22_Ryan

Zum ersten Mal war ich froh, Feierabend zu haben. Als ich die Hälfte des Heimwegs hinter mir hatte, bekam ich eine SMS – Jenna wartete mit dem Hund auf mich. Ich stellte mein Fahrrad auf der Koppel hinter ihrem Haus ab und traf mich mit ihr an der vorderen Gartenpforte. Ihr Blick richtete sich auf meinen Kiefer.

»Ich habe gar nicht gemerkt, dass es so schlimm war.« Sie hob ihre Hand zu meinem Gesicht und ließ sie dann wieder fallen.

Die Stellen, an denen Steven Carlisle mich erwischt hatte, waren erst heute richtig sichtbar geworden, und ich hatte überall am Kinn blauviolette Flecken. Aber er hatte mit Sicherheit auch welche, deshalb war es mir egal. »Mir geht’s gut.«

»Das sagst du immer«, regte sie sich auf.

Der besorgte Ausdruck in ihren Augen, als sie mich nach weiteren Verletzungen absuchte, gefiel mir. Bestimmt konnte ich mir ein bisschen Mitgefühl ergaunern, sie würde mich gern trösten. Im Vergleich zu einer Verbrennung im Gesicht war ein Schlag aufs Kinn aber wirklich gar nichts. Ich hätte mich geschämt, wegen ein paar blauer Flecken die Mitleidstour zu fahren.

Wir liefen los, raus aus dem Dorf. Es wurde langsam dunkel, und ich wechselte auf ihre andere Seite, damit ich außen ging, falls ein Auto kam.

»Wie war’s in der Schule?«

»Ach, ganz gut«, sagte sie kurz angebunden. »Alle wussten über Samstagabend Bescheid und das war … nun ja … aber ich war nicht sehr lange da. Ich hatte heute Nachmittag einen Termin im Krankenhaus und Mum hat mich um zwölf abgeholt. Danach haben wir auf dem Sofa rumgelümmelt, Fernsehen geguckt und ungesundes Zeug gegessen.«

»Deine Mum erlaubt dir, ungesundes Zeug zu essen?«

»Mmmh, manchmal. Sie hat Chips mit Dip gekauft und wir haben uns Marshmallows für den Kakao geröstet.«

Ich funkelte sie an. »Wenn ich heute Abend meinen Tofu esse, werde ich dir nie verzeihen, dass du mir das erzählt hast.«

Ein Auto kam in Sicht, und wir warteten auf dem Randstreifen, bis es vorbeigefahren war.

»Und warum warst du im Krankenhaus?«

»Nur zur Kontrolle.« Und wieder war sie kurz angebunden.

»Wie ist es gelaufen?«

»Ganz gut.«

Ich stupste sie mit dem Ellbogen an.

Sie seufzte. »Ich war beim Hautarzt. Und es war wirklich in Ordnung. Er ist zufrieden mit der Heilung, seit die Maske ab ist. Ich muss jetzt länger nicht mehr hin.«

»Hey, das ist doch gut! Freust du dich?«

»Schon.« Sie zögerte. »Ich wünschte trotzdem, die Rötung würde schneller weggehen. Er hat gesagt, es kann bis zu zwei Jahre dauern.«

Ich wollte irgendwas sagen, damit sie sich besser fühlte, aber mir fiel nichts ein. Stattdessen nahm ich ihre Hand und drückte sie. Manchmal war es leichter für mich, einfach etwas zu tun, als die richtigen Worte zu finden.

»Mum und ich haben uns danach unterhalten«, sagte sie langsam. »Ich werde dieses Make-up jetzt öfter benutzen. In der Schule, beim Einkaufen und … ach, fast die ganze Zeit.«

»Und willst du das denn nicht?«

»Es ist schwer zu erklären. Ich will, dass es besser aussieht. Aber um das Make-up aufzutragen, muss ich ständig in den Spiegel gucken. Und dann … tja, ich weiß auch nicht … dann muss ich akzeptieren, dass die Narben nie mehr verschwinden. Ich kann nicht mehr so tun, als ob sie nicht da wären, auch wenn das ja sowieso nichts nützt. Ich weiß, das ergibt keinen Sinn.«

Ich hätte diesem Carlisle seine Scheißfresse kurz und klein hauen sollen.

»Tut mir leid«, murmelte sie. »Das willst du alles bestimmt gar nicht hören.«

»Doch, will ich, sonst hätte ich nicht gefragt.«

»Hast du Sadie getroffen?«, fragte sie, was ihr zweifellos den ersten Preis für den alleroffensichtlichsten »Ich will nicht mehr drüber reden«-Themenwechsel eingebracht hätte.

»Hab ich.«

»Und?«

»Es ist vorbei. Endgültig. Also muss ich mir keine Gedanken mehr darüber machen, ob sie mir den Laufpass gibt. Der Tag ist für uns beide gut gelaufen.«

Sie sah mich zweifelnd an, doch ich schenkte ihr mein strahlendstes Lächeln.

Wir drehten eine große Runde, und sie fragte mich über meine Arbeit und die Boote aus, bis es zu dunkel wurde und ich sie zurück nach Hause brachte. »Simst du mir morgen?«, fragte ich, während ich mein Fahrrad holte.

»Okay, ich bring dir ein paar Marshmallows mit.«

Ich schniefte. »Geröstete?«

»Selbstverständlich.« Sie grinste mich an.

»Dann ist ja alles gut.«

Skin Deep - Nichts geht tiefer als die erste Liebe
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