Strang 2 / Kapitel 22

 

Schlimm war es, als der Hüter des Rheintors dem Alkohol verfiel. Noch tragischer war allerdings, was er deswegen verlor. Seine Tochter spielte eines Tages ihr unschuldiges Spiel. Dann geschah das Entsetzliche. Sie stürzte von der Brücke. Er wollte ihr helfen. Doch er war dazu nicht fähig. Er war zu besoffen. Das Mädchen ertrank im Rhein. Der Hüter des Tores verzieh sich das nie. Bald fand man ihn ebenfalls im Wasser. Leblos. Den Tod fand er. Ruhe fand er aber nie.

 

Sie glaubten, bereits in der tiefsten Hölle angekommen zu sein. Wahrscheinlich glaubten sie auch, sich wieder aufzurappeln. Wie immer.

Aber diesmal nicht. Er hatte sie bei lebendigem Leib ins Fegefeuer geschickt. Er würde dafür sorgen, dass sie dort blieben. Nur nicht mehr ganz so lebendig.

Es würde das Ende sein. Ihr Ende.

Seine Augen leuchteten, seine Wangen glühten. Wie immer, wenn einer seiner Pläne aufgegangen war.

Wie sagte man so schön? Der Tod lauert überall. Und er war der Tod.

Sich des Nachts zu ihm zu schleichen war ein Leichtes gewesen.

In sein Unterbewusstsein vorzudringen schon schwerer.

Er hatte mehrere Anläufe gebraucht, dieses sturzbetrunkene Geschöpf zum Zuhören zu bringen. Aber als er ihn endlich soweit hatte, ging der Rest von alleine.

Ein wenig höher Sprechen als sonst und der Trunkenbold folgte wie ein treuer Dackel. So abhängig war er von diesem Weibsbild.

Sandrine. Verderb und Gedeih in einem Namen vereint.

Armselig.

In seinem Suff war er mehr zum See gestolpert als gegangen.

Immer wieder war er gestürzt. Immer wieder musste man ihn aufs Neue mit sanfter Stimme zum Aufstehen überreden.

Ein entnervender Aufstieg.

Umso besser war es dann gewesen, als dieser Ekel erregende Mensch am See angekommen war.

Schwankend hatte er dort gestanden. Leicht vornübergebeugt. Entsetzlich hatte er ausgesehen. Schmutzverkrustet. Blutverschmiert.

Das spielte aber keine Rolle. Im Gegenteil, es war umso besser. Je entstellter das Aussehen, desto entwürdigender.

Das erste Hochgefühl war es gewesen, die Deckung zu verlassen. Offen neben sein Opfer zu treten. Als dieses aufsah, musste es zuerst ein Auge schliessen. Dann brachte es den Kopf etwas näher, kniff das zweite Auge zusammen und wich wieder zurück. Dann lallte es irgendetwas Unverständliches. In seinem Gesicht spiegelten sich die Gefühle. Überraschung. Freude. Erstaunen. Verwirrung. Letzteres steigerte sich, als er dem Alkoholverpesteten den Arm um die Schulter gelegt hatte. Dann um den Hals. Dann nahm er ihn in den Schwitzkasten. Zwang ihn in die Knie. Tauchte den Kopf ins Wasser.

Er war ein gutes Opfer. Aus Verwirrung wurde Angst. Es folgte Panik. Er zappelte. Schlug um sich. Schrie. Schien auf einmal nüchtern. Aber es nützte ihm nichts.

Sein Mörder war stärker.

Das Opfer kämpfte um Luft. Es rang nach Atem. Hielt die Luft an. Doch schlussendlich atmete es doch. Das Wasser füllte die Lungen. Der Kampf liess nach. Das Opfer ertrank kläglich.

Er liess ihn los. Er holte die kleine Puppe aus der Jacke, legte sie dem Toten in die eine Hand und schloss die Finger darum. In die andere legte er den hübschen Goldring.

Dann stand er auf. Er warf noch einen letzten Blick auf sein jüngstes Opfer.

Er verspürte keine Reue.

Er fühlte tiefe Befriedigung.

 

 

Unscheinbar
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