Strang 1 / Kapitel 31

 

Alle gingen ihrer Wege. Emma marschierte zielsicher in die Waschküche, wo ihre inzwischen trockenen Kleider hingen, Ben ging in sein Zimmer und Alice in ihr Badezimmer.

Das Frühstück blieb, wo es war. Fast unberührt auf dem hübschen Esstisch.

Es dauerte nur eine knappe halbe Stunde, bis die drei sich vor dem Haus wieder trafen. Unter Mahnungen zur Vorsicht wandte sich jeder seinem Fahrzeug zu.

Alice startete den Motor ihres Wagens. Ben liess das Motorrad aufheulen. Mit Emma hinter sich brauste er am Auto vorbei und fuhr aus der Einfahrt auf die Strasse.

Ben hatte die Wette bereits gewonnen. Nur wusste er noch nichts davon.

Das Surren des Motors. Die Kurven. Die Bewegung. Die Geschwindigkeit. Die Landschaft, die vorbei rauschte. Die Freiheit. Der Wind schien Emma im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf leer zu fegen.

Allmählich entspannte sie sich. In voller Fahrt. Auf einem Motorrad.

Noch vor ein paar Tagen wäre das für Emma völlig undenkbar gewesen.

Sie hätte Ben am liebsten angewiesen, einfach weiterzufahren. Aber sie liess es bleiben.

Als Emma sich das nächste Mal umsah, steuerte Ben das Motorrad an beeindruckenden Wassermassen vorbei, die über Felsen hinweg Richtung Tal hinunterstürzten. Der Weg führte bergan, bis zu einem Restaurant. Dort stellte Ben die Maschine auf einem Parkplatz ab. Emma hüpfte vom Motorrad. Ben tat es ihr nach, nur etwas eleganter. Er zog den Helm aus, schüttelte seinen Kopf und brachte damit Emma zum Lächeln.

„Was ist?“ Verwundert sah er sie an.

„Aus welchem Werbefilm kommst du? Drei Wetter Taft? Die Frisur sitzt? Oder eher aus einem Film über Hundewaschsalons? Der nasse Welpe schüttelt sein Fell aus, der Besitzer tut es ihm nach. Hundewaschsalon, tut nicht nur dem Vierbeiner gut.“

„Du leidest eindeutig unter Nahrungsmangel. Wir peppen jetzt erst einmal deinen Zuckerhaushalt auf, dann reden wir nochmal über deine wirren Ideen.“

Freundschaftlich legte er den Arm um ihren Hals, nahm sie neckisch in den Schwitzkasten und zog sie mit, in Richtung Restaurant.

„Die sind nicht wirr! So, wie du gerade dein Haar ausgeschüttelt hast, würden Wella und Co. sich um dich streiten! Und die Mädels dort drüben brauchen einen Sabberlatz“, versuchte sich Emma glucksend zu verteidigen.

„Ich kann nichts hören! Du sprichst so undeutlich. Nimm doch mal meinen Ärmel aus dem Mund, dann versteh ich dich vielleicht.“

Er liess sie so abrupt los, dass sie etwas aus dem Gleichgewicht geriet.

„Du kannst ja nicht einmal laufen, du armes Stadtküken!“

Emma konnte diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Sie trat neben ihn. Sie brauchte nur einen Augenblick, in dem er unaufmerksam war. Und den bekam sie. Emma holte mit ihrer Hüfte aus und schubste ihn beiseite, als würde sie eine Tür schliessen.

Ben kam prompt ins Straucheln.

„Wer kann hier nicht laufen, Landei?“

Er fing sich schnell wieder. Ebenso schnell versuchte er Emma zu erwischen.

Der eigentliche Plan etwas zu essen, war vergessen.

Sie rannte lachend davon, hatte aber keine Chance.

Sie schaffte es bis zu einer kleinen Brücke. Und dort, wo der Fels endete und der Abgrund sich auftat, holte er sie ein.

Sie hielt sich schwer atmend am Brückengeländer fest, während er von hinten die Arme um sie schlang. Ganz nah an ihrem Ohr flüsterte er: „Erwischt.“ Dann liess er sie wieder los und stellte sich neben sie.

„Du schuldest mir was.“

Emma sah in die Ferne. Blinzelte der Sonne entgegen. „Wie bitte?“

„Du schuldest mir was. Obwohl es mit der Ablenkung jetzt wieder vorbei ist, da ich dich an den Morgen zurückerinnere, habe ich dich auf andere Gedanken gebracht. Gemäss deiner Aussage, habe ich jetzt etwas gut bei dir.“

Emma biss sich auf die Unterlippe. „Stimmt.“

Sie wusste selbst nicht, wie ihr geschah. Sie liess sich einfach leiten und gab dem Impuls nach.

