59

Mit zitternden Händen kam Ben bei sich zu Hause an. Die Kleider glühten auf seiner Haut. Es war ein Fernsehteam gewesen, sie hatten bei Lillian gefilmt. Ein Nachbar hatte etwas bemerkt und sie gerufen – so viel war ihm inzwischen klar. Er hatte Lillian vor sich auf dem Pflaster liegen sehen, seine Nerven gingen mit ihm durch. Seit er das T-Shirt gefunden hatte, war er nicht mehr zur Ruhe gekommen.

Ben warf die Wohnungstür hinter sich zu und riss sich noch im Laufen Mantel, Jackett und Pullover vom Leib. Als er das Bad erreicht hatte, war sein Oberkörper nackt. Was er im Spiegel sah, traf ihn wie der Anblick einer Klinge, die einen Finger durchschneidet. Sein Rücken war über und über von roten Flecken befallen. Die Pusteln standen millimeterhoch und waren von rosa bis zinnoberroten Höfen umlagert. An einigen Stellen waren die Erhebungen zu größeren Flächen zusammengewuchert, an anderen waren Hunderte von winzigen Pusteln geblieben. Sein ganzer Körper juckte, als ob die Beulen wie rasend danach verlangten, berührt, überstrichen, gedrückt zu werden, ja, schlimmer noch, aufgekratzt, aufgerissen zu werden, bis das rohe Fleisch darunter zum Vorschein kam.

Der schrille Klang des Telefons bohrte sich in sein Ohr. Ben sank gegen die Kacheln im Bad, die dem juckenden Ausschlag Kühlung brachten. Das Klingeln des Anschlusses im Wohnzimmer schnitt durch seine Nervenbahnen.Wenn er den Hörer jetzt abnahm, wäre er nicht in der Lage zu sprechen.

Der Pfeifton war wie eine Erlösung, der Anrufbeantworter sprang an. Sekunden später erfüllte die Stimme Seewalds die Wohnung.

»Herr Lindenberger, Sie müssen sich bei uns melden. Ich habe heute früh meinen Assistenten zu Ihnen geschickt, aber er hat sie nicht angetroffen. Die Staatsanwaltschaft hat mich eben verständigt …« Ben konnte hören, wie Seewald den Hörer kurz zuhielt, gleich darauf aber sprach er schon weiter. »Es geht um Frau Behringer.« Im Hintergrund ertönte das Klingeln eines Handys. »Ich wollte Ihnen das persönlich mitteilen, aber da Sie nicht zu erreichen sind … Sie ist …«

Seewald unterbrach sich. »Was?« Offensichtlich hatte er sich an einen Kollegen gewandt, der sich bei ihm im Büro befand. »Götz weiß Bescheid«, stieß er hervor. Dann sprach er wieder direkt in den Hörer: »Entschuldigen Sie, aber es ist absolut notwendig, dass Sie sich so schnell wie möglich mit uns in Verbindung setzen, Herr Lindenberger. Ich weiß nicht, ob Sie Ihr Handy ausgeschaltet haben, aber wir können Sie nicht erreichen. Frau Behringer ist tot aufgefunden worden. Das ist keine halbe Stunde her, die Staatsanwaltschaft schließt eine natürliche Todesursache aus. Kriminalkommissar Gerkens hat durchblicken lassen, dass sie wohl an den Folgen einer Schnittwunde gestorben ist. Sie können sich vorstellen, was das für Herrn Götz bedeutet.« Es raschelte in der Leitung, als ob Seewald den Hörer in die andere Hand nehmen würde. »Entscheidend für Sie ist jetzt jedoch vor allem, dass Gerkens bei uns bereits nachgefragt hat. Keine Ahnung, wieso er sich ausgerechnet an uns gewandt hat, wahrscheinlich sind wir nicht die Einzigen, die er kontaktiert hat. Fest steht, dass er jemanden sucht. Und zwar Sie.«

Es kam Ben so vor, als würde das letzte Wort wie eine lange, feine Klinge geräuschlos und unendlich schnell in seinen Bauch eindringen.

»Offenbar ist Ihr Name für gestern Abend im Terminkalender von Frau Behringer verzeichnet gewesen.« Der Anrufbeantworter klickte.

Im selben Augenblick ertönte ein zweites Geräusch.

Ben fuhr herum, starrte auf die Tür seiner Wohnung, sah sie zittern.

Hatte er was überhört?

»Lindenberger!«

Es klang wie eine Roboterstimme, die ihm direkt ins Hirn gespritzt wurde.

Die Tür bebte, bog sich ein wenig nach innen.

Der Architekt
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