3_Jenna

Ich fand es schön, früh am Samstagmorgen vor dem Rest der Familie aufzuwachen. Das ganze Wochenende lag vor mir und für ein paar Stunden hatte ich alles ganz für mich allein. Ein stilles Haus. Frieden.

In einer Zeitschrift hatte ich einen Artikel darüber gelesen, wie sehr Peelings die Haut zum Strahlen brachten und dass Leute in französischen Spas anscheinend ein Vermögen dafür ausgaben, sich mit scharfen Wasserstrahlen traktieren zu lassen. Deshalb schob ich den Duschkopf so weit nach oben, dass das Wasser hart auf meine Schultern prasselte, während ich meinen ganzen Körper mit einem Luffaschwamm bearbeitete. Als ich mein Gesicht waschen wollte, stellte ich den Duschkopf anders ein. Geringer Wasserdruck, kaltes Wasser. Ich vergaß das nie. Konnte es nicht vergessen.

Ich gönnte mir eine Kopfmassage mit der neuen Haarspülung und ließ sie eine Zeit lang einwirken, bevor ich sie wieder auswusch. Auf der Flasche stand, sie würde mein Haar voll und glänzend aussehen lassen. Als ich mir die Zähne putzte, stoppte ich die Zeit mit einer Uhr – zwei Minuten, wie es der Zahnarzt empfahl. Die Zahnseide musste ich blind benutzen; es gab keinen Spiegel über dem Waschbecken. Als ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam, hatte ich den Handtuchständer dagegengeworfen. Dad trug wortlos die Scherben weg und niemand ersetzte den Spiegel.

Ich setzte mich an meine Frisierkommode, um die Feuchtigkeitslotion und das Sonnenschutzmittel aufzutragen, die der Hautarzt mir verschrieben hatte. Man musste es genau nach Vorschrift machen: erst die Feuchtigkeitslotion einklopfen und dann sorgfältig in die vernarbte Haut einmassieren, damit das Gewebe weich blieb und sich nicht zusammenzog. Mit der Sonnencreme war es leichter, die musste ich einfach nur sanft auf dem Gesicht verteilen. Meine Haut war nun darauf angewiesen.

Ich föhnte meine Haare oberflächlich trocken und brachte sie mit dem Lockenstab kurz in Form, dann sprang ich in eine alte Jeans und ein T-Shirt.

Raggs warf mir einen kurzen Blick zu, als ich mit meinen ausgelatschten Turnschuhen runterkam, und schon rannte er wie wild im Kreis herum. Ich schnappte mir seine Leine und stopfte sie in meine Tasche – zusammen mit ein paar Äpfeln für die Ponys und einem für mich. Er raste wie immer durch den Garten und zu mir zurück – wieder und wieder, als ob er an einem Bungeeseil hing. Ich holte ihn am Gatter ein, durch das man auf die Koppel und hinunter zum Kanal gelangte. Die Koppel gehörte uns, ein halber Hektar Land umgeben von einer hohen Weißdornhecke zum Schutz für die Ponys. Nachdem Lindsays Pferd Clover verkauft worden war, sollte Scrabble wieder Gesellschaft bekommen. Deswegen hatten wir uns Ollie, das Shetlandpony, angeschafft. Als Clover fort war, fühlte es sich für mich an, als sei Lindz noch einmal gestorben. Aber Dad meinte, es sei besser so. Denn kein Vater könne es ertragen, das Pferd seiner toten Tochter über die Felder galoppieren zu sehen.

Ich pfiff nach den Pferden, und Ollie kam als Erster, angetrieben von seinem kleinen gierigen Magen. Die Ponys kauten auf den Äpfeln herum und schnaubten durch ihre samtigen Nüstern. Raggs rannte an der Hecke entlang, die Nase am Boden, und folgte Kaninchenspuren.

Durch die Bäume konnte ich das Haus von Lindsays Eltern deutlich erkennen, ein gregorianisches Herrenhaus, das unser altes Bauernhaus winzig aussehen ließ. Eine Gestalt in Schlafanzug und braunem Bademantel stand im Garten. Sie stand einfach da und starrte auf die Rosensträucher, still wie eine Statue. Mr Norman. Ich hatte Lindsays Vater seit Wochen nicht gesehen. Ein paar Minuten lang beobachtete ich ihn und fragte mich, was er da machte, dann drehte er sich um und schlurfte zurück ins Haus, gebeugt wie ein alter Mann.

Es war das Beste, heute nicht an Lindz zu denken. Nicht an so einem friedlichen Morgen. Der Schmerz konnte mich jederzeit packen, er war immer noch zu frisch.

Ich klopfte den Ponys den Hals und folgte Raggs über das Feld, bis wir zu dem Dickicht kamen, das den Pfad hinunter zum Kanal säumte. Nur wenige Leute benutzten den Weg, seit er so überwuchert war. Raggs verschwand im Unterholz. Er kannte unsere Strecke so gut wie ich, also kümmerte ich mich nicht darum, sondern konzentrierte mich darauf, mir einen Weg durch die Brennnesseln zu bahnen. Die Blätter der Weiden über unseren Köpfen waren immer noch blassgrün. Bald würden sie gelb werden und abfallen. Raggs und ich würden sie dann beim Spazierengehen aufwirbeln. Er hatte noch nie die Blätter fallen sehen – es würde sein erster Herbst werden, und er fand es bestimmt großartig.

Ich schob einen Zweig zur Seite und erreichte den Pfad am Kanal. Raggs war schon da und pinkelte an einen Baum. Ich klopfte gegen mein Bein und er kam an meine Seite. Gemeinsam schlenderten wir den Kiesweg entlang. Nach ein paar Metern blieb er plötzlich stehen, sein ganzer Körper zitterte vor gespannter Wachsamkeit. Ich blickte hoch, weil ich herausfinden wollte, was Raggs gesehen hatte – wahrscheinlich einen Reiher oder etwas in der Art.

Dann blieb ich auch stehen.

Da war kein Reiher.

Vor uns hatte ein Hausboot festgemacht. Ein Junge stand am Ufer und putzte die Bootsfenster.

Er war barfuß und hatte nichts an außer Shorts. Sein Haar hatte die Farbe des Honigs, den Mum immer im Hofladen kaufte, und seine Haut war im gleichen Farbton gebräunt.

Ich zog mich zwischen die Bäume zurück und beugte mich vor, um Raggs am Halsband zu packen. Wir würden den anderen Weg nehmen müssen, doch der dämliche Hund zuckte zurück. Ich klopfte wie verrückt auf mein Bein, aber er beachtete mich gar nicht. Stattdessen machte er ein paar Schritte auf den Jungen zu.

»Komm zurück«, flüsterte ich. »Komm zurück

Raggs zappelte herum und tänzelte mit den Vorderpfoten auf der Stelle, dann hatte er eine Entscheidung getroffen. Kläffend rannte er zum Boot.

»Nein! Raggs! Bei Fuß! Bei Fuß!«

Aber er war weg und ließ mich zwischen den Bäumen zurück.

Skin Deep - Nichts geht tiefer als die erste Liebe
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