21_Jenna
Als ich in den Klassenraum kam, sah Beth mich verärgert an. »Und? Erzählst du mir jetzt, wohin du am Samstag verschwunden bist? Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht und du hast nur zwei mickrige SMS geschickt.«
»Ich war beschäftigt.« Ich lächelte entschuldigend.
»Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe? Nachdem du abgehauen bist, war im Klub von nichts anderem die Rede.«
»Ach! Dann weiß inzwischen jeder davon?«
Beth biss sich auf die Lippen. »Es hat wohl schon die Runde gemacht, Jen. Drei Leute haben mich heute Morgen darauf angesprochen. Im Ernst, jeder scheint sich ziemlich über den Typen aufzuregen.«
Es kam mir in den Sinn, dass ich sauer auf Ryan sein sollte. Wenn er Ed nicht geschlagen hätte, würde niemand außer diesen Rugbyidioten wissen, was gelaufen war. Aber ich konnte einfach nicht wütend auf ihn sein.
»Wie geht es dir?«, fragte Beth und musterte mich besorgt.
»Gut.«
Sie sah mich streng an und wartete, dann seufzte sie und gab es auf. »Na schön, wenn du es sagst.« Sie grinste. »Erzähl mir mal, wie ist er so – dein edler Ritter?«
»Wir sind nur Freunde.«
»Muss ein sehr guter Freund sein. Sie hätten ihm den Schädel einschlagen können.«
Ich lachte. »Ich glaube nicht, dass er darüber nachgedacht hat. Er hat einfach die Beherrschung verloren.«
»Hat er dich nach Hause gebracht?«
»Ja, er wohnt ganz in meiner Nähe.«
»Mann, diese Sadie hat gekocht vor Wut. Du hättest sie hören sollen.«
»Geschieht ihr recht. Sie verdient ihn nicht.«
Beths Augen wurden groß. »Oh, du magst ihn!«
Ich schnaubte. »Na und? Keine Sorge – er ist unter ›Super Typ, aber unerreichbar‹ abgespeichert.« Ich tippte mir mit dem Finger an den Kopf.
»Er sieht echt gut aus«, bestätigte Beth. »Wie heißt er denn?«
»Ryan.«
»Und woher kennst du ihn?«
»Vom Spazierengehen mit Raggs. Ich habe ihn ein paarmal getroffen. Wir haben uns einfach unterhalten.«
»Es war so süß von ihm, dass er sich für dich eingesetzt hat.«
Ich musste kichern – ich bezweifelte, dass es Ryan gefallen hätte, als »so süß« bezeichnet zu werden. Es passte nicht zu dem Bild, das er von sich selbst hatte. Ich wechselte das Thema und redete darüber, wie toll Max war, was Beth total glücklich machte.
Später am Nachmittag fuhr Mum mich nach einem weiteren Termin im Krankenhaus nach Hause. Normalerweise wäre ich froh gewesen, eine Doppelstunde Bio schwänzen zu dürfen, doch nicht, wenn mich stattdessen der Hautarzt mit Fragen und Untersuchungen quälte.
»Das ist doch sehr gut gelaufen, oder?«, sagte Mum, als wir vom Parkplatz fuhren.
»Ja.«
»Dass du das mit der Maske durchgehalten hast – und ich weiß, wie furchtbar das für dich war –, hat sich am Ende doch ausgezahlt. Dr. Morrison war sehr zufrieden, stimmt’s?«
»Ja.«
Sie warf mir einen Blick zu. »Die Narbe wird weiter verblassen. Du hast ja gehört, was er gesagt hat. Warum benutzt du jetzt nicht öfter das Make-up? Als du mit Beth aus warst, hast du es doch ganz prima hingekriegt. Es überdeckt die Röte und die macht dir doch zu schaffen. Und wenn du erst genügend Routine hast, geht das Auftragen ganz schnell.«
»Guck auf die Straße, Mum.«
Sie biss sich auf die Lippen. »Tut mir leid. Wollen wir uns in Whitmere eine DVD ausleihen? Wir könnten uns vor den Kamin kuscheln und einen Mädelsnachmittag machen.«
»Einverstanden.«
»Ich finde nicht, dass du deine Haut verstecken musst. Ich glaube einfach, du würdest dich dann besser fühlen. Du weißt doch, dass ich mir ohne Make-up immer wie eine hässliche alte Hexe vorkomme. Und du erinnerst dich bestimmt noch, wie du mich früher dauernd bedrängt hast, damit ich dir erlaube, welches zu benutzen.«
Mum hatte recht. Sie wollte mir einfach nur helfen, doch ich war nicht in der Stimmung dafür. Als er mit mir über meine Fortschritte sprach, hatte Dr. Morris mich gezwungen, in den großen Spiegel zu schauen.
»Ich bin sehr zufrieden mit deinem Hals«, sagte er und zeigte gleichzeitig darauf. »An dieser Stelle des Körpers ist die Heilung immer besonders schwierig. Die Haut neigt hier dazu, zu spannen oder Falten zu bilden, bei dir ist das alles ziemlich glatt.« Für mich sah es anders aus. »Es gibt keine Gewebefalten, die deine Gesichtszüge nach unten ziehen – das ist sehr gut. Es war die richtige Entscheidung, die Kompressionsmaske nach sechs Monaten wegzulassen. Wir haben Glück, dass es so gut heilt.« Ich wusste, dass sechs Monate die Mindestzeit war. Wenn die Dinge schlechter gelaufen wären, hätte ich sie zwei Jahre tragen müssen. »Massierst du deine Haut zweimal am Tag?« Ich nickte. »Gut, gut. Mach weiter so. Nicht dass alle Anstrengung umsonst war.« Er drehte meinen Kopf, um meine Wange genauer zu untersuchen. »Im Gesicht ist es auch sehr gut geworden. Und wie sieht es in dir drin aus? Deine Mutter sagt, dass du wieder in die Schule gehst und auch sonst etwas unternimmst.«
»Ja.«
»Und wie läuft das?«
»Ganz gut.«
Ich wünschte, er würde den Spiegel wegstellen. Das sah Ryan also, wenn er mich anschaute. Wie konnte ihm davon nicht schlecht werden? Er sagte, es seien nur Narben. Vielleicht sah er das wirklich so? Andererseits musste er mich ja auch nicht küssen. Sonst würde er bestimmt anders empfinden.
»Jenna? Jenna!« Mum holte mich in die Gegenwart zurück. »Was für einen Film möchtest du denn sehen? Irgendwelche Vorschläge?«
»Irgendwas Lustiges.« Bitte, irgendwas Lustiges. »Ein Disney-Film?« Irgendein Kinderkram, wie ich ihn mir angesehen hatte, als alles noch normal war. Ein Märchenfilm.