Es war nicht, was sie sagte. Sondern wie. Dazu kam ihr Blick. Sie kehrte der Natur den Rücken und fixierte Ben. Sein Gesicht. Seine Augen.

Auf einmal lag eine Spannung in der Luft, die greifbar schien.

Ben richtete sich ein wenig auf. Er liess Emma nicht aus den Augen. Sie trat näher an ihn heran.

Sein Arm liess ganz von alleine das Geländer los. Lieferte den Körper schutzlos aus.

Das war das Signal. Die Aufforderung.

Wie selbstverständlich man diese kleinen Gesten auf einmal verstand.

Emma dachte nicht nach. Irgendwo in ihrem Innern war sie erstaunt, wie leicht es war, nicht zu denken. Sich einfach dem Augenblick hinzugeben.

Sie überwand auch die letzte Distanz. Legte den Kopf in den Nacken. Schloss die Augen.

Die Berührung war so leicht und doch so intensiv. Ihre Sinne versuchten alles wahr zu nehmen. Weiche Lippen. Warmer Atem. Raue Haut. Herber Geruch. Sie küsste ihn auf sanfte, fast unschuldige Weise. Dann löste sie sich wieder. Forschend sah sie ihm ins Gesicht. Seine Augen waren dunkler als zuvor. Oder war es das Licht?

Die Antwort blieb aus.

Er war nicht bereit, das als Bezahlung ihrer Schuld anzuerkennen. Höchstens als Anzahlung.

Nun holte er sich den Rest.

Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. Nicht minder sanft senkte er seinen Mund auf ihren.

Sofort entzündete sich in ihr eine Flamme.

Das war ganz und gar nicht die Idee gewesen. Zumindest nicht, wenn es nach ihr gegangen wäre.

Ihre Lippen öffneten sich bereitwillig.

Eigentlich müsste sie das unterbinden.

Es war nicht richtig.

Er konnte mit seiner Zunge verdammt gut umgehen.

Unterbinden. Wie sollte sie? Und warum sollte sie? Konnte etwas, das so gut war, falsch sein? Nein. Keinesfalls.

Sie wurde von Reizen überflutet. Alles nahm sie viel intensiver wahr. Die Berührung seiner Hand in ihrem Gesicht. Im Nacken. Im Haar.

Und da war es wieder. Diesmal stärker. Die Lippen, der Atem, der Geruch.

Die Festigkeit des Arms, der sich um ihren Rücken schlang. Der ihr Halt gab. Der sich anbot, sich fallen zu lassen. Sicherheit gab.

Ein süsser Augenblick. Ein Kuss, der alles versprach.

Bis er endete.

Die Gedanken kehrten zurück. Mit ihnen die Unsicherheit. Die Fragen. Die Zweifel. Natürlich, es war nur ein Kuss gewesen. Aber was war das zwischen ihnen? Was wurde, wenn dieser Terror ein Ende nahm?

Jeder ging seiner Wege. Das würde werden. Denn sie kannten sich ausserhalb dieser Ausnahmesituation nicht. Zurück im normalen Leben, im Alltag wäre das Ganze wohl kaum mehr so prickelnd.

Musste man es überhaupt definieren?

Nein.

„Ich nehm’s zurück.“

Er hielt sie immer noch fest und sah sie eindringlich an. „Was? Das Einlösen der Schulden? Wenn du mir unbedingt noch einmal etwas geben möchtest, halte ich dich nicht ab.“

Dieses Grinsen. Dieses fiese, sexy Grinsen.

Emma liess sich nur zu gerne anstecken. „Nein, nein, ich bin schuldenfrei. Ich habe mich lediglich getäuscht, was die Werbung anbelangt.“

Er verstand kein Wort und so sah er auch aus.

