Anlage C: Debbie’s Diner Ford, Minnesota
Immer noch Donnerstag, 13. September[22]
Als Debbie Schneke wieder in die Küche stapft, denkt sie, das kann doch alles nicht wahr sein.
Erst vermasseln Dylan und Matt die Fahrt nach Winnipeg – kommen total benebelt zurück, so viel Meth haben sie sich reingezogen –, und dann vergisst Davey, das Schild im Fenster umzudrehen, und zwei verdammte Cops kommen ins Restaurant.
Gerade, als sie dreitausend Pseudoephedrin-Tabletten zermahlen, gewaschen und in einem Erlenmeyerkolben auf dem Arbeitstisch mit Bremsenreiniger vermischt hat.
Die ganze verdammte Küche ist eine Katastrophe. Was ist heute das Tagesgericht – Frankenstein? Und sie soll einem Cop einen verdammten Hamburger zubereiten?
Debbie geht zu der Fliegengittertür, die nach draußen führt. Durch das Drahtgeflecht sieht sie einige von den Jungs auf Kisten, Mülltonnen und so was sitzen, doch sie weiß, dass die sie nicht sehen können. Wenn sie’s könnten, würden sie sich nicht wie Affen herumfläzen.
»VERDAMMTE SCHEISSE!«, brüllt sie, und ein paar von ihnen rappeln sich auf.
Debbie weiß nicht mal, ob es ungefährlich ist, das Gas für den Grill aufzudrehen. Sie glaubt nicht, dass der Brei schon den Punkt erreicht hat, wo er sich zusammen mit Propangas in das Zeug verwandelt, mit dem sie im Ersten Weltkrieg die Menschen vergast haben[23], aber woher soll sie das genau wissen?
Das Gas bleibt aus. So lautet ihre Entscheidung. Scheiß auf den Cop. Sie wird seinen Hamburger in der Mikrowelle erhitzen. Falls der Kerl überhaupt ein Cop ist. Er und die Frau sehen nach FBI, Drogenfahndung oder so was aus. Für normale Cops sind sie zu attraktiv. Debbie fragt sich, wie lange sie’s schon miteinander treiben und ob ihre Ehepartner was davon wissen.
Oh, und – oh, keine Chance. Nicht die geringste Chance. Selbst wenn sie den Hamburger in der Mikrowelle erhitzt, wie soll sie bloß das verfluchte Brötchen hinkriegen? Oder den French Toast für die Frau? Verdammt noch mal!
Debbie ist vor Wut völlig außer sich. Reißt die Tür zum Kühlraum auf: Matt Wogum und Dylan Arntz, beide mit Klebeband gefesselt und geknebelt, von der Kälte schon ganz blau und träge. Sie zittern nicht mal mehr. Noch was, worum sie sich kümmern muss.
»Zur Hölle mit euch!«, schreit sie und schlägt die Tür wieder zu. Daran sind die beiden selbst schuld. Wie konnte sie ihnen bloß vertrauen!
Was würde diese verdammten Jungs eigentlich zufriedenstellen? Sie ernährt sie, vögelt mit ihnen und bezahlt ihnen Kabelfernsehen. Was wollen sie denn noch? Soll Debbie ihnen eine X-Box in den Arsch schieben, damit sie mehrere Sachen gleichzeitig machen können?
Dabei verlangt sie doch bloß von ihnen, dass sie ein kleines bisschen cool sind – und SCHNIEFT NICHT DEN VERDAMMTEN STOFF.
Von Matt Wogum wusste sie, dass er unverbesserlich ist. Obwohl er mit Greg Bierner schon ein Dutzend Mal in Winnipeg war, behauptete er, er hätte nie gemerkt, dass Greg was nimmt. Debbie hätte ihn zusammen mit Greg umbringen sollen, aber dann wäre niemand mehr am Leben gewesen, der die Fahrt schon mal gemacht hatte. Damals fand sie es klüger, Matt weitermachen zu lassen.
Falsche Entscheidung, das ist ja nichts Neues. Dylan, der Beste, den sie hatte, der Vertrauenswürdigste – der manchmal noch zur Highschool geht, dem Debbie mit der Hand einen runterholt, weil er zu schüchtern ist, um in ihrem Mund zu kommen –, macht eine einzige verdammte Tour mit Matt Wogum und kommt so benebelt nach Hause, dass er kaum noch die Augen aufkriegt. Er und Matt Wogum erzählen eine schwachsinnige Geschichte, die, wenn Debbie drüber nachdenkt, durchaus wahr sein könnte: dass Wajid, dieser verdammte jemenitische Junge, die Pillen nicht rechtzeitig aus dem Lager der Apotheke seiner Cousins hätte holen können, weil seine Cousins Verdacht geschöpft hätten, und Matt und Dylan nicht so lange in seiner Wohnung bleiben konnten, weil er dort eine religiöse Versammlung abgehalten hätte.
