Anhang
Kandidaten für den Punkt ohne Wiederkehr im Klimawandel und was jetzt dagegen zu tun ist
von Violet Hurst
Teil I: Kandidaten für den Punkt ohne Wiederkehr
November 2010. Amerikaner, die glauben, ihr dringlichstes Problem sei, dass Reiche und Unternehmen nicht genügend Freiheiten haben, um sie zu verarschen, wählen eine republikanische Mehrheit ins Repräsentantenhaus.[73]
Im Dezember, einen Monat bevor John Boehner Sprecher des Hauses wird, sagt ein Sprecher von ihm: »Der Sonderausschuss für globale Erwärmung ist von den Demokraten nur als politisches Deckmäntelchen für ihre arbeitsplatzvernichtende Energiesteuer geschaffen worden. Er ist überflüssig, und im 112. Kongress brauchen die Steuerzahler ihn nicht mehr zu finanzieren.« Im Februar führen die Republikaner Gesetze ein, die der Umweltschutzbehörde verbieten, den Ausstoß von Treibhausgasen regulieren zu wollen. Der Abgeordnete Darrell Issa aus Kalifornien, mutmaßlicher Autodieb und Brandstifter, jetzt aber designierter Chef des House Oversight Committee, der bereits die Finanzierung der Klimaforschung als einen »Tsunami[74] der Beschränktheit, Verschwendung, Täuschung und des Missbrauchs« bezeichnet hat, kündigt die nächste Untersuchung von »Climategate« an, der Pseudo-Betrugsgeschichte, die schon durch fünf vorherige Untersuchungen widerlegt worden ist.[75]
Das Datum ist wichtig, und so erhebt sich die ewige Frage, wer von diesen Arschlöchern genau weiß, dass sich das Klima ändert, und nur für sich und die Seinen noch möglichst viele Vorteile herausschlagen will, bevor es für die Menschen ans Sterben geht, und wer von ihnen so dämlich oder so blind vor Angst ist, dass er wirklich nicht sieht, was los ist.
Aber mit dem Punkt ohne Wiederkehr hat das schon nichts mehr zu tun.
Januar 2010. Der US Supreme Court entscheidet, dass Unternehmen, obwohl sie niemals sterben oder Knast schieben, die gleichen im ersten Verfassungszusatz verbrieften Rechte haben wie Menschen – also auch das Recht, unbegrenzte Geldsummen für politische Werbung auszugeben.[76]
Diese Entscheidung zerstört jegliches etwa bestehende Gleichgewicht zwischen Menschen und Körperschaften in den Vereinigten Staaten und schwächt die Demokratie überhaupt, kommt für eine Kandidatur aber ebenfalls schon viel zu spät.
April 2009. Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz. In Erinnerung bleiben besonders die Unnachgiebigkeit der USA und Chinas sowie das mangelnde Interesse der Öffentlichkeit, nachdem bekannt wurde, dass der Golfprofi Tiger Woods mit Frauen geschlafen hatte, mit denen er nicht verheiratet war.[77]
Aussichtsloser Kandidat, so gern man auch sieht, dass Golf und die Freunde des Golf[78] noch mehr tun, um die Umwelt kaputtzumachen.
Dezember 2000. Nachdem die Vereinigten Staaten Al Gore gewählt haben, verbietet der Oberste Gerichtshof die korrekte Zählung der Stimmen aus Florida und macht George W. Bush zum Präsidenten.
Katherine Harris[79], republikanisches Miststück und Secretary of State von Florida, die von Amts wegen die Wahlen in Florida beaufsichtigt, obwohl sie Mitorganisatorin des Wahlkampfs von George W. Bush in Florida ist, provoziert den Fall, indem sie die Auszählung stoppt.