„Das, was du da bietest, ist mehr Kino als Werbung. Eher James Bond als Drei Wetter Taft.“

„Ach ja? Filmreif? Und warum gerade James Bond? Bei der Wahl dieses Ortes habe ich eher an deine Aussage mit Sherlock Holmes zurückgedacht, weniger an James Bond. Obwohl natürlich auch er in der Schweiz war.“

„Augenblick, darauf komme ich gleich noch zurück. James Bond zwingt die härtesten Frauen in die Knie und küsst sie schwach. Ich bin nicht gerade zusammengebrochen, aber die Knutscherei hast du definitiv geübt und perfektioniert.“

„Meinst du?“

„Spürt man.“

„Warum unterstellst du mir das ständig?“ Er wirkte nicht wirklich verärgert. Eher resigniert. Ben liess Emma los. Er steckte die Hände in die Tasche und schlenderte davon. Nicht aber ohne ihr zu bedeuten ihm zu folgen.

Emma gesellte sich zu ihm. Zusammen spazierten sie den Weg entlang, dorthin, wo sich noch weitere Menschen tummelten. Einige davon kamen ihnen entgegen, die meisten gingen Ben und Emma aber eher voran. Sie kamen von der Station einer beeindruckenden Zahnradbahn, die vom Tal auf den Berg führte, und steuerten nun alle dasselbe Ziel an. Den Wasserfall, wie Emma anhand verschiedener Indizien, wie Wegweiser und dem, was sie zuvor auf dem Motorrad gesehen hatte, vermutete.

Neugierig geworden, ob Ben vielleicht endlich etwas preisgab, nahm sie den Faden der Unterhaltung wieder auf. „Es ist nicht einfach, anders über dich zu denken, wenn man Sprüche hört wie ‚früher oder später wird jede schwach‘.“

„So spricht man über mich? Heute noch? Ich muss nicht raten, wer das gesagt hat, ich denke ich weiss es. Aber dass das so hängen geblieben ist, ist erstaunlich.“

„Hängen geblieben? Du weisst aber schon, dass du jetzt mit der Sprache rausrücken musst, oder?“

„Schätze schon. Es ist ja auch nicht besonders wild. Ich war noch jung. Wir waren noch jung.“

„Wir?“

„Kevin und ich.“

„Kevin? Ich dachte, ihr könnt euch nicht ausstehen?“

„Können wir auch nicht. Das ist es ja.“

„Die Spannung steigt ins Unermessliche.“

Er grinste sie über die Schulter hinweg an. „Dann mach dich auf das Bekenntnis deines Lebens gefasst. Ich war ein Arschloch.“

Emma tat erschrocken. Gekünstelt legte sie zwei Finger ihrer Hand oberhalb des Herzens auf ihre Brust, riss die Augen auf und gab einen quiekenden Laut von sich.

„Ja, ja, mach dich nur lustig. Wenn du schon immer so sexy warst, wie du es bist, wärst du genau eines unserer Opfer gewesen.“

Jetzt musste sie das Erstaunen nicht mehr spielen.

Hatte er gerade gesagt, sie wäre sexy?

Oh, Mann.

Emma bewahrte ihre Würde und errötete nicht wie eine Tomate. Nur ein Hauch Farbe überzog ihre Wangen, die genauso gut von der frischen Luft hätte stammen können. „So? Und wie wäre das vonstatten gegangen?“

„Als Kevin und ich langsam den Geschmack an Mädchen fanden, lieferten wir uns einen Wettstreit.“

„Lass mich raten. Wer die meisten abbekommt?“

Ben nickte und hob entschuldigend eine Schulter. „Es gab drei Kategorien. Kategorie eins: Ansprechen, Flirten, Trinken, Telefonnummer. Kategorie zwei: Knutschen und Fummeln. Kategorie 3: Sex. In dieser Kategorie gab es Zusatzpunkte, je nach Ort, wo der Akt stattfand.“

„Ist nicht dein Ernst.“ Emma konnte nicht anders. Sie musste lächeln. „Und wer hat gewonnen?“

„Es war ziemlich ausgeglichen, glaube ich.“

„Wie viele?“

„Mädchen?“

„Genau.“

„Zu viele.“

„Im Ernst? Woher hattet ihr die alle?“

„Wintersaison gleich Skisaison. Touristinnen wie Sand am Meer.“

„In eurem verschlafenen Nest?“

„Nein, natürlich nicht. Im Nachbardorf. Ein beliebtes Ferienziel für Wander- und Skiurlauber. Jedenfalls hatten wir unseren Spass. Fair war nur, dass sich manche Mädels gleichermassen einen Spass daraus gemacht haben, Jungs aus der Region abzuschleppen, wie wir es uns zum Sport machten, Mädels aus dem Unterland flach zu legen.“

„Oh mein Gott! Ihr seid eklig!“

„Glaube mir, das wurde mir irgendwann auch bewusst.“

„Und Liss?“

„Die hat mich quasi geheilt. Ironischerweise habe ich, indem ich sie bekam, ganz nebenbei auch noch endgültig den Wettkampf gegen Kevin gewonnen.“

Emma verspürte einen unerklärlichen Stich. Sie schüttelte den Kopf. Dass das nicht Ben galt, sondern sich selbst, konnte er nicht wissen.

