52

»Nein … nein, hör mir doch mal zu! Was?«

Ben riss das Handy herunter, um mit beiden Händen das Steuer drehen zu können. Er war auf der Stadtautobahn unterwegs, und es war Berufsverkehr. Die Fahrzeuge fuhren schnell, und manchmal kam es ihm fast so vor, als würden sie Stoßstange an Stoßstange über die sechsspurige Fahrbahn brettern.

»Sophie?« Er hatte das Handy wieder am Ohr. Im Rückspiegel sah er auf der rechten Fahrbahn einen gewaltigen Lkw herandonnern. »Es stört also gerade nicht?«

Sie sagte wieder etwas, aber er drückte sie weg, ließ das Telefon in den Schoß fallen und achtete darauf, nicht schon wieder auszuscheren. Rechts ratterte der Sattelschlepper an ihm vorbei. Vor ihm fuhr eine endlose Kette von Lieferwagen, links überholte ihn ein Taxi mit überhöhter Geschwindigkeit. Gleich musste er selbst auf die rechte Spur wechseln, um den Abzweig zur Avus zu erwischen.

Ein böses, lautes Hupen schien von hinten in seinen Kopf zu hacken. Unter seinen Achseln bildete sich Schweiß, und er riss das Steuer zurück. Aus dem Opel, der rechts an ihm vorbeiröhrte, sah er eine Silhouette zu ihm herüberschauen, die Gesichtszüge eines Mannes, verzerrt, wütend, der Arm fuchtelte durch die Luft.

»Arschloch! Fick dich doch selbst, du verdammtes Arschloch!«

Ben schlug mit der Hand auf das Steuerrad, gab Gas, zog hinter dem Opel endlich rechts hinüber und fuhr dicht an ihn heran, das Alarmsignal eingeschaltet, so dass beide Blinker regelmäßig blitzten. Die Bremsleuchten des Opels glühten auf. Ben trat auf die Bremse, sein Wagen fiel zurück. Er sah noch, wie der Opelfahrer ihn im Rückspiegel beobachtete. Dann schaltete er die Warnleuchte aus, setzte den Blinker. Und fuhr rechts raus auf die Avus.

Hatte Götz ihn deshalb zu Lillian geschickt? Ausgerechnet ihn?

Während Ben weiterfuhr, rasten die Gedanken durch seinen Schädel, Gedanken, die sich überschlugen, seit er wusste, wie alt das Mädchen gewesen war, dem das T-Shirt gehört hatte.

Götz kannte ihn doch gar nicht und bat ihn dennoch, etwas so Wichtiges für ihn zu übernehmen? Das hatte Ben doch gleich gewundert! Götz hatte versucht, es zu erklären, und Ben hatte ihm zunächst ja auch geglaubt. Tatsächlich aber war es doch merkwürdig, warum Götz nicht jemanden, den er kannte, gebeten hatte, sich um das Alibi zu kümmern, jemanden, mit dem er seit langem vertraut war. Immerhin ging es doch um etwas, womit Götz den Prozess für sich entscheiden wollte! Hatte Götz ihn zu Lillian geschickt, weil er noch etwas anderes mit ihm vorgehabt hatte? Etwas, das Götz ihm wohlweislich verschwiegen hatte?

Ben ordnete sich auf der rechten Avus-Spur ein. Ein anderer Gedanke schob den an Götz beiseite. Lillian. Sie hatte ihn zu sich in ihre Wohnung eingeladen. Angeblich, um ihm zu sagen, dass sie für Götz aussagen würde. In ihre Wohnung! Wieso hatte sie ihm das nicht am Telefon gesagt, wieso hatte sie sich nicht einfach bei Seewald gemeldet? Und nicht nur das. Sie war in ihr Schlafzimmer gegangen, ja, sie hatte schließlich sogar zugelassen, dass er sie auszog, dass er sie entblößte und ihre Nacktheit spürte. Bis sie sicher sein konnte, dass er nicht mehr aufzuhalten sein würde. Bis sie sicher sein konnte, dass sich sein Verlangen nach ihr bis zum Punkt der Unumkehrbarkeit gesteigert hatte!

Sie hat mir den Schlüssel abgenommen.

Deshalb wollte sie, dass er mit ihr schlief. Um an den Schlüssel zu seiner Wohnung zu kommen! Oder hatte sie das schon im Hotel getan? Während er schlief, erschöpft nach dem, was sie miteinander gemacht hatten. Es war ganz einfach gewesen: Sie hatte den Schlüssel aus seiner Hose geholt und jemandem übergeben. Der hatte ihn dupliziert, das dauerte vielleicht eine Stunde. Danach konnte sie ihn zurück in Bens Hose stecken, als wäre nichts geschehen.

Ben trat auf die Bremse. Er fuhr viel zu schnell!

Er hatte es vorhin gleich überprüft, als er zum ersten Mal Verdacht geschöpft hatte. Haarklein hatte er seine Wohnungstür untersucht. Das Schloss war vollkommen intakt gewesen. Sie mussten ohne jede Gewaltanwendung hineingekommen sein, um das T-Shirt zu plazieren.

Es war von Anfang an Götz’ Plan gewesen! Er hatte ihn zu Lillian geschickt, damit sie ihn verführte. Damit sie an seinen Schlüssel herankamen. Damit sie das T-Shirt in seiner Wohnung ablegen konnten. Der Mann, der vorhin geklingelt hatte? Sie hatten wahrscheinlich schon die Polizei alarmiert!

Ben starrte auf das T-Shirt, das er auf den Beifahrersitz geworfen hatte. Götz hatte dafür gesorgt, dass das Hemdchen bei ihm landete. Svenjas Hemdchen! Als Ben ihn angesprochen hatte, musste es Götz zum ersten Mal eingefallen sein. Hängen wir es ihm an, dem Trottel.

Die Wut rüttelte förmlich an Ben.

»Du hängst mir das nicht an! Du warst es, du hast deine Töchter erschlagen – nicht ich!«

Er musste husten. Scheiße. Um ein Haar wäre er in die Leitplanke gerast.

Unwillkürlich hob er das T-Shirt an die Nase und roch daran. Als ihm bewusst wurde, was er da tat, warf er es im nächsten Augenblick jedoch erschrocken und angewidert zurück auf den Sitz.

Es hatte Svenja gehört.

Oder war er dabei durchzudrehen?

Der Architekt
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