Strang 2 / Kapitel 9
Endlich war das Feuer gelöscht.
Nachdem sie sich wortlos einig darüber geworden waren, dass sie niemals rechtzeitig bei der Alphütte sein konnten, hatten sie sie verloren gegeben und sich an die Bändigung der unmittelbaren Gefahr gemacht. Mit Erfolg.
Eine kurze Bestandesaufnahme ergab, dass die umliegenden Bauten von den Flammen und der Explosion weitestgehend verschont geblieben waren.
Ruth wischte sich mit dem Handrücken über das vom Russ geschwärzte Gesicht. Schweissperlen standen ihr auf der Stirn und die Anstrengung der letzten Stunde war ihrer Köperhaltung deutlich anzusehen. Aber nicht nur sie war erschöpft. Literweise Wasser hatten sie alle herangeschleppt, bis sie dem Feuer endlich Herr werden konnten.
Die Fäuste in die Hüften gestemmt rollte Martin den Kopf im Nacken hin und her. Gregor setzte den Eimer etwas heftiger als notwendig ab und atmete schwer auf.
„Weiss eigentlich irgendjemand, wie das passieren konnte?“ Erwin drehte seinen Eimer um und setzte sich drauf.
Alle waren sie nun dort versammelt, wo einst eine kleine, lukrative Schnapsbrennerei gestanden hatte und starrten aus übermüdeten und vor Anstrengung glasigen Augen in die schwarzgrauen Überreste. Immer noch hing Asche in der Luft, als hätte man sie dort festgenagelt.
Gregor wollte erneut Luft holen. Seine Bemühungen endeten in einem rauen, heftigen Husten.
„Ich habe keine Ahnung.“ Martin klopfte seinem Bruder halbherzig auf den Rücken.
„Ich bin nur froh, dass Antonius das nicht mitansehen musste. Es wird ihm das Herz brechen, wenn er zurückkommt.“
Erwin erhob sich und legte den Arm um seine Frau. „Wir beginnen sofort mit dem Bau einer neuen Brennerei.“
„Sollen wir ihn informieren?“, fragte Gregor, der langsam wieder zu Atem kam.
„Nein. Lass ihn die Tage bei Rolf geniessen. Er freut sich doch immer so, wenn er ihm zur Hand gehen kann.“
„In Ordnung. Aber Vater hat Recht. Wie konnte die Hütte Feuer fangen?“
Es war seine Mutter, die ihm antwortete. „Sicherlich war noch Glut im Ofen. In den letzten Tagen haben die Fönstürme enorm zugelegt. Ein falscher Windstoss und wir haben den Salat.“
Die Flammen auf dem Berg schienen vergessen. Obwohl die Zerstörung dort weit grössere Dimensionen hatte. Es bot sich ein Bild des Grauens. Die Hütte, genauso wie die Stallungen waren bis auf die Grundmauern abgebrannt. Nur ein Balken stand noch. Es war der Balken im Tenn. Der Balken, an dem sich in der Nacht davor Miriam erhängt hatte.
Zwischen den Überresten kamen immer wieder Knochen zum Vorschein. Knochen von den Tierkadavern der Herde. Fast ausschliesslich. Würde man näher hinschauen, fände man auch andere Überreste. Menschliche Überreste.
Ruben sah man nie wieder. Man vermutete, dass Miriam sich mit dem Feuer seine Seele geholt hatte.