Strang 2 / Kapitel 2
Peter lebte abgeschieden in einer Hütte im Wald. Ohne fliessend Wasser und ursprünglich ohne Strom. Während das Wasser aus einem Brunnen sprudelte, musste er seine Hütte nachts mit Kerzen und Gaslampen ausleuchten. Das wurde ihm aber bald zu mühselig. Auf Wasserleitungen konnte er ohne weiteres verzichten, die Annehmlichkeiten, die Strom mit sich brachten, wollte er aber nicht länger missen. Also legte er sich einen Generator zu. Die Leitung zum Haus verlegte er selbst. Ein Handwerker wäre zu teuer, und der würde doch nur auf seinem Grundstück herumschnüffeln. Dort hatte aber niemand etwas zu suchen. Entsprechend unprofessionell war das Haus auch verkabelt. Aber es funktionierte.
Worauf Peter allerdings besonders stolz war, waren nicht seine Elektroinstallationen, sondern sein Geländer an seiner Veranda vor dem Haus. Er selbst hatte es geschmiedet. Das ursprüngliche Holzgeländer wurde ihm bald langweilig, also biss er in den sauren Apfel und besorgte sich Eisen. Daraus schmiedete er ein mit reichlich Ornamenten verziertes, kunstvolles Geländer, worauf er mit Recht stolz sein konnte. Peter montierte das Geländer an seiner Veranda, was die Optik des Hauses merklich aufwertete. Seither trat er jeden Abend vor sein Haus, lehnte sich an sein Kunstwerk und paffte seine Pfeife.
So auch am Tag der Geburtstagsfeier.
Bevor Peter aufbrach, trat er etwas früher als gewohnt aus dem Haus und zündete seine Pfeife an. Genüsslich stiess er den Rauch aus und atmete den angenehmen Geruch des Tabaks ein. Er genoss die letzten Minuten der Einsamkeit, bevor er sich unter Menschen begeben musste, die zwar seine Familie waren und die er somit eigentlich mochte, aber da sie ebenso Menschen waren, auch verachtete. Dennoch, die Gesellschaft seiner Familie war im Gegensatz zu der von Anderen ganz in Ordnung. Ansonsten würde er sich auch nicht die Mühe machen, sie zu besuchen.
Sanft drangen die vertrauten Geräusche des Waldes an sein Ohr. Heute war im Geäst etwas mehr los als sonst. Ein Blick zum Himmel verriet Peter auch weshalb. Nur ein Geräusch wollte nicht so recht in die Kulisse der anderen passen. Es war irgendwie zu laut und zu plump. Peter hatte aber keine Zeit weiter darüber nachzugrübeln. Ein frischer Wind zog auf und brachte dunkle Wolken mit. Innert kürzester Zeit wurde die friedliche Umgebung von einer düsteren Stimmung eingehüllt.
Trocken würde er kaum mehr bei den Reichs ankommen, dennoch, es wurde höchste Zeit aufzubrechen.
Wie bedauerlich.
Peter zog noch einige Male an seiner Pfeife.
Er klopfte sie aus, als der erste Donner über das Land grollte.
Eilig zog er sich in die Hütte zurück, da trommelte auch schon der Regen in schweren Tropfen auf das Schieferdach.
Er warf sich seine schwere Windjacke über und wollte nach dem Autoschlüssel greifen. Aber er lag nicht dort, wo er sonst war. Wo hatte er ihn schon wieder hingelegt? Ein Hauch von Ärger verdüsterte Peters Stimmung noch weiter, bis sie so tief schwarz war, wie der Himmel über seinem Haus.
Peter ging auf alle Viere und äugte unter das Holzgestell neben der Tür. Tatsächlich, weit hinten blitzte etwas Silbernes auf. Der Schlüssel muss hinter das Kästchen gefallen sein, als er ihn achtlos darauf geworfen hatte.
