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Es war der Geruch, der ihr vielleicht am meisten zusetzte. Kein scharfer Gestank nach Aas oder Kot. Eher ein dumpfer, matter Geruch von abgestandener Luft, umgewälzter Luft, zehn-, hundert-, tausendmal durch die Lungen unzähliger Menschen gegangen, Luft, die in irgendwelchen Aufbereitungsanlagen noch einmal gefiltert und aufgemischt worden war. Eine Luft, von der Mia den Eindruck hatte, sie würde sich beschmutzen, wenn sie einatmete, die klebrig und schmierig wirkte wie das Wasser, aus dem man sie gezogen hatte.
Die Zeit hatte begonnen, sprunghaft zu verstreichen. Mal schien sie sich auszudehnen zu einer schier unendlichen Ebene, mal zu verdichten zu einem flackernden Voranhetzen. Mia hatte das Gefühl dafür verloren, ob es Wochen waren oder nur Tage, die vergingen. Man hatte sie in einen Bereich gebracht, aus dem sie nicht mehr herauskam. Die Türen waren verschlossen.
In diesem Bereich des Labyrinths waren weniger Menschen unterwegs – und sie trugen auch keine Masken. Es waren Chinesen, Russen, Araber, Männer, die sich nur ein paar Tage oder Stunden in der Stadt aufhielten und anscheinend nach nichts anderem suchten als ein paar ausgelassenen Momenten. Die weder Deutsch sprachen noch Englisch. Mia hatte versucht, bei dem einen oder anderen von ihnen durchblicken zu lassen, dass sie Hilfe brauchte, dass etwas nicht stimmte, dass sie hier rauswollte, aber das hatte mit bestürzender Regelmäßigkeit zu Missverständnissen geführt, zu Ärger, Irritation, bösen, unverständlichen Worten. Auch mit ein paar von den anderen Mädchen, die sich in diesem Bereich aufhielten, hatte Mia versucht, Kontakt aufzunehmen. Aber sie wollten davon nichts wissen, winkten ab, wenn sie spürten, worauf Mia hinauswollte, machten ihr klar, dass sie selbst genug Sorgen hätten. Nicht selten wirkten sie so, als hätten sie irgendwelche Substanzen eingenommen, die sie zwar ausgelassen und gut gelaunt erscheinen ließen, zugleich aber auch seltsam abgestorben im Inneren.