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Sie starrte auf die Tür. Glatt, weiß und schmal. Wie der ganze Raum, der wirkte wie eine aufrecht hingestellte Schachtel. »Ein Hochkantraum«, musste Mia unwillkürlich denken. Es gab flache, breite, ausgedehnte Räume wie Ebenen in einer Tiefgarage – und es gab Hochkanträume, bei denen die Höhe überproportional zur Breite ausgefallen war, deren Dimensionen eher an Aktenordner erinnerten. In so einem Raum befand sie sich.
Keine entfernte Maschine, die summte, geschweige denn Musik, Schritte oder Stimmengewirr. Aus einem Schacht, dessen Ende sie in der oberen Ecke des Raums sehen konnte, drang etwas, das Mia für das Gezwitscher von Vögeln hielt, und das Rauschen der Blätter eines Baumes. An der Wand ein Tischchen, ein zierliches Regal mit ein paar Büchern, ein Bett aus schönem Holz.
Wo war sie?
Vera war bei ihr gewesen, erinnerte sie sich, bei ihr in dem Betonlabyrinth. »Willst du wirklich hier weg?«, hatte Vera gefragt, und Mia hatte genickt. Später war Vera gegangen und Mia eingeschlafen. Sie musste betäubt worden sein. Man hatte sie hierhergebracht, während sie betäubt gewesen war.
Vera hatte ihr geholfen, sie hatte ihr Versprechen gehalten. Sie hatte sie herausgebracht aus dem Labyrinth!
Mia sprang auf, die Bettdecke flog zu Boden. Schon landeten ihre nackten Füße auf dem Flachsstoff, mit dem er ausgelegt war.
»Vera?«
Sie rannte zur Tür. »Wo bist du, ich bin’s, Mia!« Ich liebe dich, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die Klinke herunterdrückte. Eine Feder knirschte im Inneren des Schlosses, aber die Tür rührte sich nicht. Mia verlagerte ihr Gewicht nach hinten, zog an der Klinke. Die Tür blockierte. Erneut drückte sie die Klinke mit aller Kraft herunter, bis es in ihrer Hand knackte, und rammte die Schulter gegen die Tür.
Das Licht, das gerade erst so hell, strahlend, ja glühend zwischen ihren Augen zu brennen begonnen hatte, erlosch mit einem Zischen. Die Tür war verschlossen. Sie war nicht draußen – sie war nur woanders.