Wegen dieses Klassikers vergisst man gern, dass bis dahin immer noch das Märchen galt, die obersten Bundesrichter seien apolitisch. 1987 etwa meinte der republikanische Senator Orrin Hatch: »Wenn erst die Richter [des Supreme Court] anfangen, ihre Urteile an politischen Kriterien auszurichten, geht uns das juristische Vernunftdenken verloren, das in den vergangenen 200 Jahren stets dazu beigetragen hat, politischen Eifer und Übereifer im Zaum zu halten.«[80]
Ein aussichtsreicher Bewerber. Al Gores Reichtum stammt wie der von George W. Bush aus dem Verkauf politischer Gefälligkeiten an Ölgesellschaften,[81] und Gores Vizepräsidentschaftskandidat erwies sich später als gänzlich an Geschäftsinteressen orientiert. Aber in Wirklichkeit ist kaum anzunehmen, dass Gore der Umwelt einen schlechteren Dienst hätte erweisen können als Bush.[82]
Wenn man diese Option wählt, übersieht man jedoch die Rolle des selbstverliebten Abstaubers Ralph Nader von den »Grünen« und verschließt die Augen davor, dass die Wahl nur gestohlen werden konnte, weil genügend Leute von sich aus Bush und Nader gewählt haben. Schreibt’s euch auf eure Grabsteine, ihr Armleuchter.
Juli 1997. Der Senat (mit Al Gore) verabschiedet einstimmig die Byrd-Hagel-Resolution, in der die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls mit der Begründung abgelehnt wird, dass auch China es nicht ratifiziert hat.
Ein hübscher Fall von »Ihr könnt uns alle – wir uns auch!«, und die Anerkennung der Beschlüsse von Kyoto hätte einen Präzedenzfall für internationale Zusammenarbeit im Umweltschutz geschaffen. An sich war das Kyoto-Protokoll aber ohnehin zu schwach, um den Klimawandel entscheidend zu verlangsamen.
November 1979 – Januar 1981. Iran nimmt während der Carter-Regierung 66 Amerikaner als Geiseln und lässt sie erst sechs Minuten nach Beginn der Reagan-Regierung frei,[83] was viele Amerikaner überzeugte, ein geschickter optimistischer Handlanger der Wirtschaft sei irgendwie doch besser als ein – zugegeben – Spinner, der, obwohl er selbst am Öl verdiente, zumindest behauptete, er wolle die USA weniger abhängig von ausländischem Öl machen. Als Umweltschützer waren Reagans Beauftragte – wie etwa die EPA-Chefin Anne Gorsuch, die eine Umweltpolitik auf Bundesebene überflüssig fand und als erste Behördenleiterin der Geschichte wegen Missachtung des Kongresses abgestraft wurde – tatsächlich noch schlimmer als die von George W. Bush.
Auch das ist eine gute Möglichkeit. Bis 9/11 waren die Feindseligkeiten Irans für die USA der deutlichste Hinweis darauf, was passiert, wenn die Ölindustrie die Politik bestimmt. Dass man kurzsichtig so tat, als wäre nichts gewesen, ist bis heute kennzeichnend für die amerikanische Politik.
Für das Jahr 1979 spricht außerdem noch mehr. Es war zum Beispiel das Jahr, in dem die Saudi-Milliardäre Salem bin Laden (Cousin von Osama bin Laden) und Khalid bin Mahfouz (Schwager von Osama bin Laden) das Startkapital für Arbusto lieferten, George W. Bushs erstes geschäftliches Unternehmen. Und David Koch (s.o.) kandidierte als Vizepräsident, ein Abenteuer, das ihn und seinen Bruder dazu gebracht haben soll, den politischen Wandel fortan lieber versteckt als offen anzustreben.