„Naja, sie hat mir eben gut getan. Bis zu dem Augenblick, als ich mich entschied, fortzugehen.“

„Und sie zurückzulassen.“

„Was ich nicht getan habe. Zumindest nicht direkt. Weisst du, Liss hatte lange Zeit, sich als die Verlassene in dieser Beziehung darzustellen. Was gerne vergessen wird zu erwähnen, ich habe Liss gefragt, ob sie mit will. Als sie nein sagte, habe ich ihr eine Fernbeziehung vorgeschlagen. Sie hätte mich regelmässig besuchen können und ich sie. Dann sicherte ich ihr zu, dass ich nach einem Jahr wieder zurückkehren würde. Natürlich wollte ich weggehen ohne eine Rückkehrfrist. Aber unter den gegebenen Umständen war ich auch für diesen Kompromiss bereit.“

Er machte eine kurze Atempause, die Emma füllte.

„Aber damit war sie nicht einverstanden, stimmt‘s?“

„So ist es. Du kannst dir die Nacht damals vorstellen, wie im Fernsehen. Es regnete. Der Nebel waberte über den Boden. Es roch nach nasser Erde und feuchtem Stroh. Wir trafen uns in der Scheune ihres Vaters. Ich reichte ihr mein Herz dar und sie trampelte darauf herum. Klingt wie eine Seifenoper, ich weiss. Aber es passt zu der damaligen Situation. Liss war schon immer bekannt für ihre dramatischen Auftritte und Abgänge. Einen davon legte sie in dieser Nacht hin. Walter hat mich nicht nur gelehrt an Autos rumzubasteln. Er hat mir allerlei beigebracht. So habe ich mein polymechanisches Wissen gebraucht, um einen Ring für Liss herzustellen. Er war einfach und schlicht. Aber die Botschaft war umso bedeutender. Ich wollte sie behalten. Nicht als meine Braut, aber als meine Freundin. Sie hat ihn sich angesehen. Ich werde ihren Blick niemals vergessen. Sie hat ihn so angewidert gemustert, als hätte ich ihr eine Spinne geschenkt. Als sie wieder aufsah, schimmerten Tränen in ihren Augen. Sie schwor mir, mich zu lieben, aber wenn ich ginge und sie zurückliesse, wäre es aus. Für immer. Sie drückte mir den Ring in die Hand und rannte in den Regen hinaus. Einmal quer über das Feld und weg war sie. Ich rief, sie solle warten, rannte ebenfalls in den Regen. Als sie nicht anhielt, sich nicht einmal mehr umsah, blieb ich stehen. Tropfnass, wie der begossene Pudel himself.“

„Was ist dann passiert?“

„Am nächsten Tag verliess ich das Dorf. Den Ring warf ich unterwegs in den Abgrund. Ich beschloss, nicht mehr zurückzudenken und nicht mehr zurückzukehren.“

„Die Stadt ist aber doch etwas anderes, als das Leben hier. Hat dir die Umstellung nichts ausgemacht?“

„Anfangs war es aufregend. Alles neu, gross und hektisch. Zumindest im Verhältnis zum Leben hier. Die Frauen schienen mich auch zu mögen, also konnte ich meinem Ärger Luft machen, in dem ich meinen verletzten Stolz rächte. Irgendwann hatte ich es aber auch gesehen. Die Weiber wurden mir zu aufdringlich, die Stadt zu laut. Zurückkommen kam aber nicht in Frage.“

„Der Stolz war im Weg?“

„Volltreffer. Eigentlich mag ich, wie es ist. Ich habe mir einen Namen gemacht, als Oldtimerrestaurateur. Inzwischen kann ich sehr gut davon leben. Die Leidenschaft zum Beruf zu machen, ist doch der Traum eines jeden, oder nicht?“

Zustimmend nickte Emma.

