mehr erschrecken, denn sie hatte es geahnt.
Sie griff in die Helmschale. „Ben?“
Ben sah auf. Sein Blick wanderte zu ihren Händen, während sie etwas Rotes aus ihrem Kopfschutz zauberte.
Ben erkannte den Gegenstand. Es war ein Hundehalsband.
Ein heisses Kribbeln des Zorns rann durch seinen Körper.
Es bedurfte keiner Worte. Ein Blickwechsel reichte aus.
Schnell streiften sie die Ausrüstung über, sassen auf und fuhren los.
Emma hoffte inständig, nicht der Polizei über den Weg zu fahren. Was Ben an den Tag legte, war nicht mehr nur überhöhte Geschwindigkeit.
Die Strasse wurde zur Rennstrecke.
Emma wunderte sich ein wenig, dass sie trotz der halsbrecherischen Fahrweise überhaupt keine Angst empfand.
Die rote Ampel kam so schnell näher, dass Emma bereits fürchtete, er würde sie ignorieren.
Wahrscheinlich hatte er auch kurz darüber nachgedacht. Aber er bremste ab. Sie konnte nicht verhindern, dass sie nach vorne rutschte.
Während sie am Rotlicht warteten, stemmte sie sich am Tank ab und schob ihren Hintern zurück auf seinen Platz. Dann öffnete sie das Visier. „Ben?“
Er konzentrierte sich auf die Ampel. Kurz entschlossen klopfte sie ihm auf den Hinterkopf. Das wirkte. Er drehte den Kopf leicht nach hinten und öffnete ebenfalls das Visier.
„Was ist?“
„Versteh mich nicht falsch, aber wäre es nicht besser, du würdest deine Fahrweise soweit anpassen, dass wir nur geblitzt werden und nicht gleich verhaftet?“
In seinen Augen leuchtete ein Funke auf. „Schiss?“
„Diesen Gefallen tu' ich dir nicht, nein. Es geht mir nur darum, dass sich unsere Ankunft mehr verzögert, wenn wir unterwegs Ärger bekommen, als wenn du dich ein wenig zügelst. Meinst du nicht auch?“
Alles in ihm sträubte sich. Bis auf ein kleiner Winkel in seinem Gehirn.
Ein vernünftiger Gedanke war nicht das, was er jetzt wollte. Aber Recht hatte sie trotzdem.
Die Ampel schaltete auf Grün. Ben legte rasch den ersten Gang ein, hetzte die Maschine aber weit weniger als zuvor.
Alice war schneller gewesen. Sie wartete bereits im Wohnzimmer, als Ben und Emma eintraten. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte Alice die beiden Neuankömmlinge.
„Wo habt ihr euch denn nun schon wieder gewälzt?“ Die Besorgnis schwang immer noch in der Stimme mit, aber inzwischen überwog die Resignation. Fast, als wäre sie sich die schmutzigen Auftritte allmählich gewohnt.
Emma und Ben hatten kurzzeitig vergessen, wie sie aussahen.
„Ah, richtig. Alice, könnte ich deine Waschmaschine und Dusche erneut kurz benutzen?“ Emma setzte zu einem mitleiderregenden Augenaufschlag an. Alice winkte nur ab.
„Verschwinde. Du weisst inzwischen ja, wo du alles findest. Und nimm Ben mit. So sitzt mir keiner auf mein Sofa.“