Strang 1 / Kapitel 13

 

Emma dachte, die Nacht würde niemals enden. Sie litt unter leichten Kopfschmerzen, und immer, wenn sie sich im Bett drehen wollte, schmerzten abwechslungsweise Hüfte und Rücken. Abgesehen davon, dass sie sich sowieso kaum bewegen konnte, da immer diese verfluchten Schläuche im Weg waren. Das Schlimmste aber war das Kopfkino. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, raste eine wirre Aneinanderreihung der Erlebnisse des Vortages an ihrem inneren Auge vorbei.

Plötzlich sah sie sich in einer anderen Zeit auf dem Platz vor dem alten Haus. Alles Geisterhafte war von dem Hof gewichen und er lag strahlend schön in der Sonne. Auf einmal raste ein schwarzes Motorrad den gepflegten Weg hinauf, dann wurde die Umgebung verschwommen. Ein explosionsartiger Knall zerriss die Luft, alles begann sich zu drehen. In der Drehung erschien immer wieder Bens Gesicht. Erst deutlich, dann zunehmend verschwommener. Er lächelte, doch je länger die Drehung andauerte, desto mehr erstarb sein Lächeln, bis es zu einer grausigen Fratze verkam. Aus dem Nichts erschien schliesslich ein Arm, der so schnell nach ihr griff, dass sie nicht ausweichen konnte. Emma schrie vor Entsetzen.

Dann wachte sie auf.

Sie atmete schnell. Viel zu schnell.

Das Zimmer lag in fahlem Licht still da. Obwohl noch drei weitere Patienten Platz hätten, hatte sie den Raum für sich alleine. Dafür war sie jetzt dankbar.

Sie wusste wieder, weshalb sie Krankenhäuser hasste. Allmählich beruhigte sie sich. Wann hatte sie das letzte Mal einen Albtraum gehabt, der sie derart in Aufruhr versetzt hatte? Das lag ewig zurück. Sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern. Vorsichtig rollte sie sich etwas auf die Seite und griff nach ihrem Handy. Kurz vor sieben. Bald würde die nette Krankenschwester anklopfen. Hoffentlich. Dann käme auch der freundliche Arzt. Den mochte Emma besonders. Nicht, weil er gut aussah.

Er hatte ihr versprochen, sie müsse nur eine Nacht zur Beobachtung bleiben. Wenn er am nächsten Morgen mit den Untersuchungsergebnissen zufrieden wäre, würde er sie entlassen. Ein guter Mann.

Emma gab sich entsprechend Mühe, ihrem Körper einzureden, dass ihm nichts fehlte. Ausser den hässlichen violett-blauen Flecken und den schmerzenden Muskeln.

Als es klopfte, wurde Emma nervös. Tatsächlich trat der erwünschte Mann ein. Ihm folgte aber auch ein absolut unerwünschter.

Ein kleiner Teil von ihr war enttäuscht. Enttäuscht, dass es nicht ein anderer Mann war, der dem Arzt folgte. Sie wusste, wie dämlich das war, ändern konnte sie es aber nicht.

„Guten Morgen, Herr Doktor.“ Ihr Lächeln war warm, wie die Sonne. Eine Sonne, die die Bekanntschaft mit einem Eisberg machte, als sich Emma an den zweiten Besucher wandte. „Joschua.“

„Oha. Das war aber keine Begrüssung, sondern eine Feststellung, meine Liebste. Da hat wohl jemand schlecht geschlafen.“

„Ja, das auch.“ Wieder an den Arzt gewandt fügte Emma hinzu: „Sollte mein Blutdruck erhöht sein, liegt das nicht an meinem Unfall, sondern an der Gesellschaft.“ Sie liess ihren Worten ein zuckersüsses Lächeln folgen, das sie Joschua schenkte.

„Sie ist witzig, nicht wahr?“, wandte sich Joschua übertrieben höflich an den Arzt.

Der Arzt aber nickte bloss und wurde ernst. „Obwohl mir bei der Sache nicht ganz wohl ist, werden wir nun sehen, ob wir Sie bereits entlassen können. In Ordnung?“

Emma nickte eifrig.