„Man weiss, wo man mich findet und das ist gut. Ich habe auch ein Plätzchen gefunden, das weg ist vom Trubel, aber nicht aus der Welt. Und doch fehlt was. Das sorgte für innere Unruhe, die solange an mir knabberte, bis sie mich schliesslich hier wieder ausspuckte.“

„Zurück zu den Wurzeln.“

„Scheint so. Und was habe ich hier gefunden? Ausgerechnet ein Stadtküken und noch mehr Probleme. Ich finde, das habe ich richtig gut hinbekommen.“

„Ein Meisterstück, in der Tat.“ Emma schubste ihn leicht an.

Lachend klemmte er erneut ihren Hals in der Armbeuge ein. „Nur nicht frech werden, du weisst, was das letzte Mal passiert ist.“

„Oh, ich erinnere mich vage. War das der Teil mit dem Sabberlatz für die Mädels, die dich anhimmelten?“

„So, das war’s. Strafe muss sein.“ Er packte etwas fester zu.

„Warte! Wolltest du mir hier nicht etwas zeigen? Da war doch was mit einem Wasserfall, oder?“ Spielerisch setzte sich Emma zur Wehr. Sehr zur Belustigung der umstehenden Touristen.

„Du willst den Wasserfall sehen? Ich zeige dir den Wasserfall.“ Sie waren während ihres Gesprächs ein ganzes Stück gelaufen, bis zu einer Aussichtsplattform, von der aus man einen herrlichen Blick auf den Wasserfall hatte. Er zerrte sie bis zum Ende der Plattform, an die Sicherheitsabsperrung heran. „Und? Siehst du ihn?“

„Sieht etwas seltsam aus, aus dieser Perspektive.“

„Echt? Wie sieht’s denn aus da unten? Wässrig? Dann komm mal hoch.“

Sie war verstrubelt, ihr war heiss und die Position war ungemütlich. Aber sie hatte Spass, wie schon lange nicht mehr.

Zumindest noch.

Endlich wieder frei pustete sie grinsend ihr Haar aus dem Gesicht. „Dieses Ungetüm ist tatsächlich beeindruckend.“

„Sag ich doch. In dieser Jahreszeit ist es fast am besten. Denn jetzt sorgt das Schmelzwasser für reichlich mehr Menge. Aber was erzähl ich dir von Schmelzwasser in Wasserfällen.“

„Sehr witzig.“ Sie bedachte ihn mit einem bösen Blick. Oder eher das, was einem bösen Blick am nächsten kam. „Und was hat das ganze nun mit Sherlock zu tun?“

„Noch nie was vom berühmten Reichenbachfall gehört? Arthur Conan Doyle hat seinen Helden hier abstürzen lassen.“

„Ach nein. Abstürzen lassen? Und nach alledem, was ich gestern erlebt habe, schleppst du mich ausgerechnet hierher?“ Diesmal sah sie ihn tadelnd an. Das Schmunzeln konnte sie aber nicht ganz unterdrücken.

Da erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit.

Unweit hinter Ben ging ein Tourist vorüber.

Der Blick an Ben vorbei war mehr ein Zufall gewesen und dauerte nicht länger, als den Bruchteil einer Sekunde, aber es reichte aus.

Ihr Lächeln erstarb.

Hektisch suchte sie mit den Augen die Menge ab.

Ben bemerkte die Veränderung. Er setzte zu einer Entschuldigung an, musste aber feststellen, dass Emma ihm überhaupt nicht zuhörte.

Es war also nichts, was er gesagt hatte. Was war es dann?

Er folgte ihrem Blick, der nervös über die Menschen wanderte, konnte sich aber keinen Reim darauf machen.

Auf einmal endete ihre Suche. Sie legte die Stirn in Falten und kniff ihre Augen zusammen.

Sie schien etwas zu fixieren.

Oder jemanden?

Ben suchte die Menge in ihrem Blickfeld ab, erkannte aber niemanden.

„Das ist doch nicht möglich…“, flüsterte sie mehr zu sich selbst.

„Emma? Was ist los?“

Sie hörte nicht hin. Stattdessen schob sie Ben beiseite. Gehetzt drückte sie sich durch die Menschen.

„Was zum…“ Ben nahm die Verfolgung auf. Doch auf einmal sah er sich eingekesselt zwischen einer Schulklasse. Kinder und Rucksäcke versperrten ihm den Weg. An ein Durchkommen war für den Augenblick nicht mehr zu denken. Er konnte nur noch zusehen, wie eine Person in einer grauen Jacke und einer tief im Gesicht sitzenden schwarzen Mütze hinter einem Fels verschwand. Kurz darauf folgte Emma. Und verschwand ebenfalls.

Unscheinbar
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