16_Ryan

Als ich mit dem Essen zurückkam, telefonierte Jenna. »Nein, mir geht es gut. Ich bin mit einem Freund zusammen … Wir trinken einen Kaffee. Nur zehn Minuten entfernt. Wir reden später … Ja, ich ruf dich an. Ach, ich weiß nicht genau. Eine halbe Stunde – es wird sich schon alles finden.« Sie klappte das Handy zu. »Meine Freundin Beth. Sie hat gemerkt, dass ich weg bin.«

»Hier sind Burger, Pommes, Kaffee, Donuts.« Ich setzte mich ihr gegenüber. »Fährst du mit Beth nach Hause?«

Jenna knabberte lustlos an einem Pommesschnitz. »Mmh, um ehrlich zu sein, habe ich gerade keine große Lust, mit ihr zu sprechen. Ich habe gehört, wie sie mit ihrem Freund über mich geredet hat.«

»Und?«

»Sie hat Sachen gesagt, die mich verletzt haben. Wie sehr ich mich verändert hätte und dass ich mit keinem Menschen mehr reden würde und …« Sie legte den halb aufgegessenen Pommesschnitz zur Seite.

»Und, stimmt das?«

Ihre Lippen zitterten und sie presste sie zusammen. »Wahrscheinlich schon.«

Ich zog den Verschluss von der Ketchupflasche, nahm ihren abgelegten Pommesschnitz, drückte ein bisschen von der roten Soße darauf und führte ihn zu ihrem Mund. »Aufmachen!«

Sie sah mich an, als ob ich verrückt wäre. »Nein.«

»Mach ihn auf oder ich spiele Flugzeug mit dir.«

Sie lächelte fast. »Was spielst du mit mir?«

»Flugzeug. Hat deine Mutter das nie gemacht, wenn du nicht essen wolltest?«

»Nein.«

»Wahrscheinlich musstest du nie Tofu essen.« Ich ließ das Ding durch die Luft fliegen. »Brrrrmmmm, brrrmmmm, Linkskurve, Kurve, Kurve … und … Kurs auf die Landebahn.« Ich steckte ihr den Pommesschnitz in den Mund. »Muss ich das jetzt die ganze Zeit machen oder isst du sie freiwillig?«

Sie schluckte und nahm sich die nächste Portion. »Ich bin keine drei mehr.«

»Ist doch egal.« Ich biss in meinen Burger. »Mann, das ist unglaublich lecker!«

»Und mir erzählen sie immer, ich würde zu selten ausgehen.«

»Ich bin Veganer, weißt du.«

»Äh, klar. Und das ist ein Fehltritt, oder was?«

»Absolut. Verdammt, das ist besser als Sex!«

Sie kicherte. »Das solltest du dieses Mädchen besser nicht hören lassen.« Ihr Lächeln erlosch. »Die war richtig sauer. Sie verzeiht dir doch, oder?«

Ich schlang den restlichen Burger hinunter. »Ich glaube kaum. Und selbst wenn, wer sagt, dass mich das noch interessiert?«

»Aber sie mag dich. Sonst wäre sie nicht so wütend gewesen.«

»Sie wird’s überleben.«

»Das ist nicht sehr nett«, sagte Jenna mit leiser Stimme.

»Sie war auch nicht sehr nett zu dir.«

»Ich hab dir den Abend versaut.«

»Hast du nicht. Sei still und iss deinen Burger.«

»Wenn du mit ihr auch so redest, ist klar, warum sie Schluss gemacht hat.«

»Na, dann hat sie doch noch mal Glück gehabt. Fühlst du dich jetzt besser?«

Sie verbarg ihr Lächeln hinter vorgehaltener Hand und aß ihren Burger, während ich mich über meine Pommes hermachte.

»Sprichst du jemals über den Unfall?«, fragte ich, als sie an ihrem Kaffee nippte.

»Nein.«

»Erzähl mir davon.«

»Nein! Ich kenne dich doch kaum.« Ihre Hand, die den Becher hielt, fing an zu zittern.

»Ich bin ein guter Zuhörer. Vielleicht probierst du es mal.«

»Warum?« Jenna knallte den Becher auf den Tisch und Kaffee spritzte heraus. Sie zeigte auf ihr Gesicht. »Damit du endlich ganz genau weißt, woher ich das hier habe?«

»Es sind nur Narben. Das bist nicht du.« Ich wischte den Kaffee mit einer Papierserviette weg. Sie starrte mich an, wieder füllten sich ihre großen blauen Augen mit Tränen, und ich fühlte mich beschissen.

»Wenn es nur Narben sind, warum starren mich die Leute dann an? Du hast mich angestarrt. Warum benehmen sich alle anders, wenn ich dabei bin? Hast du eine Ahnung, wie es ist, über die Straße zu gehen und zu erleben, dass kleine Kinder auf dich zeigen und ihre Mütter fragen, warum du so schrecklich aussiehst? Dass dich keiner mehr direkt anschauen kann, weil ihm sonst schlecht wird?«

»Mir ist nicht schlecht geworden. Ich habe dich angestarrt, weil ich überrascht war. Und dann habe ich gedacht, dass das, was die Narben verursacht hat, wirklich wehgetan haben muss. Und dass ich völlig falschlag mit meiner Vermutung, warum du deinen Hund nicht geholt hast. Dass ich mich wie ein Vollidiot benommen hatte. Aber mir ist bestimmt nicht schlecht geworden.«

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.