Peter erhob sich und begann am Gestell zu zerren, während ein flammend heller Blitz durch die Wolken zuckte. Gleich darauf krachte der Donner ohrenbetäubend.
Das Gewitter war direkt über Peters Heim, was dieser am Rande wahrnahm.
Wie nahe ihm das Gewitter wirklich gekommen war, bemerkte er erst später.
Endlich hielt er seinen Schlüssel in Händen, da schepperte es auf seiner Veranda. Peter zuckte leicht zusammen. Fluchend machte er sich auf, nachzusehen, was dieses Geräusch verursacht hatte. Er öffnete die Tür, sah sich um, konnte aber nichts erkennen.
Er spähte in den Wald. Nichts. Also trat er auf die Veranda hinaus. Seine wasserabweisenden Schuhe mit den ausserordentlich dicken Gummisohlen standen sowieso dort draussen. Noch bevor er sie überzog, wollte er aber dem Krach auf den Grund gehen. Er trat ans Geländer und entdeckte einige Splitter, die zwischen seinem Auto und der Veranda auf der Erde lagen. Durch den heftigen Regen war nur schwer zu erkennen, was zerborsten war. Peter ahnte es aber bereits. Er kniff die Augen zusammen und starrte zu seinem Wagen, direkt auf den Schweinwerfer. Und tatsächlich, das Scheinwerferglas war zerbrochen.
Nur, wie? Der Wind musste etwas mit ziemlicher Wucht dagegen geschleudert haben, anders konnte sich Peter diesen Umstand nicht erklären.
Daran, dass vor dem Gewitter ungewohnte Geräusche aus dem Wald gedrungen waren, dachte er nicht mehr.
Und er beachtete auch etwas anderes nicht.
Das Eisengeländer vor ihm schimmerte immer wieder leicht bläulich auf. Fast so, als stünde es unter extremer elektrischer Spannung…
Peter versuchte zu erkennen, ob er die Ursache des kaputten Lichts aus dem Trockenen finden konnte. Aber er sah nichts. Also trat er noch ein Stück näher an sein schmiedeisernes Geländer heran. Er spähte hinaus und glaubte einen Stein in der zerborstenen Höhle des Scheinwerfers liegen zu erkennen. Ungläubig griff er mit beiden Händen nach dem Geländer. Seinem Schmuckstück. Seinem Stolz.
Der Stromschlag erwischte ihn sofort. Die Spannung durchfuhr seinen Körper mit voller Wucht. Er konnte sich nicht mehr rühren. Unfähig seine Hände vom Geländer zu lösen, verkrampften sich seine Muskeln.
Und mit ihnen auch der lebenswichtige Herzmuskel.
Als man Peter fand, zusammengesunken an sein geliebtes Geländer angelehnt, ging man von Herzversagen aus. Ob es ein Stromschlag war, darüber war man sich nicht ganz einig. Aber auch wenn, es spielte keine Rolle. Denn ein Stromschlag war einfach zu erklären. Ein starkes Gewitter direkt über dem Haus, Blitzschläge und ein eisernes Geländer als perfekter Leiter. Peter hatte es nur noch berühren müssen.
Vielleicht hätten ihn seine Schuhe mit den gummierten Sohlen retten können, hätte er sie nur angezogen, bevor er nach seinem Scheinwerfer gesehen hatte. Das hatte er aber nicht getan.
Auch das, was man in Peters Schoss gefunden hatte, war zwar unglücklich und ziemlich gruselig, aber nicht unwillkommen. Denn damit konnte ein offener Fall innert Kürze auf einfache Weise geschlossen werden.
In Peters Schoss lag ein Schädel. Ein menschlicher Schädel. Die Haut war abgezogen worden. Nur noch schwarz verkrustetes Blut klebte an dem glatten, weissen Knochen.
Die zuständigen Behörden fanden bald heraus, dass der Schädel zu dem vermissten Millionär gehörte.
Dass der Fall komplizierter lag, konnte und wollte niemand erahnen.