November 1962. Ein von JFK beim Committee on Natural Resources of the National Academy of Sciences/Natural Resource Council in Auftrag gegebener Bericht sagt voraus, dass die Gewinnung unbegrenzter sauberer Energie aus Atomkraft »innerhalb eines Jahrzehnts, eher innerhalb einer Generation« möglich werden könnte, und bringt damit (so heißt es) die Regierung Kennedy und nachfolgende Regierungen zu der Überzeugung, dass Natur- und Umweltschutz vernachlässigt werden können.[84]
Ernsthafte Klimafreaks entscheiden sich oft hierfür, hauptsächlich aber, damit sie sich auf Tagungen gegenseitig erkennen. Ich persönlich bin davon nicht so überzeugt. Wer glaubt, dass irgendjemand diesen Bericht gelesen, ernst genommen und politische Entscheidungen darauf gegründet hat, muss auch annehmen, dass dieselben Leute Sätze in dem Bericht gelesen – und komplett ignoriert – haben, wie den folgenden:
»Der Mensch verändert das Gleichgewicht eines relativ stabilen Systems mit seiner Verschmutzung der Atmosphäre durch Rauch, Dämpfe, Partikel fossiler Treibstoffe, Industriechemikalien und radioaktiver Stoffe; er verändert den Energie- und Wasserhaushalt auf der Erdoberfläche durch Entwaldung, Aufforstung [m.E. vielleicht nicht ganz so problematisch], Ackerbau, Beschattung, Mulchen, Überweidung von Weideland, Verminderung der Evapotranspiration [die entscheidende Phase des Wasserkreislaufs, in der Pflanzen über ihre Blätter Wasser abgeben, um den Sog zu erzeugen, der Nährstoffe in ihren Kreislauf zieht], künstliche Bewässerung, Entwässerung großer Sumpfgebiete und den Bau von Städten und Schnellstraßen; durch das Abholzen von Wäldern und Verändern der Pflanzendecke, Verändern der Reflektivität der Erdoberfläche und der Bodenstrukturen; durch Geländeauffüllung, den Bau von Gebäuden und Deichen und durch Verschmutzung, durch radikale Veränderung des Haushalts von Mündungsgebieten; er verändert das biologische Gleichgewicht und die Lage von Wasserbecken durch die Errichtung von Dämmen und Kanalsystemen, die das natürliche Gleichgewicht und die geographische Lage von Wasserbecken verändern; und durch immer mehr Mengen an Kohlendioxyd, die Industriegesellschaften in die Atmosphäre entlassen.«
Außerdem ist der Gedanke, dass dieser Mist schon 1962 bekannt war und kein Mensch was dagegen unternommen hat, so deprimierend, dass selbst ich nicht dabei verweilen möchte.
1953. Die Werbeagentur Hill & Knowlton denkt sich für die Tabakindustrie die Strategie der »konstruierten Kontroverse« aus: Unternehmen lassen von bezahlten Spinnern wissenschaftlich bewiesene Konzepte anzweifeln und werfen der Presse dann Parteilichkeit vor, wenn ihren Puppen nicht genauso viel Platz eingeräumt wird wie den Leuten, die wissen, wovon sie reden.
Meiner Meinung nach ist das ein sehr aussichtsreicher Kandidat. Die Masche ist verbreiteter denn je (heute gern »Pseudo-Äquivalenz« genannt) und modifiziert worden nach dem Motto, je extremer die fingierte abweichende Meinung, desto weiter kann man – solange die unendlich geduldigen Medien mitspielen – den »gemäßigten« Standpunkt von der Wahrheit wegrücken.
1895. Henry Ford, damals leitender Angestellter bei der Edison Illuminating Company, verlegt sich auf die Forschungsarbeit zu Benzinmotoren. Alternativ: 1870 (erster mobiler Benzinmotor), 1860 (erster fabrikmäßig hergestellter Verbrennungsmotor), 1823 (erster industriell genutzter Verbrennungsmotor) usw.
Ich bezeichne Erfindungen und Entdeckungen ungern als Katastrophen. Technologie ist nicht böse, sie entwickelt sich nur einfach schnell ohne klare Ziele und Moral, so dass wir immer den Platz des Menschen in der so entstehenden Welt verteidigen müssen. Dass Technologie sich benimmt, als wäre sie böse, liegt an unternehmerischer Habgier. Wie 1922, als General Motors sich daranmacht, das gut funktionierende Straßenbahnnetz überall in den Vereinigten Staaten aufzukaufen und stillzulegen. Oder 1935, als der Kongress den Public Utility Holding Company Act verabschiedet, der GM und anderen Unternehmen ein solches Vorgehen noch erleichtert.