„Gut. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ein solcher Zusammenstoss hat normalerweise weit schlimmere Folgen. Ich möchte einfach ganz sicher sein, dass nicht irgendetwas übersehen wurde. Wir wollen das Glück ja nicht herausfordern.“

„Nein, das wollen wir keinesfalls“, schaltete sich Joschua ein. „Und ich werde die ganze Zeit bei dir bleiben. Was hast du dir überhaupt dabei gedacht, einfach abzuhauen? Ich habe mir Sorgen gemacht! Niemand wusste, wo du warst!“

Sorgen? Um wen? Um sich selbst? Oder um die Tussi, die er sich bestimmt gleich nach Beziehungsende ins Bett geholt hatte?

„Zu grosszügig, Joschua, zu grosszügig. Und jetzt halt die Klappe, damit meine Blutwerte nicht noch weiter verrückt spielen!“

 

Sie spielten nicht verrückt. Mit Warnungen und Mahnungen des Arztes, einigen Rezepten für Medikamente und einer Packung einfachem Aspirin im Gepäck wurde Emma schliesslich entlassen. Mit Joschua im Schlepptau.

„Wie kamst du eigentlich darauf, hierher zu fahren?“

„Das Krankenhaus hat mich informiert.“

Natürlich. Die Visitenkarte in der Brieftasche mit der kleinen romantischen Nachricht drauf, die Joschua ihr bei ihrer ersten Begegnung zugesteckt hatte. ‚Dein Anblick bringt mein Herz immer wieder dazu, still zu stehen‘. Genau. Mittlerweile war Emma fest davon überzeugt, dass Joschua tausende solcher Karten in Petto hatte und sie jeder übergab, die nicht schnell genug weglief.

Aber das Krankenhaus wusste darüber natürlich nichts.

„Und jetzt gehen wir nach Hause.“ Joschua trat neben seinen schwarzen Porsche 911 Turbo und öffnete die Tür. Die Fahrertür.

Emma war nicht der Typ Frau, dem immer die Tür aufgehalten werden musste. Aber auf jeden Fall war sie der Typ Frau, der dies als kleine Geste der Aufmerksamkeit, des Verwöhnens nach den Strapazen, geschätzt hätte.

Eigentlich wunderte sie sich nicht weiter darüber, dass er sich selbst wie immer den Vorrang gab, egal, ob sie angeschlagen und verletzt neben ihm am Strassenrand stand. Dennoch ärgerte es sie.

„Gute Idee. Du fährst nach Hause. Ich bestelle mir ein Taxi. Danke für deinen Besuch.“

Joschua sah nur, wie sich ihre Lippen bewegten. Hören konnte er sie im Innern des Wagens nicht. Er kurbelte das Fenster hinunter und liess sie ihre Worte wiederholen.

„Wie bitte? Warum willst du ein Taxi bestellen? Und wohin?“

Emma bemerkte, dass ihre Nerven das Spielchen noch nicht mitmachen wollten. Um nicht gleich auszurasten, holte sie tief Luft, bevor sie antwortete. „Eigentlich geht dich das überhaupt nichts an. Aber du hast dich doch bereit gefunden hierher zu fahren. Ich habe noch nicht herausgefunden, was für dich dabei herausspringt, also deklariere ich dein Unterfangen vorerst als eine nette und selbstlose Geste. Daher werde ich im Gegenzug ebenfalls versuchen, nett zu sein. Ich hatte kürzlich einen Autounfall und ich weiss nicht, wie das passiert ist. Ergo will ich jetzt erstmal zu meinem Auto.“

„Zu deinem Auto?“ Joschua schien über seinen nächsten Schritt nachzudenken. „Gut. Hat man dir mitgeteilt, wo das Auto ist?“

„Warum?“

„Weil ich dich fahren werde.“

Nach wie vor skeptisch entschied Emma dieses Angebot nicht auszuschlagen. Bevor er sich‘s anders überlegen konnte, ging sie um den Porsche herum und öffnete die Beifahrertür. Mit ihrem schmerzenden Rücken hatte sie reichlich Mühe sich in den tiefen Wagen hineinzusetzen, schaffte es schlussendlich aber. Als sie die Tür zuschlug und Emma zu Joschua aufsah, erkannte sie einen Hauch von Ungeduld auf seinen Gesichtszügen. Eigentlich wollte sie sofort wieder aussteigen, doch das würde sie kaum innert nützlicher Frist zustande bringen. Also liess sie es bleiben und atmete erneut durch.