Das ist das Problem mit diesen verdammten Jemeniten. Wenn sie das Ganze bloß durchziehen, um der Hisbollah Geld zu schicken oder was auch immer, ist es nicht ihr Geld und damit auch nicht ihr Problem. Sie verhalten sich nicht wie Profis.
Und natürlich mussten sich Matt und Dylan dann in eine Bar setzen, wo sie natürlich von ein paar kanadischen Schlampen gefragt wurden, ob sie Kokain hätten. Und Matt sagte ja, weil er das verdammte Meth dabeihatte, und forderte Dylan auf, eine Line zu schniefen, damit die Schlampen nicht dächten, es wäre so was wie eine Vergewaltigungsdroge.
Was ebenfalls nach der Wahrheit klingt. Debbie würde nie irgendein verdächtiges weißes Pulver von jemandem annehmen, der wie Matt Wogum aussieht – und Debbie stellt dieses Zeug selbst her.
Aber was auch da oben in Kanada passiert sein mag, Debbie hat jetzt niemanden mehr, der ihr die Pillen besorgen kann. Die zermahlenen dreitausend Stück sind alles, was sie noch hat – es sei denn, sie lässt Dylan am Leben, doch ihr wird schon von dem Gedanken übel. Aber was bleibt ihr anderes übrig? Sich mit den verdammten Leuten aus Sinaloa einlassen?
Am liebsten würde sie schreien und gegen die Backofentür hämmern.
Debbie hasst diese verdammten Sinaloa-Leute. Die schicken ständig irgendeinen kleinen Tortillafresser mit Goldzähnen vorbei, der verlangt: »Sie jetzt für uns arbeiten, Lady.« Die wollen, dass sie fertigen Stoff aus Mexiko mit einem Viertel des Gewinns verkauft, den sie einstreicht, wenn sie ihn selbst herstellt.
Bis jetzt hat man’s ihr durchgehen lassen, dass sie diese Typen rauswirft. Aber wenn die Sinaloa-Leute irgendwann ihren Scheiß geregelt kriegen und sich nicht mehr gegenseitig umbringen, könnten sie zu einem gottverdammten Albtraum werden. Zur Tarnung arbeiten sie alle in dem Fleischverarbeitungsbetrieb in Saint James. Spielen mit Messern herum. Aus reiner Nervosität hat sie den Jungs neue Waffen besorgt.
Und jetzt bleibt ihr nur die Hoffnung, dass eins dieser kleinen Arschlöcher wiederkommt? Und Stoff mitbringt, damit sie wenigstens was zu verkaufen hat?
Debbie reißt ein Stück Aluminiumfolie von der Rolle und deckt den Brei in dem Becherglas damit ab. Stellt das Ganze in den Kühlschrank. Scheiße, was soll sie denn sonst damit anfangen?
Sie schaltet die Toastfläche oben im Backofen ein. Dreht das Propangas auf. Denkt im Hinblick auf das potentielle Senfgas: Ach, tu mir doch den Gefallen.
Jetzt, wo der Brei nicht mehr offen rumsteht, kann sie wenigstens rauchen. In letzter Zeit raucht Debbie zu viel – als ob sie das nicht wüsste! –, doch im Moment hat sie das Gefühl, die einzig brauchbare Luft im Raum befindet sich auf der anderen Seite einer brennenden Zigarette.
Als sie die Zigarette angezündet hat, legt sie das Brötchen und den French Toast auf die Toastfläche und den Hamburger in die Mikrowelle. Scheiß auf den Bullen, auch wenn das Gas schon aufgedreht ist. Dann stößt sie die Tür zum hinteren Parkplatz auf.
Die Jungs, inzwischen auf der niedrigen Mauer und mehreren Autos aufgereiht, verstummen. Sie sehen mürrisch und ängstlich aus.
»Sobald die Cops weg sind, holt ihr Dylan Arntz hier raus und haut ihm die Hucke voll«, ordnet sie an. »Was Matt Wogum angeht, hab ich noch keine Entscheidung getroffen.«
Diejenigen, auf die es ankommt – vermutlich alle anderen auch – wissen schon, was das bedeutet.
Für Dylan heißt es, dass er noch eine letzte Chance bekommt.
Für Matt hingegen, dass am besten jemand anfängt, ein Loch zu graben.