57_Jenna
Ich fand schon immer, dass Valentinstag nicht im Februar sein sollte. In einem Monat mit eisigem Wind und Regentropfen, die wie Nadeln stachen. Besser wäre im Frühling oder im heißen, trägen Sommer.
Aber was wusste ich schon? Während andere Mädchen Karten und Teddybären bekamen, machte ich mir nicht mal die Mühe, in den Briefkasten zu gucken.
Ich saß zusammengekauert vorm Fernseher und sah mir mit Charlie die Zeichentrickfilme im Vormittagsprogramm an.
»Jenna«, rief Mum. »Hier ist was für dich.«
Ich marschierte durch die Diele. »Was denn?«
»Ein Brief«, sagte sie, reichte mir einen Umschlag und ging zurück in die Küche.
Name und Adresse stimmten, doch die Postleitzahl fehlte.
Ich öffnete ihn.
Es war eine Karte mit einem Teddybär, der ein großes rotes Herz in Händen hielt. Außer einem X stand dort nichts.
Ich drehte den Umschlag herum. Der Poststempel war verwischt, und ich konnte nicht erkennen, wo der Brief herkam.
Ryan?
Wer sonst?
Und er kennt auch bestimmt unsere Postleitzahl nicht …
Ich ging in mein Zimmer, um nachzudenken. Wenn er es nicht war und ich ihm eine Nachricht schickte …
Aber wenn er es war?
Ich brauchte eine Stunde, bis ich mich entschieden hatte. Für einen Moment hielt ich die Luft an und sandte ihm einen einzelnen Kuss zurück.
Er antwortete nicht.
Als die Rosen nach Ostern wieder zu blühen anfingen, ging ich zum weißen Schneewittchen-Strauch in Lindsays Garten. Ich schnitt eine Rose ab und nahm sie mit zur Brücke. Dort setzte ich mich hin und redete eine Weile mit ihr.
»Ich möchte dir etwas sagen, Lindz. Wahrscheinlich hätte ich nicht den Mut dazu gehabt, als du noch am Leben warst. Vielleicht war es mir damals auch gar nicht klar. Du warst immer diejenige, die die Leute angezogen hat. Die Hübsche. Voller Selbstbewusstsein. Warst so selbstsicher. Du warst wie die Sonne, und ich fühlte mich immer ganz farblos, wenn ich hinter dir hertrottete.«
Ich schwieg und berührte eine perfekt geformte Knospe.
»Aber du warst nicht immer nett, Lindz. Oder freundlich. Zum Beispiel die Sachen, die du über Beth und Leute wie sie gesagt hast. Wie du über sie hergefallen bist, weil sie nicht so hübsch oder beliebt waren wie du. Du hast nie hinter die Fassade geschaut. Nie die Persönlichkeit eines Menschen wahrgenommen. Wenn die Verpackung nicht gut aussah, hattest du kein Interesse.«
Ich holte tief Luft.
»Aber auch hässliche Menschen haben Gefühle, Lindz. Wir sind wie der Rest, und ich finde, das sollte jeder wissen.«