»Nein, bitte nicht!« Ich ging um den Tisch herum und setzte mich neben sie. »Nicht weinen. Ich bringe dich immer zum Weinen und dann fühl ich mich wie ein richtiges Arschloch.«

»Warum hat er das gemacht?«, murmelte sie durch ihre Finger hindurch.

Ich legte meinen Ellbogen auf ihre Schulter und streichelte ihr Haar. Es fühlte sich wie die Seide an, aus der Mum die Schmucksäckchen machte. »Weil er ein totaler Wichser ist. Mochtest du ihn?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, er war langweilig und …«

»Aha, und?«

»Es war schrecklich, ihn zu küssen. Siehst du? Mit mir stimmt was nicht.«

Ich wollte nicht grinsen, konnte es mir aber nicht verkneifen. »Dein erster Kuss?«

»Sei still!«

»Okay, das heißt Ja. Hey, sieh mich an. Ich lache nicht über dich. Über ihn schon, aber nicht über dich.« Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht deine Schuld, dass du es schrecklich fandest. Hätte er mich geküsst, hätte ich das auch schrecklich gefunden.«

Sie gab einen überraschten Laut von sich, der ein Lachen hätte sein können, wenn sie nicht so traurig gewesen wäre. Sie fand mich komisch – gut.

»Was hat dir daran nicht gefallen?«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Los, komm, erzähl’s mir. Mit allen Einzelheiten.«

Das ließ ihre Tränen versiegen und sie hob ruckartig den Kopf. »Nein!«

Ich packte sie. »Erzähl’s mir oder ich kitzele dich durch.«

Sie versuchte, ihre Arme aus meinem Griff zu befreien. »Hör auf. Lass mich.«

»Hat er dir die Zunge in den Mund gesteckt?«

»Ja. Ja, hat er. Und es war ekelhaft. Kapiert? Bist du jetzt zufrieden? Lass mich los!« Ich nahm meine Hände weg und sie rutschte ans andere Ende der Bank. »Du bist furchtbar!«

Ich lehnte mich auf den Tisch und grinste sie an. »Es hat dir nicht gefallen, weil er es nicht konnte. Das liegt nicht an dir, sondern an ihm. Er weiß nicht, wie es richtig geht. Ich wette, dass ich recht habe.«

Sie runzelte die Stirn. »Glaubst du?«

»Nein. Ich weiß es.«

»Woher?«

»Keiner, der Ahnung hat, würde dir so schnell unters Top greifen. Vertrau mir. Er ist gestört, nicht du. Und außerdem sieht er scheiße aus. Du hast was Besseres als ihn verdient.«

Um ihren Mund herum zuckte es und ich nickte ihr treuherzig zu. Sie biss sich auf die Lippen. Dann konnte sie sich nicht länger beherrschen und prustete los.

Ich zwinkerte. »Schon viel besser. Also, erzählst du mir nun von dem Unfall oder vertraust du mir immer noch nicht?«

Sie musterte mich ganz genau, als ob sie misstrauisch wäre. »Darum geht es nicht. Ich spreche nicht darüber. Mit niemandem.«

Ich klopfte auf die Bank. »Mag sein, aber bei mir ist es was anderes. Ich mache einfach immer so weiter, bis du es mir erzählst. Also komm her und bring es hinter dich.«

Sie seufzte tief, aber dann rutschte sie wieder zu mir rüber, und ich setzte mich so hin, dass ich sie vor allen Blicken abschirmte. »Gut so, schau mich an. Keiner hier kann dich sehen. Nur ich. Ich will, dass du mir alles erzählst. Egal, wie lange es dauert. Ich habe nichts anderes vor. Wir haben jede Menge Zeit.« Ich klopfte ihr mit dem Finger unters Kinn. »Erzähl es mir. Bitte. Ich verspreche dir, dass du dich danach besser fühlst. Und wenn nicht, darfst du mich schlagen.«

Jenna legte die Stirn in Falten. »Ich will dich nicht schlagen.«

»Tja, aber du darfst es trotzdem. Ich sitze hier, du kannst mir auf den Kopf hauen, und ich werde kein Wort sagen. Nicht einen Pieps. Vielleicht heule ich ein bisschen, aber das mache ich ganz lautlos. Wie oft bekommt man schon so ein Angebot?«

Sie wirkte unentschlossen und versuchte, sich ein Lächeln zu verkneifen … irgendwie gab mir das einen Kick, was seltsam war. Ich würde jetzt auf keinen Fall aufgeben. Ich blickte auf unsere Beine, die sich fast berührten. Sie war nicht mehr so distanziert, also fühlte sie sich ganz wohl in meiner Gegenwart. Ich spürte, dass sie mein Gesicht betrachtete, und blickte sie unter gesenkten Wimpern an – manchmal wirkte das bei Mädchen. »Bitte! Wenn du es nicht tust, fühle ich mich wie ein Versager.«

Ihr Widerstand bröckelte und sie schaute schnell zur Seite.

Aha, es gefällt dir also, wenn ich das mache. Das merke ich mir. Ich war nicht sicher, warum ich es mir merken wollte, aber egal – es ging jetzt um sie, nicht um mich.

Sie seufzte wieder. »Na schön, wenn du dann endlich Ruhe gibst. Eigentlich will ich nicht, aber –«

Ja! Ich hab sie so weit! »Spuck es einfach aus, die ganze Geschichte. Denk gar nicht drüber nach. Tu es einfach.«

Mit ihren Augen fixierte sie einen Punkt hinter mir. »Okay, ich denke, ich sollte bei Lindsay anfangen.«

Skin Deep - Nichts geht tiefer als die erste Liebe
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