„Also. Wohin?“

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich würde spontan vorschlagen, wir fahren zu Walter. Wenn er ihn nicht hat, dann weiss er bestimmt, wo mein Mini ist.“

„Was macht dich da so sicher?“

„Mein Unfall war gestern. Das ganze Dorf weiss seit gestern, wo mein Auto ist.“

Joschua’s Blick verriet die reine Skepsis.

„Glaube mir, ein Buschfeuer verbreitet sich im Schneckentempo gegen die Gerüchteküche des Dorfes.“

„In Ordnung. Dann will ich dir mal glauben. Und wo ist Walter?“

Interessante Fragenstellung.

Emma musste schmunzeln. „Fahr los. Ich beschreib dir den Weg.“

 

Viel zu schnell trieb Joschua seinen Porsche um die Kurven. Aber es hatte keinen Sinn, ihn daran zu erinnern, weshalb Emmas Wagen und auch sie selbst defekt waren. Stattdessen ertrug sie die Tortur und fragte sich bei jedem Holpern und hin und her Rutschen in den ledernen Sportsitzen, weshalb sie eingestiegen war. Der einzige Vorteil war, dass sie bei Walters Garage ankamen, bevor sie Aua sagen konnte.

Sie quälte sich langsam und mit zusammengebissenen Zähnen aus dem Auto. Natürlich hatte sie die Tür selbst geöffnet. Joschua stand bereits beim Eingang zu Walters kleinem Verkaufsraum. Dass er nicht noch mit dem Fuss wippte, war auch alles.

Emma ging schnurstracks an ihm vorbei und trat in den Laden ein. Dabei übersah sie etwas, das Joschua herablassend musterte. Hinter einem grossen silbernen Container blitzte das sportliche Heck eines schwarzen Motorrades hervor.

„Walter?“ Wie sie es von Ben gelernt hatte, rief sie erst nach ihm, ahnte aber bereits, dass er sie nicht hören würde. „Walter? Hörst du mich?“

Ohne eine Antwort abzuwarten spazierte Emma auf die Tür der Werkstatt zu. Joschua folgte ihr in einigem Abstand.

„Walter? Bist du…“ Sie verstummte. Ihr Blick fiel direkt auf eine rote, zerbeulte Karosse am anderen Ende der Werkstatt. Natürlich war es nur ein Auto, aber ihr tat das Herz weh beim Anblick ihres kleinen, treuen Begleiters. Langsam trat sie an den Mini heran. Vorsichtig streckte sie die Hand nach ihm aus. Sanft strich sie mit dem Zeigefinger über die Überreste der Motorhaube. Da fiel ihr Blick auf ein massives Stück Holz, das man neben ihren Wagen gelegt hatte. Sie stutzte, wurde aber aus ihren Gedanken gerissen.

„Ben? Wo steckst du? Oh, hallo!“ Überrascht blieb Walter stehen. „Du bist schon wieder draussen? Das freut mich aber!“ Und tatsächlich, das Gesicht verschwand wieder hinter Falten. Ehrliche Freude, wie sie nur Walter ausstrahlen konnte. Er trottete auf Emma zu und sie fürchtete bereits die folgenden Schmerzen der festen Umarmung. Zu ihrem Erstaunen war er aber ganz vorsichtig.

„Ich habe mir den Mustang angesehen. Ein schönes Stück. Gut gepflegt. Ich schätze, den krieg ich wieder hin.“ Ben trat mit gesenktem Kopf durch eine kleine Tür, die in das grosse Einfahrtstor eingelassen war, in die Werkstatt. Als er aufsah, blieb er überrascht stehen. Er betrachtete Joschua argwöhnisch, dann schaute er in die Richtung, in der der Mini stand.

Darauf, dass sie hier sein könnte, war Ben nicht vorbereitet gewesen.

Emma sah aus, als wollte sie ganz woanders sein.

Ben ging es ähnlich.

Und wer war der Affe, der sie begleitete?

Dass sich bei seinem Anblick Emmas Magen zusammenzog, wusste sie nicht richtig einzuordnen. Also verdrängte sie das Gefühl. Gelingen wollte ihr das aber nicht so ganz.

„Ehem. Ben? Wir haben Besuch.“ Walter schien beinahe ein wenig verlegen.

