Vatikan. Apostolischer Palast

16

Der Mann hätte einer der vielen deutschen Touristen sein können, die täglich Rom besuchten, sah man einmal davon ab, dass keiner dieser Besucher je auf dem Platz sitzen würde, auf dem er gerade saß. Leger in Jeans, weißes T-Shirt und graues Sakko gekleidet, sah der braungebrannte Mann mit den hellblonden schulterlangen Haaren Papst Alexander IX. aufmerksam in die Augen.

Sein Verhalten bei der Begrüßung hatte den Heiligen Vater und den Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre im ersten Augenblick überrascht. Wider das Protokoll hatte Matthias nicht abgewartet, bis der Kardinal ihn vorstellte, sondern war ohne Zögern auf den Papst zugegangen und hatte sich vor ihm auf die Knie geworfen.

»In Demut und Reue bekenne ich, Furchtbares getan zu haben. Gott sei mir Sünder gnädig.«

Da war Voigt, der die Szene von der Tür aus mit offenem Mund beobachtet hatte, klar geworden, dass der Deutsche vier Jahre lang darauf gewartet haben musste, die Absolution für seine schwere Sünde zu erhalten.

Und auch der Papst schien sich der Bedeutung dieses Moments bewusst gewesen zu sein, denn er hatte die Hand gehoben und mit feierlichem Ernst über Matthias das Kreuzzeichen gemacht.

»Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden in Nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti, amen.«

Eine halbe Ewigkeit hatten sie in dieser Position verharrt, der eine stehend, der andere auf Knien, den Kopf in tiefer Demut gebeugt. Leise war der Kardinal aus dem Raum gegangen und der wachhabende Schweizergardist hatte die Tür geschlossen.

Nun saßen sich das Oberhaupt der katholischen Kirche und sein Gast schweigend gegenüber.

»Was denken Sie über diese Mordserie?«, durchbrach der Papst schließlich die Stille.

Matthias stieß einen Seufzer aus. »Eure Heiligkeit … zunächst dachte ich ja an einen Geistesgestörten. Für mich war da ein gemeingefährlicher Verbrecher zugange, der irgendwelche Spießgesellen hatte, aber auf keinen Fall ein religiöser Geheimbund. Der Tote der vierten Station hat mich dann aber unsicher gemacht. Der, dessen Namen wir kennen. Der als Kind entführt wurde und zwanzig Jahre verschollen war. Er hatte die gleiche verblasste Tätowierung wie alle anderen noch nicht identifizierten Opfer. Wenn sich herausstellt, dass sie ebenfalls als Kinder verschleppt worden sind, dann muss eine obskure Bruderschaft dahinterstecken. Kein Mensch kann im Alleingang eine solche Mordserie so lange im Voraus planen; zwanzig Jahre sind keine Helfershelfer bei der Stange zu halten, wenn man sie nicht auf irgendeine Lehre eingeschworen hat, an deren Richtigkeit diese bedingungslos glauben und die sie als höchste Instanz für das eigene Handeln anerkennen.«

»Aber warum stellen diese Irren den Leidensweg unseres Herrn nach? Und warum lässt man einem Prälaten einen Brief zukommen mit der Weissagung des Todes unseres Herrn?«

Matthias konnte deutlich spüren, wie angespannt der Heilige Vater war. Zögernd erklärte er: »Weil … das weiß ich noch nicht. Wenn aber wirklich eine Geheimorganisation dafür verantwortlich ist, dann glaube ich nicht, dass es bei den Morden bleibt, egal, wie viele noch geschehen werden. Die makabre Inszenierung des Kreuzweges ist sicherlich nicht das Ziel, worauf sich eine solche Bruderschaft jahrzehntelang vorbereitet. Ich fürchte, da steckt etwas Gewaltigeres dahinter.«

Papst Alexander IX. sank in sich zusammen und sagte mit erstickter Stimme: »Das sind genau die Befürchtungen, die ich auch habe.«

Es entstand eine erneute Pause. Und wieder war es der Papst, der schließlich das Schweigen brach.

»Sagen Sie, haben wir vor vier Jahren das Richtige getan, als wir mit der italienischen Justiz jenen Pakt geschlossen haben?«

Matthias senkte den Blick. »Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen, Eure Heiligkeit. Ich habe damals gewusst, was ich tat und welche Konsequenzen das für mich haben würde. Auf dem Dach der Bernini-Kolonnaden hatte ich mit meinem Leben abgeschlossen. Mit dem Pakt hat man mir ein neues Leben geschenkt. Dafür bin ich Gott und der Kirche sehr dankbar.«

Papst Alexander IX. nickte und sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an. Schließlich faltete er die Hände.

»Es gibt da noch etwas, über das ich mit Ihnen sprechen möchte. Sie sind vielleicht der Einzige, der mir Antworten auf ein paar Fragen geben kann, die mich seit vielen Jahren beschäftigen … Fühlen Sie sich in der Lage, mit mir über Ihre Vergangenheit zu reden?«

Matthias war anzusehen, dass ihm die Bitte des Pontifex maximus tiefes Unbehagen bereitete. Dennoch nickte er.

»Fragen Sie, was Sie wissen möchten.«

 

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