55

»Es ist die Verfügbarkeit, die süchtig macht.« Die Frau hatte ihre Stimme gesenkt, die Haare hingen halb über ihr Gesicht. Sie hatte sich zu Mia heruntergebeugt, die mit dem Kopf auf ihrem Schoß lag. »Wenn man das einmal erlebt hat, will man es immer wieder haben. Man kann es nicht mehr vergessen, ist süchtig danach. Nichts anderes kommt da mehr ran.«

Mia versuchte, durch das Halbdunkel hindurch in den Augen der Frau zu lesen. Sie hatte einen klaren, aufmerksamen Blick. »Manche sagen, es ist wie ein Infekt, etwas Ansteckendes.«

Mia zog die Beine an und schlang die Arme darum. Sie fühlte, wie sie innerlich weich wurde. Sie kämpfte nicht dagegen an. Tränen traten ihr aus den Augen, benetzten ihr Gesicht. Aber sie wagte es nicht, einen Laut von sich zu geben.

Die Frau wandte den Blick nicht von ihr ab. »Ist es schlimm?«

Seit Wochen war sie die Erste, mit der Mia reden konnte. Sie nannte sich Vera und hatte Mia schon ein paarmal besucht. Was hatte Vera in diesem Labyrinth verloren, erst recht hier, in diesem Bereich, in den sie Mia gebracht hatten?

»Hm?« Die Frau sah sie freundlich an. Sie war hübsch, sah gepflegt aus, zerbrechlich.

Ist es schlimm?

Mia starrte sie an. Sollte sie fragen, ob Vera ihr helfen konnte?

»Es wird sehr darauf geachtet, wer von der Anlage hier erfährt«, fuhr Vera fort. »Man will unter sich bleiben. Natürlich ist all das hier …«, sie sah in den Schacht hoch, der über ihren Köpfen bis in die oberen Etagen der Anlage reichte, »… geheim, verstehst du?« Sie blickte wieder hinunter zu Mia. »Das ist es ja gerade, was für viele den Reiz ausmacht. Den Kick, den sie brauchen, wenn alles andere ausgedient hat. Hier gibt es ihn, und hier holen sie ihn sich.«

Und du?, dachte Mia. Wieso bist du hier? Doch kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, wurde sie auch schon von der Antwort überflutet: Um mich zu sehen, um mich zu besuchen, oder? Deshalb bist du hier!

Der Druck ihrer Arme, mit denen sie sich an Vera klammerte, musste sich verstärkt haben, denn Vera beugte sich zu ihr herunter und lächelte.

Ohne dass sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, brach es aus Mia hervor: »Kannst du mir nicht helfen?«

Der Architekt
cover.html
haupttitel.html
inhaltsvz.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
social_reading_stream.xhtml
hinweise.html