„Genau. Joschua mein Name. Ich bin mit Emma hier, damit sie die Reste ihres Autos verabschieden kann.“ Joschua steuerte geradewegs auf Ben zu und streckte ihm die Hand hin. Als er den Schmutz an Bens Hand entdeckte, zog er seine aber schnell wieder zurück. Joschua räusperte sich. „Nun, ich denke, du hattest genügend Zeit dich von dem Blechhaufen zu trennen. Wenn wir zuhause sind, kaufen wir dir einen neuen, robusteren und grösseren Wagen. Es ist wohl kaum nötig, dich daran zu erinnern, dass ich dir schon lange gesagt habe, ein solches Kästchen taugt nicht als Auto. Hab ich nicht recht, meine Herren?“ Joschua schaute erwartungsvoll in die Runde, aber keiner antwortete. Irritieren liess sich Joschua dadurch aber nicht. „Wie dem auch sei, bist du soweit?“ Er ging nicht auf Emma zu. Er streckte ihr von seinem Standort aus einfach die Hand entgegen, auf das sie zu ihm komme.

Endlich erwachte Ben aus seiner Starre. „Moment. Nicht so schnell. Bevor du irgendwo hin verschwindest, will ich wissen, was da gestern eigentlich geschehen ist.“

Joschua seufzte innerlich. Noch mehr Zeit, die er verschwenden musste.

„Ich weiss es nicht mehr genau. Ich wurde ziemlich schnell. Dann wollte ich bremsen, aber das ging nicht. Also wog ich die Möglichkeiten ab. Mir schien es am besten, die Handbremse zu ziehen und zu hoffen. Dann weiss ich nicht mehr viel. Richtig zu mir kam ich erst im Krankenhaus.“

„Ach, Schätzchen“, mischte sich Joschua ein, „was heisst hier die Bremsen gingen nicht? Du hattest den Wagen in meiner Garage. Da passiert sowas nicht. Bestimmt hast du nur Gas und Bremse verwechselt.“

Perplex starrte Emma Joschua an.

Ben hingegen hatte sich wieder vollkommen im Griff. „Entschuldigung, wer waren Sie nochmal?“

„Joschua, Emmas Freund. Und Sie sind…?“

Emmas Freund. So ist das also. „Unwichtig.“

„Seh‘ ich auch so. Können wir jetzt endlich gehen?“

Sekunde. Freund?

Zwischen dem Verwechseln der Pedale und der Präsentation als Freund hatte Emma irgendwo den Faden verloren. Aber sie konnte die Situation nicht richtigstellen, denn Ben ergriff erneut das Wort.

„Können Sie nicht. Ich war noch nicht fertig. Walter und ich haben das Auto unter die Lupe genommen. Du hast Bremsflüssigkeit verloren. Es kann also gut sein, dass die Bremsen nicht mehr gegriffen haben. So was darf nicht passieren, kommt aber traurigerweise bei schlampiger Wartung durchaus mal vor.“

Ein direkter Faustschlag hätte mit Joschuas Miene etwa das Ähnliche angestellt, wie Bens Worte. Aber Joschua schwieg. Vorerst.

Ben setzte seine Ausführungen fort. „Und dass die Wartung des Wagens nicht allzu professionell war, haben wir ja an deiner Batterie schon festgestellt. Schlimmer noch ist aber der Grund, weshalb ich das Auto überhaupt gründlich gecheckt haben wollte.“

Emma sah Ben verständnislos an.

„Emma, als du die Handbremse gezogen hast, kannst du versuchen, dich daran zu erinnern, was dann passierte?“

Emma starrte ins Leere. Doch so sehr sie in ihren Gedanken wühlte, die Puzzleteile wollten sich einfach nicht zusammensetzen. „Ich weiss nicht genau. Eigentlich hatte ich die Hand auf der Handbremse, dann wurde alles weiss und irgendwie begann sich die Welt zu schnell zu drehen. Das macht keinen Sinn. Tut mir leid.“

Etwas hilflos zuckte sie leicht mit der rechten Schulter.

Ben allerdings wechselte einen vielsagenden Blick mit Walter.

