54

»Was ist denn mit deinem Auge?« Sophie machte eine Bewegung mit der Hand, als ob sie es berühren wollte.

Ben drehte den Kopf zur Seite, um ihr den Anblick zu ersparen. »Da muss mich was gestochen haben«, murmelte er, »vielleicht auch eine allergische Reaktion, das geht wieder weg.« Dabei war die Schwellung doch fast nicht mehr zu sehen.

Sie standen in der Küche, Sophie hatte eine Mineralwasserflasche aus dem Kühlschrank geholt.

»Und?« Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. »Was bringt dich her?« Sie drehte sich um und stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank, nachdem sie zwei Gläser vollgeschenkt hatte.

»Du hattest doch gesagt, dass ich mich mal melden sollte«, konterte Ben und griff nach einem der beiden Gläser. Ich muss in Svenjas Zimmer, hämmerte es in seinem Kopf.

Sie lächelte. »Auf einen Kaffee, in der Stadt, hatte ich gemeint.«

Ben grinste. »Wolltest mich sehen, weil … weil ich dir so gut gefalle, ja?«

Sie musste lachen, setzte das Glas ab. »Na, ich hatte schon das Gefühl, ich sollte mich ein bisschen um dich kümmern. Damit du mir Julian in deinem Buch nicht so schlechtmachst.«

Ben nickte übertrieben. Das wusste er ja bereits.

»Aber ich wollte dich auch treffen, warum nicht?« Etwas schnippisch, aber es stand ihr gut, ging sie an ihm vorbei aus der Küche in die Halle.

Ben folgte ihr. »Ich schreibe gerade ein wenig über das Haus hier«, meinte er. »In dem es passiert ist.«

Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm um. Ihre Haare waren zu einem Zopf geflochten, der schwer über ihren Rücken herunterhing.

»Deshalb bin ich gekommen«, fuhr Ben fort. »Ich wollte fragen, ob ich mich ein wenig umsehen darf.«

Sophie spitzte die Lippen.

»Es ist nicht ganz einfach, den Tatort so zu beschreiben, dass vor dem Auge des Lesers ein plastisches Bild entsteht«, führte Ben aus. Und ich muss etwas aus Svenjas Zimmer haben, dachte er.

»Hast du das mit Julian abgesprochen?«

Nein.

»Ja.«

»Gut, klar, kein Problem. Wo wollen wir anfangen?«

»Am besten dort, wo es passiert ist«, erwiderte Ben und sah zur Treppe, die von der Halle aus in den ersten Stock führte. »Wenn es dir nichts ausmacht.«

Sophie atmete aus. Plötzlich wirkte sie noch ein wenig kleiner als sonst. »Ist schon okay«, sagte sie leise, aber die schnippische, aufgekratzte Art, mit der sie ihn empfangen hatte, war verflogen.

 

Er ging hinter ihr die Treppe hinauf. In seinem Kopf arbeitete es. Wenn sie dabei war, konnte er schlecht von Svenjas Sachen etwas einstecken. Er musste sie wegschicken, aber das war auffällig. Wahrscheinlich wäre es doch besser gewesen, erst unten anzufangen. Dann wäre sie oben schon ein wenig müde gewesen. So aber …

»Hier, das ist das Schlafzimmer.« Sophie drückte die Tür zum Schlafzimmer im ersten Stock auf. Ben ging an ihr vorbei und stellte sich mitten in den Raum. Er schloss die Augen. Wie schicke ich sie weg? Er drehte sich leicht zur Seite, damit sie ihm nicht ins Gesicht sehen konnte.

»Ich denke, du willst dich umsehen?«

Ben öffnete die Augen. Sophie stand im Türrahmen.

Wie Svenja.

»Ben?«

Er gab sich einen Ruck.

»Bist du fertig hier?«

Ich muss schrecklich aussehen mit dem Auge, dachte er und nickte.

Sie blieb an der Tür stehen, um sie hinter ihm schließen zu können.

Sag, dass du aufs Klo musst, gleich hier oben, dort ist bestimmt noch eine Kinderzahnbürste, zuckte es in seinem Kopf. Genau das, was ich brauche. Und wenn sie sagt, geh nach unten?

»Hier ist Svenjas Zimmer.« Sophie öffnete vorsichtig die Tür, als hätte sie Angst, jemanden zu verletzen, der sich dahinter aufhielt.

Ein geräumiges, voll ausgestattetes Mädchenzimmer, mit Kinderzeichnungen und bunten Bildern an den Wänden, Regalen voller Spielzeug, einem rosa Kinderbett und einem Schreibtisch, auf dem die Stifte in breiten Behältern zusammengesteckt waren. Dienstbereit, angespitzt und sortiert, als warteten sie nur darauf, endlich wieder von Svenja benutzt zu werden.

Ben ging an Sophie vorbei in das Zimmer, während sie auch diesmal wieder auf der Schwelle stehen blieb, als würde sie etwas davon abhalten, den Raum zu betreten. Sein Blick fiel auf den Teppichboden. Es war nichts zu sehen. Dort neben dem Bett musste sie gelegen haben. Seine Augen verschleierten sich.

Er drehte sich um. Auf einer kleinen Anrichte lagen Svenjas Haargummis. Haarspangen, Haarreifen, flauschige Bänder. Kleine Ringe, Kästchen mit Steinen und Münzen, Schachteln mit Plastikschmuck, Schatullen mit Schminkspielzeug.

»Danke, dass ich mich hier umsehen darf.« Er warf Sophie einen Blick zu. Sie sah ihn gequält an. Sollte er ihr sagen, dass er ein T-Shirt von Svenja in seiner Wohnung gefunden hatte?

Ihn schwindelte, und es kam ihm so vor, als hätte er Fieber. Sie würde es nicht verstehen. Sie würde es der Polizei sagen wollen.

»Sieh mal hier«, sagte er und zeigte auf ein Bild, das über dem Bett an der Wand hing.

Jetzt kam Sophie doch ein paar Schritte zu ihm in das Zimmer.

»Das hat Svenja gemalt?«

Sie nickte. »Wir haben ihre Bilder alle geliebt.«

Ben beugte sich vor, um die Details zu betrachten. »Das ist ein Garten, oder? Mit einem Haus. Und was ist das?«

»Ein Schmetterling, siehst du das nicht?«

»Nein, das hier, hier unten.«

Sophie beugte sich ebenfalls vor, und Ben wandte sich ab, drehte sich um seine Achse. »Ah!«

Er war gegen die Anrichte mit den Schmucksachen gestoßen.

»Pass doch auf!« Sophie standen die Tränen in den Augen. »Reicht es jetzt?«

»Ja.« In seiner Hand brannte es. Sie umschloss ein Haargummi.

»Dann komm, gehen wir.«

Ben wankte zur Tür. Sein Kopf glühte, er ging wie auf einem Wasserbett.

Sophie schloss die Tür hinter ihnen.

Ben wusste, dass er bleich war und tiefe Ringe unter den Augen hatte.

»Danke«, sagte er noch einmal, etwas anderes fiel ihm nicht ein. Sie wird denken, dass mich der Anblick des Zimmers so mitgenommen hat.

Sophie ging über die Galerie voraus.

»Am besten, ich fahr gleich wieder«, presste er hervor, als sie die Treppe hinunterschritten. Er spürte, dass er sie verärgert hatte, weil er gegen die Anrichte gestoßen war. Vielleicht ahnte sie, dass etwas nicht stimmte, dass er ihr etwas verheimlichte.

»Ja«, hörte er ihre Stimme. Sie drehte sich nicht um. »Das ist vielleicht wirklich das Beste.«

Der Architekt
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