1879–83. Der Pazifikkrieg.
Zwar keine Ursache, aber doch eine schmählich verpasste Gelegenheit, etwas zu lernen. Bei diesem Krieg ging es um Ablagerungen von Fledermaus- und Möwenscheiße in der Karibik, die als idealer Grundstoff für Dünger erkannt worden waren und der Landwirtschaft zu einem Boom verholfen hatten – mit dem entsprechenden Bevölkerungszuwachs, besonders in den Städten.[85] Fledermaus- und Möwenkot sind erneuerbar insofern, als Fledermäuse und Möwen, wo es sie gibt, weiterhin Kot absetzen, doch die Ablagerungen in der Karibik hatten sich im Lauf von Millionen Jahren gebildet und wurden innerhalb von sechzig Jahren nach ihrer Auffindung restlos geplündert. Wäre nicht das Erdöl als Ersatz entdeckt worden, hätte damals ein Bevölkerungsschwund eingesetzt.[86]
Sehr schön zeigt sich hier die Neigung des Menschen, im Nu Ressourcen zu erschöpfen, die aus paläontologischer Sicht ganze Erdzeitalter zu ihrer Entstehung gebraucht haben, doch dafür gibt es viele Beispiele.[87]
5. Jh. v.Chr.: Ausarbeitung der Genesis mit ihrer für die politische Demographie der Zeit[88] sicher nützliche Aussage: »Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde, und machet sie euch untertan … Ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamt, auf der ganzen Erde, und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen, zu einer Speise.«
Diesem Absatz lassen sich mehrere Botschaften entnehmen. Klar ist schon mal, dass Gott sich uns als Vegetarier vorgestellt hat. Und nachdem wir uns über die Erde verbreitet und sie in Besitz genommen haben, will Gott vielleicht, dass wir es mit dem Vermehren verdammt noch mal nicht maßlos übertreiben. Wenn man liest: »Einreiben, ausspülen, wiederholen«, machen die meisten Leute das schließlich auch nicht, bis ihnen die Kopfhaut in Fetzen hängt. Nur auf die Bibel können sie diese Logik anscheinend nicht anwenden.[89] Immer wieder wird da aus irgendeinem Grund herausgelesen, Gott wolle, dass wir uns unbegrenzt vermehren, bis wir uns selbst und die meisten seiner anderen Geschöpfe außer Insekten und Einzellern ausgerottet haben.
Da aber die Menschen alles so auslegen, wie es ihnen passt, kann man der Schrift, aus der schließlich die Bibel wurde, da keinen Vorwurf machen. Gib ihnen ein Genetikbuch, und wenn sie lesen, dass sie nur die Hälfte ihrer einzigartigen Erbanlagen an ihre Kinder weitergeben und nur ein Viertel an ihre Enkelkinder und nur ein Achtel an ihre Urenkel, werden zumindest einige sagen: »Herrgott – da steht, ich brauch acht Kinder.«
Wenn ich wählen müsste, würde ich mich für Reagan/Carter/Iran 1979–80 entscheiden. Das war eine große Abkehr von der Realität, und noch dazu im selben Jahr, in dem William R. Cattons großartiges Buch Overshoot: The Ecological Basis of Revolutionary Change erschien.
Denn das war wirklich eine deutliche Warnung.
Teil II: Was jetzt dagegen zu tun ist
Kein Problem. Erstens: Zehn Milliarden Bäume pflanzen. Dann: Rubiks Vagina. Genauso schwer zu knacken wie der Würfel, und zwar nach Lesen der Anleitung.
Es ist meine Idee, aber ich schenke sie Ihnen.