„Schon in Ordnung. Es kann durchaus Sinn machen.“ Walter trat ebenfalls an den Mini heran. "Ben sagte mir, dein Airbag sei aufgegangen.“

Emma schaute in den Fahrerraum des Autos. Dort hingen die Reste des Sicherheitssystems schlaff und nutzlos herunter. „Das ist doch der Sinn der Sache, oder?“

„Ja, aber beim Aufprall. Nicht vorher.“

Es wurde immer verwirrender. Emma spürte, wie sich langsam ein leichter, stechender Schmerz in der Schläfe ausbreitete. „Wie, vorher?“

„Dein Airbag explodierte, noch bevor dein Wagen richtig ausschlug. Es braucht massive Kräfte um einen Airbag auszulösen. Zuerst dachte ich, ich spinne, aber ich bin sicher, dass ich es gesehen habe. Emma, dein Airbag ging zu früh los. Viel zu früh.“

„Ich hörte einen Knall. Eine Art Explosion. Dann wurde es weiss. Ist es möglich, dass das…“

„...der Airbag war, ja. Weil er zu früh los ging, hast du die Kontrolle erst recht verloren und bist mit voller Wucht in den Fels gekracht.“ Um Bens Brustkorb wurde es eng, als die Bilder des Unfalls wieder in ihm aufstiegen. „Das du jetzt hier stehst, quasi unverletzt, das grenzt an ein Wunder.“

Ohne, dass es ihm bewusst war, war Ben auf Emma zugegangen. Er stand jetzt so nahe bei ihr, dass er nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um sie zu berühren.

„Entschuldigung?“, Joschua räusperte sich lautstark. „Was ist hier eigentlich los? Weshalb wissen Sie so genau über den Unfall meiner Freundin Bescheid? Das klingt ja beinahe, als wären Sie dabei gewesen? Nur was suchten Sie dort? Und was wollen Sie eigentlich mit diesen Aussagen bezwecken? Von wegen der Airbag ging zu früh los. Sie behaupten, meine Garage arbeite stümperhaft. Aber wie mir scheint, fehlen Ihnen definitiv die Qualifikationen für solche Behauptungen.“

„Sagt der, der mir unterstellt Gas und Bremse zu verwechseln. Ja, Joschua, er war bei mir. Und zwar ziemlich nahe.“ Ihr Tonfall klang eindeutig nach verletztem Ehrgefühl und Rache. Das hatte sie nicht gewollt, aber sie verlor immer mehr die Beherrschung.

„Ach. Und weshalb haben Sie nichts unternommen, als Sie merkten, dass das Auto den Geist aufgab?“, gab Joschua bissig zurück.

Ben musste sich zusammenreissen, was ihm seines Erachtens ziemlich gut gelang. „Ich war nicht im selben Fahrzeug. Ich fuhr hinter ihr her.“ Und an Emma gewandt fuhr er fort: „Ich würde dir empfehlen, die Garage deines Freundes zu verklagen. Walter schreibt dir gerne einen qualifizierten Bericht.“ Ben warf das Handtuch auf die Werkbank und verliess den Raum. Aber nicht ohne die Tür kräftig hinter sich zuzuschlagen.

Emma zuckte leicht zusammen.

„Na, das war eine erfreuliche Begegnung. Eine Klage wird wohl nicht nötig sein. Ich kümmere mich darum. Lass uns jetzt gehen, ja?“ Joschua war wieder die Beherrschung selbst. Und Emma erkannte, weshalb. Bens Abgang war Joschuas Sieg. Sie hätte sich am liebsten übergeben. Was hatte sie solange Zeit mit diesem selbstgefälligen Arschloch am Hut gehabt?

Erst kaum merklich, dann immer bestimmter schüttelte Emma den Kopf. „Joschua, gehen ist eine gute Idee. Bitte tu das doch.“

Zufrieden mit Emmas Antwort streckte Joschua erneut seine Hand aus.

Emma betrachtete sie, als handle es sich um glitschige Tentakeln. „Nein, du verstehst nicht. Du wirst jetzt gehen. Alleine. Geh. Am besten weit weg. Ich werde dich nicht begleiten und du wirst nicht zurückkommen. Du wirst mich nie wieder belästigen.“

„Aber Emma, das meinst du nicht ernst. Komm jetzt.“

„Was ist eigentlich los mit dir? Was geht in deinem Kleinhirn vor? Weisst du nicht mehr, was in deiner Wohnung vorgefallen ist?“

Verständnislos sah Joschua Emma an.

Emma glaubte zu verzweifeln. Er wusste es nicht. Oder eher, er wollte es nicht wissen. Sie hatte ihn vorgeführt und damit hatte sie gewonnen. Dass jemand anderes gewann, gab es für ihn aber nicht, weshalb die Szene in seiner Wohnung, als sie ihn verliess, einfach aus seinem Gedächtnis gestrichen wurde. Unglaublich. So kam sie nicht weiter.

„Joschua, setz dich in dein Auto und fahr. Ich will mich noch in Ruhe von meinem kleinen Schatz hier verabschieden. Okay?“ Ihr Tonfall war sanft, ihr Lächeln freundlich.

Er biss tatsächlich an. „Gut. Ruf an, wenn ich dich abholen soll.“ Dann war er weg.

Nicht zu fassen.

„Himmel, der ist ja schräg.“

„Was Sie nicht sagen.“

„Und so etwas ist Ihr Freund? Liebchen, da haben Sie sich ein schönes Stück Arbeit aufgehalst.“

„Er ist nicht mehr mein Freund. Nur scheint er das nicht zu kapieren.“

„Haben Sie Ben darum benutzt, um diesen Joschua vor den Kopf zu stossen?“

Das sass. Erschöpft und schuldbewusst lehnte sich Emma an ihr Auto.

„Herzchen, es scheint in der kurzen Zeit, die Sie sich kennen, einiges zwischen Ihnen und Ben abgelaufen zu sein. Aber egal, was es war, ihn als persönlichen Racheakt zu missbrauchen ist nicht fair. Das hat er nicht verdient. Er ist ein guter Junge.“

Und ein Schürzenjäger. Aber das behielt Emma für sich.

„Darum dieser plötzliche Aufbruch?“

„Können Sie es ihm verdenken? Er ist leider nicht oberflächlich genug gestrickt, damit ihm solche Aussagen an seinem Allerwertesten vorbei gehen.“

„Und dann noch Joschuas Zweifel an Bens Können…“

„Oh, nein. Da steht er drüber. Kann er auch, denn er ist einer der Besten seines Fachs. Solche Besserwissertypen lässt er normalerweise einfach stehen. Aber ohne das Lappenwerfen und Türen knallen.“ Walter zwinkerte Emma wissend zu. Und ihr schlechtes Gewissen wuchs weiter. Aber auch die Neugierde.

„Ihr habt mein ganzes Auto durchgecheckt?“

„So ist es. Ben hat darauf bestanden, vor allem, weil er der letzte gewesen war, der daran rumgeschraubt hatte. Ich konnt’s ihm nicht abschlagen. Er wirkte so niedergeschlagen. Also haben wir uns mitten in der Nacht an die Arbeit gemacht. Dabei sah der Junge schon tierisch erschöpft aus, als ich Ihr kleines Auto auf dem Berg abholte.“

„Warten Sie. Ben blieb dort? Die ganze Zeit?“

„Die ganze Zeit. Er hätte zwar lieber im Krankenhaus gewartet, aber er wusste, dass Jens, also unser Polizist, noch einige Fragen haben würde. Und da ich Jens mitgenommen hatte, konnte das alles zusammen erledigt werden. Jens wird sich übrigens auch noch bei Ihnen melden.“

Emma nickte abwesend. Er hatte bei ihr Wache gehalten? Einfach so? Gut, er war Zeuge des Unfalls. Und fühlte sich offenbar ein Stück mitverantwortlich, weil er die letzte Reparatur durchgeführt hatte, aber dennoch. Sie war beeindruckt.

Apropos Reparatur. „Ben ist der Beste seines Fachs? Was macht er denn so?“

„Eigentlich Automechaniker. Seine Leidenschaft gilt aber den Oldtimern. Er restauriert und wartet sie wie kein anderer. Aber er kann Ihnen mehr darüber erzählen. Fragen Sie ihn doch einfach, wenn Sie sich bei ihm entschuldigen.“ Walters Gesicht verschwand und der Faltenhund zeigte sich.

Ja, der konnte gut lachen.

Aber Emma musste sich eingestehen, dass diese Entschuldigung notwendig war. Und zwar bald.

 

 

Unscheinbar
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